Kann es doch Härtefälle geben?Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht ohne BAföG-Berechtigung
Im Jahr kommen 215,76 € an Rundfunkgebühren fürs Fernsehen zusammen.
Mit dem Rundfunkgebührenstaatsvertrag von 2005 war die sogenannte bescheidgebundene Befreiung eingeführt worden. Ein Rundfunkteilnehmer, der einen der in § 6 Abs. 1 S. 1 RGebStV genannten Bescheide vorlegen konnte, war berechtigt, von der Rundfunkgebührenpflicht befreit zu werden. Dies bedeutete u.a. für Studierende mit einem aktuellen BaföG-Bescheid (§ 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 RGebStV) die Befreiung ab dem Folgemonat der Antragstellung. Sofern keine Abmeldung erfolgte, hatten alle anderen Studierenden unabhängig von der Höhe ihres Einkommens weiterhin das Privileg, vierteljährlich die fälligen Rundfunkgebühren zu zahlen.
Härtefallregelung für Gebührenbefreiung wurde bisher sehr restriktiv ausgelegt
Auch ein auf § 6 Abs. 3 RGebStV gestützter Befreiungsantrag führte in der Regel zu keinem anderen Ergebnis. Diese Vorschrift erlaubt zwar eine Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht in einem besonderen Härtefall. Allerdings vertraten die Rundfunkanstalten bzw. die in deren Auftrag tätige GEZ und nahezu ausnahmslos auch die Verwaltungsgerichte den Standpunkt, eine bloße Einkommensschwäche – ein unter Studierenden durchaus nicht unbekanntes Phänomen – würde keinen Härtefall darstellen. Nach dieser Auffassung blieb Studierenden, die keinen Anspruch auf BaföG-Leistungen hatten aber über vergleichbar wenig Einkommen verfügten, zugleich die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht verwehrt.
Kürzlich hat diese Rechtsprechung bzw. Rechtsanwendung in der scheinbaren Unumstößlichkeit ihrer Aussagen allerdings Risse bekommen. Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Beschluss vom 09.11.2011 (Az.: 1 BvR 665/10) mit Blick auf an der Grenze des sozialstaatlichen Existenzminimums liegende Einkommensverhältnisse die oben angedeutete restriktive Anwendung der Härtefallregelung als nicht zu rechtfertigenden Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG gewertet. Zugleich hob das Gericht kurz die durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 GG geschützte Informationsfreiheit hervor. Ein für alle untergeordneten Instanzen bindendes Urteil konnte jedoch nicht mehr ergehen. Die beklagte Rundfunkanstalt lenkte vorher ein und gewährte gewissermaßen aus Kulanzgründen die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht. Der Beschwerdeführer hatte die Sache für erledigt erklären müssen.
Student erreicht Befreiung als Härtefall – nach sechs Jahren Kampf
Ein derartiges Ende hat nun auch das Verfahren eines Studenten in Mecklenburg-Vorpommern gefunden. Dieser hatte mit seiner im Mai 2006 vor dem Verwaltungsgericht erhobenen Klage die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht aufgrund eines Härtefalles nach § 6 Abs. 3 RGebStV wegen seiner wirtschaftlichen Verhältnisse begehrt. Das bei Antragstellung belegte Einkommen erreichte weder die Grenze der BaföG-Förderung noch der sozialhilferechtlichen Regelsätze. Ein Anspruch auf Leistungen nach dem BaföG bestand wegen eines zu späten Studienwechsels nicht.
Das Oberverwaltungsgericht Greifswald ließ die Berufung gegen das zurückweisende verwaltungsgerichtliche Urteil im Mai 2012 zu (Az.: 2 L 141/10). Neben vielen weiteren Argumenten hat der Kläger seine Berufung vor allem mit einem in der Einforderung von Rundfunkgebühren liegenden, unzulässigen Eingriff in sein verfassungsrechtlich geschütztes Existenzminimum (Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG) begründet und unter Bezugnahme auf den o.g. Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes ebenfalls den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG als verletzt gerügt.
Erneut kein Urteil, da GEZ und Rundfunkanstalt stattdessen vor nächster Instanz Befreiung gewähren
Obwohl sich die beklagte Rundfunkanstalt in diesem Rechtsstreit über mehr als sechs Jahre hinweg mit allen Mitteln gegen die Anerkennung eines mit einem geringen Einkommen begründeten Härtefalles i.S.d. § 6 Abs. 3 RGebStV wehrte, erklärte sie sich nunmehr bereit, dem Kläger nach vorstehender Norm "mit Blick auf die Besonderheiten dieses Einzelfalles und ohne Präjudiz für die Sach- und Rechtslage" die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht für den gesamten streitgegenständlichen Zeitraum vom 01. Februar 2006 bis 31. August 2010 zu gewähren. Ein entsprechender Bescheid liegt mittlerweile tatsächlich vor. Damit kommt ein streitiges Urteil abermals nicht zustande.
Der entscheidende Satz im Bescheid: Befreiung auf Grund eines Härtefalls.
Aufgrund dessen steht zwar nicht mit Sicherheit fest, ob oder inwieweit sich das Oberverwaltungsgericht der Argumentation des Klägers angeschlossen hätte. Jedoch zeigt das Vorgehen der Rundfunkanstalt, dass die deutliche Kritik des Bundesverfassungsgerichtes an der praktischen Anwendung der Härtefallregelung des § 6 Abs. 3 RGebStV angekommen sein muss. Offensichtlich empfiehlt es sich doch, in ähnlichen Fällen mit einiger Ausdauer auf dem Befreiungsantrag zu bestehen und ein Widerspruchs- und etwaiges Klageverfahren durchzuhalten. Wer sich die Durchführung eines erstinstanzlichen Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht selbst nicht zutraut, kann bei entsprechenden wirtschaftlichen Verhältnissen vorab auch Prozesskostenhilfe für die Vertretung durch einen Rechtsanwalt beantragen. Gerichtskosten werden für derartige Klagen nicht erhoben (§ 188 S. 2 VwGO).
Schließlich bleibt abzuwarten, welche Befreiungspraktiken die geplante Neuregelung des Rundfunkgebührenstaatsvertrages ab 2013 zeitigen wird (Details zur Neuregelung im Artikel Ab 2013 alles anders: Der Rundfunkbeitrag kommt – auch für Studierende). Wahrscheinlich wird als probates Mittel wieder eine entsprechende Hartnäckigkeit vonnöten sein.
Axel Hinz und Yvonne Gabriss