27. BAföG-Änderungsgesetz tritt in Kraft!BAföG-Verbesserungen 2022
Wer im August und je nach Amt wohl auch noch im September einen Bescheid für einen Zeitraum ab August oder später bekommen hat, kann noch die alten Fördersätze vorfinden. Denn es dauert immer einige Wochen nach endgültigem Beschluss, bis die Ämter auch angepasste Software erhalten. Keine Sorge! Die Ämter müssen all diese Bescheide korrigieren, was aber Zeit in Anspruch nehmen wird.
Ebenfalls Korrekturen werden alle erhalten, deren Bewilligungszeitraum vom Sommersemester bis ins Wintersemester reicht, da ab Oktober auch für alle schon vor August begonnenen Bewilligungszeiträume die neuen Regelungen anzuwenden sind. Die Ämter haben also viel zu tun, es ist daher wahrscheinlich hilfreich, nicht zu früh nach den Korrekturbescheiden zu fragen …
Das 28. BAföG-Änderungsgesetz hätte im Grunde auch Teil des 27. sein können, wurde aber unabhängig davon vorbereitet und ist es auch tatsächlich, weil es etwas ganz anderes regelt – nämlich eine „Verordnungsermächtigung für Fälle bundesweiter Notlagen“. Die Infos dazu haben wir nun ausgelagert in den Artikel Notfallmechanismus im BAföG.
1. Höhere Bedarfssätze
Die Bedarfssätze steigen um 5,75%, für Studierende der Grundbedarf also von 427 auf 452 € im Monat. Der Mietzuschlag für alle, die nicht bei den Eltern wohnen, steigt um etwas mehr als 10% von 325 auf 360 €. Wer bei den Eltern bleibt, bekommt statt 56 € künftig 59 € Bedarf berücksichtigt.
Statt bisher 752 € kann es künftig bis zu 812 € im Monat BAföG geben (ohne Zuschlag für Kranken- und Pflegeversicherung). Und der Kinderzuschlag für Studierende mit Kind wird auf 160 € je Monat und Kind erhöht.
Durch die BAföG-Erhöhung steigt für alle, die sich schon selbst versichern müssen, der Beitrag zur studentischen Krankenversicherung. Folglich muss auch das BAföG selbst den Zuschlag auf den Bedarf für Kranken- und Pflegeversicherung erhöhen – von 84 (KV) auf 94 € und von 25 (PV) auf 28 €. Für alle über 30 (keine studentische Krankenversicherung mehr möglich) steigt der Bedarf hier auf bis zu 167 (KV) und 38 € (PV).
Für Schüler:innen an (Berufs-)fachschulklassen, für die keine vorher abgeschlossene Berufsausbildung nötig ist, gibt es bei den Eltern wohnend 262 € (bisher 247 €). Anderswo wohnend soll es künftig 632 € geben (bisher 585 €).
Schüler:innen an Fachoberschulklassen (mit vorher abgeschlossener Berufsausbildung) und einigen anderen Schularten bekommen bei den Eltern wohnend 474 € (bisher 448 €). Anderswo wohnend soll es künftig 736 € geben (bisher 681 €).
Schließlich für Schüler:innen an Abendgymnasien und Kollegs (mit Ziel Abitur) sowie an Fachschulklassen, deren Besuch eine abgeschlossene Berufsausbildung voraussetzt: bei den Eltern wohnend 480 € (bisher 448 €). Anderswo wohnend soll es künftig 781 € geben (bisher 723 €).
Kommentar: Jede Erhöhung ist besser als keine. Die vorgesehene und so von der Bundesbildungsministerin am 12. Mai auch verteidigte (ebenso am 23. Juni bei der 2./3. Lesung) ist sicher ein erster Schritt, reicht aber nicht: In Anbetracht dessen, dass aktuell die Inflation ungewöhnlich hoch liegt und die Mietpreise besonders stark gestiegen sind, stellt sie im Grunde gar keine Verbesserung dar, sondern hält nicht einmal das erreichte Niveau. Da hilft es nur wenig, dass im letzten Moment die Erhöhung um 0,75% gesteigert wurde.
Wenn der Gesetzesentwurf auch eine vernünftige automatische Anpassung der Bedarfssätze für die Zukunft festlegen würde, wäre das vielleicht noch okay, weil dann wenigstens eine Sicherheit geschaffen würde, dass das Niveau auch gehalten wird. Ohne einen Automatismus ist die Anpassung allein nicht gut genug – und wie bereits von Anfang vermutet, ein Anpassungsautomatismus ist nicht vorgesehen. Ein solcher bleibt zwar angekündigt (und per Entschließung bekräftigt), die Frage ist aber berechtigt, warum dieser nicht schon eingebaut werden konnte.
2. Deutlich höhere Freibeträge auf Elterneinkommen, aber auch auf eigenes
Der Freibetrag, der auf das Elterneinkommen gewährt wird, wird um 20,75% steigen. Konkret bedeutet das: Wer als Einzelkind verheiratete Eltern hat, bei dem gab es bisher bis 2.000 € Monats-Netto der Eltern (Darstellung grob vereinfacht) den BAföG-Höchstsatz, künftig bis 2.415 € Monats-Netto. Und natürlich gibt es dann auch bei deutlich mehr Netto immer noch immerhin etwas BAföG. Auch hier wieder grob vereinfacht: Bisher bis ca. 3.480 € (dann ca. 10 € BAföG/Monat), künftig bis ca. 4.015 € (ebenfalls grob 10 € BAföG/Monat).
Auch der Freibetrag auf eigens Einkommen steigt – und zwar so, dass die zum Oktober 2022 greifende höhere Verdienstgrenze für Minijobs von dann 520 € pro Monat noch anrechnungsfrei bleibt.
Kommentar: Das ist eine erfreuliche Entwicklung und könnte tatsächlich dazu führen, dass wieder mehr Schüler:innen und Studierende BAföG erhalten können. Besser wäre natürlich, wenn auch die Bedarfssätze um 20% steigen würden …
3. Altersgrenze rauf auf 45 Jahre (!)
Tatsächlich sieht der Entwurf eine Erhöhung der bisherigen Grenze von 30 auf 45 Jahre vor und behält alle Ausnahmen bei, d.h. auch ein noch späterer Beginn ist möglich.
Wer knapp vor 45 mit einem Bachelor beginnt, darf dann – allerdings nur im direkten (bzw. nächstmöglich zumutbaren) Anschluss – auch noch den Master BAföG-gefördert machen.
Kommentar: Die Erhöhung war schon lange fällig. Da auch die bestehenden Ausnahmen beibehalten werden, ist das wirklich ein großer Wurf.
4. Erhöhung des Vermögensfreibetrag auf 45.000 € ab 30 Jahre, auf 15.000 € für den Rest
Richtig ist, dass für alle, die erst später mit dem Studium beginnen, der Vermögensfreibetrag von aktuell 8.200 € eine Hürde für mögliches BAföG darstellen. Wer also schon früh gespart hat, wurden bisher bestraft.
Künftig sollten zunächst tatsächlich für alle 45.000 € Vermögen ohne Anrechnung bleiben. Das sollte wohl auch den Ämtern die Arbeit erleichtern, da gerade die Vermögensbestimmung (Zeitwert von Auto, Motorrad etc. aber auch anderen Werten) kompliziert sein konnte.
In letzter Minute wurde jedoch eine Altersgrenze ergänzt: 45.000 € Vermögensfreibetrag gibt es nur für alle ab 30. Wer noch nicht 30 ist, für die oder den müssen 15.000 € reichen. Damit scheint auf Bedenken eingegangen werden, dass das Unterhaltsrecht hier mit dem BAföG kollidieren konnte und evt. nicht erwünschte „Tricks“ möglich geworden wären.
Kommentar: Eine Erhöhung der Vermögensfreibetrages ist sinnvoll. Schon für einen Auslandsaufenthalt können wegen Studiengebühren etc. gewisse Rücklagen nötig werden, da das BAföG meist erst später zahlt. Da waren 8.200 € gelegentlich schon zu wenig. Insofern ist die nun gewählte Lösung vernünftig, um auch die unterschiedlichen Lebenssituationen zu berücksichtigen.
5. Verbesserungen beim Auslands-BAföG
Jetzt sicher: Zuschlag für Studiengebühren auf 5.600 € erhöht!
Wer in Deutschland BAföG bekommen würde, kann schon heute praktisch für jedes staatlich anerkannte Studium im EU-Ausland Auslands-BAföG erhalten. Auch ein Auslandsstudium außerhalb der EU ist möglich – dass bisher aber nur als höchstens einjähriger Auslandsaufenthalt im Rahmen eines ansonsten in der EU stattfindenden Studiums.
Hier eröffnet der Entwurf die Möglichkeit, einjährige Master-Studiengänge außerhalb der EU (was ja auch Großbritannien betreffen würde) zu studieren.
Laut erstem Entwurf vom 17.02.22 sollte auch der Zuschlag für notwendige Studiengebühren beim Auslandsstudium von 4.600 € auf 5.600 € erhöht werden. Das war im zweiten bekannten Entwurf vom 03.03.22 wieder weggefallen. Grund war aber lediglich, dass das nicht ins Gesetz gehört, sondern in eine gesonderte Verordnung, welche die BAföG-Auslandszuschlagsverordnung ändert. Und die wurde im Bundesgesetzblatt parallel zum 27. BAföG-Änderungsgesetz verkündet womit sich der Zuschlag tatsächlich auf 5.600 € erhöht 😇
Kommentar: Die Variante, einjährige Ausbildungen (faktisch dürfte es sich im Bereich Studium dabei praktisch ausschließlich um Master handeln können) grundsätzlich zu fördern, egal wo in der Welt, ist da eine sinnvolle Sache. Die Erhöhung des Auslandzuschlags für notwendige Studiengebühren wäre schon lange überfällig (die letzte Anpassung war wohl 2002!). Gut, dass sie schließlich gekommen ist – auch wenn die Erhöhung ruhig höher hätte ausfallen können.
6. Automatisch Erlass der Restschulden nach 20 Jahren auch für Altschuldner
Im Entwurf stand das von Anfang an, aber in der Berichterstattung war das zunächst untergegangen, auch wenn das für einige große Erleichterungen bringen dürfte:
Die Erlassmöglichkeit nach 20 Jahren auch für Altschuldner soll nach dem Entwurf künftig automatisch gelten. In der letzten (26.) Gesetzesnovelle wurde die Erlassmöglichkeit zwar auch für Altschuldner eröffnet – aber nur auf Antrag, der bis Anfang März 2021 gestellt werden musste. Was doch viele nicht rechtzeitig mitbekommen hatten.
Voraussetzung, dass es den Erlass gibt, bleibt aber natürlich weiterhin, dass Zahlungs- und Mitwirkungspflichten im wesentlichen erfüllt wurden (siehe hier). Übrigens wird künftig nicht mehr zwischen normalem „Kooperationserlass“ und – wenn bei den Zahlungs- und Mitwirkungspflichten kleine Nachlässigkeit bestanden – „Härtefallerlass“ unterschieden und für letzteren ist kein Antrag nötig. Stattdessen soll künftig das Bundesverwaltungsamt von sich aus prüfen, ob ein Erlass möglich ist und diesen dann auch gewähren.
Kommentar: Das ist uneingeschränkt zu begrüßen und spart allen Beteiligten eine Menge Ärger.
7. Keine Unterschrift mehr nötig
Ein kleines Detail, was aber viel Erleichterung bringt: Die sogenannte „Schriftformerfordernis“ bei der Antragstellung fällt weg. Reicht man den Antrag sowieso schriftlich ein, war die Unterschrift zwar nie ein Problem. Aber bei der elektronischen Antragstellung bedeutete das bisher, dass man ein Lesegerät für die eID des Personalausweises haben muss oder De-Mail verwenden – beides Optionen, die nur sehr wenige nutzen können oder wollen. Sonst musste dem Online-Antrag ganz anachronistisch noch per Post eine Unterschrift hinterhergeschickt werden – sonst war der Antrag nicht gültig. Letzteres ist künftig nicht mehr nötig, der Antrag gilt auch ohne Unterschrift. Korrekter Name und gültige Adresse bleibt natürlich nötig 😇
Obwohl diese Regelung seit 22. Juli 2022 gilt (Tag nach Verkündigung des 27. BAföG-Änderungsgesetzes im Bundesgesetzblatt), steht bei bafoeg-digital.de beispielsweise bei der Anmeldung leider immer noch (Stand 29. Juli 2022), man müsse die Unterschrift per Post oder eingescannt beifügen. Das kann aber tatsächlich ignoriert werden, es ist nicht mehr nötig – was auch direkt in den News von bafoeg-digital.de nachzulesen ist. Sobald die nächste Version von bafoeg-digital.de eingespielt ist, wird das dann auch korrekt an den anderen Stellen stehen – leider kann das noch dauern …
Entsprechendes gilt dann auch für einen formlosen Antrag: Auch der ist künftig ohne Unterschrift gültig, sofern die antragstellende Person eindeutig erkennbar ist (durch Angabe von Namen und Adresse und am besten auch noch Geburtsdatum).
8. Notfallmechanismus
9. Schneller BAföG für Flüchtlinge beispielsweise aus der Ukraine
Studierende, die aus der Ukraine geflüchtet sind, stünde BAföG erst nach einiger Zeit und Anträgen zu. Ganz ohne Antrag geht es natürlich auch in Zukunft nicht, aber durch den neuen § 61 BAföG (tritt zum 1. Juni 2022 in Kraft) geht es künftig schneller.
Diese Änderung hat der Bundestag mit den Stimmen der rot-grün-gelben Koalition am 12. Mai kurz vor 17 Uhr beschlossen, sie ist Teil des Sofortzuschlags- und Einmalzahlungsgesetz. Damit sind 2022 im Grunde sogar drei Baustellen (das 27. und 28. BAföG-Änderungsgesetz und diese Änderung hier) beim BAföG parallel in Arbeit (gewesen) – und die erste davon schon erledigt.
Kommentar: Die weitere Öffnung des BAföG ist sicher sinnvoll, gerade in der aktuellen Lage. Es macht Sinn, geflüchteten Studierende aus der Ukraine (oder auch von anderswo) die Möglichkeit zu geben, ihr Studium in Deutschland fortzuführen – und ohne BAföG wäre das kaum möglich.
10. Reaktionen
Zu den abschließenden Reaktionen auf den Beschluss des 27. BAföG-Änderungsgesetzes siehe Taufrisch und trotzdem überholt: Bundestag beschließt BAföG-Reform 2022. Hier im Folgenden die früheren Reaktionen, die aber weitestgehend auch für das letztlich beschlossene Gesetz passen. Denn die Änderungen seit dem ersten Entwurf sind nicht substantiell genug, als das die geäußerte Kritik nicht mehr zutreffen würde.
Am 18. Mai 2022 führte der Bundestags-Ausschuss Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung eine Sachverständigenanhörung zum BAföG durch. Was dort so geäußert wurde – von Arbeitgeberverband über Deutsches Studentenwerk, studentischem Dachverband fzs und anderen bis hin zur Hochschulrektorenkonferenz –, kann in Kürze im Artikel Noch viel Luft nach oben: Sachverständige bewerten BAföG-Reform nachgelesen werden. Vor allem die zu geringe Erhöhung der Bedarfssätze und die Tatsache, dass viele im Koalitionsvertrag geplante Änderungen erst nächstes Jahr angegangen werden sollen, rief Kritik hervor.
Die ersten Stellungnahmen (bereits im März 2022) sahen zusammengefasst so aus:
Allgemein begrüßt werden die Erhöhung der Altersgrenze auf 45 Jahre und die Erhöhung der Freibeträge auf das Elterneinkommen um 20%. Auch die Erhöhung der Vermögensgrenze auf 45.000 Euro ist ein großer Wurf, auch wenn dieser von manchen schon als zu hoch angesehen wird.
Dagegen gilt vor allem die Erhöhung der Bedarfssätze um 5% als zu wenig – zum einen im Hinblick darauf, dass das BAföG schon vorher nicht mehr ausreichte, vor allem aber aktuell auf Grund der hohen Inflation, die möglicherweise die 5% noch übersteigen wird. Bedauert wird ebenso das Fehlen von weiteren möglichen Verbesserungen wie einer längeren Förderdauer, weniger restriktiven Anforderungen an den Leistungsnachweis oder einem gesetzlichen Automatismus für weitere Erhöhungen.
In Bezug auf die Forderung nach längere Förderdauer und Leistungsnachweis verweist die Koalition darauf, dass weitere Verbesserungen im BAföG kommen sollen – nur eben nicht schon 2022. Böse könnte man sagen: Nicht dass das BAföG zu erfolgreich wird (das könnte ja mehr kosten, als vorgesehen …).
Dass dagegen die Einführung eines „elternunabhängigeren BAföGs“ Zeit braucht, ist einleuchtend. Die Kindergrundsicherung, die hier ins Spiel kommt, erfordert eine gute Abstimmung und greift in unterschiedlichste Gesetze ein – das BAföG muss darauf warten, dass sie kommt und sich dann anpassen.
Archiv Gesetzentwürfe 27. BAföG-Änderungsgesetz und weitere Dokumente dazu
- BAföG-Referentenentwurf vom 17.02.22 (veröffentlich bei fragdenstaat.de 04.03.2022)
- BAföG-Referentenentwurf vom 03.03.22 (via bmbf.de)
- Vom Kabinett beschlossener BAföG-Referentenentwurf vom 25.03.22 (via bmbf.de)
- Pläne der Bundesregierung zur Reform des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (Antwort der Bundesregierung auf Kleine Anfrage der Fraktion der CDU/CSU; 07.04.22, Drucksache 20/1369)
- BAföG-Gesetzentwurf in der Fassung für den Bundesrat (Drucksache 160/22, 08.04.22)
- 27. BAföG-Änderungsgesetz (Bundestag Drucksache 20/1631, 02.05.22)
- Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (Bundestag Drucksache 20/2399, 22.06.22)