Millionenschwerer LadenhüterRechnungshof prüft Deutschlandstipendium
Kritik gibt es am Deutschlandstipendium von Anfang an. Jetzt auch der Bundesrechnungshof einiges moniert.
In seinem Jahresbericht konstatiert der Bundesrechnungshof (BRH), dass von 2010 bis 2012 lediglich 60 Prozent der Bundesmittel in Form von Stipendien an die geförderten Studierenden ausgeschüttet wurden. Auf den "Durchführungsaufwand" wären knapp 40 Prozent der Mittel entfallen. Ferner heißt es, das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) habe von den bereitgestellten 56,7 Millionen Euro "aufgrund der geringen Anzahl von Stipendiaten" mit 25,3 Millionen Euro "weniger als die Hälfte" ausgegeben.
Zu mehr als dieser nüchternen Bestandsaufnahme lassen sich die Finanzwächter in ihren "Bemerkungen 2013 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes" allerdings nicht hinreißen. Gegenüber dem Berliner Tagespiegel nannte ein BRH-Sprecher die Befunde aber immerhin "bedenklich". Dass sich die Kontrolleure deshalb am Ende ihrer Prüfung bemüßigt fühlen werden, für eine Abschaffung des Deutschlandstipendiums zu plädieren, wie es dessen Gegner verlangen, erscheint aber doch unwahrscheinlich. Und halten müsste sich die Bundesregierung daran auch nicht. Die Behörde kann der Politik zwar gute Ratschläge erteilen, umsetzen muss sie die Empfehlungen jedoch nicht.
Millionen fürs Marketing
Dabei gibt es Sicht von Kritikern eine Menge an Dingen, die gegen das Förderinstrument sprechen. Los geht es mit den Kosten: So verbergen sich hinter dem sperrigen Begriff "Durchführungsaufwand" wohl in erster Linie Ausgaben für Public Relations. Um das seit seinen Anfängen dahinsiechende Deutschlandstipendium bei den potenziellen Förderern im Unternehmerlager bekannter zu machen, hat das BMBF bis 2013 gleich fünf Werbeagenturen mit der Erarbeitung von Mediastrategien betraut. Überhaupt ist das Ministerium der PR-Industrie ziemlich wohlgesonnen. Seit 2009 hat es knapp eine halbe Milliarde Euro für externe Expertise locker gemacht, fast soviel wie die übrigen Kabinettsressorts zusammen.
Die Berichte darüber waren überhaupt erst der Auslöser dafür, dass sich der BRH der Thematik angenommen hat. SPD und Grüne hatten im September des Vorjahres eine Überprüfung gefordert, woraufhin die Behörde schließlich tätig wurde. Der Grünen-Abgeordnete im Bundestag Kai Gehring klagte seinerzeit, das Haus von Ministerin Johanna Wanka (CDU) sei zu einem "Berater-Eldorado" geworden.
Schavans Herzensangelegenheit
Den Boden dafür hatte aber schon lange vorher Amtsvorgängerin Annette Schavan (CDU) bereitet, die auch als "Erfinderin" des Deutschlandstipendiums gilt. Sie war es, die ein schon 2009 in Nordrhein-Westfalen angelaufenes, praktisch identisches, Stipendienprogramm zum Sommersemester 2011 auf Bundesebene an den Start brachte. Dabei erhalten besonders "begabte und leistungsstarke" Studierende monatlich 300 Euro unabhängig vom eigenen und dem Einkommen ihrer Eltern. Je zur Hälfte wird das Geld vom Bund und einem privaten Förderer – in der Regel Unternehmen aus der freien Wirtschaft – beigesteuert.
Schavans "Herzensangelegenheit" wollte aber anfangs so gar in Tritt kommen. 2011 gab es gerade einmal kümmerliche 5400 Geförderte, nur knapp mehr als die Hälfte der angestrebten 10.000. Von den zehn Millionen Euro an Bundesmitteln landeten nur 3,4 Millionen Euro in den Taschen der Stipendiaten. Das Drumherum, insbesondere Marketing und Verwaltung, verschlang 2,7 Millionen Euro. Auch in den Folgejahren hat sich an den Unverhältnismäßigkeiten kaum etwas geändert. 2012 strichen bloß 0,6 Prozent aller Hochschüler den Geldsegen ein, eigentlich wollte man bis dahin die Ein-Prozent-Marke knacken. Das Langzeitziel der abgewählten Koalition lautete einmal, acht Prozent der Studierenden zu erreichen.
Kleinere Brötchen
Die neue Regierung backt inzwischen kleinere Brötchen. Im Koalitionsvertrag von Union und SPD ist nur noch von einer "Zielmarke von 2 Prozent der Studierenden in dieser Legislaturperiode" die Rede. Der BRH hat ermittelt, dass bei gleichbleibendem Tempo das Acht-Prozent-Ziel "erst in über 20 Jahren" zu schaffen wäre. Gleichwohl denkt man im BMBF nicht daran, das Programm einzustellen. Für die Jahre 2013 bis 2017 sollen insgesamt 275 Millionen Euro dafür aufgewendet werden. Ministerin Wanka will sich die Sache von den Finanzkontrolleuren auch nicht mies machen lassen. "Bei 14.000 Stipendien, die wir inzwischen haben, muss man sagen: Das läuft vernünftig an", verlautete am Mittwoch aus ihrem Haus. Ihr Sprecher Markus Fels verwies am Donnerstag im Gespräch mit Studis Online auf eine "irreführende Kalkulation" des BRH. Würde man die von privater Seite mobilisierten Gelder hinzunehmen, läge der "Aufwand für Fundraising und Informationen über das Programm" bei nur "18 Prozent". Außerdem seien die vom BRH beanstandeten 40 Prozent ein Mittelwert der letzten drei Jahre. Inzwischen läge man, bezogen auf das Bundesbudget, bei nur noch 30 Prozent, äußerte sich Fels.
Reinfall einmotten?
Für die Juso-Hochschulgruppen ist das Augenwischerei. "Die Bundesregierung muss einsehen, dass das Deutschlandstipendium ein echter Reinfall war und bleibt", urteilte der Verband zu Wochenanfang in einer Stellungnahme. Stipendienprogramme im Allgemeinen – und das Deutschlandstipendium im Besonderen – "determinieren soziale Unterschiede" und trügen "einzig und allein zur Elitenbildung" bei. Zudem benachteilige es Studierende "in weniger wirtschaftsrelevanten Studiengängen und an Hochschulen in strukturschwachen Regionen", bemängelte Bundesvorstandsmitglied Philipp Breder. Sein Verdikt ist klipp und klar: "Deutschlandstipendium einmotten!"
Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) senkt den Daumen über dem, wie er es nennt, "echten Ladenhüter". Drei von vier Stipendien würden in den Ingenieurwissenschaften, im Fach Mathematik, in den Naturwissenschaften sowie den Wirtschafts- und Rechtswissenschaften vergeben, kritisierte DGB-Bildungsexperte Matthias Anbuhl unlängst im Deutschlandfunk. "Das heißt, der gesamte Bereich der Sozialwissenschaften ist völlig unterrepräsentiert. Wir haben hier eine Schieflage, das muss man sagen."
Soziale Unwuchten
Anbuhl sitzt selbst als Beschäftigtenvertreter im Beirat des Deutschlandstipendiums, empfiehlt aber dennoch, die Maßnahme besser auslaufen zu lassen. Der DGB stößt sich insbesondere an den sozialen Unwuchten des Programms. So fänden sich nicht einmal zehn Prozent BAföG-Empfänger unter den Stipendiaten. Zudem stammten laut Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks (DSW) nur 23 Prozent der Geförderten aus Nichtakademikerfamilien. Das deckt sich mit den Befunden einer Reihe früherer Studien, wonach bei der Vergabe von Stipendien nur in Ausnahmefällen sozial Bedürftige und in der großen Mehrzahl Privilegierte zum Zuge kommen, die eine finanzielle Unterstützung gar nicht benötigen.
Die vor einem Jahr über ihre Plagiatsaffäre gestolperte Ex-Ministerin Schavan hatte das Deutschlandstipendium stets als "dritte Säule der Studienfinanzierung" neben dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) und Studienkrediten bezeichnet. Für seine Gegner markiert das Programm dagegen den Versuch, dem nach rein sozialen Gesichtspunkten vergebenen BAföG schrittweise das Wasser abzugraben. Dazu passt: Im Koalitionsvertrag findet sich ein Bekenntnis zum Deutschlandstipendium, aber kein Wort zu einer längst überfälligen BAföG-Reform. Die letzte minimale Erhöhung der Bedarfssätze und Freibeträge gab es 2010 und noch ist nicht absehbar, ob und wann die in dieser Frage zerstrittenen Koalitionspartner eine Novelle auf den Weg bringen.
BAföG-Reform angedeutet
Nach Ansicht der Juso-Hochschulgruppen sollte das durch eine Abschaffung des Deutschlandstipendiums eingesparte Geld in den "Ausbau des BAföG" fließen. Die Bundesregierung müsse schnellstmöglich handeln und kurzfristig eine "strukturelle Reform, eine Erhöhung der Beträge auf ein bedarfsdeckendes Maß sowie eine Erweiterung des Berechtigtenkreises" herbeiführen. "Langfristig führt darüber hinaus kein Weg an einer bedarfsdeckenden, eltern- und altersunabhängigen Studienfinanzierung als Vollzuschuss vorbei." Die ganze Wunschliste wird die amtierende Bundesbildungsministerin den Studierendenvertretern kaum erfüllen wollen. Immerhin soll aber überhaupt mal etwas passieren: Im Interview mit den "Hofberichterstattern" ihres Ministeriums hat Wanka ihre Pläne für das neue Jahr abgesteckt. "Ein wichtiges Thema ist die BAföG-Reform", meint sie darin. Das ist vielsagend wenig zum Thema.
(rw)