Politische Hängepartie hält anVerbände fordern BAföG-Reform
Das ist ja so eine Sache mit Ritualen. Man klammert sich auch dann noch an sie, wenn längst klar ist, dass es nichts bringt. Elf Monate sind vergangen, seit das Deutsche Studentenwerk (DSW) das Thema zuletzt an die große Glocke gehängt hatte. Zum Auftakt des Wintersemesters 2012/13 verlangte die Dachorganisation der 58 Studentenwerke in Deutschland einen Aufschlag von fünf Prozent bei den Fördersätzen und sechs Prozent bei den Elternfreibeträgen. Eigentlich wäre eine Aufbesserung in dieser Größenordnung damals schon überfällig gewesen, meinte DSW-Generalsekretär Achim Meyer auf der Heyde. Und deshalb: "Nun muss eben spätestens 2013 eine Novelle auf den Weg gebracht werden, Bund und Länder müssen gemeinsam handeln."
Inflation frisst Kaufkraft
Keine Veränderung: Erhöhung der Fördersätze und Elternfreibeträge beim BAföG sind auch ein Jahr nach der letzten Mahnung des Deutschen Studentenwerks nicht absehbar
Ein Jahr später ist nichts von beidem auch nur absehbar. Die Verantwortlichen in Bund und Ländern sind in der Frage so zerstritten wie eh und je. Und mehr Geld haben die nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) Anspruchsberechtigten schon gar nicht in der Tasche. Im Gegenteil: Mit jedem Tag, die eine BAföG-Novelle länger auf sich warten lässt, geht den Betroffenen ein Stückchen mehr an Kaufkraft flöten. Besonders bitter ist, dass zu den überbordenden Strom-, Wasser- und Heizkosten gegenwärtig auch noch horrende Lebensmittelpreise kommen. Studenten können und müssen auf manches verzichten – Essen und eine warme Stube müssen aber irgendwie bezahlt werden.
Inflationsbedingt hat dann auch die Forderung des DSW auf ein BAföG-Plus von nunmehr zehn Prozent zugelegt. Und noch etwas war am Mittwoch anders als im Vorjahr. Um der Sache mehr Nachdruck zu verleihen, hat man sich den Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) mit ins Boot geholt. Vielleicht, mag man beim DSW denken, sorgen ja dessen Bekanntheit und Einfluss dafür, dass die Verantwortlichen endlich in die Gänge kommen. Und Aufmerksamkeit wurde der Initiative dann auch zuteil.
Ministerin beschwichtigt
Sogar Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) sah sich prompt zu einer Replik genötigt. "Das BAföG wird weiterentwickelt. Das ist mir wichtig und dafür habe ich die Initiative ergriffen", ließ sie durch ihre Pressestelle verbreiten. Es seien "konkrete Gespräche" angelaufen, zuletzt habe man vor einer Woche getagt, heißt es in der Mitteilung und weiter: "Wir sind vorangekommen." Es seien gute Voraussetzungen geschaffen, "zu Beginn der nächsten Legislaturperiode zu einer Verständigung zwischen dem Bund und den Ländern über eine BAföG-Reform zu kommen, die Studentinnen und Studenten möglichst optimal unterstützt".
Das klingt schön, hat aber wohl doch so seine Haken. Die tageszeitung (taz) hatte Anfang September über das erste Treffen der von Wanka eingesetzten Arbeitsgruppe aus Staatssekretären von Bund und Ländern berichtet, oder besser gesagt, nicht berichtet, denn das Ganze war offenbar hochkonspirativ. Weder erfuhr das Blatt aus Wankas Haus, wer genau dem Kreis angehört, noch was besprochen wurde. Aus anderer Quelle wurde der taz zugetragen, dass lediglich über Verwaltungsregeln beraten worden sei, etwa darüber, wie Förderlücken im Übergang zwischen Bachelor- und Masterstudium geschlossen werden können. Mit einer BAföG-Zugabe und damit, wie die finanziert wird und durch wen, soll man sich dagegen gar nicht erst befasst haben. Die Fraktion Die Linke im Bundestag hat das Ministerium zu den Vorgängen befragt und erhielt zur Antwort, die "haushaltspolitischen Auswirkungen" sollten erst nach "Klärung der fachpolitischen und inhaltlichen Fragestellungen" ermittelt werden.
Zankapfel Hochschulfinanzierung
Dass dies bei dem von Wanka genannten Folgetreffen in der Vorwoche nachgeholt wurde, ist angesichts der bevorstehenden Bundestagswahl praktisch auszuschließen. Denn wer weiß schon, ob die amtierende Regierung am kommenden Montag noch am Ruder ist. Für den Fall einer veränderten Machtkonstellation müssten die Karten zunächst völlig neu gemischt werden. Bund und Länder streiten seit Jahren über eine Neuordnung der Bildungs- und Hochschulfinanzierung, das Thema BAföG ist dabei nur einer von vielen Zankäpfeln. Bisher trägt der Bund 65 Prozent der Kosten, die Länder steuern 35 Prozent bei. Vor allem die SPD-geführten Bundesländer wollen die Lasten der Länder verringert sehen.
Aber selbst bei einer Bestätigung der Koalition aus Union und FDP gilt wohl: Wanka hat bisher noch gar nicht mit Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) über Inhalt und Kosten einer BAföG-Novelle verhandelt. Damit wäre mit der Aufnahme ernsthafter Gespräche dann auch frühestens zum Jahresanfang 2014 zu rechnen – Ausgang offen. Gesine Lötzsch von der Linksfraktion im Bundestag findet denn auch: "Ein lapidarer Prüfauftrag an eine Staatssekretärsarbeitsgruppe macht deutlich, dass Frau Wanka die Bafög-Reform nicht als Chefsache betrachtet."
Falsche Versprechungen
Dabei tat Wanka nach ihrem Amtsantritt im Frühjahr noch so, als hätte das Thema für sie oberste Priorität. Im März versprach sie für viele überraschend, in Kürze eine "umfassende Ausweitung" der staatlichen Ausbildungsförderung auf den Weg bringen. Allerdings ließ sie seinerzeit schon durchblicken, dass eine Reform nicht zu sehr ins Geld gehen dürfe. "Nur auf pauschale Erhöhungsrunden zu setzen, greift da zu kurz", stellte sie klar und gab statt dessen das Ziel aus, das Förderinstrumentarium auf die Höhe der Zeit zu bringen. Als mögliche Neuerungen regte sie etwa höhere Altersgrenzen und die Berücksichtigung von Teilzeitstudenten an.
In dieselbe Richtung geht auch eine Reihe der vom DSW und DGB in ihrem vorgelegten Konzeptpapier gemachten Vorschläge. Zu den "zehn Eckpunkten für ein modernes BAföG" zählen unter anderem der Ausbau des Schüler-BAföG, eine bessere Kompatibilität mit den Bologna-Studienstrukturen, die Förderung von Teilzeitstudiengängen, die Abschaffung der Altersgrenzen sowie eine stärkere Berücksichtigung der Interessen von Behinderten und Studierenden mit Kindern. Das alles würde Wanka wohl noch unterschreiben. Für andere Empfehlungen gilt das nicht, vor allem diejenigen, die richtig Geld kosten. So wird es bei einer Neuauflage der amtierenden Koalition ganz gewiss keine zehnprozentige Aufstockung der Leistungen auf einen Schlag geben. Die letzte BAföG-Novelle – in Verantwortung von Union und FDP –bescherte den Betroffenen im Schnitt spärliche 13 Euro mehr. Die Bedarfssätze stiegen dabei um zwei, die Freibeträge um drei Prozent.
Verlässlicher Inflationsausgleich
Als noch aussichtsloser erscheint das, was DGB und DSW für die Zukunft vorschwebt. Sie machen sich nämlich für einen "verlässlichen Inflationsausgleich" stark, indem die Bedarfssätze "regelmäßig und dynamisch an die Preis- und Einkommensentwicklung angepasst werden". Bisher gibt es BAföG-Aufschläge nur nach Kassenlage, im zurückliegenden Jahrzehnt setzte es allein sieben Nullrunden. Weil im gleichen Zeitraum die Löhne und Gehälter deutlich zugelegt haben, ist eine Vielzahl eigentlich Bedürftiger aus der Förderung herausgefallen. Hinweise darauf lieferte zuletzt im Juli das Statistische Bundesamt. Demnach ist die Zahl der studierenden BAföG-Bezieher 2012 um lediglich 4,3 Prozent gegenüber 2011 gestiegen, während die Zahl der Hochschüler um fünf Prozent zulegte. Die Geförderten erhielten durchschnittlich 448 Euro monatlich, das sind vier Euro weniger als 2011.
Wie sehr das BAföG in seiner sozialen Funktion ausgehöhlt wurde, offenbart sich noch deutlicher in der historischen Perspektive. In den 1970er Jahren wurden knapp 50 Prozent der Studierenden gefördert, heute sind es unter 20 Prozent. Dazu heißt es im DSW/DGB-Papier: "Zu viele potentiell Studieninteressierte aus finanziell schwächeren Schichten nehmen kein Studium auf, weil sie gerade so eben keine Finanzierung über das BAföG mehr erhalten, ihre Eltern aber nicht in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt zu finanzieren." Auf eine echte soziale Öffnung der Hochschulen zielt deshalb auch der Vorschlag, den Darlehensanteil der Förderung zu senken – "bis hin zu einem Vollzuschuss".
Blockade ohne Ende?
So schön all das klingt, so fern erscheint der Tag, an dem die Wohltaten wahr werden könnten. Bis auf weiteres zoffen sich die politisch Verantwortlichen weiter und schieben sich gegenseitig die Schuld in die Schuhe. Der Mittwoch lieferte dazu Anschauungsunterricht: Kai Gehring von der Bundestagsfraktion der Grünen bezichtigte da Schwarz-Gelb der "BAföG-Blockade". Patrick Meinhardt von der FDP-Fraktion hielt prompt dagegen. Sein Vorwurf an Rot-Grün lautete – wer hätte es gedacht – "BAföG-Blockade". In einem Jahr startet das Wintersemester 2014/15. Vielleicht wird dann das Deutsche Studentenwerk von neuem mahnen müssen. (rw)