Unterschiedliche Interpretationen19. Sozialerhebung vorgestellt
19. Sozialerhebung
Beauftragt vom Deutschen Studentenwerk (DSW) und bezahlt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) führt die HIS Hochschul-Informations-System GmbH die Sozialerhebung alle drei Jahre durch. Die aktuelle 19. Sozialerhebung beruht auf einer Befragung im Sommersemester 2009, an der sich 16370 Studierenden an 210 Hochschulen beteilgt haben. Die meisten Ergebnisse sind auf die "Bezugsgruppe Normalstudent" bezogen, das ist einE StudentIn, die nicht mehr bei den Eltern wohnt und sich im Erststudium befindet.
Die Sozialerhebung fasst eine Fülle von Daten rund um die soziale Lage der Studierenden zusammen. Auf fast 600 Seiten (Langfassung) werden die Ergebnisse präsentiert. Zwangsläufig müssen im folgenden Artikel Schwerpunkte gesetzt werden. Viele Ergebnisse sind aber auch in unsere Artikel zu Studienkosten eingearbeitet.
Studierneigung bildungsferner Schichten steigt auf niedrigem Niveau
Fakt ist, dass laut der neuen Sozialererhebung statt 23% vor drei Jahren nun 24% der Nichtakademikerkindern ein Studium aufnehmen. Dagegen ist bei Akademikerkindern die Studierneigung von über 80% auf 71% gesunken.
Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), Thomas Rachel, griff statt der Zahl der studierenden Nichtakademikerkindern lieber die Zahl der Studierenden aus "mittleren" bzw. "niedrigen Schichten" heraus, bei dieser ergab sich eine Verbesserung um drei Prozent auf nun 41%. Daraus leitete er ab, dass "[d]ie Ergebnisse zeigen, dass junge Menschen aus bildungsfernen Schichten zunehmend den Weg an die Hochschule wählen".
Die Studienkosten vorher richtig kalkulieren zu können - auch dazu trägt die Sozialerhebung bei
Der Präsident des Deutschen Studentenwerks, Prof. Dr. Rolf Dobischat, betonte dagegen: "Auch wenn wir einen leichten Rückgang von studierenden Akademikerkindern verzeichnen: Die grundlegende soziale Selektion im deutschen Hochschulsystem ist erschreckend stabil." Er führte weiter aus: "Die Akademiker reproduzieren sich selbst. Auch Bachelor/Master scheinen bisher, entgegen den Erwartungen, nicht mehr junge Menschen aus hochschulfernen Familien angelockt zu haben. Von sozial offenen Hochschulen sind wir weit entfernt."
Auswirkungen von Studiengebühren vorhanden, aber noch gering
Da die Bundesbildungsministerin bekanntermaßen Studiengebühren befürwortet, fehlt in der Pressemitteilung des BMBF zur Sozialerhebung auch nicht ein Absatz zu diesem Thema. "Eine so genannte Gebührenflucht findet nicht statt", betonte dazu der parlamentarische Staatssekretär.
In der Sozialerhebung selbst wird dagegen durchaus eine - wenn auch geringe - Auswirkung von Studiengebühren festgestellt: "Geförderte [gemeint sind BAföG-geförderte Studierende; nur diese wurden in Bezug auf Studiengebühren genauer untersucht] aus Ländern ohne Studiengebühren scheinen sich [...] etwas häufiger gegen ein Studium in einem Land mit Studiengebühren zu entscheiden." (S. 301, Langfassung 19. Sozialerhebung).
Und auch der Präsident des Deutschen Studentenwerks, Rolf Dobischat, betrachtete das Thema in seinem Statement zur aktuellen Sozialerhebung genauer. So betont er, dass Studiengebühren auf jeden Fall Menschen aus bildungsfernen und einkommensschwächeren Familie stärker belasten. "Studiengebühren sind ein Kostenfaktor, und die Studierenden müssen mit kostensparenden Gegenstrategien reagieren. Sie jobben mehr, sie weichen auf preisgünstige Wohnformen wie das Elternhaus oder das Studentenwerks-Wohnheim aus."
Er kommt zum Schluss: "Studierende aus einkommensschwächeren, hochschulfernen Familien sind auch weniger mobil. Insofern ist für mich der Befund, dass es kaum zu einer nennenswerten Gebührenflucht gekommen ist, kein Grund zur Beruhigung: Die, die besonders von den Gebühren belastet werden, können gar nicht fliehen."
Entwicklung der Lebenshaltungskosten von Studierenden
Nach den brisanten Diskussionen zu Studiengebühren und sozialer Selektion noch ein wenig Fakten rund um die Kosten des Studilebens. Ein großer Teil der Sozialerhebung ist ja die Erfassung der Lebenshaltungs- und Studienkosten der Studierenden. Damit kann dann jedeR auch gut vergleichen, wie sie/er so im Vergleich liegt. Oder mit was eben zu rechnen sein wird, wenn ein Studium begonnen wird.
Miete und Nebenkosten
Besonders drastisch gestiegen sind offenbar die Mieten+Nebenkosten von Wohnheimen: +10,3% im Vergleich zur letzten Sozialerhebung auf nun 222 Euro/Monat. Auch Wohngemeinschaften (+7.7%, 264 Euro/Monat) und Einzel-Wohnung (+8%, 341 Euro/Monat) legten kräftig zu. Wer zur Untermiete wohnt, scheint das inzwischen besonders sparsam zu tun, hier stiegen die Mieten+Nebenkosten nur um 1% auf nun 237 Euro/Monat. Im Durchschnitt wenden Studierende inzwischen 281 Euro/Monat für Miete und Nebenkosten auf.
Die regionalen Unterschiede sind bei den Mietkosten besonders hoch. München bleibt Spitzenreiter mit 348 Euro/Monat (2006 waren es noch 336 Euro/Monat), knapp gefolgt von Hamburg mit 345 Euro/Monat (2006: 319 Euro/Monat). Hamburg hat dabei eine besonders starke Erhöhung in den letzten drei Jahren zu verzeichnen. Günstig lebt es sich weiterhin vor allem in Ostdeutschland, wobei man in Rostock und Potsdam auch schon über 270 Euro/Monat zahlt. Von den erfassten Städten ist weiterhin Chemnitz am günstigsten mit 210 Euro/Monat (2006: 199 Euro/Monat). Günstigste Stadt im Westen ist Oldenburg mit 242 Euro/Monat. Einen kompletten Überblick der Mietkosten aller aktuell erhobenen Städte (mit Vergleich zu 2006/2003) findet man hier.
Fahrtkosten
Hier ist auffällig, dass immer weniger Studierende Ausgaben für ein (eigenes) Auto haben. Waren es 1991 noch 53% und 2006 39%, so sind es 2009 nur noch 34%. Und selbst diejenigen, die noch ein Auto nutzen, haben ihre Ausgaben dafür gesenkt: Auf nun 111 Euro/Monat (2006: 116 Euro, 2003 sogar 119 Euro).
Die Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln ist ungefähr gleich geblieben, die Kosten dafür gestiegen (es gibt wohl keine Verkehrsunternehmen, die ihre Preise gesenkt hätten - und auch bei den Semestertickets steigen ja die Preise). Inzwischen auf 38 Euro (2006: 35 Euro).
Ernährung
Dieser Punkt wird von den Autoren der Studie immer mit besonderer Vorsicht ausgewiesen. Zitat: "Die Spannweite der Einzelangaben reicht diesmal von 5 € bis 850 €. Es ist offensichtlich und ein wiederkehrender Befund, dass gerade bei den Ernährungsausgaben häufig eine Unterschätzung der Ausgabenhöhe vorkommt, seltener hingegen eine Überschätzung."
Der Durchschnitt der Angaben sollte aber doch einigermaßen realistisch sein. Er liegt nun bei 159 Euro/Monat (+8% im Vergleich zu 2006). Männer geben 166 Euro aus, Frauen 152 Euro. Noch stärker ist der Unterschied zwischen alten und neuen Bundesländern (163 vs. 140 Euro).
Weiteres
Die durchschnittlichen Kosten liegen für Kleidung bei 51 Euro/Monat (Studentinnen 54 Euro, Studenten 47 Euro) und sind im Vergleich zu 2006 um einen Euro gestiegen.
Die Ausgaben für Freizeit, Kultur und Sport sind mit 63 Euro/Monat praktisch gleich geblieben (2006: 62 Euro).
Lernmittel schlagen natürlich auch zu Buche, im Schnitt mit 33 Euro/Monat (je nach Studienfach aber auch deutlich mehr oder weniger). Die Kosten sind hier im Vergleich zu 2006 um 2 Euro gesunken.
Dass die Kosten für Telefon und Internet gesunken sind, dürfte nicht überraschen, denn hiervon profitieren ja alle, also auch Studierende. Sie zahlen inzwischen noch 35 Euro/Monat (wobei hier auch die Rundfunkgebühren eingehen - von denen sich BAföG-EmpfängerInnen aber in der Regel befreien lassen können).
Quellen und weitere Hintergründe
- Sozialerhebung.de (Seite mit Infos zur Erhebung und Downloadmöglichkeit der Ergebnisse in Kurz- oder Langfassung)
- "Raum für Bildungsaufstieg nimmt zu" (Pressemitteilung des BMBF, 23.04.2010)
- Statement des Präsidenten des Deutschen Studentenwerks, Prof. Dr. Rolf Dobischat, zur Sozialerhebung (im Rahmen der Pressekonferenz, bei der die Erhebung vorgestellt wurde; 23.04.2010)