EntschlackungskurLeichter zum Studierenden-BAföG?
Ok, es mag ja Studierende geben, die "land- oder forstwirtschaftliche Grundstücke" besitzen. Viele werden es nicht sein. Aber wie, bitteschön, kommt ein Studierender an "Einnahmen aus der BAföG-Einkommensverordnung"? Danach wird im BAföG-Antrag, Formblatt eins, unter Ziffer 78 gefragt.
Ein Blick in die mehrseitigen Erläuterungen klärt, dass die unverständliche Bürokratensprache uns auf eine falsche Fährte gelockt hat: Kein Studierender bekommt Tantiemen, vielleicht für deren geniale Abfassung oder andere "Einnahmen aus der Verordnung", sondern es geht um eine Verordnung, in der alle denkbaren Einkommensarten von Studenten aufgelistet sind, etwa "Übergangsleistungen nach § 3 Berufskrankheiten-Verordnung", oder "Anpassungsgeld an Arbeitnehmer des Steinkohlenbergbaus" nach den Richtlinien vom 13. Dezember 1971, in der Fassung vom…. Aha.
Konfusion
Das sind Beispiele aus dem BAföG-Antragskonvolut: Der oder die durchschnittliche AntragstellerIn braucht gut fünfeinhalb Stunden, um sich da durchzukämpfen. Manche sitzen auch geschlagene 25 Stunden daran, "ohne Warte- und Wegezeiten". Der Nationale Normenkontrollrat hat diese Daten für seinen Bericht "Leichter zum Studierenden-BAföG" erhoben, den er vor zwei Jahren vorgelegt hat. Dieses beim Bundeskanzleramt angesiedelte Gremium soll der Bundesregierung helfen, Bürokratie abzubauen.
Weniger Belege, schnellere Bescheide: Der Normenkontrollrat prangert unsinnige Verfahren an. Umgesetzt werden die Empfehlungen nur langsam.
Seine Themen sucht sich der Kontrollrat selbst, erläutert der Vorsitzende Johannes Ludewig, ehemals Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn AG. Sein Stellvertreter ist Wolf-Michael Catenhusen (SPD), etliche Jahre Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesbildungsministerium. Auch wenn diese Besetzung des Normenkontrollrats den Verdacht nährt, hier hat man für mehr oder minder verdientes politisches Personal ein Altenteil geschaffen, mit Catenhusen sitzt zumindest ein sachkundiger Vertreter in dem Gremium und außerdem wird die Arbeit ohnehin von Sozialwissenschaftlern und Organisationsexperten erledigt.
Das BAföG war offenbar ein lohnendes Objekt. Und so ist ein 200-seitiger Bericht heraus gekommen. Die Kommission ließ die Arbeitsabläufe in den BAföG-Ämtern untersuchen. Sie befragte deren MitarbeiterInnen ebenso wie Studierende und deren Eltern.
"Einmal geht es um die Antragsformulare, die nach unserer Auffassung immer noch durchaus vereinfacht und klarer werden können", meint Johannes Ludewig vom Normenkontrollrat. Manche Fragen sind unklar formuliert, sagt er. Vor zwei Jahren wurde das vom Normenkontrollrat bemängelt und immer noch finden sich in den Anträgen solche Sätze wie die "Einnahmen aus der Einkommensverordnung". Aber auch am Gesetz muss sich etwas ändern, meint Ludewig. Und da sind längst noch nicht alle Vorschläge aufgegriffen worden, obwohl sie eigentlich gar nichts kosten.
Im Juli hat der Normenkontrollrat bilanziert, was aus seinen Vorschlägen geworden ist. Ein paar kleine Erfolge können die "Entbürokratisierer" verbuchen: Zum Beispiel, dass Studierende nicht mehr ihre Mietkosten im Einzelnen belegen müssen. David Kreitschmann, Student und BAföG-Empfänger in Darmstadt äußert: "Ich bin vor anderthalb Jahren umgezogen, da musste man immer noch die Bescheinigung über die Miethöhe vom Vermieter einbringen. Das fällt nun weg, war auch völlig überflüssig, denn die Mieten in Darmstadt sind alle so hoch, dass jeder den vollen Mietkostenzuschuss bekommt." Im Osten dagegen mussten manche noch Strom, Wasser und Treppenhausreinigung dazu rechnen, die BAföG-Ämter mussten das prüfen, und am Schluss kamen dann doch alle auf den Höchstbetrag. In der letzten BAföG-Novelle wurde der Betrag einfach pauschaliert.
Pauschaliert wird noch viel zu wenig, meint Peter Becker, Leiter der BAföG-Abteilung im Kölner Studentenwerk. Da müssen seine Mitarbeiter den Wert des Autos des Studierenden ermitteln, denn das gehört zum Vermögen: "Ihr Opel ist laut DAT-Liste noch 7000 Euro wert." "Nein, der hat vorne ne Beule und rostet schon unten durch." Soll sich der BAföG-Mitarbeiter jetzt das Auto anschauen? Oder ein Gutachten einholen?
Keine Aktualisierung
Die Verwaltungsvorschriften zum BAföG umfassen rund 650 Unterpunkte, und sie sind vor 11 Jahren das letzte Mal aktualisiert worden. Seine Mitarbeiter brauchen zwei Jahre Zeit, um sich da einzuarbeiten, meint Peter Becker vom Kölner Studentenwerk. Der Normenkontrollrat hat die Überarbeitung angemahnt, Bund und Länder sitzen immer noch daran.
Der Autor Karl-Heinz Heinemann arbeitet als freier Journalist für den Hörfunk und für diverse Zeitungen. Er beschäftigt sich mit Bildungspolitik, vor allem mit Schul- und Hochschulthemen
Die Arbeit des Normenkontrollrats macht nicht viel Sinn, meint Peter Becker, wenn im Hintergrund die Ministerialbürokratie bei jeder Gesetzesnovelle daran strickt, das BAföG immer komplizierter zu machen. "Die kreisen darum zwei Jahre, und wir bekommen dann bei der letzten BAföG-Änderung eine Neufassung der Einkommensberechnung. Ein Monster, das sowohl die Studierenden als auch uns vor große Anforderungen stellt. Zum Beispiel die Freistellung der geförderten Altersvorsorgebeträge nach § 82, zu deutsch: die Riesterrente. Die Studierenden müssen noch drei, vier verschiedene Unterlagen nachreichen. Für uns bedeutet das unheimlich viel Arbeit. Und wenn die Studenten Glück haben, bekommen sie bestenfalls 80 Cent mehr im Monat." Warum erhöht der Gesetzgeber nicht einfach die Sozialpauschale um 0,1 oder 0,2 % und das Thema wäre durch?" schlägt Becker vor.
Für die BAföG-Bearbeiter habe es schon als Folge des Normenkontrollrats Erleichterungen gegeben, meint Peter Becker. Zum Beispiel, dass die BAföG-Bescheide nicht mehr unter Vorbehalt verschickt werden müssen, solange die elterlichen Steuerbescheide auch unter Vorbehalt stehen. Wer nicht nur Lohn oder Gehalt bezieht, sondern Honorar, Zinsen oder Mieten, dessen Steuerbescheid steht unter Vorbehalt – bis mal die Steuerprüfung vorbei kommt. Bisher hieß das: der Sachbearbeiter musste Jahr für Jahr beim Finanzamt nachfragen, ob sich denn am Steuerbescheid etwas geändert hätte.
Das ist sicher Bürokratieabbau in der Behörde, aber die Studenten merken davon erst einmal nichts. Vielleicht hilft es, dass sie deshalb ihren Bescheid schneller bekommen können. Im Durchschnitt dauert es knapp zwei Monate, bis die Studierenden erfahren, ob und wie viel BAföG sie bekommen.
Nach wie vor ist das BAföG nicht Bologna-tauglich. Warum werden nach vier Semestern Leistungsnachweise verlangt, wo das Bachelorstudium in der Regel nur sechs Semester dauern soll? Erik Marquardt vom fzs hält es für überflüssig, bei den Kurzstudiengängen noch zwischendurch Leistungsnachweise abzufragen. Warum reichen nicht einfach die ECTS-Punkte als Leistungsnachweis? "Was erwarten Sie? Bologna ist doch erst 12 Jahre her", macht sich Peter Becker lustig.
Zusätzliche Arbeit entsteht für die BAföG-Ämter durch die starren Antragsfristen. Nur wenn man im Oktober seinen Antrag eingereicht hat, kann man vom Beginn des Semesters an BAföG bekommen, egal ob der Antrag dann schon vollständig ist oder nicht. Und so schicken viele Studierende erstmal den Antrag ab und warten dann, bis ein Brief vom BAföG-Amt kommt, was sie noch nachreichen müssen. Dann geht es ein paar Mal hin und her. Die BAföG-Bearbeiter müssen noch etliche Briefe mehr schreiben. Warum kann man nicht rückwirkend für das ganze Quartal BAföG beantragen und bekommen, also erst im November einreichen, dann aber vollständig und noch für Oktober BAföG erhalten, fragt Erki Marquardt.
70 Prozent der befragten Studierenden wünschen sich ein Online-Antragsverfahren. Es würde vor allem die Arbeit für die BAföG-Ämter erleichtern: Die Daten müssten nicht mehr vom Papier in den Computer übertragen werden. "Und dann bekommt man endlich vollständig ausgefüllte Anträge", hofft Peter Becker. Denn nur ein bis zwei Prozent der Anträge werden vollständig abgegeben, und so kostet es immer viel Zeit, die fehlenden Angaben und Belege einzufordern.
Online-Verfahren
In Bayern hatte man schon vor zwei Jahren ein Online-Verfahren eingeführt und Hessen hat jetzt nachgezogen. Doch für die Studierenden bringt das keine Erleichterung: der Antrag muss zusätzlich auf Papier abgegeben werden, und auch die Belege müssen alle in Papierform vorliegen. Als Abgabetermin gilt nach wie vor der Tag, an dem man das Papier einreicht. David Kretschmann aus Darmstadt: "Das erleichtert dem BAföG-Amt das Übertragen der Daten. Aber für mich als Antragsteller hat es keinen Vorteil." Mag sein, dass es bei gut gestalteten Online-Masken auch Arbeitserleichterungen für die Studierenden gibt, meint Erik Marquardt, wenn man sinnvoll durch den Fragen-Dschungel durch richtige Verknüpfungen geführt wird. Doch das sei bei dem bayrischen Verfahren nicht so.
Nordrhein-Westfalen arbeitet an der Umstellung auf ein Online-Verfahren. Aber Peter Becker glaubt nicht, dass er es noch in seiner Amtszeit erleben wird – die endet in diesem Jahr. Warum muss jedes Bundesland da sein eigenes Verfahren entwickeln? Für Johannes Ludewig ist das eine der merkwürdigen Blüten des Föderalismus.
Er kennt die Bürokratie: "Da verändert sich nichts von heute auf morgen." Sein Normenkontrollrat kann nur mit der Macht der Öffentlichkeit arbeiten, unsinnige Verfahren an den Pranger stellen, aber er kann nichts erzwingen. Sein Rat wird in einem halben Jahr wieder nachschauen, wie es um das BAföG-Verfahren steht.
Erik Marquardt vom fzs ist da pessimistischer. Steckt hinter den bürokratischen Hürden nicht die Absicht, junge Studierende abzuschrecken? Womöglich würde auch der Abbau von Bürokratie die Kosten letztlich nicht senken, denn dann würden auf einmal mehr Studierende entdecken, dass sie Anspruch auf Studienförderung haben und auch nicht mehr vor einem Antrag zurück schrecken. Denn heute müsse man ja schon ein halbes Studium hinter sich haben, um zu verstehen, welche Nachweise man erbringen muss. Manche haben keine Ahnung, wie viel oder wenig ihre Eltern verdienen oder es fällt ihnen schwer, von den Eltern die entsprechenden Nachweise einzufordern.
Um die Studienförderung zu entbürokratisieren, bedarf es mehr als neuer Formulare, meint der fzs-Vertreter Erik Marquardt. Dann müsste man sie unabhängig vom Einkommen der Eltern gestalten, meint er, da würde man sich eine Menge Nachweise sparen, wenn man nicht mehr das elterliche Einkommen nachweisen muss. Und um die Durchlässigkeit zwischen beruflicher Bildung und Studium zu fördern, müsste man auch die Altersbegrenzung des BAföG auf 34 Jahre abschaffen. Da würde man wirklich Bürokratie einsparen.