MogelpackungNationales Stipendienprogramm
Hinweis: Dieser Artikel erschien zuerst im DSW-Journal 3/2010, dem Magazin des Deutschen Studentenwerks (DSW). Wir danken dem DSW für die Genehmigung, den Artikel auch bei Studis Online publizieren zu dürfen. Im Gegensatz zum Original haben wir einige Zwischenüberschriften ergänzt. |
Es sollte der »Einstieg in eine neue Stiftungskultur« werden, sagte Annette Schavan. Es sei die dritte Säule der Studienfinanzierung, neben BAföG und Studienkrediten. Doch schon kurz nachdem sie beschlossen wurde, ist diese Säule krachend zusammengebrochen.
Andreas Pinkwart, Wissenschaftsminister der abgewählten CDU-FDP-Regierung in Nordrhein-Westfalen, hatte diese Stipendien in seinem Land vor zwei Jahren eingeführt. Sein Versprechen: Wenn schon Studiengebühren, dann sollten sie durch die »neue Stipendienkultur« sozial abgefedert werden.
Das »nationale Stipendienprogramm« soll die Motivation zur Aufnahme eines Studiums steigern, heißt es in der Begründung des Gesetzes. Drei Viertel der Abiturienten, die auf ein Studium verzichten, nennen finanzielle Probleme und die Angst vor Schulden als Gründe für ihren Studienverzicht. Und die sollen nun mit der völlig unsicheren Aussicht auf ein Stipendium motiviert werden? Bisher bekommen nur etwa zwei Prozent der deutschen Studierenden ein Stipendium, davon die Hälfte über eines der Begabtenförderungswerke, also die Studienstiftung des deutschen Volkes oder eine der Stiftungen von Parteien, Kirchen und Verbänden.
Soziale Schieflage bei Stipendien
Eine Studie des Hochschul-Informations-Systems (HIS) hat ergeben, dass diese Stipendiaten vor allem aus bildungsnahen Elternhäusern kommen, deren Einkommen so hoch sind, dass die meisten gar keinen Anspruch auf BAföG haben. Wer hat den Mut, sich um ein Begabtenstipendium zu bewerben? Wer bringt aus seiner Familie den »richtigen« Habitus mit, um im Auswahlgespräch den prüfenden Professoren zu zeigen, dass er oder sie dazugehört? Das Stipendienprogramm wäre also vollkommen ungeeignet, um die soziale Schieflage beim Hochschulzugang zu korrigieren. Das müsste eigentlich jedem klar sein, der nur einen Blick etwa in die Sozialerhebungen des Deutschen Studentenwerks geworfen hat.
Warum also war Annette Schavan das Stipendienprogramm so wichtig, dass sie es unbedingt durch den Bundesrat bringen wollte, bevor die christlich-liberale Mehrheit dort durch die neue nordrheinwestfälische Landesregierung gekippt wurde? So wichtig sogar, dass die Bundesregierung schließlich den Anteil selbst übernahm, den sie den Ländern zugedacht hatte und damit die Zustimmung der CDU-Länder erkaufte?
Teil des Programms zum unternehmensförmigen Umbau der Hochschulen
Es geht nicht darum, sozial benachteiligte Kinder aus bildungsfernen Schichten in die Hochschulen zu bringen, im Gegenteil. Und es geht vor allem um einen Umbau der Studienfinanzierung. Die Unternehmen über Stipendien an der Ausbildungsfinanzierung ihrer künftigen Arbeitskräfte zu beteiligen, war nicht nur als Entlastung der Staatskasse gedacht. Der Staat, sprich: die aktuelle Bundesregierung, will damit Verantwortung für eine sozial gerechte und zukunftsweisende Studienfinanzierung abgeben.
Nicht der Staat bestimmt, wie viele Studierende ein Stipendium bekommen, sondern die Unternehmen mit ihrer Spendenbereitschaft. Sie bestimmen auch, zumindest für zwei Drittel der Stipendien, für welche Studiengänge und Fachrichtungen sie eingerichtet werden sollen. Und sie suchen sich die Hochschule ihres Vertrauens selbst aus. Wer soll in Greifswald Stipendien zahlen, wo dort doch die Universität ohnehin der größte Arbeitgeber ist? Welcher großherzige Spender wird Soziologen oder Germanisten bedenken, wo er doch erst einmal an Ingenieuren für seine Textilmaschinen interessiert ist und nicht an Sinnsuchern und Selbstfindern? Die Hochschulen sollten sich bitteschön selbst daran machen, die Spender anzuwerben.
Doch das Geld ist knapp ...
Dazu brauchen sie dann erst einmal eine ordentliche Werbe- und Fund-Raising-Abteilung. Und sie müssen ihre Kontakte zu den zahlungsfähigen und hoffentlich auch -willigen Unternehmen ausbauen, zum Sparkassenvorstand oder zum Chemiekonzern, deren Vertreter man dann auch möglichst über den Hochschulrat an sich bindet. Und dessen Interessen man schützt, gegenüber der Öffentlichkeit, wie jüngst die Universität zu Köln, die sich weigert, die Verträge über Forschungskooperationen mit der Bayer AG offen zu legen. Kurz: Das Stipendienprogramm ist Teil des Programms zum unternehmensförmigen Umbau der Hochschulen.
Die meisten Versprechungen rund ums Stipendienprogramm erweisen sich inzwischen als ziemlich hohl.
Die Regierung hat das Stipendienprogramm also gesetzlich verankern können – doch nun stellt sich heraus, dass es gar nicht funktioniert! Statt der 300 Millionen, die der Bund zahlen müsste, um 180 000 Leistungsfähige und Begabte zu fördern, sind ganze 10 Millionen im nächsten Bundeshaushalt vorgesehen. Statt von 160 000 ist nur noch von 6000 Stipendiaten die Rede, ein Bruchteil derer, die schon über die Begabtenförderungswerke ihr Büchergeld und die ideelle Förderung bekommen. Mehr Geld kommt eben nicht von den Unternehmen. Das hätte man wissen können, denn genau diesen Prozentsatz, nämlich 0,3 Prozent der Studierenden, in absoluten Zahlen 1400, konnte Pinkwart in Nordrhein-Westfalen mit seinem Programm beglücken.
Will die Bundesregierung wirklich etwas tun, um die Studienmotivation zu erhöhen, so geht der Weg nur über einen Umbau des BAföG zu einem Stipendiensystem nach sozialen Kriterien. Doch während die Regierung alles tut, um das tot geborene Kind des Stipendienprogramms ins Leben zu bringen, ist die magere BAföG-Erhöhung um zwei Prozent noch nicht beschlossen. Die Bundesländer wollen den ihnen zugedachten Anteil nicht mittragen, und hier ist der Bund nicht bereit, »Entscheidungshilfe« zu leisten und den Länderanteil zu übernehmen.
Alternative: Einführung eines Studierendengehalts?
Eine Reform der Studienfinanzierung wäre dringend nötig. Durch die neuen Studienstrukturen hat der materielle Druck auf die Studierenden zugenommen. Bachelor und Master studierbar zu machen hieße, diesen Druck von ihnen zu nehmen. Schon vor gut einem Jahrzehnt hatte das Deutsche Studentenwerk die Debatte über eine Reform der Studienfinanzierung angestoßen, sie ist damals vom Basta-Kanzler gestoppt worden.
Vielleicht sollten wir eine alte Idee der Studentenbewegung neu aufgreifen: die Einführung eines Studierendengehalts, wie es in skandinavischen Ländern üblich ist, also eine materielle Sicherheit für alle, ihr Studium in angemessener Zeit beenden zu können. Sie werden es der Gesellschaft zurückzahlen – über höhere Steuern, über die von ihnen entwickelten Innovationen und qualifizierten Dienstleistungen.
Der Autor: Karl-Heinz Heinemann
63, arbeitet als freier Journalist für den Hörfunk und für diverse Zeitungen. Er beschäftigt sich mit Bildungspolitik, vor allem mit Schul- und Hochschulthemen.