Warten bis WeihnachtenAntragsstau beim BAföG
Ohne BAföG könnte demnächst manch einer frösteln. "Koalition plant kalten Winter für Studierende", ist eine Presseerklärung überschrieben, mit der am Mittwoch die Asten von elf Hochschulen in Nordrhein-Westfalen an die Öffentlichkeit gegangen sind. Anlass war eine Sitzung des Düsseldorfer Landtags vom Dienstag, bei der der Wissenschaftsetat für das laufende Jahr in zweiter Lesung besprochen wurde. Ergebnis: Der fragliche Haushaltstitel liegt 2012 mit rund 15,3 Millionen Euro auf dem exakt selben Niveau wie im Vorjahr. Das bringt die Studierendenvertreter auf die Palme. Die Regierung wolle trotz der "untragbaren Situation dieses Jahr keinen einzigen Cent mehr als 2011 bereitstellen", wird in der Mitteilung moniert. Weil aus dem Topf auch Gehaltserhöhungen für die Beschäftigten der Studentenwerke zu begleichen und zugleich die Studierenden- und Antragszahlen gestiegen wären, werde das Problem weiter verschärft, "da de facto Mittel gekürzt werden".
Kein BAföG – keine Miete
Zuwachs: Die Zahl der Anträge pro Sachbearbeiter ist von 500 auf 700 gestiegen
Nach Schätzungen der Asten wird es im laufenden Wintersemester 140.000 BAföG-Anspruchsberechtigte geben, sechs Prozent mehr als im zurückliegenden Jahr. "Viele werden wieder monatelang auf das ihnen zustehende Geld warten müssen und dadurch in große Finanznöte kommen, so dass einige gar ihre Miete nicht werden zahlen können", kritisiert Yannick Brandenburg, Referent für Hochschulpolitik des AStA der Uni Münster, in der Stellungnahme. "Das Problem ist immens, seine Linderung einfach: Warum das von der Landesregierung ignoriert wird, ist mir unverständlich." Wer ein sozial gerechtes Bildungssystem wolle, muss für ausreichende und zuverlässige Unterstützung Studierender sorgen. "Der Zeitpunkt dafür ist jetzt."
Auf alle Fälle hätte die SPD-Grünen-Koalition die Misere kommen sehen müssen. Bereits im Februar hatten 14 Asten in einem offenen Brief und mit einer Postkartenaktion auf die "dramatischen" Zustände hingewiesen. Damals schon waren Bearbeitungszeiten von "mindestens drei Monaten und mehr" beklagt worden, Studis Online berichtete. Die Regierung unternahm trotzdem nichts, jedenfalls nichts geldwertes. Stattdessen ließ Wissenschaftsministerin Svenja Schulze (SPD) in den BAföG-Ämtern aufs Notfallprogramm schalten. Durch interne Umschichtungen wurden personelle Engpässe mehr schlecht als recht kompensiert. Dadurch fehlen den Studentenwerken aber die Kapazitäten, ihre sonstigen Aufgaben zu erfüllen. Dass Schulze diese Flickschusterei auch noch als Erfolg ihrer Regierung darstelle, ist für Tim Köhler, AStA-Referent der Uni Bochum, "blanker Hohn". Mit dieser Politik lasse sie Studierende und Studierendenwerke "gleichermaßen alleine".
Besserung vielleicht 2013
In Schulzes Haus sieht man das freilich anders. Man sei "sehr froh" darüber, dass die Ämter durch Personalverlagerungen zu einer Entspannung der Lage beigetragen hätten, äußerte sich am Freitag Ministeriumssprecherin Christiane Dusch gegenüber Studis Online. Man wisse um die Schwere des Problems und sei "sehr zuversichtlich", dass die Studentenwerke im nächsten Jahr "deutlich besser ausgestattet werden". Die Entscheidung darüber obliege jedoch der Budgethoheit des Parlaments. Nach Duschs Darstellung wird der Landtag noch im Dezember über den Etat für 2013 verhandeln. Aber warum hat man nicht schon für 2012 die Mittel aufgestockt? Schuld daran seien "die laufenden Verträge". Nach Auskunft der Sprecherin endet der gültige Kontrakt mit den Studentenwerken erst zum Jahresende. Und darin seien die Landeszuschüsse für die BAföG-Bearbeitung eben mit besagten 15,3 Millionen veranschlagt. So leicht kann man es sich machen.
Achim Meyer auf der Heyde, Generalsekretär beim Deutschen Studentenwerk (DSW), ist dagegen eher skeptisch, was eine Mittelerhöhung angeht. Nach seiner Kenntnis sei eine solche "auch für 2013 nicht geplant", wie er im Gespräch mit Studis Online anmerkte. "Womöglich gibt es aber noch Bewegung in der Sache." Eine kräftige Geldspritze wäre bitter nötig. Im nächsten Frühjahr wird ein doppelter Abiturjahrgang die NRW-Schulen verlassen, womit der Druck auf die BAföG-Ämter noch einmal zunehmen dürfte.
700 Anträge pro Mitarbeiter
"Unzumutbar" ist die Lage laut Meyer auf der Heyde aber nicht nur an Rhein und Ruhr. Inzwischen müsste ein Sachbearbeiter 700 Anträge erledigen, in den Vorjahren wären es noch 500 gewesen. Ein großes Manko sei, dass das BAföG-Online-Verfahren "noch nicht richtig funktioniert". 80 Prozent der handschriftlichen Anträge wären fehlerhaft, das verursache "doppelte und dreifache Arbeit". Im Schnitt könnten Bescheide gegenwärtig erst nach zwei bis drei Monaten erteilt werden. Um akute Notlagen der Wartenden zu verhindern, fordert das DSW, "deutlich höhere" Vorauszahlungen zu bewilligen. Heute erhält man bei Vorlage des vollständigen Antrags nach zehn Wochen einen Abschlag von maximal 360 Euro. "Damit kann man kaum mehr als vielleicht die Miete zahlen, über die Runden kommt man so nicht", sagte der DSW-Funktionär.
Mancherorts, wie etwa in Berlin, ist man dazu übergangen, die Öffnungszeiten der Ämter zu reduzieren, damit den Beschäftigten mehr Zeit zur Antragsbearbeitung bleibt. In der Hauptstadt sind gerade einmal 68 Mitarbeiter für 40.000 Erstanträge und Tausende Sonderanträge zuständig (siehe Artikel der Morgenpost). Wohl auch aus Gründen der Überlastung fehlen derzeit viele Sachbearbeiter krankheitsbedingt. Rechnerisch muss jeder einzelne 740 Anträge abarbeiten. Einer der Malocher wurde in der Presse mit den Worten zitiert: "Das ist alles eine große Schweinerei!" Manch ein Student wird so wohl noch bis Weihnachten auf sein Geld warten müssen. Um der Lage Herr zu werden, wurden seit Anfang November die Sprechzeiten im Amt an Dienstagen ausgesetzt. Meyer auf der Heyde vom DSW hält das für "irrsinnig". Schließlich gingen "30 bis 40 Prozent beim BAföG-Antrag auf Beratung drauf".
Hessen spart beim Sozialen
"Skandalös" nennt er die aktuellen Vorgänge in Hessen. Dort schickt sich die Landesregierung an, die Bewältigung der Antragsflut durch finanzielle Umschichtungen zu Lasten sozialer Aufgabenfelder der Studentenwerke zu realisieren. Mit dem Titel "Förderung sozialer Belange" werden diese beispielsweise für die Bereitstellung von Wohnraum oder den Betrieb von Mensen mit Geld ausgestattet. Die Mittel sollen gekappt werden, wenn die BAföG-Verwaltung den vorgesehenen Kostenrahmen sprengt. So steht es im Entwurf für den Landeshaushaltsplan 2013/14.
Das DSW prangert das Vorgehen in einer Stellungnahme vom Donnerstag an. "Dies käme nicht nur einer Mittelkürzung gleich, sondern wäre völlig kontraproduktiv angesichts steigender Studierendenzahlen und einer erheblich gestiegenen Nachfrage nach Service- und Beratungsangeboten für Studierende." Ähnliche Pläne verfolgt auch die Regierung in Mecklenburg-Vorpommern. Immerhin in Bayern wird laut Meyer auf der Heyde bei den BAföG-Ämtern draufgesattelt. "Allerdings nur minimal." (rw)