Kein guter JobVon Honorarverträgen an Ganztagsschulen und anderswo
Doch schaut man sich die Hintergründe genauer an, sieht es nicht mehr so schön aus.
So steht bei einem Honorarjob, der je Termin oft nur ein bis zwei Stunden umfasst, die Anfahrtszeit in einem äußerst ungünstigen Verhältnis zur Arbeitszeit. Der Student Marius Lange* sagt dazu: "Wir kommen wegen zwei Stunden Arbeitszeit à 45 Minuten in die Schule. Weil die Schule, bei der ich früher gearbeitet habe, mir nicht eine Stunde mehr für die Fahrzeit bezahlen wollte, habe ich keinen neuen Vertrag unterschrieben. Das hätte sich nicht gelohnt."
Nicht nur für SchülerInnen kann Schule doof sein – auch für Honorarkräfte
Der attraktiv erscheinende Stundenlohn schmilzt auch dadurch, dass "die gerade für Kurse im künstlerischen Bereich notwendige Vor- und Nachbereitungszeit nicht bezahlt wird", erzählt die Künstlerin Lisa Ludwig*. "Als ich dem Schulleiter des regionalen Bildungs- und Beratungszentrum (früher Förderschule) für Lernen, soziale und emotionale Entwicklung, wo ich arbeite, deshalb gesagt habe, dass ich das Honorar nicht ausreichend finde, meinte er 'Wenn man das bedenkt und dass man sich abends noch emotional mit der schwierigen Situation der Schüler_innen auseinandersetzt, ist das nicht so viel. Aber im Vergleich zu dem, was da draußen sonst so gezahlt wird, ist es auch nicht schlecht.'"
Bei der derzeitigen Situation der Beschäftigungsverhältnisse hat er nicht Unrecht. Trotzdem ist eine solche Beschäftigung per Honorarvertrag äußerst prekär.
Sozialversicherung auf eigene Kosten
Denn diese Art der Beschäftigungen sind offiziell gar keine. Deshalb müssen sich die Auftragnehmer_innen selbst sozial versichern. Wenn sie nicht mehr als Student_in versichert sind und keine private Kranken- und Pflegeversicherung nachweisen können, werden sie seit 2009 über die gesetzliche Krankenversicherung zwangsversichert.1 Der Einstieg beginnt bei 301,17€ im Monat.2
Eine Rentenversicherung für Selbstständige ist zwar in der Regel freiwillig.3 Jedoch nicht für alle Berufe. Für selbstständige Lehrer_innen (z.B. Tennis, Sport, Yoga) und Erzieher_innen gilt eine Rentenversicherungspflicht4. Ausgenommen davon sind nur Personen mit einem nicht schwankendem5 geringfügigen Einkommen unter 450,-€ im Monat.6 Der Regelbetrag für Selbstständige liegt 2013 bei 509,36€ (429,98 in den neuen Bundesländern) im Monat.7
Existenzgründer_innen müssen in der ersten drei Jahren nur die Hälfte bezahlen. Auf Antrag kann auch ein einkommensgerecher Beitrag in Anpassung an das tatsächliche Einkommen angesetzt werden.8
(Anerkannte) Künstler_innen können dabei im Vorteil sein: "Ich bin als Künstlerin über die Künstlersozialkasse (KSK)9 sozialversichert. Ich zahle nicht so viele Abgaben, wie ein_e herkömmliche_r Selbstständige_r, weil die KSK den Arbeitgeber_innenanteil zahlt. Als Berufsanfängerin zahle ich gerade mal 73,09€ für alles (RV+KV+PV)." meint Lisa Ludwig*.
Doch auch an mögliche Erkrankungen und Arbeitsunfälle sollte gedacht sein. Für Arbeitsplätze an Schulen gilt ein erhöhtes Risiko für Infektionskrankheiten und Unfälle. "Als eine Lehrerin von unserer Schule während einer Pausenaufsicht einen Ball an den Kopf geschossen bekam, erlitt sie eine Gehirnerschütterung und konnte wochenlang nicht arbeiten", erzählt Künstlerin Lisa Ludwig.* Die Lehrerin ist versichert, bekommt Lohnfortzahlung. Honorarkräfte hingegen nicht. Sie müssen in solchen durchaus denkbaren Fällen in den sauren oder gar bitteren Apfel beißen.
Selbstständige, die im Krankheitsfall nicht erst ab der 6. Woche Krankengeld bekommen möchten, können bei ihrer Krankenkasse eine Zusatzversicherung abschließen. Bei Arbeitsunfällen zahlt zwar bei nicht zusätzlich Versicherten die Krankenkasse, deren Leistungen sind aber eher gering. Deshalb empfiehlt Mediafon, der Ratgeber für Selbstständige der Gewerkschaft Ver.di, einen freiwilligen Beitritt in eine Berufsgenossenschaft.10
Umsatzsteuerpflicht, wenn nicht Kleinunternehmer!
Abgesehen von all diesen Kosten, müssen Selbstständige von Ihren Einnahmen Umsatzsteuer bezahlen. Für Dienstleistungen jeder Art wird diese Steuer in Höhe von 19% deshalb auf den Arbeitslohn aufgeschlagen. Doch in so manch Honorarvertrag steht eine Klausel, dass der Auftragnehmer sämtliche Steuern selbst zu tragen hat. So z.B. in den offiziellen Verträgen der Stadt Hamburg.11 Von den 22,02€ pro Stunde blieben nach Abzug der Umsatzsteuer nur noch 17,48€ übrig. "Ich bin umsatzsteuerbefreit, mich trifft das zum Glück nicht", meint Lisa Ludwig.* Denn bei zu geringen Einnahmen kann zumindest durch einen Antrag auf Befreiung von der Umsatzsteuer beim zuständigen Finanzamt Abhilfe geschaffen werden. Die umsatzsteuerfreie Grenze für Kleinunternehmen beträgt 17.500€ im Jahr.12 Das entspricht einem monatlichen Einkommen von 1458,33€.
Angenommen, dieses Einkommen läge zu Grunde und davon würde nur der einkommensgerechte Beitrag für die Rentenversicherung13 und die Mindestbeiträge für die Kranken- + Pflegeversicherung abgehen, blieben nur noch 864,61€ über. Bei einem Stundenlohn von 22,02€ (brutto) entspräche ein Einkommen von 1458,33€ (brutto) 66,23 Arbeitsstunden im Monat, bzw. 16 ½ in der Woche. Übrig blieben netto 13,05€/h (ohne Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und ohne sonstige Versicherungen).
Eine wöchentliche Arbeitszeit von 16 1/2 Stunden an einer Schule ist ohnehin nicht realistisch. Der Student Marius Lange* kommt gerade mal auf 12 Stunden die Woche, was 792,96€ (brutto) im Monat entspricht. Bei Abzug der einkommensgerechten Rentenversicherung in Höhe von 159,07€ im Monat bleiben ihm noch knapp 633,89€, bzw. 13,21€ die Stunde. Weil er nicht mehr über seine Eltern familienversichert ist, geht davon noch der Betrag für die studentische Kranken- + Pflegeversicherung in Höhe von 77,01€ runter. Es bleiben 556,88€ übrig. Macht 11,60€ die Stunde. Müsste er sich als hauptberuflich Selbstständiger14 krankenversichern, blieben nur noch 332,72€ über. Ein Stundenlohn von 6,93€ netto. Immer noch ohne Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und ohne sonstige Versicherungen.
Nur für Leute, die mit wenig Geld auskommen ... oder Studierende, die über ihren Status krankenversichert sind
Und das ist eben auch der Grund, warum so viele Studierende so eine Tätigkeit ausführen. Marius Lange*, der nach seinem Studium der Erziehungswissenschaften noch keine passende Anstellung gefunden hat, sagt: "Ich habe auf meinen Magister spaßeshalber nochmal einen Master daraufgesetzt. Sonst könnte ich den Job hier nicht machen." Spaßig klingt das nicht. Zwar sind Studierende durch ihren Status kranken- und pflegeversichert, doch könnte es bei nicht gezahlten Rentenbeiträgen zu horrenden Nachforderungen durch die deutsche Rentenversicherung kommen.
Die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) monierte derartig eingesetzte Honorarverträge schon Anfang 2011, als die deutsche Rentenversicherung Honorar-Verträge in Niedersachsen überprüfte.15 Ziel der Überprüfung war es, gegeben falls die fehlenden Beiträge nachzufordern. Von den Schulen. Denn es lag der Verdacht auf Scheinselbstständigkeit und Sozialversicherungsbetrug vor.
Doch gebracht hat das nur bedingt etwas. Der niedersächsische Kultusminister Dr. Bernd Althusmann hatte die Vertragsabschlüsse bis zum Ende der Überprüfungen aussetzen lassen, doch nur um die Schulen hinterher besser beraten zu können, unter welchen Bedingungen die Verträge auch zukünftig abgeschlossen werden können.16
Auch in Hamburg lief es ähnlich. Der derzeitige Schulsenator Ties Rabe hatte zwar auf Grund der Lage in Niedersachsen Anfang 2011 eine Anfrage an den damaligen CDU-Senat verfasst, durch die er die Gesetzmäßigkeit der Verträge erfahren wollte17, doch kaum war er selbst im Amt, hat er dieses Wissen dazu benutzt ebendiese aufrechtzuerhalten.18
Vertragsgestaltungstricks
Zur Absicherung hat er einen Leitfaden für Schulen erstellt, aus dem hervorgehen soll, unter welchen Umständen die Verträge eben doch zulässig sind. Sie sind jetzt so offen formuliert, dass sich daraus keine abhängige Beschäftigung ableiten können soll. Die LINKE Hamburg hatte deshalb ihrerseits am 13.09.11 eine Anfrage an den Senat gestartet, indem sie wissen wollte, was dieser konkret für Maßnahmen gegen Schwarzarbeit und Sozialversicherungsbetrug ergriffen hat.19 Doch der versucht nun das Problem einfach auf die Honorarkräfte auszulagern. In den Verträgen wird in §6 darauf hingewiesen, dass dem Auftragnehmer die Beachtung der steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen obliegt.20
Ganz in diesem Sinne sind die Verträge auch auf je ein Schulhalbjahr befristet, sehen keine Bezahlung für die Ferien vor und enthalten eine Kündigungsfrist von 14 Tagen. Lisa Ludwig* sagt dazu: "Diese Bedingungen führen dazu, dass die Auftragnehmer_innen ständig wechseln. Das wirkt sich auch auf die Kinder aus. Ich frage mich, wo dabei eigentlich der Sinn von Ganztagsbetreuung liegt?"
Scheinselbstständigkeit kann ein Angestelltenverhältnis begründen!
Auftragnehmer_innen sind scheinselbstständig, sobald sie für nur eine_n Arbeitgeber_in arbeiten und somit von dieser_m abhängig sind. Dies gilt auch in Bezug zu festen Arbeitszeiten wie zu festen Urlaubszeiten.
Da die Nachmittagsbetreuung bekanntermaßen fest terminiert ist und in den Schulferien keine Kurse stattfinden, sind die Auftragnehmer_innen nicht wirklich weisungsfrei. Auch leisten sie ihren Auftrag für gewöhnlich in den Räumlichkeiten und oftmals mit den Mitteln und Materialien der Schulen ab. Deshalb dürften die Arbeitgeber_innen eigentlich gar keine Honorarverträge vergeben. Auch weil sie über den Inhalt der Kurse und das pädagogische Konzept der Auftragnehmer_innen nicht bestimmen dürfen.
Vermeidungsstrategien auf Kosten der betreuten Kinder
Lisa Ludwig* erzählt: "ich bin überhaupt nicht eingearbeitet worden. Mir wurde weder etwas über den Hintergrund der Kinder gesagt, noch darüber wie ich mit ihnen umgehen sollte." Kein Wunder. Denn per Honorarvertrag darf es weder Absprachen mit Lehrpersonal geben, noch darf Unterrichtsinhalt verarbeitet oder ergänzt werden. Die Betonung liegt eben auf weisungsfrei. Die Auftragnehmer_innen dürfen unter keinen Umständen in den täglichen Schulbetrieb mit einbezogen werden. Deshalb dürfen für die Kurse keine Noten vergeben werden. Auch Pausen- und Essensaufsicht, die Vergabe von Spielgeräten auf dem Schulhof, die Betreuung von IT-Technik oder einer Bücherei dürfen nicht Inhalt einer Honorartätigkeit sein. All diese Tätigkeiten würden einen Arbeitsvertrag begründen.21
Dieser würde sich dann nicht nur nach den branchenüblichen Tarifverträgen richten, sondern auch einen Kündigungsschutz garantieren. Doch im Zweifel entscheidet sich das immer am Einzelfall. Der Hamburger Rechtsanwalt Martin Klingner hat gerade eine Klage auf Festanstellung einer Musiklehrerin eingereicht, die an einer Schule Klavierunterricht gegeben hat. Rechtsanwalt Martin Klingner sagt dazu: "Das Skandalöse ist ja, dass eine staatliche Institution versucht, die Schutzbestimmungen des Arbeitsrechts auszuhebeln."
Das Ergebnis wird im Sommer erwartet und hat große Aussichten auf Erfolg. Vielleicht wird es das Thema zurück auf die Tagesordnung der Politik holen. Und das wäre gut. Denn das es auch anders geht, zeigen Schulen, die mit Trägern zusammenarbeiten. Und diese stellen nicht immer, aber oft, fest ein. Dort, wo sie nicht fest einstellen, zahlen sie allerdings oft noch miesere Honorare. (L.L.)
*Namen von der Redaktion geändert
Hinweis: Die Autorin und Studis Online haben sich darum bemüht, alle Angaben korrekt darzustellen. Trotzdem können wir für Details keine Gewähr übernehmen. Insbesondere wenn der Artikel zu einem späteren Zeitpunkt gelesen wird, können sich Details bereits wieder geändert haben. Zur weiteren Information auch die in den Fußnoten angegebenen Quellen weiterlesen!
Fußnoten
1 http://anwaltskanzlei-moritz.de/WebsiteSozialrecht_2/Versicherungspflicht.html
2 Siehe dazu z.B. unter http://www.tk.de/tk/bei-der-tk-versichert/selbststaendige/selbststaendige/346546
3 Der Mindestbeitrag für freiwillig Versicherte liegt bei 85,05€. Siehe auch unter: http://www.deutsche-rentenversicherung.de/Allgemein/de/Inhalt/6_Wir_ueber_uns/03_fakten_und_zahlen/01_werte_der_rentenversicherung/werte_der_rentenversicherung.html
4 http://www.gesetze-im-internet.de/sgb_6/__2.html
5 Bei schwankendem Einkommen von selbstständigen Lehrer_innen und Erzieher_innen kann gegebenenfalls doch eine Rentenversicherungspflicht bestehen. Es ist deshalb zwingend notwendig, sich beraten zu lassen. (Persönliche Infos der deutschen Rentenversicherung)
6 Seit 01.01.2013 (früher lag die Grenze bei 400 €)
7 http://www.deutsche-rentenversicherung.de/Allgemein/de/Inhalt/2_Rente_Reha/01_rente/01_grundwissen/01_wer_ist_pflichtversichert/01a_selbststaendige/02_selbststaendige_in_bildung_und_pflege.html
8 Dafür gilt die Formel: Jährliches Arbeitseinkommen (aus dem letzten Steuerbescheid) × Dynamisierungsfaktor (liegt 2013 bei 1,0614) × Beitragssatz (in Höhe von 18,9%) : 12 Monate = monatlicher Beitrag. Im Einzelfall klärt das die Deutsche Rentenversicherung. Siehe dazu auch im Ratgeber: http://www.steuertipps.de/selbststaendig-freiberufler/existenzgruendung/selbststaendige-in-der-gesetzlichen-rentenversicherung?mime-type=application/pdf
9 http://www.kuenstlersozialkasse.de/
10 http://www.mediafon.net/ratgeber_haupttext.php3?id=40e04e3ec1933
11 http://www.hamburg.ganztaegig-lernen.de/sites/default/files/Musterhonorarvertrag%20Ganztagesangebot%2BNeigungskurs.pdf
12 http://www.gesetze-im-internet.de/ustg_1980/__19.html
13 Siehe auch Fußnote 8. Hier mit Zahlen: 17.500€ × 1,0614 × 18,9% : 12 = 292,55€
14 Siehe dazu z.B.: http://www.tk.de/tk/bei-der-tk-versichert/selbststaendige/selbststaendige/346546
15 http://www.hna.de/nachrichten/niedersachsen/rechtswidrige-vertraege-schulen-gewerkschaft-rechnet-millionen-nachzahlung-1113690.html
16 http://www.mk.niedersachsen.de/portal/live.php?navigation_id=1820&article_id=101959&_psmand=8
17 http://www.tiesrabe.de/uploads/media/198573.pdf (Drucksache 19/8573 der Hamburgischen Bürgerschaft)
18 http://www.welt.de/print/die_welt/hamburg/article13623079/25-000-Honorarvertraege-auf-dem-Pruefstand.html
19 http://www.linksfraktion-hamburg.de/uploads/media/SKA-1554.pdf
20 http://www.hamburg.ganztaegig-lernen.de/sites/default/files/Musterhonorarvertrag%20Ganztagesangebot%2BNeigungskurs.pdf, siehe auch Fußnote 7
21 http://www.hamburg.ganztaegig-lernen.de/sites/default/files/Handreichung%20schulische%20Angebote_01_02_2012.pdf