HintergrundDie Geschichte des BAföG von 1971 bis heute
Von Oliver Iost
Eine Grafik mit den Förderquoten und Tabellen mit den wichtigsten Daten zum BAföG 1972 bis 2022 findet sich am Ende dieses Artikels.
Die Vorgeschichte: Von der Reichsfürsorgepflichtverordnung zum Honnefer Modell und den beginnenden Diskussionen über eine bundeseinheitliche Lösung
Mit Gründung der Bundesrepublik wurden Förderleistungen noch auf Grund der Reichsfürsorgepflichtverordnung von 1924 vergeben. Voraussetzung waren neben niedrigem Einkommen „besonders gute Ausbildungsleistungen“. Ausgezahlt wurden die Leistungen von den Gemeinden. Wer also nicht gerade zu den Jahrgangsbesten gehörte, war auf ausreichend reiche Eltern angewiesen, um sein Studium zu finanzieren.
Auf Bundesebene wurden unabhängig von besonders guten Studienleistungen nur „Kriegsfolgengeschädigte“ gefördert. Wer in den Genuss dieser Leistungen kam, musste nichts zurückzahlen, es handelte sich um einen Vollzuschuss.
1953 wurde dann in einer Vereinbarung zwischen Bund und Ländern das sogenannte Honnefer Modell ins Leben gerufen. Es bezog sich auf die Förderung des wissenschaftlichen Hochschulstudiums (gemeint waren damit ausschließlich Universitäten) und umfasste erstmals auch Kinder aus mittleren Einkommensschichten und unter Umständen ein Auslandsstudium. Voraussetzung blieben aber überdurchschnittliche Studienleistungen.
Die Bundesländer bauten für Schüler und Studierende anderer Hochschulen (FHs, PHs, Musik/Kunsthochschulen usw.) eigene Förderprogramme auf. An den Hochschulen waren diese Förderungen noch relativ ähnlich und wurden als „Rhöndorfer Modell“ bezeichnet. Die Kosten trugen voll und ganz die Länder, die ja (was bis heute immer wieder ein Problem darstellt) die Bildungshochheit haben, der Bund hat nur in gewissen Grenzen inzwischen die Möglichkeit, einen groben Rahmen zu setzen („Hochschulrahmengesetz“).
Um dem Bund überhaupt eine einheitliche Regelung in Bezug auf die Ausbildungsförderung zu ermöglichen, musste erst das Grundgesetz geändert werden. Im Rahmen der Großen Koalition (CDU/SPD) von 1966 bis 1969 wurde dies am 13.5.1969 getan. §75 Nr. 13 GG wurde derart ergänzt, dass der Bund nun auch die Kompetenz für „die Regelung der Ausbildungsbeihilfen“ hatte.
Der erste „richtige“ Vorläufer des BAföGs war dann das 26.6.1969 verabschiedete Ausbildungsförderungsgesetz (AföG), das zum 1.7.1970 in Kraft trat. Das ursprünglich verfolgte Ziel, damit die Ausbildungsförderung in allen Ausbildungsbereichen (also z.B. auch der betrieblichen Ausbildung) zu regeln, konnte jedoch nicht verwirklicht werden. Die dafür notwendigen finanziellen Mittel standen angeblich nicht zur Verfügung.
Einführung des BAföG 1971 und erste Änderungen
Als gesetzliche Sozialleistung ist das BAföG im Laufe der Jahre immer komplexer geworden. Ohne Akten geht da gar nichts.
„Der soziale Rechtsstaat, der soziale Unterschiede durch eine differenzierte Sozialordnung auszugleichen hat, ist verpflichtet, durch Gewährung individueller Ausbildungsförderung auf eine berufliche Chancengleichheit hinzuwirken.“ So steht es in der Begründung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung vom 18.3.1971 geschrieben. In Kraft trat das BAföG dann zum 1. September 1971.
Natürlich ging es auch 1971 unter Brandt nicht nur um soziale Gerechtigkeit – die Industrie wie die Dienstleistungsunternehmen verlangten nach vielen hochausgebildeten Spitzenkräften, und die galt es zu produzieren. Alle Welt sprach damals von der „Aktivierung der Bildungsreserven“ aus den Familien mit niedrigen und mittleren Einkommen. Immerhin brachte das BAföG erstmals das individuelle Recht auf – familienabhängige – Ausbildungsförderung mit sich, eine grundsätzliche Eingnung genügte, besonders gute Leistungen waren nicht mehr erforderlich.
Das BAföG wird 1971 als vollständiger Zuschuss (es musste also gar nichts zurückgezahlt werden!) für individuell bedürftige Studierende eingeführt. Der Höchstbetrag entsprach in etwa dem vom Deutschen Studierendenwerk in seiner Sozialerhebung als notwendig erachteten Betrag. 1972 wurden 44,6% der Studierenden durch BAföG gefördert (270.000 BAföG-EmpfängerInnen bei 606.000 eingeschriebenen Studierenden).
Der Kreis der Anspruchsberechtigten wurde im Laufe der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts maßgeblich erweitert. Neben Studierenden wurden auch Auszubildende, SchülerInnen und andere anspruchsberechtigt. Alle zwei Jahre fand eine Überprüfung der Bedarfssätze statt (Novellierung des Gesetzes), dies gilt auch heute noch. Trotz verschiedener Forderungen nach einer Dynamisierung des Anspruchs gem. allgemeiner Preissteigerung und studentischem Warenkorb oder eines zielgerichteten Ausbaus in Richtung Grundeinkommen, passiert dahingegend nichts.
1974 wurde ein verpflichtendes Grunddarlehen trotz massiver Proteste eingeführt, das jeweils unabhängig von der wirklichen Förderhöhe von jedem/jeder BAföG-EmpfängerIn aufzunehmen ist. Die Höhe des Darlehensanteils stieg bis 1977 auf bis zu 150,- DM. Das Grunddarlehen war unverzinst zurückzuzahlen. Nur wer einen höheren BAföG-Anspruch hatte, bekam noch einen Zuschuss.
Die erste größere Strukturdiskussion über das BAföG fand bereits zwischen 1976 und 1978 statt. Erstmals wurde über Sockelmodelle diskutiert, die Kindergeld und Kinderfreibeträge im Rahmen des Familienlastenausgleichs ersetzen sollen. Ähnliche Modelle („3-Körbe-Modell“) werden auch in der Folge immer wieder in die Debatte geworfen, können sich aber nicht durchsetzen. 1978 lag es vor allem am Widerstand der Länder (die ja auch einen Teil der BAföG-Kosten tragen müssen).
Grund zum Demonstrieren waren Verschlechterung beim BAföGs immer wieder ...
Die 1980er Jahre: Volldarlehen, kaum mehr Schüler-BAföG und weitere Verschlecherungen
Schon vor Machtübernahme durch schwarz-gelb wurde 1981 aus Haushaltsgründen erstmals massiv an den Anspruchsberechnungen gedreht. Insgesamt wurden 600 Mio. DM eingespart, nachdem die Gesamtausgaben 1981 auf 2,4 Mrd. DM gestiegen waren. Unter anderem wurde nur noch positive Einkommsarten der Eltern gewertet, eine Verrechnung mit Verlusten aus anderen Einkunftsarten oder mit dem Ehepartner wurde ausgeschlossen. Diese Regelung gilt heute noch und ist für die Betroffenen sehr unglücklich. Bis 1981 galt ein Antrag bis zu drei Monate rückwirkend, auch das gibt es seit damals nicht mehr. Das SchülerInnen-BAföG wird zusammengestrichen, die Ausgaben längerfristig wirkend stark gesenkt.
Mit der neuen CDU-FDP-Bundesregierung kam es dann noch schlimmer: Das BAföG wird auf Volldarlehen umgestellt - d.h. jedeR BAföG-EmpfängerIn muss die gesamte Summe der Ausbildungsförderung zurückzahlen. Die Zahl der BAföG-EmpfängerInnen beginnt, rückläufig zu werden, entsprechend der Prozentsatz der Studierenden aus einem Elternhaus mit niedrigem Einkommen und niedrigem Bildungshintergrund. Infos zum Volldarlehen und seinen Auswirkungen (der Schuldenberg konnte bis zu 60.000 DM betragen) findet Ihr auf den Webseiten der (Berliner) BAföG-Ini.
Wiedervereinigung bringt 1990 Verbesserungen, dann aber schleichende Ausdünnung
Im Zuge der Wiedervereinigung musste auch das BAföG angepasst werden. Es wird auf ein Halbzuschussmodell umgestellt, was nach langen Jahren mal wieder eine Verbesserung ist. Die Hälfte ist ab sofort Zuschuss, die andere Hälfte Darlehen. Hier möchten wir Euch ein Zitat aus (1) nicht vorenthalten: „Offensichtlich wollte man den ostdeutschen Studierenden, die das seit 1981 in der DDR bestehende einheitliche Grundstipendium für alle Studierende (...) kannten, eine zu abrupte Konfrontation mit der Bildungspolitik des real existierenden Kapitalismus ersparen.“
Bis 1999 sinkt durch eine unzureichende Anpassung der Freibeträge und Bedarfssätze der Anteil der Anspruchsberechtigten und tatsächlichen EmpfängerInnen rapide. Der Tiefstand ist 1998 mit nur noch 12,6% geförderten Studierenden erreicht (und den BAföG-Höchstsatz bekommen davon auch nur ein Bruchteil).
Um 2000: Verstärkte Diskussionen über grundlegende Reform. Die gibt es nicht, aber immerhin deutliche Verbesserungen am bestehenden Gesetz
Die neue rot-grüne Bundesregierung nimmt 1999 einige der schlimmsten Verschlechterungen durch die letzten BAföG-Novellen zurück und verspricht, mit der nächsten Novellierung eine grundsätzliche Reform durchzuführen.
Aus der grundsätzlichen Reform wird aber nichts. Insbesondere hatte sich das sog. „Drei-Körbe-Modell“ nach Vorschlag des Deutschen Studierendenwerks (DSW) in der Debatte durchgesetzt - nicht aber in der Regierung (und hier vor allem bei Bundeskanzler Schröder, der sich besonders darum verdient gemacht hat, eine mögliche Reform zu verhindern). Stattdessen wird mit einem Teil der Gelder aus der Versteigerung der UMTS-Lizenzen die Gesamtfördersumme um 1 Mrd. DM und damit u.a. die Freibeträge erhöht, der Kreis der Anspruchsberechtigten wächst wieder. Das Reförmchen bleibt jedoch weit hinter den selbst gesteckten Erwartungen und dem von Studierendenvertretungen, GEW und DSW als notwendig erachteten zurück.
Im Oktober 2002 (für Neuanträge) steigen die Förderbeträge und Freibeträge geringfügig und werden an gerade Euro-Beträge angepasst. Das war alles schon im Gesetz von 2001 vorgesehen.
Der 15. BAföG-Bericht der Bundesregierung vom März 2003 zeigt immerhin, dass mit dem Reförmchen wieder mehr Studierende und SchülerInnen durch BAföG gefördert werden. Keine Erwähnung im Bericht findet der seit 2002 eingeführte (und die Jahre ab 2001, teilweise 2000 prüfende) und mit einer Art Rasterfahndung vergleichbare BAföG-Datenabgleich zwischen BAföG-Ämtern und Bundesamt für Finanzen, der eigentlich einiges an Geld (zurück)gebracht haben müsste.
Im 16. BAföG-Bericht vom Februar 2005 und auch im darauf folgenden 17. wird deutlich, dass die BAföG-Reform 2001 mir Recht als Erfolg bezeichnet werden kann. Dass seit 2002 weder Freibeträge noch Bedarfssätze angehoben wurden, ist erstaunlicherweise noch nicht zu bemerken.
Offenbar waren die Erhöhungen 2001 durchaus so signifikant, dass ein „Puffer“ geschaffen wurde, von dem nun eine zeitlang gezehrt werden kann. Vor allem dürfte auch die Begrenzung der Schuldenlast positiv gewirkt haben - und diese Begrenzung bleibt immerhin erhalten.
Nach sieben Jahren 2008 endlich deutliche Anpassungen
BAföG-Erhöhungen blieben nach 2001 aus, 2004 gab es lediglich einige Änderungen an Details, die zwar für Einzelne durchaus relevant waren, aber an der Höhe der Förderung für sowieso schon Berechtigte nichts änderten. So ist es kein Wunder, dass die Gefördertenquote ab 2006 wieder sank.
Im Jahr 2007 einigte sich die große Koalition dann nach langem Ringen auf eine größere Anhebung der Fördersätze um 10% – wobei die Erhöhung erst zum Wintersemester 2008/2009 in Kraft trat. Wobei dies trotz der nominellen Höhe nicht ganz ausreichte, um die Inflationsbedingten Verluste seit 2001 auszugleichen. Gleichzeitig wurden weitere kleinere Verbesserungen eingeführt, so bspw. ein Kinderbetreuungszuschlag und die Möglichkeit, das ganze Studium im EU-Ausland (und der Schweiz) durch BAföG gefördert zu bekommen.
Kein Wunder also, dass die Zahlen für 2008 positiv ausfallen, auch wenn die Gefördertenquote unter den Anspruchsberechtigten noch nicht wieder den Höchststand von 2003 erreicht hat.
2010: Langes Ringen um BAföG-Anpassung
CDU/CSU und FDP schaffen es – da hatten sich SPD und Grüne in ihrer Regierungszeit letztlich nicht mit Ruhm bekleckert – tatsächlich, das BAföG nach zwei Jahren wieder ein wenig zu erhöhen. Leider eher zu wenig – aber immerhin. Bei der Gelegenheit werden auch diverse Details des Gesetzes in positiver Weise geändert, u.a. erhöht sich die Altersgrenze bei einem Master-Studium auf 35.
All das hätte eigentlich schon im Juli 2010 verabschiedet werden sollen, dann hätten die Ämter die Änderungen einfach mit den neuen Anträgen (bzw. Folgeanträgen) berücksichtigen können. Aber diesmal war es der Bundesrat, der mit der Bundesregierung um Gelder pokerte und leider auch die Verabschiedung der BAföG-Novelle verzögerte. So konnte die Novelle erst im Oktober verabschiedet werden. Was statt Verwaltungsvereinfachung (was Hintergrund vieler Änderungen war) erst einmal mehr Aufwand für die Ämter bedeutete: Die schon bearbeiteten Anträge für das Wintersemester 2010/2011 mussten neu berechnet werden, was sich teilweise lange hinzog.
2011: 40 Jahre BAföG
Am 7. Oktober 2011 wird das BAföG-Jubiläum vom Deutschen Studentenwerk (an den Studentenwerken sind in fast allen Bundesländern die BAföG-Ämter angesiedelt) in einer Festveranstaltung gefeiert. Wir hatten schon vorab diverse Menschen aus Politik und Wissenschaft dazu befragt, was sie am BAföG gut finden, aber auch, was noch verbessert werden sollte. Siehe unseren Artikel 40 Jahre BAföG: Grund zum Feiern?
40 Jahre BAföG wären ein guter Anlass gewesen, die Beiträge ordentlich zu erhöhen und das Gesetz gründlich aufzuräumen und zu verbessern. Stattdessen traten schon im Vorjahr eine kleine Erhöhung und einige Veränderungen im Detail in Kraft und im Jubiläumsjahr passierte gar nichts.
2012/13: Jahre des Stillstandes
Im Januar 2012 wurde der 19. BAföG-Bericht vorgelegt – bzw. erst mit einer gewissen Verzögerung (vgl. auch unserenBericht dazu). Aus ihm geht hervor, dass Bedarf für eine Erhöhung schon im Herbst 2012 durchaus vorhanden wäre. Dazu kommt es aber nicht, da Bund und Länder sich nicht einigen können bzw. wollen, trotz aller Aufrufe von verschiedener Seite (vgl. bspw. hier). 2013 kamen aus dem Bundesbildungsministerium lediglich vage Andeutungen, das BAföG solle reformiert. Richtig ernsthaft scheint das aber nicht verfolgt zu werden, vor Bundestagswahlen ist es (leider) meist so, dass Projekte eher angedeutet werden, als wirklich angepackt. Bedenklich stimmt vor allem, dass sich Bund und Länder (und selbst da ist nicht alles wirklich bis zu Ende klar und beschlossen) zwar auf mehr Geld für die Hochschulen (wegen hoher Studierendenzahlen) einigen können, nicht aber für eine auch nötige Anpassung des BAföGs (siehe Artikel Zuschlag beim Hochschulpakt – Rückschlag beim BAföG).
Nach der Bundestagswahl im Herbst 2013 kam es zu einer großen Koalition aus CDU/CSU und SPD. Dass es beim BAföG Anpassungsbedarf gibt, darüber scheint zwar Einigkeit zu bestehen. Leider aber so gar nicht darüber, wie denn nun genau (und zu welchen Kosten). Im Koalitionsvertrag führte das dazu, dass das Thema BAföG gar nicht erwähnt wurde – Rätselraten um BAföG-Reform berichteten wir u.a. dazu.
Am 29.01.2014 wurde der 20. BAföG-Bericht vorgestellt. Wie so oft gehen die Interpretationen des darin enthaltenen Zahlenmaterials deutlich auseinander: BAföG-Bericht vorgelegt: Regierung verkauft Abstieg als Aufwind. Die offenbar vorhandene Uneinigkeit innerhalb der großen Koalition, was nun zu tun sei, zeigt sich auch in den abschließenden Schlossfolgerungen des Berichts. So kurz und vage waren diese wohl noch nie: „Der Bericht zeigt, dass die Weiterentwicklung des BAföG notwendig ist. Die Bundesregierung wird die dafür notwendigen Gespräche unmittelbar aufnehmen.“
2014: BAföG-Novelle wird beschlossen – höheres BAföG aber erst Ende 2016
Im Laufe des Jahres 2014 einigte sich die Koalition im Bund mit den Ländern schließlich tatsächlich auf eine BAföG-Reform (das 25. BAföG-Änderungsgesetz) – die in Folge von einigen als größte BAföG-Reform aller Zeiten bejubelt wurde. Richtig ist, dass sich viel ändert, vor allem die interne Finanzierung wird schon ab 2015 komplett vom Bund übernommen, die Länder müssen keinen Anteil mehr übernehmen. Und auch einige Details für die Geförderten ändern sich in sinnvoller Weise. Allerdings: Die Reform wurde zwar Ende 2014 bereits beschlossen, mehr Geld für Bafög-EmpfängerInnen gibt es aber erst ab Wintersemester 2016/2017. Zur Erinnerung: Die letzte Erhöhung des Bedarfssätze wurde 2010 vorgenommen.
Im August 2016 veröffentlicht das statistische Bundesamt die BAföG-Statistik 2015. Nur noch 401.000 Studis erhalten BAföG – bei Rekordzahlen von über 2,6 Mio. Studierenden. Eine Quote von nur noch knapp über 15% – schlechter war die Gefördertenquote nur um die Jahrtausendwende. Es bleibt zu hoffen, dass in den nächsten Jahren wieder regelmäßig an Anpassungen gedacht wird – zwei mal sechs Jahre Nullrunden wie zwischen 2002 und 2008 bzw. 2010 und 2016 sollte es nicht noch einmal geben, wenn das BAföG noch seinen Zweck erfüllen soll, das Studium unabhängig von der finanziellen Ausstattung des Elternhauses zu ermöglichen.
2017ff.: BAföG-Quoten sinken noch weiter
Die im August 2017 veröffentlichte BAföG-Statistik 2016 des statistischen Bundesamtes zeigte weiter sinkende Zahlen. Und das trotz der endlich höheren Förderbeträge seit Wintersemester 2016/17.
Ein großes Thema bei der Bundestagswahl im Herbst 2017 war das BAföG oder mögliche Reformen dennoch nicht. Dabei zeigen allein die statistischen Zahlen, dass sich etwas tun muss – was auch der 21. BAföG-Bericht, der Mitte Dezember 2017 veröffentlicht wurde, nochmals unterstrich (mehr in unserem Artikel dazu).
Auch die BAföG-Statistiken 2017 und 2018 zeigen weiter nach unten. Die Bildungsministerin bliebt aber bei ihrer langsamen Annäherung ans BAföG, immerhin kam es zu einer BAföG-Novelle 2019. Sie umfasst große Erhöhungen (die aber höchstens die Kaufkraftverluste der Vorjahre ausgleichen) und einige weitere Verbesserungen, eine Konstanz durch automatische Erhöhungen führt sie weiter nicht ein. Stattdessen sind in der Novelle schon die Erhöhungen für Wintersemester 2020/21 und 2021/22 enthalten. Diese fallen aber eher niedrig aus (2021/22 werden die Bedarfssätze gar nicht erhöht, nur die Freibeträge auf Elterneinkommen steigen leicht an).
2019: Große BAföG-Novelle mit stark steigenden BAföG-Sätzen
Das 26. BAföG-Änderungsgesetz, dass die große Koalition im Frühjahr 2019 verabschiedet, bringt deutliche Erhöhungen der BAföG-Sätze. Allerdings waren diese auch mehr als nötig, liegt doch die letzte Erhöhung drei Jahre zurück und war – da bereits 2014 beschlossen – nicht ausreichend gewesen, um die davonfliegenden sechs Jahre ohne Anpassung wirklich aufzufangen.
Immerhin enthält das Gesetz auch gleich Erhöhungen für 2020 und kleine Anpassungen für 2021 – aber eine verlässliche Sache ist das dennoch nicht. Eine Art Automatismus der Anpassung der BAföG-Sätze bleibt aber auch das 26. Änderungsgesetz schuldig.
2020: Corona-Pandemie – und miese Zwischenbilanz der Änderungen 2019
Aus Berlin gibt es Anfang März Zahlen dazu, wie viele Studierende in den Monaten seit der BAföG-Reform Anträge gestellt haben – und wie viele im Jahr davor. Eigentlich sollten es nun deutlich mehr sein, dank der Erhöhung sollten auch deutlich mehr Anspruch haben. Das hat sich aber offenbar noch nicht genug herumgesprochen bzw. der Ruf des BAföGs scheint sehr schlecht zu sein: Es sind nämlich offenbar immer weniger. Siehe Keine Spur von Trendumkehr: Negative Halbjahresbilanz der BAföG-Novelle.
Mitte März hat die Corona-Pandemie dann auch endgültig in Deutschland Auswirkungen – und legt das öffentliche Leben lahm. Die Bundesregierung und der Bundestag haben im Eilverfahren Gesetzesänderungen durchgezogen und mit Erlassen Details geregelt. Auch das BAföG betreffend. Alles zusammen kann in Regelungen für Notfälle: BAföG in Zeiten der Corona-Pandemie nachgelesen werden.
Was die Zahlen aus Berlin im März schon andeuteten, bestätigt die BAföG-Statistik 2019: Nicht einmal mehr 12% aller Studierenden bekommen noch BAföG.
2021: 50 Jahre BAföG – (k)ein Grund zum Feiern?
Im September 2021 wird das BAföG 50 Jahre alt – genau am 1. September 1971 trat die erste Fassung des BAföG-Gesetzes in Kraft. Mitten im Bundestagswahlkampf, denn am 26. September 2021 sind Wahlen. Die durchaus auch eine Weichenstellung für die nächsten Jahre BAföG darstellen dürften.
Und die richtige Weichenstellung wäre dringend erforderlich, denn wie im März 2021 zu erfahren war, hat das BMBF 160 Millionen Euro BAföG-Mittel verfallen lassen.
Die BAföG-Statistik 2020 zeigte weiterhin keine Trendwende, der Anteil der BAföG-Geförderten Studierenden ist weiter leicht zurückgegangen: Absolut mehr BAföG – aber für immer weniger Auszubildende.
Immerhin: durch die Bundestagswahl Ende September 2021 ergibt sich eine neue Koalition (SPD, Grüne, FDP), die das BAföG offenbar wirklich wieder ausbauen will.
2022: Wieder mal eine BAföG-Reform – doch was kommt danach?
Die neue Koalition liefert mit dem 27. BAföG-Änderungsgesetz, das zum Wintersemester 2022/23 in Kraft tritt: Zwar steigen die BAföG-Sätze nicht genug (streng genommen selbst ohne Ukraine-Krieg und dessen Folgen für die Lebenshaltungskosten). Aber an einigen anderen Stellschrauben wird stark gedreht, so steigt die Altersgrenze auf 45 und der Vermögensfreibetrag auf 15.000 € (bzw. sogar 45.000 € für alle ab 30).
Die BAföG-Statistik 2021 konnte diese Änderungen noch nicht widerspiegeln, erstaunlicherweise gibt es aber minimal mehr BAföG-geförderte Studis, allerdings auch deutlich weniger Schüler:innen (wobei es für letzteres eine Erklärung gibt). Bei der BAföG-Statistik 2022 sieht man dann allerdings: BAföG-Reform zum Wintersemester 22/23 ist verpufft. Denn im Grunde konnte die Reform nur die Zahlen halten und zu minimal mehr geförderten Studierenden führen.
2023 ist eine BAföG-Erhöhung trotz der hohen Inflation 2022 und 2023 ausgeblieben. Bei den Planungen des Haushalts 2024 hat sich die Koalition im letzten Moment doch aufgerafft, ein wenig Geld für eine Erhöhung bereitzustellen. Die wäre auch dringend nötig, wie auch die Zahlen des Mitte Dezember bekannt gewordenen 23. BAföG-Berichts. Trotz der Corona-Sonderregelungen und der BAföG-Reform zum Wintersemester 2022/2023 wurden nur sehr wenig mehr Studis gefördert. Die Zahl der theoretisch Förderberechtigten (also ohne Teilzeitstudierende, zu alte, zu lang studierende) war deutlich gestiegen, dadurch ist die Quote bezogen auf diese sogar deutlich gesunken.
2024: Durchaus BAföG-Verbesserungen, aber Anpassung des Höchstsatzes hinkt anderen Sozialleistungen weit hinterher
Der erste Entwurf des 29. BAföG-Änderungsgesetzes umfasste zwar mit der Studienstarthilfe und dem Flexibilitätssemester zwei schon im Koalitionsvertrag angekündigte Verbesserungen. Auch die Freibeträge auf das Elterneinkommen sollten steigen. Doch eine Erhöhung des BAföG-Höchstsatzes oder insbesondere des Mietzuschlags sollte ausbleiben. Stattdessen sollte sogar die Schuldenobergrenze steigen.
Kein Wunder also, dass so gut wie alle Expert:innen und die einschlägigen Verbände von Deutschem Studierendenwerk (DSW) über freiem zusammenschluss von student:innenschaften (fzs) bis hin zur Hochschulrektorenkonferenz eine Erhöhung anmahnten. Die gab es dann letztlich doch, offenbar gegen das Bundesbildungsministerium. Dieses schien an seinem Entwurf festzuhalten, eine Änderung wurde von den Koalitionsabgeordneten via Bildungsausschuss eingebracht.
Quellen (vor allem für die Jahre vor 2000):
(1) Andreas Keller: „Nachhaltiger Funktionsverlust“, in: BdWi-Studienheft Bildungsfinanzierung (ISBN 3-924684-92-8), zu bestellen beim BdWi-Verlag.
(2) Ernst August Blanke: „BAföG – eine Idee und ihre Gestaltung“ (ISBN 3-17-016849-5).
Statistik: BAföG für Studierende
Die Förderquoten zunächst als Grafik – darunter folgen diese und weitere Daten (bspw. Studierendenzahlen, Förderungsfähige, BAföG-Ausgaben) in Form von Tabellen.
Um nicht mit Zahlen zu erschlagen, hier nur die Daten einiger herausragender Jahre mit Rekorden im positiven wie negativen – und aller Jahre seit 2000, soweit schon Daten vorliegen.
1972 | 1981 | 1988 | 1992 | 1998 | |
Studierende (gesamt) in Tsd. | 606 | 1046 | 1394 | 1754 | 1780 |
Anspruchsberechtigte in Tsd. | 1.059 | ||||
BAföG-Geförderte in Tsd. | 270 | 344 | 259 | 442 | 225 |
Gefördertenquote (alle Studierende) | 44,6 | 33,0 | 18,6 | 25,2 | 12,6 |
Gefördertenquote (Anspruchsberechtigte) | 21,2 | ||||
Gesamtausgaben in Mio. € | 547 | 1.037 | 909 | 1.553 | 845 |
2000 | 2001 | 2002 | 2003 | 2004 | |
Studierende (gesamt) in Tsd. | 1.741 | 1.777 | 1.845 | 1.916 | 1.961 |
Anspruchsberechtigte in Tsd. | 1.086 | 1.135 | 1.203 | 1.274 | 1.344 |
BAföG-Geförderte in Tsd. | 232 | 265 | 304 | 326 | 340 |
Gefördertenquote (alle Studierende) | 13,3 | 14,9 | 16,5 | 17,0 | 17,3 |
Gefördertenquote (Anspruchsberechtigte) | 21,4 | 23,3 | 25,3 | 25,6 | 25,3 |
Gesamtausgaben in Mio. € | 884 | 1.109 | 1.343 | 1.382 | 1.414 |
2005 | 2006 | 2007 | 2008 | 2009 | |
Studierende (gesamt) in Tsd. | 1.925 | 1.940 | 1.926 | 1.919 | 2.004 |
Anspruchsberechtigte in Tsd. | 1.372 | 1.385 | 1.372 | 1.366 | 1.424 |
BAföG-Geförderte in Tsd. | 345 | 342 | 331 | 333 | 360 |
Gefördertenquote (alle Studierende) | 17,9 | 17,6 | 17,2 | 17,4 | 18,0 |
Gefördertenquote (Anspruchsberechtigte) | 25,1 | 24,7 | 24,1 | 24,4 | 25,3 |
Gesamtausgaben in Mio. € | 1.488 | 1.500 | 1.464 | 1.561 | 1.838 |
2010 | 2011 | 2012 | 2013 | 2014 | |
Studierende (gesamt) in Tsd. | 2.098 | 2.209 | 2.358 | 2.473 | 2.579 |
Anspruchsberechtigte in Tsd. | 1.413 | 1.4941 | 1.472 | 1.572 | 1.639 | 1.696 |
BAföG-Geförderte in Tsd. | 386 | 419 | 440 | 439 | 425 |
Gefördertenquote (alle Studierende) | 18,4 | 19,0 | 18,7 | 17,8 | 16,5 |
Gefördertenquote (Anspruchsberechtigte) | 27,3 | 25,81 | 28,4 | 28,0 | 26,8 | 25,0 |
Gesamtausgaben in Mio. €2 | 2.019 | 2.270 | 2.365 | 2.349 | 2.281 |
2015 | 2016 | 2017 | 2018 | 2019 | |
Studierende (gesamt) in Tsd. | 2.654 | 2.709 | 2.755 | 2.788 | 2.811 |
Anspruchsberechtigte in Tsd. | 1.706 | 1.709 | 1.704 | 1.696 | 1.686 |
BAföG-Geförderte in Tsd. | 401 | 377 | 364 | 338 | 317 |
Gefördertenquote (alle Studierende) | 15,1 | 13,9 | 13,2 | 12,1 | 11,3 |
Gefördertenquote (Anspruchsberechtigte) | 23,5 | 22,1 | 21,4 | 20,0 | 18,8 |
Gesamtausgaben in Mio. €2 | 2.158 | 2.099 | 2.181 | 2.002 | 1.955 |
2020 | 2021 | 2022 | |||
Studierende (gesamt) in Tsd. | 2.841 | 2.879 | 2.872 | ||
Anspruchsberechtigte in Tsd. | 1.740 | 2.276 | 2.251 | ||
BAföG-Geförderte in Tsd. | 321 | 333 | 335 | ||
Gefördertenquote (alle Studierende) | 11,3% | 11,6% | 11,7% | ||
Gefördertenquote (Anspruchsberechtigte) | 18,5% | 14,7% | 14,9% | ||
Gesamtausgaben in Mio. €2 | 2.211 | 2.317 | 2.511 |
Quellen/Fußnote: Berichte der Bundesregierung nach § 35 BAföG, zuletzt 23. Bericht Dezember 2023, https://www.bmbf.de/bmbf/shareddocs/downloads/files/23-bafoeg-bericht.pdf?__blob=publicationFile&v=3. BAföG-Statistik 2022 (GENESIS-Online 21411), BAföG-Statistik 2021, BAföG-Statistik 2020, BAföG-Statistik 2019, BAföG-Statistik 2018 bzw. BAföG-Statistik 2017 des Statistischen Bundesamtes.
In den Berichten der Bundesregierung wird die Quote der Geförderten auf die Anzahl der dem Grunde nach förderungsfähigen Studierenden bezogen – bei uns die Zeilen „Gefördertenquote (Anspruchsberechtigte)“ – somit sehen die Zahlen besser aus, als wenn man sie auf alle Studierende bezieht (was in den Frühzeiten des BAföGs auch in den BAföG-Berichten getan wurde).
1Ab dem 20. BAföG-Bericht wird die Zahl der dem Grunde nach berechtigten Studierenden anderes berechnet (begründet wurde das u.a. mit der neuen BA/MA-Struktur) und kommt im Ergebnis auf eine geringere Zahl der berechtigten Studierenden – und damit einer höheren Gefördertenquote. Bis 2009 haben wir die Daten nach dem alten Berechnungsverfahren angegeben, 2010 zum Vergleich beide Werte. Ab 2011 liegen dann nur noch die neuen Zahlen vor.