Koalitionsverhandlungen um BildungWas bringt Studierenden die Große Koalition?
Von Jens Wernicke
Studis Online: Herr Keller, die Arbeitsgruppe zu Bildung der Koalitionäre hat am Freitag letzter Woche das 4. Mal getagt. In ersten Pressestatements versprechen die Verhandlungsführerinnen große Reformen im Bildungsbereich, darunter auch "substantielle Verbesserungen" beim BAföG. Was ist hier bereits bekannt?
Am Ende geht's ums Geld – und damit hängt auch das meiste im Bildungsbereich davon ab, wie sich die künftige Koalition in Sachen Einnahmen (insbesondere als Steuern ...) einigt und wie sie diese verteilt.
Andreas Keller: In ihren Interviews haben die beiden Verhandlungsführerinnen Johanna Wanka, CDU, und Doris Ahnen, SPD, beide "spürbare Erhöhungen" von BAföG-Bedarfssätzen und Freibeträgen in Aussicht gestellt. Wirklich Substantielles hierzu ist leider nach wie vor nicht bekannt. Für die versprochenen "spürbaren Erhöhungen" ist es allerdings inzwischen höchste Zeit: Die letzte Erhöhung liegt schon wieder über drei Jahre zurück, und in den letzten 15 Jahren gab es überhaupt nur drei moderate BAföG-Erhöhungen. In Folge dessen bezieht heute nicht einmal mehr jede fünfte Studentin und jeder fünfte Student BAföG.
Wie viel mehr Geld es geben soll und wie weit die Freibeträge steigen sollen, sodass auch Studierende, deren Eltern ein bisschen "mehr" verdienen, noch gefördert werden können – zu alldem ist noch gar nichts bekannt?
Nein, leider nicht. Die GEW geht davon aus, dass die Bedarfssätze und Freibeträge um mindestens 10 Prozent angehoben werden müssten – allein um die Kostensteigerungen im Lebensunterhalt auszugleichen, die es in den letzten Jahren gegeben hat. Auch die Wohnkostenpauschale muss kräftig erhöht werden – von der Mietenexplosion sind ja sehr viele Universitätsstädte besonders betroffen.
Ist das, womit vermutlich zu rechnen sein wird, denn wenigstens auch das, was Ihrer Auffassung nach das Notwendige ist? Das Deutsche Studentenwerk (DSW) hat in Vertretung der sozialen Belange der Studierenden beispielsweise ja gerade "10 Eckpunkte" für eine "richtige" BAföG-Reform formuliert…
Diese zehn Eckpunkte hat das DSW gemeinsam mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund vorgelegt, die GEW unterstützt sie ausdrücklich. Über die überfällige BAföG-Erhöhung hinaus brauchen wir auch strukturelle Verbesserungen der Ausbildungsförderung. Das BAföG muss endlich "bologna-tauglich" werden: Masterstudiengänge müssen uneingeschränkt gefördert werden, auch wenn das Studium zwischen Bachelor und Master längere Zeit unterbrochen wurde. Die Altersgrenze sollte endlich komplett aufgehoben werden: Wer vom lebenslangen Lernen redet, darf den Studis konsequenterweise nicht ab 30 oder 35 den Geldhahn zudrehen. Außerdem sollte das BAföG endlich auf einen rückzahlungsfreien Vollzuschuss umgestellt werden, wie das bei anderen Sozialleistungen ganz selbstverständlich ist. Denn wer die Aussicht hat, nach dem Studium mit einem Schuldenberg ins unsichere Berufsleben zu starten, überlegt sich die Entscheidung fürs Studium häufig noch einmal. Und wir müssen endlich – 30 Jahre nach dem BAföG-Kahlschlag durch das erste Kabinett von Bundeskanzler Helmut Kohl – das BAföG für Schülerinnen und Schüler an allgemein-bildenden Schulen ab Klasse 11 wieder einführen. Denn die Weichen für oder gegen ein Hochschulstudium werden häufig schon gestellt, wenn die Entscheidung für oder gegen eine weiterführende Schule ansteht.
Und gibt es auch Bewegung in Bezug auf das so genannte "Kooperationsverbot" zwischen Bund und Ländern, sodass in Zukunft vielleicht der Bund den unterfinanzierten Hochschulen zusätzliche Mittel zukommen lassen könnte?
Das ist eine spannende Frage, in diesen Koalitionsverhandlungen zumindest aus bildungspolitischer Sicht vielleicht die spannendste Frage überhaupt. Auf internationalen Tagungen stoße ich häufig auf ungläubiges Staunen, wenn ich berichte, dass es in der deutschen Verfassung ein Kooperationsverbot gibt, das dem Bund untersagt, den klammen Ländern in der Bildungsfinanzierung unter die Arme zu greifen.
Einzig in der Hochschul- und Forschungsfinanzierung hat dieses Kooperationsverbot schon jetzt Schlupflöcher, die etwa die Exzellenzinitiative oder den Hochschulpakt ermöglichten. Die Crux dabei: Derartige Bund-Länder-Pakte dürfen die Hochschulen nicht auf Dauer und in der Fläche finanzieren. Dabei bräuchten wir aber genau das: Eine kräftige Finanzspritze des Bundes, die sicherstellt, dass die Hochschulen von Flensburg bis Konstanz, von Aachen bis Dresden so ausgebaut werden, dass auch wirklich alle Studienberechtigten einen Studienplatz bekommen und gute Studienbedingungen vorfinden.
Aber nicht einmal das scheint in den laufenden Koalitionsverhandlungen konsensfähig zu sein – ganz zu schweigen von der Aufhebung des Kooperationsverbots für den Schulbereich, der ganz dringend beispielsweise ein Programm zur Förderung eines inklusiven Ganztagsunterrichts braucht.
Und wie ist es um die Karrierewege im Wissenschaftsbereich bestellt? Gibt es Bewegung im Bereich der überwiegend alles andere als angenehmen Beschäftigungsbedingen im Hochschulbereich?
Dr. Andreas Keller ist seit Januar 2007 für Hochschule und Forschung verantwortliches Vorstandsmitglied der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), seit Juni 2013 außerdem ihr stellvertretender Vorsitzender.
SPD-Verhandlungsführerin Doris Ahnen hat inzwischen die Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes angekündigt. Wenn sich die Koalition darauf verständigen würde, wäre das ein ganz entscheidender Schritt, den die GEW zuletzt im Köpenicker Appell eingefordert hat. Denn dieses Gesetz hat in seiner jetzigen Form zu einer völlig aus dem Ruder gelaufenen Befristungspraxis an Hochschulen und Forschungseinrichtungen geführt: Mittlerweile sind 90 Prozent der über 160.000 wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Hochschulen befristet beschäftigt, und hat mehr als die Hälfte der Zeitverträge dabei eine Laufzeit von unter einem Jahr.
Dieses Hire-and-Fire-Prinzip ist nicht nur unanständig gegenüber den hoch qualifizierten Kolleginnen und Kollegen, es unterminiert zudem auch die Kontinuität und damit Qualität von Forschung und Lehre. Wenn in jedem Semester ein anderer Dozent im Hörsaal steht – wie soll da professionelle, qualitativ hochwertige Lehre überhaupt möglich sein? Das Gesetz muss daher auf den Prüfstand und wir haben bereits konkrete Vorschläge für eine Novelle gemacht.
Und wie wird dieser ganze Koalitionsverhandlungsmarathonprozess nun weitergehen? Und, Hand aufs Herz: Wie glaubwürdig sind denn alle aktuellen "Verheißungen" überhaupt, wo alle Verabredungen doch umgehend "unter Finanzierungsvorbehalt" gestellt worden ist?
Schön wäre, wenn es überhaupt erst einmal wirkliche Verheißungen gäbe. Der aktuelle Stand ist jedoch der, dass es über die Wasserstandsmeldungen der Verhandlungsführerinnen hinaus noch keine belastbaren Ergebnisse gibt. Was die Finanzierung angeht, so muss die neue Bundesregierung schlicht entscheiden, wie sie die Prioritäten setzt. Meine Meinung hierzu ist: Wer bereit ist, über Nacht hunderte Milliarden Euro für die Bankenrettung aufzubringen, sollte zumindest einen Bruchteil davon auch für die Bildung und damit die Zukunftschancen junger Menschen aufbringen.
Mindestens 40 Milliarden Euro müssen Bund und Länder jährlich zusätzlich in die Bildung investieren, um die dringendsten Probleme zu lösen, hat die GEW ausgerechnet. Und damit das Geld bei den Studierenden, Schülerinnen und Schülern ankommt, muss das Kooperationsverbot aus dem Grundgesetz – die deutsche Kleinstaaterei mag zum 19. Jahrundert gepasst haben, in der Wissensgesellschaft des 21. Jahrhunderts hat sie nichts verloren. Wir brauchen endlich auch ein Rettungspaket für die Bildung!
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