Viel Streit und wenig GeldRätselraten um BAföG-Reform
Dass es beispielsweise in Sachen BAföG Zeit zu handeln wäre, darüber sind sich viele einig. Aber solange nicht auch über Details Einigkeit besteht, passiert nicht viel.
Die Vorstellung des Koalitionsabkommens der Regierungsparteien in spe hatte für einige Irritationen gesorgt. Wo war die versprochene BAföG-Novelle geblieben? Eigentlich hatte es doch schon Tage zuvor geheißen, CDU/CSU und SPD wären sich in der Sache einig. In einer vorläufigen Fassung des Papiers war so auch noch von einer "substanziellen" Erhöhung zu lesen. Hat man den Plan über Nacht hingeschmissen? Der studentische Dachverband fzs schlug umgehend Alarm: "Will der Bund sich etwa aus der Studienfinanzierung zurückziehen?" Den letzten – minimalen – Aufschlag bei der Bundesausbildungsförderung hatte es mit dem 23. BAföG-Änderungsgesetz im Jahr 2010 gegeben, eine merkliche Anpassung an die gestiegenen Lebenshaltungskosten wäre also längst an der Zeit.
Wanka verspricht Reform
"Nur keine Panik", lautet jetzt die Botschaft der Verantwortlichen. "Wir machen eine BAföG-Reform, darauf können Sie sich verlassen", gab Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) im Interview mit Spiegel Online zum Besten. Diese werde "deutlich spürbar sein und die Strukturen verbessern: zum Beispiel beim Übergang zwischen Bachelor und Master oder bei jungen Eltern, die in Teilzeit studieren". Warum das keinen Eingang in der Koalitionsvereinbarung fand, gab die Politikerin auch auf Nachfrage nicht preis. Nur so viel: "Dass es nicht im Vertrag steht, heißt nicht, dass es nicht kommt."
Wurde das Reformversprechen also nur verschludert? So geht jedenfalls eine Version, die mittlerweile aus beiden Lagern zu hören ist. Ursache soll demnach ein "redaktioneller Irrtum" gewesen sein – angeblich eine Folge des nächtlichen Verhandlungsmarathons vor Vertragsabschluss. Entwarnung kam so beispielsweise vom bildungs- und forschungspolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Ernst Dieter Rossmann: "In dieser Legislaturperiode wird es selbstverständlich eine Erhöhung der Bundesausbildungsförderung (BAföG) geben, die für die jungen Menschen spürbar ist und eklatante Förderlücken schließt." Allerdings seien "Einzelheiten zur Ausgestaltung wie zur Finanzierung (…) noch zu vereinbaren".
Union und SPD streiten weiter
Diese letzte Bemerkung dürfte der Wahrheit auf jeden Fall näher kommen als die Ausrede mit der Übermüdung. Dass der Haussegen in der BAföG-Frage bei den kommenden Regierungspartnern noch ziemlich schief hängt, hat SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles durchblicken lassen. Sie rügte das Vorpreschen Wankas beim Thema und hielt ihr vor, "offensichtlich gedanklich noch nicht in der Großen Koalition angekommen" zu sein. "Klar ist, dass über die Mittelverteilung einzelner Ressorts die künftige Regierung zu entscheiden hat." Der Hinweis ist auch dahingehend zu verstehen, dass Wanka vielleicht schon bald nichts mehr zu melden hat. Das Bundesbildungsministerium könnte künftig nämlich durchaus an die Sozialdemokraten gehen.
Die noch offene – bzw. bis auf weiteres geheim gehaltene – Ressortverteilung dürfte sogar ein mitentscheidender Grund für das eigenwillige BAföG-Versteckspiel sein. Das Thema war und bleibt einer der größten Zankäpfel zwischen Union und SPD und es verschwand nur deshalb auf dem letzten Drücker aus dem Koalitionsvertrag, weil die Vorstellungen beider Seiten grundverschieden sind. Die SPD will dahin, den Bund als alleinigen Finanzier der Ausbildungsförderung zu installieren und die Länder aus der Verantwortung zu befreien. Die Union will dagegen an der Kofinanzierung festhalten. Bisher trägt der Bund 65 Prozent der Kosten, während die Bundesländer 35 Prozent beisteuern. Wanka bekräftigte in besagtem Interview: "Das Bafög zahlen wir gemeinsam (…). Das ist so, und das bleibt so." Und weiter: "Das wurde in den Koalitionsverhandlungen so entschieden."
Wer greift sich das Bildungsressort?
Eher stimmt wohl: Die Entscheidung steht noch aus. Warum sonst schaltet Nahles so auf Angriff? Auf alle Fälle würde es die Verhandlungsposition ihrer Partei stärken, wenn die SPD demnächst den Chefposten im Bildungsministerium innehat. Solange das nicht ausgemacht ist, gilt es, das Publikum hinzuhalten. Dazu kommt: Eine mögliche BAföG-Reform ist nicht losgelöst von anderen bildungs- und hochschulpolitischen Maßnahmen. Insgesamt wollen Union und SPD in den kommenden vier Jahren neun Milliarden Euro in diesen Bereich investieren. Konkrete Angaben zum Umfang der Einzelvorhaben und zur Verteilung untereinander bleibt der Koalitionsvertrag allerdings schuldig.
Am griffigsten sind noch die drei Milliarden Euro, die laut Abkommen in die außeruniversitäre Forschung, den Hochschulpakt zur Finanzierung zusätzlicher Studienplätze, den Pakt für Forschung und Innovation und die Exzellenzinitiative fließen sollen. Welcher Bereich wie viel abbekommt, ist aber völlig offen. Das gilt auch für die weiteren sechs Milliarden Euro, die zur Finanzierung von Kinderkrippen, Kitas, Schulen und Hochschulen in Aussicht gestellt werden. Genauso vage bleibt die Ankündigung einer Aufstockung der Hochschulgrundmittel. Dazu heißt es lediglich: "Wir werden in den nächsten vier Jahren seitens des Bundes den Hochschulen mehr Geld zur Grundfinanzierung zur Verfügung stellen." (Siehe Koalitionsvertrag.)
Woher eine Milliarde Euro nehmen?
Unklar ist auch, ob es die Milliarden wirklich allesamt zusätzlich gibt. Beispielsweise hatten sich Bund und Länder im April dieses Jahres auf einen Aufschlag von 4,4 Milliarden Euro bis 2015 beim Hochschulpakt geeinigt, die Hälfte davon soll der Bund zuschießen. Gibt es auf diese Zugabe noch mehr oben drauf oder deklariert die künftige Regierung bereits verplante Mittel einfach als neue Errungenschaft? Aus dem Text des Koalitionsvertrags wird das nicht ersichtlich.
Wo sich in dem Neun-Milliarden-Versprechen die Mittel für eine BAföG-Novelle – so sie denn überhaupt kommt – verbergen, ist schon gar nicht zu erahnen. Für den Fall einer kräftigen Anhebung der Fördersätze und Elternfreibeträge bei einer gleichzeitigen inhaltlichen Weiterentwicklung (höhere Altersgrenzen, Förderung von Teilzeitstudierenden) ist mit Mehrkosten von einer Milliarde Euro zu rechen. Das ist ein gewaltiger Brocken, der vor allem der Union schwer zu schaffen machen würde. CDU/CSU und mit ihnen die FDP fahren seit langem den Kurs, die staatliche Ausbildungsförderung zugunsten der privaten Studienfinanzierung zurückzufahren. Wie zum Beweis soll so auch die Reichweite des umstrittenen Deutschlandstipendiums, das an "leistungsstarke" Studierende unabhängig vom Elterneinkommen ausbezahlt wird, gemäß Koalitionsvertrag mal eben von einem auf zwei Prozent aller Studierenden verdoppelt werden. Auch das könnte die Spielräume für ein BAföG-Plus schmälern (auch wenn es immerhin weit unter der ursprünglich anvisierten Zielmarke von acht Prozent bleibt).
Kooperationsverbot kein Thema
Den mächtigsten Finanzierungsvorbehalt für ihre bildungspolitischen Vorhaben hat die Koalition in spe durch eine weitere Leerstelle im Vertragstext gesetzt. Diese betrifft das sogenannte Kooperationsverbot in Bildungsfragen, auch dazu findet sich im Vertragstext kein Wort. Nach dieser Regelung ist es dem Bund von Verfassungs wegen untersagt, die Länder im Rahmen dauerhafter Projektfinanzierungen zu unterstützen. Die Noch-Regierung wollte eine Aufweichung einzig für Hochschulen und Wissenschaft, die Opposition darüber hinaus im Schulbereich.
Zur Erinnerung: Union und SPD waren es, die das von allen namhaften Experten verdammte Verbot 2006 per Föderalismusreform ins Grundgesetz gehievt hatten. Beispielsweise hat man dabei auch die Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau begraben. Jetzt treffen die Streithähne wieder auf der Regierungsbank zusammen und hätten alle Möglichkeiten, den Fehler rückgängig zu machen. Aber auch hier gilt: Eine Einigung konnte nicht erzielt werden, alles bleibt erst einmal wie gehabt.
Forderungen ohne Ende
Wohin das führt, hat das Deutsche Studentenwerk (DSW) am Mittwoch auf seiner Jahresversammlung aufgezeigt. Dort wurde beklagt, dass die Länder ihre Zuschüsse an die bundesweit 58 Studentenwerke weiter gekürzt haben. Nach DSW-Angaben steuert die Politik mit ihren Zuschüssen und Finanzhilfen inzwischen weniger als zehn Prozent der Mittel bei. Anfang der 1990er Jahre belief sich die Unterstützung noch auf ein Viertel des Budgets. Ausbaden müssen den Schwund die Studierenden mit höheren Semesterbeiträgen und Mietaufschlägen in den Wohnheimen. Weil der Wohnheimbau seit Jahren arg vernachlässigt wurde, hat der DSW die Schaffung 45.000 neuer Plätze verlangt. Außerdem solle der Bund in die Grundfinanzierung der Studentenwerke einsteigen. Und nicht zuletzt erneuerte der Verband "mit Nachdruck" seine Forderung nach Umsetzung seines "Zehn-Punkte-Katalogs" zum BAföG. Die Reform müsse 2014 kommen. Dafür spricht nach der Lage der Dinge leider wenig. (rw)