Wenig Antworten auf Studierendenrekord im KoalitionsvertragBAföG-Reform gestrichen?
Hinweis: Wer zu den neuen Studierendenzahlen nichts lesen will, kann auch direkt zu den Abschnitten zum Koalitionsvertrag oder zum Abschnitt "BAföG-Reförmchen gestrichen".
Die am Dienstag vom Statistischen Bundesamt vorgelegten Daten zu den aktuellen Studierendenzahlen bilden nur vorläufige Ergebnisse ab. In aller Regel kommt die stets Ende November präsentierte "Schnellmeldung" der Realität aber sehr nahe. Für das Studienjahr 2013 haben die Wiesbadener Statistiker bundesweit 506.600 Studienanfänger ermittelt. Das sind zwar rund 12.000 weniger als im Rekordjahr 2011, verglichen mit dem Vorjahr legte die Zahl aber um 11.600 oder 2,3 Prozent zu.
Noch mehr Studierende – noch mehr Gedränge an den Hochschulen
Der erneute Zuwachs erklärt sich vor allem mit dem doppelten Abiturjahrgang in Nordrhein-Westfalen (NRW), der den Hochschulen an Rhein und Ruhr einen historisch einzigartigen Zulauf bescherte. Im bevölkerungsreichsten Bundesland nahmen im Sommer- und Wintersemester über 127.000 Menschen ein Studium auf, knapp acht Prozent mehr als 2012. Getoppt wurde das nur noch von Hessen mit einem Plus von exakt zehn Prozent, bei absolut fast 43.000 Erstsemestern. Auch dort hatten im Frühjahr zwei Jahrgänge die Gymnasien verlassen.
Hochschulrun in Bayern
Aber auch andernorts gab es Steigerungen: Schleswig-Holstein verzeichnet 2,7 Prozent mehr Neulinge, Mecklenburg-Vorpommern 1,2 Prozent, Hamburg 0,5 Prozent und Rheinland-Pfalz 0,3 Prozent. Bemerkenswert ist der Aufwuchs von satten 4,3 Prozent in Bayern. Hier schlägt sich möglicherweise die zum Wintersemester wirksam gewordene Abschaffung der allgemeinen Studiengebühren in einer spürbar erhöhten allgemeinen Studienneigung nieder. Zum Vergleich: In Niedersachsen soll das Ende der Campusmaut nach dem Willen der SPD-Grünen-Koalition erst zum Wintersemester 2014/15 besiegelt sein. Wohl auch wegen der weiterhin bestehenden Zahlungspflicht fiel der Anstieg an Neueinschreibungen mit 2,5 Prozent deutlich geringer aus als im Freistaat.
Einbußen bei den Neuimmatrikulationen zeigen sich vor allem in den Ländern, die ihre Doppelabiturjahrgänge schon im Jahr 2012 an den Start geschickt hatten und das Niveau deshalb nicht halten konnten. Das betrifft Baden-Württemberg mit einem Minus von 2,6 Prozent, Bremen (– 3,9 Prozent) und Berlin (– 2,3 Prozent). Von den westdeutschen Ländern mit abnehmender Erstsemesterzahl ist das Saarland (– 0,6 Prozent) das einzige, für das sich der Befund nicht mit der schulpolitischen Umstellung erklärt.
Entspannung im Osten
Auch Brandenburg spielt eine Sonderrolle. Das Land ist der größte "Verlierer" mit einem Defizit von 14,6 Prozent. Der gewaltige Rückgang hängt jedoch nur zum Teil mit der hohen Messlatte angesichts des doppelten Abiturjahrgangs vom Vorjahr zusammen. Das Bundesland liegt vielmehr im Trend, der für fast ganz Ostdeutschland in Richtung Entspannung geht. Mit Ausnahme von Mecklenburg-Vorpommern weisen die vier anderen Ostländer allesamt rückläufige Studienanfängerzahlen auf. Das Minus von Sachsen beträgt 3,2 Prozent, das von Sachsen-Anhalt 5,4 Prozent und das von Thüringen 3,9 Prozent.
So wie es aussieht, verheißt die größere Bewegungsfreiheit an den ostdeutschen Hochschulen aber keineswegs gleich bessere Studienbedingen. Im Osten der Republik stehen für die kommenden Jahre massive Kürzungen auf der politischen Agenda. Nach Jahren des Hochschulausbaus drohen demnächst hunderte Professorenstellen und womöglich ganze Studiengänge dem Rotstift geopfert zu werden.
Kein Rekord für die Ewigkeit
Für den Rest der Republik verspricht der Hochschulalltag bis auf weiteres vor allem eines: Gedränge! Die aktuell von den Statistikern gezählten über 2,618 Millionen Studierenden sind ein neuer historischer Höchstwert, der noch einmal fünf Prozent über der Marke des Wintersemesters 2012/13 liegt. An den Universitäten stieg die Zahl um vier Prozent auf 1,7 Millionen, an den Fachhochschulen sogar um sieben Prozent auf 0,9 Millionen Studierende. Seit einem Jahrzehnts sehen sich die hiesigen Hochschulen einem bespiellosen Ansturm ausgesetzt. 1993 waren gerade einmal zwei Millionen Studierende an Deutschlands höchsten Bildungsanstalten eingeschrieben.
Und noch ist das Ende der Fahnenstange nicht erreicht. Das Statistische Bundesamt hält es sogar für denkbar, dass der 2011er-Rekord bei den Neueinschreibungen noch einmal übertroffen werden könnte. Ob die Latte gerissen wird oder nicht, ist eigentlich ziemlich egal. Entscheidend ist der Trend und der geht nach den Experten dahin, dass mittelfristig ein gleichbleibender Zulauf von rund einer halben Million Nachrückern jährlich ansteht. Wozu das führt, haben die vergangenen Jahre gezeigt. Weil die Zahl der Hochschulabgänger mit der der Neuankömmlinge nicht annähernd mithält, bevölkern per Saldo mit jedem neuen Jahr mehr Studierende die Hochschulen. Deshalb wird die Gesamtstudierendenzahl in einem Jahr auch ziemlich sicher an die 2,7 Millionen herankommen.
Rektoren schlagen Alarm
Mehr Studierende kosten mehr Geld – und darum gibt es natürlich gleich wieder Streit.
Den Hochschulvorstehern ist ob dieser Entwicklung angst und bange. Die "andauernde Kraftanstrengung ist zu Lasten der Substanz der Hochschulen gegangen", monierte der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) Horst Hippler am Dienstag in einer Stellungnahme. Dabei mahnte er neben der Fortsetzung des sogenannten Hochschulpaktes für die Schaffung zusätzlicher Studienplätze einen "verlässlichen Aufwuchs bei der Grundfinanzierung der Hochschulen" an. Dies müsse "im Koalitionsvertrag eindeutig festgelegt werden", verlangte er.
Das besagte Koalitionsabkommen zwischen Union und SPD ist seit Mittwoch in Sack und Tüten. "Eindeutige Festlegungen" in puncto Hochschulpolitik sucht man darin allerdings vergebens. Zum Hochschulpakt heißt es lediglich, dass man diesen "fortsetzen und zügig die Verhandlungen über die dritte Phase aufnehmen" wolle. Dabei ist nicht einmal die zweite Runde von 2011 bis 2015 auskömmlich finanziert. Wie HRK-Chef Hippler anmerkte, würden die Sollzahlen des Bund-Länder-Kontrakts seit dessen letzter Aufbesserung im April von weiteren 20.000 Studienanfängern übertroffen.
Auch das noch: Schwammiger Koalitionsvertrag
Die Planzahlen des Paktes wurden seit seiner Begründung im Jahr 2007 immer wieder von der Realität ad absurdum geführt, eine Notoperation schloss sich an die nächste an. Im Frühjahr hatten sich Bund und Länder auf einen Zuschlag von 4,4 Milliarden Euro verständigt. Die Koalitionäre in spe drücken sich nun um jede zahlenmäßige Konkretisierung herum und beschränken sich statt dessen auf die Absichtsbekundung, dass "Hochschulen für gute Lehre und Angebote, die mehr Studierende qualitätsgesichert zu einem erfolgreichen Abschluss führen, stärker honoriert werden". Ebenso im Vagen bleibt das Papier in der Frage der allgemeinen Hochschulfinanzierung. Dazu nur so viel bzw. so wenig: "Wir werden in den nächsten vier Jahren seitens des Bundes den Hochschulen mehr Geld zur Grundfinanzierung zur Verfügung stellen."
"Chaotische Zustände" in überlaufenen Hochschulen beklagte am Dienstag der "freie zusammenschluss von studentInnenschaften" (fzs). Trotz gestiegener Studierneigung würden die Hochschuletats in mehreren Bundesländern "zusammengeschrumpft", vielerorts fielen Sprechzeiten aus, Prüfungsämter seien überlastet, Seminare überfüllt und Gebäude fielen in sich zusammen. Dazu würden Stellen gestrichen, teure Privatwohnheime gebaut und Studienkapazitäten verringert. Und für die Zukunft schwant den Studierendenvertretern nichts Gutes: Sie halten den Hochschulpakt nur für eine "schlechte Notlösung, um langfristig hohen Studierendenzahlen zu begegnen".
BAföG-Reförmchen gestrichen
In einer separaten Pressemitteilung hatte sich der studentische Dachverband gestern enttäuscht über ein von Union und SPD angedachtes BAföG-"Reförmchen" geäußert. Was fzs-Vorstand Katharina Mahrt da noch nicht wissen konnte: Die noch im Vertragsentwurf gemachte Ankündigung, die Ausbildungsförderung "substanziell erhöhen" zu wollen, wurde aus dem jetzt offiziellen Abkommen gestrichen – "in letzter Minute", wie die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) – neben anderen Kritikpunkten – bemerkte. Im Text taucht das Wort BAföG nur einmal in Klammern und unter dem Punkt "Teilhabe von Zuwanderern stärken" auf. Dort heißt es: "Wir werden daher vorhandene Fördermöglichkeiten im Rahmen der Ausbildungsförderung (BAföG, AFBG, SGB III) und der aktiven Arbeitsmarktpolitik noch besser ausschöpfen und wo notwendig ausweiten (…)"
Daraus folgt wohl: Eine längst überfällige allgemeine BAföG-Aufbesserung mit merklichen Nachschlägen bei den Bedarfsätzen und Freibeträgen spielt in den Planungen der künftigen Regierung keine wichtige Rolle. Den letzten BAföG-Bonus gab es 2010. Dagegen soll das umstrittene Deutschlandstipendium – mit der Zielmarke von zwei Prozent aller Studierenden – weiterverfolgt werden. Der Vizevorsitzende der GEW, Andreas Keller, kommentierte: "Große Koalition – große Enttäuschung für alle Studierenden, die bei ihrer Studienfinanzierung auf das BAföG angewiesen sind."
Das Deutsche Studentenwerk hofft in seiner aktuellen Pressemitteilung dennoch, "dass die künftige Bundesregierung ihren zu Jahresbeginn 2014 fälligen BAföG-Bericht nutzen wird, um die von der Bundesbildungsministerin im Frühjahr angekündigte BAföG-Anpassung und Weiterentwicklung dort zu verankern. Die Weiterentwicklung des BAföG hatten die Koalitionsparteien ja auch in ihren Wahlprogrammen festgeschrieben. Wir gehen nun davon aus, dass die Bundesregierung eben unabhängig vom Koalitionsvertrag 2014 eine BAföG-Novelle auf den Weg bringt." (rw)