BAföG-Bericht vorgelegtRegierung verkauft Abstieg als Aufwind
Die letzte Novelle des Bundesausbildungsförderungsgesetztes (BAföG) gab es im Jahr 2010. Schon damals ging der Entscheidung eine Hängepartei voraus, weil sich Bund und Länder lange Zeit nicht über die Finanzierung einig werden konnten. Am Ende meldete im Oktober der Vermittlungsausschuss aus Bundestag und Bundesrat Vollzug und beschloss Kümmerliches: Die Bedarfssätze für Schüler und Studierende stiegen um zwei Prozent, die Elternfreibeträge um drei Prozent. Im Mittel hatten die Anspruchsberichtigten damit zwölf Euro mehr in der Tasche, der BAföG Höchstbetrag kletterte um 22 Euro auf 670 Euro im Monat.
Großes Warten: Bis heute gibt es seitens der politischen Entscheider kein grünes Licht für einen dringend benötigten Zuschlag
Seitdem ist das große Warten angesagt. Obwohl turnusmäßig eigentlich alle zwei Jahre eine Überprüfung erfolgen soll, gaben die politischen Entscheider bis heute kein grünes Licht für einen dringend nötigen Zuschlag. Und mit jedem Tag, der ins Land geht, haben die Betroffenen real weniger Geld zur Verfügung, weil die Inflation unaufhaltsam zulegt. Der politische Streit dreht sich wie immer auch diesmal um den schnöden Mammon. Zuletzt hatten insbesondere die SPD-regierten Bundesländer darauf gedrängt, die Kofinanzierung der Sozialleistung zu beenden und dem Bund die alleinige Verantwortung zuzuschanzen. Bislang trägt der 65 Prozent der Kosten, während die Länder 35 Prozent beisteuern. Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) bestand aber bis zuletzt darauf, am alten Modell festzuhalten.
Teuer wie nie
Die Ergebnisse des aktuellen, 20. BAföG-Berichts, den das Bundeskabinett am Montag verabschiedet hat, erscheinen derweil nicht dazu angetan, die Debatte zu befrieden. Im Jahr 2012 beliefen sich die Gesamtkosten des Förderinstruments auf beachtliche 3,34 Milliarden Euro. 2,17 Milliarden Euro betrug der Anteil des Bundes, 1,17 Milliarden jener der Länder. Zum Vergleich: Im Berichtszeitraum 2010 kostete die Maßnahme mit 2,84 Milliarden eine halbe Milliarde Euro weniger. 2011 waren es nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes immerhin schon 3,18 Milliarden Euro.
Einen 30-Jahre-Rekord verzeichnet die Regierung bei der Zahl der BAföG-Bezieher: 2012 beanspruchten im Jahresmittel 660.000 Menschen eine Förderung. Studierende stellten dabei das Gros mit 440.000, das sind 14 Prozent mehr als 2010. Bei Schülern ergab sich dagegen ein Minus von 4,6 Prozent auf 189.900. Ein deutliches Plus zeigt sich bei jenen, die im Ausland studieren, die Zahl der Geförderten erhöhte sich um 24 Prozent auf 54.000. Dazu kamen im Inland 67.000 Ausländer in den Genuss von Zuwendungen, elf Prozent mehr gegenüber 2010.
Weniger für mehr
Wie absehbar machte sich die letzte Reform im Portemonnaie der Betroffenen kaum bemerkbar. Betrug der Durchschnittssatz bei den Studierenden 2010 noch 436 Euro, waren es zwei Jahre später 448 Euro. Der Bonus wurde inzwischen längst von der Teuerungsrate aufgefressen. Vor allem die Mieten und Energiekosten haben in der Zwischenzeit massiv angezogen. Heute muss man als Studierender bisweilen bis zu 400 Euro für ein Zimmer berappen. Die BAföG-Pauschale zur Deckung der Wohnkosten liegt aber seit 2010 unverändert bei nur 224 Euro.
Angesichts von gegenwärtig 2,6 Millionen Studierenden verspricht jeder Euro mehr an Förderung richtig ins Geld zu gehen. Die Zeitung Die Welt schrieb am Mittwoch über das Allzeithoch bei den BAföG-Ausgaben: "Es ist eine gewaltige Zahl. Eine, die die Finanzminister in Bund und Ländern schaudern lässt." Das mag zwar stimmen, allerdings können die Herren Kassenwarte von Glück reden, nicht noch weit tiefer in die Tasche greifen zu müssen. Laut Regierungsbericht waren nämlich über das ganze Jahr 2012 betrachtet tatsächlich 1.572.000 Studierende dem Grunde nach förderwürdig. Ob real BAföG herausspringt, hängt dann aber noch vor allem von der Einkommenssituation der Eltern ab, die Mehrheit kann real nicht mit BAföG rechnen. Trotzdem nehmen aber wohl auch einige real Berechtigten ihr Recht nicht wahr, weil ihnen der bürokratische Aufwand zu groß, die zustehenden Mittel zu gering sind oder weil sie vor der späteren Begleichung der Darlehensschuld zurückschrecken.
Regierung rechnet schön
Obwohl oder gerade weil sie alle den Staat nichts kosten, "rechnet" die Politik doch sehr gerne mit ihnen. Da macht der neue BAföG-Bericht keine Ausnahme: Die Regierung beziffert die Gefördertenquote darin mit 28 Prozent, bezieht diese jedoch auf die Gesamtzahl aller förderfähigen Studierenden. So kommt es, dass der Rapport gegenüber 2010 mit einer Steigerung der Rate um "0,7 Prozentpunkte" aufwartet und mit einem deutlichen Anklang von Stolz verkündet, die Gefördertenquote liege "deutlich über einem Viertel aller dem Grunde nach Berechtigten". Frohgemut präsentierte sich denn auch Ministerin Wanka. "Bund und Länder haben mit dem BAföG noch stärker als bisher in Bildungschancen und Bildungsgerechtigkeit investiert", äußerte sie sich am Mittwoch. Und ihr Haus ließ verbreiten: "BAföG bleibt im Aufwind."
Aus Sicht ihrer Kritiker befindet sich das BAföG auf dem absteigenden Ast. Nimmt man die Zahl der 2012 Studierenden zur Grundlage – damals waren dies 2,358 Millionen – landet man nicht nur bei einer kleineren Hausnummer, nämlich einer Förderquote von 18,7 Prozent. Dies ist zwar mehr als im vergangenen Jahrzehnt, aber weit von den Zahlen der 1970er oder auch Anfang der 1990er entfernt. Und aktuell geht es "dank" ausbleibender BAföG-Anpassungen wohl schon wieder direkt bergab: 2011 erhielten noch 19 Prozent aller Studierenden BAföG und 2012 schon 0,3 Prozent weniger.
1,5 Milliarden Euro mehr?
Weil die Regierungszahlen ein ganz anderes Bild nahelegen, klagte Andreas Keller, Vize-Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) am Mittwoch über "statistische Taschenspieltricks" und verlangte statt dessen: "Wir brauchen keine geschönten Zahlen, sondern mehr BAföG für mehr Studierende". Auf der Wunschliste der GEW steht eine "schnelle, spürbare BAföG-Erhöhung: Freibeträge und Bedarfssätze müssen um mindestens zehn Prozent angehoben werden", forderte Keller in einer Pressemitteilung.
Ins selbe Horn stießen der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), Studierendenvertreter und die Opposition im Bundestag. Der DGB nannte eine Reform nach "vier Nullrunden" längst überfällig und empfahl neben höheren Sätzen eine grundlegende Strukturreform, durch welche die Förderung für Teilzeitstudierende geöffnet und Bologna-tauglich gemacht werden solle. Für ein "besseres BAföG" müssten Bund und Länder "mindestens 1,5 Milliarden Euro investieren", rechnete DGB-Vize Elke Hannack vor. "Wer das Gerede von der 'Bildungsrepublik' oder dem 'Jahrzehnt der Hochschulen' auch nur halbwegs ernst meint, muss das BAföG ausbauen und dafür auch das nötige Geld in die Hand nehmen", kommentierte Nicole Gohlke von der Bundestagsfraktion Die Linke. Zudem brauche es eine "automatische regelmäßige Anpassung an die tatsächlichen Lebenshaltungskosten der Schüler und Studierenden", schreibt sie in ihrem Pressestatement.
Strukturreformen nötig
"Wir brauchen ein besseres, höheres, familienfreundlicheres und weniger bürokratisches BAföG", das angesichts gestiegener gesellschaftlicher Vielfalt "wieder stärker zur sozialen Öffnung unserer Hochschulen beitragen" müsse, bekräftigte Kai Gehring von der Grünen-Fraktion. "Bildungsaufstieg und Chancengleichheit müssen höchste Priorität eingeräumt werden."Das Deutsche Studentenwerk hält eine Aufstockung der Bedarfssätze um "mindestens" zehn Prozent und der Elternfreibeträge um 7,5 Prozent für notwendig. "Bund und Länder müssen rasch eine konkrete BAföG-Novelle vorlegen, damit die seit 2012 überfällige Erhöhung nun endlich zum Wintersemester 2014/2015 kommt."
Auch der sogenannte Beirat für Ausbildungsförderung spricht sich für eine "substantielle Anhebung sowohl der Bedarfssätze als auch der Freibeträge sowie eine Anpassung der Vomhundertsätze und Höchstbeträge nach § 21 Abs. 2 BAföG im Jahr 2014" aus. Das Gremium nimmt im Rahmen des BAföG-Berichts in einem gesonderten Abschnitt zum Thema Stellung. Darin begrüßt der Beirat zwar die absolute Steigerung der Gefördertenzahlen, stellt zugleich aber "mit Sorge fest, dass die Gefördertenquote und auch der durchschnittliche Förderungssatz bei den Studierenden im letzten Jahr leicht gesunken sind".
Regierung in Aktion?
Immerhin: Die neue Regierung aus Union und SPD will beim Thema endlich Nägel mit Köpfen machen. "Eine Weiterentwicklung des BAföG muss kommen", gab Wanka zu Protokoll. In ihrem Rapport heißt es dazu unter Schlussfolgerungen ziemlich unverbindlich und ohne jede weitere Konkretisierung: "Der Bericht zeigt, dass die Weiterentwicklung des BAföG notwendig ist. Die Bundesregierung wird die dafür notwendigen Gespräche unmittelbar aufnehmen." Heißt das im Umkehrschluss, bisher wurde über das Thema nicht gesprochen? Und erklärt das, warum dazu kein Wort im Koalitionsvertrag auftauchte? Angeblich soll das doch nur "aus Versehen" passiert sein. Na was denn nun?
Bei soviel Unklarheiten darf man gespannt sein, was kommt. Beim "freie zusammenschluss von studentInnenschaften" (fzs) ist man jedenfalls skeptisch. Die Regierung "verkauft 'weniger' als 'mehr'" monierte Verbandsvorstand Jan Cloppenburg. "Die Bundesregierung kündigt nichts an, was nicht sowieso unumgänglich ist. Wenn weiter nichts passiert, ist das BAföG kein Breitenförderungsinstrument mehr."
(rw)