Bremser gegen Bremser?Koalitionszoff um BAföG-Novelle
Wie es um die Chancen auf eine baldige Einigung bestellt ist, lassen die neueren Schlagzeilen erahnen: "Konflikt um Bafög-Reform: SPD stellt sich gegen Unions-Pläne", titelte Spiegel Online am Montag. Kontradiktorisch hieß es am Mittwoch bei Die Welt: "Bafög: Union gegen SPD-Vorstoß". Was war passiert? Vorgestern hatte der SPD-Parteivorstand auf seiner Klausurtagung in Potsdam das Thema ganz prominent behandelt und Hoffnungen auf eine große und weitreichende Reform des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) genährt. Es brauche eine "strukturelle" Verbesserung, verlautetet von Generalssekretärin Yasmin Fahimi und Parteichef Sigmar Gabriel setzte nach: "Wir müssen zügig dazu kommen, einen Vorschlag zu erarbeiten."
SPD will Länder entlasten
Langwierige Knobelei: Wann die Regierungsparteien eine Einigung finden werden, bleibt weiter ungewiss
Was die Finanzierung angeht, bleiben die Sozialdemokraten allerdings auf Kriegsfuß mit ihrem Regierungspartner. Während die Union an der Kofinanzierung der staatlichen Leistung durch Bund und Länder nicht rütteln will, drängt die SPD auf eine Entlastung der Bundesländer. Bis dato müssen diese 35 Prozent der Sozialleistung zuschießen, der Löwenanteil von 65 Prozent stammt aus dem Bundeshaushalt. Von ihrer einstigen Maximalforderung, die Kostenteilung gänzlich zu kippen und den Bund die Gesamtausgaben schultern zu lassen, ist die SPD inzwischen zwar abgerückt. Immerhin sollen aber die durch die kommende Novelle anfallenden Mehrkosten allein aus Bundesmitteln finanziert werden.
In dem in Potsdam gefassten Beschluss, liest sich das so: "Der SPD-Parteivorstand bittet deshalb die SPD-Bundestagfraktion gemeinsam mit den SPD-Bildungspolitiker/innen der Länder dafür einen gemeinsamen Vorschlag zu erarbeiten. Dieser Vorschlag muss die Finanzsituation der Bundesländer berücksichtigen und entsprechend eine Finanzierung der anstehenden Bafög-Novelle durch den Bundeshaushalt gewährleisten." Gegenüber Studis Online nannte der SPD-Bundestagsabgeordnete Ernst Dieter Rossmann diesen Schritt "nur konsequent". Man müsse "genau prüfen, wie wir insbesondere die Bedarfssätze und Freibeträge anpassen können, ohne die Länder vor unlösbare Finanzierungsprobleme zu stellen". Rossmann, Sprecher der AG Bildung Forschung in der SPD-Bundestagfraktion, äußerte sich "aber sicher, dass auch die Union in gesamtstaatlicher Verantwortung anerkennt, dass es Länder gibt, die über keine finanziellen Spielräume verfügen, um eine substantielle BAföG-Reform im Rahmen des bestehenden Finanzierungsschlüssels kozufinanzieren".
Union besteht auf Kofinanzierung
Ob er sich da mal nicht täuscht? Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) hat in der Vergangenheit wiederholt gegen das Ansinnen der SPD gewettert: "Das Bafög zahlen wir gemeinsam (…). Das ist so, und das bleibt so." Dies habe man so auch in den Koalitionsverhandlungen entschieden. Das freilich ist schwer nachvollziehbar, weil sich das Thema mit keinem Wort in dem Abkommen wiederfindet – Schuld daran war dem Vernehmen nach ein "Versehen". Fakt ist indes, Wanka genießt die volle Rückendeckung der Unions-Fraktion im Bundestag.
Am Dienstag meldete sich deren bildungs- und forschungspolitischer Sprecher, Albert Rupprecht (CSU), mit einem Plädoyer für den Status quo zu Wort. Das System habe sich "in über 40 Jahren bewährt", erklärte er und weiter: Wer mit der Entlastung der Länder argumentiere, "belastet seinerseits die Zukunft des BAföG, indem er die Zuständigkeit für Entscheidung und Kosten entkoppelt – etwas, das Länder immer dann beklagen, wenn sie selbst betroffen sind". Zudem verwies Rupprecht auf die Schuldenbremse, die auch für den Bund gelte, "der anders als einige Bundesländer mit der Rückzahlung seiner Schulden noch nicht beginnen konnte". Schließlich appellierte der Parlamentarier an die SPD, "an der gemeinsamen Verantwortung für das BAföG keine Zweifel aufkommen zu lassen", daher solle "jeder seine Hausaufgaben für die Zukunft des BAföG erledigen und entsprechend seine Prioritäten bei den Ausgaben setzen".
Monatelange Hängepartie?
All das hört sich nicht so an, als stünden die Verhandlungen kurz vor dem Durchbruch. Im Gegenteil, die augenscheinlich verhärteten Fronten lassen eher eine noch monatelange Hängepartie befürchten. Zu den Aussichten auf eine zügige Lösung befragt, gaben sowohl Rossmann als auch Rupprecht wenig Erbauliches zu Protokoll. "Allerdings hat die SPD durch Ihre Positionierung auf Kosten der Studierenden den Umsetzungsprozess auch in den Gesprächen mit den Ländern sicher nicht beschleunigt", beschied der CSU-Mann Studis Online in einem schriftlichen Statement. Umgekehrt besteht für Rossmann "mit der Union wie auch mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung noch erheblicher Klärungsbedarf über die Ausgestaltung der Reform". Immerhin geht der SPD-Politiker davon aus, "dass wir in der Koalition noch vor dem Sommer über einen konkreten Gesetzentwurf beraten werden", um im nächsten Satz gleich wieder einzuschränken: "Angesichts der notwendigen Abstimmungen in der Koalition wie mit den Ländern wäre die Nennung konkreter Zeitpläne jedoch verfrüht."
Die vom BAföG abhängigen Schüler und Studierenden kommt jeder Tag, den sie länger auf eine Novelle warten müssen, teuer zu stehen. Die letzte "Reform" von 2010 bescherte ihnen im Schnitt zwölf Euro mehr und seitdem hat sich das tägliche Leben inflationsbedingt extrem verteuert. Verbände und Gewerkschaften verlangen deshalb einen satten Aufschlag von bis zu zehn Prozent bei den Bedarfssätzen und Elternfreibeträgen. In Verbindung mit strukturellen Veränderungen wie etwa der Förderung für Teilzeitstudierende und der Anpassung an die Erforderlichkeiten des Bachelor-Master-Studiensystems könnten sich laut Deutschem Gewerkschaftsbund (DGB) Mehrinvestitionen von 1,5 Milliarden Euro ergeben.
Verzögerungstaktik
Dass am Ende ein so großer Wurf herumkommt, erscheint jedoch ziemlich zweifelhaft. Laut Presseberichten kalkuliert die Bundesregierung lediglich mit einem "dreistelligen Millionenbetrag". Erst in der Vorwoche musste sie in ihrem neuesten BAföG-Bericht einen historischen Ausgabenhöchstwert von 3,34 Milliarden Euro für das Jahr 2012 vermelden. Für ausgelassene – nicht nur geheuchelte – Freude, insbesondere im Haus Wanka wie dem von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), hat das gewiss nicht gesorgt. Zumal die weiterhin gestiegenen Studierendenzahlen für 2013 und das laufende Jahr neuerliche Kostenrekorde erwarten lassen. Man darf sich deshalb sicher sein, dass Kassenwart Schäuble all seine Macht in die Waagschale werfen wird, die anstehende Reform klein zu halten und so lange hinauszuzögern wie nur irgend möglich.
Allerdings muss sich die SPD fragen lassen, warum sie den Bremsern von CDU/CSU mit ihrem Beharren auf eine neue Finanzarchitektur auch noch in die Hände spielt. Würde sie davon abrücken, wäre die Kuh vom Eis und die Union am Zug, endlich in ernsthafte Verhandlungen zu treten. Solange die SPD das nicht macht, ist es ein Leichtes für Wanka und Co., dem Koalitionspartner den schwarzen Peter unterzujubeln. Warum also gibt Parteichef und Vize-Kanzler Gabriel den Prinzipienreiter? Will er womöglich nur selbst hinhalten und ist die Parole von der "BAföG-Partei SPD", die er am Montag in Potsdam von neuem ausgab, nur ein Ablenkungsmanöver?
Gabriel lässt eindampfen
Dazu würde folgende Episode passen: Wie es heißt, sollen die "Schlussfolgerungen" in besagtem BAföG-Bericht auf Betreiben Gabriels nach einem wochenlangen koalitionsinternen Gezerre auf am Ende zwei dürre Sätzchen eingedampft worden sein, die da lauteten: "Der Bericht zeigt, dass die Weiterentwicklung des BAföG notwendig ist. Die Bundesregierung wird die dafür notwendigen Gespräche unmittelbar aufnehmen." Unkonkreter geht es nicht, aber das war wohl mal anders. Ursprünglich soll dort noch die Rede von einer "substantiellen" Erhöhung von Bedarfssätzen und Freibeträgen gewesen sein. Weitere Empfehlungen sollen in der Nacht vor Veröffentlichung der Zensur zum Opfer gefallen sein, angeblich aus Rücksichtnahme seitens der SPD auf die Befindlichkeiten der Bundesländer. Das erinnert stark an das "versehentliche" Verschwinden des BAföG-Themas aus dem Koalitionsvertrag.
Die Sozialdemokratie stellt gegenwärtig neun Ministerpräsidenten und sitzt in Baden-Württemberg mit den Grünen in einem weiteren Regierungsboot. Geht von den zehn SPD-Bastionen möglicherweise die Ansage: "Bloß nichts überstürzen" aus? Wie man hört, könnte es mit der "zügigen" Reform dann auch noch ein bisschen dauern. So sei wohl auch wegen der Einbindung des Bundesrates in der Frage wahrscheinlich nicht mit einem Inkrafttreten zum Wintersemester 2014/15 zu rechnen. Das würde mindestens ein weiteres Jahr ohne BAföG-Aufschlag bedeuten.
Sündenbock Wanka
Bei den Jusos in der SPD hat man dennoch Gewissheit, wer die Bösen sind. "Der Bund muss zu seiner Verantwortung stehen und die Finanzierung einer Reform durch den Bundeshaushalt gewährleisten – oder die Länder in eine Lage versetzen, in der sie ihren Teil beitragen können", meinte am Mittwoch Katharina Kaluza vom Bundesvorstand der Juso-Hochschulgruppen auf Anfrage von Studis Online. "Da wird Frau Wanka liefern müssen. Im Moment versucht die Bundesbildungsministerin mit dem Verweis auf die Länder, den Novellierungsprozess auszubremsen." Wenn das mal nicht nur die halbe Wahrheit ist.
(rw)
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