Achtung!BAföG-Datenabgleich führt wieder zu mehr Überprüfungen
Von Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht Eberhard Zeeb, München (www.gemeinschaftskanzlei.de)
Wer Vermögen vor dem BAföG-Antrag an andere übertragen hat, sitzt möglicherweise schon in der Falle
Laut einer Auskunft des Studentenwerks München kam es für das überprüfte BAföG-Jahr 2008 in lediglich 475 Fällen zu einer nachträglichen Vermögensüberprüfung für das Folgejahr 2009 aber in immerhin 911 Fällen! Demgegenüber gab es für die Jahre 2004 bis 2008 eine kontinuierliche Abnahme bei den Vermögenskontrollen, die nach wie vor mit einer zeitlichen Verzögerung von etwa drei bis vier Jahren nach Eingang des BAföG-Erstantrags erfolgen und deshalb natürlich auch bei den Rückforderungen.
Die Gründe für diese Trendwende liegen auf der Hand: In den Jahren 2004 bis etwa 2006 war der BAföG-Datenabgleich und waren insbesondere seine möglichen strafrechtlichen Folgen ein Thema, über das in den Medien ausführlich berichtet und in den einschlägigen Internetforen eingehend diskutiert wurde. Anschließend ist es um das Thema stiller geworden, so dass neue Generationen von BAföG-Beziehern die Brisanz falscher oder unvollständiger Vermögensangaben in den BAföG-Antragen nicht mehr wahrgenommen und auch die Belehrungen und Hinweise in den seit 2014 gebräuchlichen BAföG-Anträgen wohl nicht besonders ernst genommen haben.
Besonders auffallend ist die offenkundig wieder zunehmende Unkenntnis, dass im Wege des Datenabgleichs auch Rückschlüsse auf Vermögenswerte möglich sind, die zwar zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht mehr vorhanden waren, wohl aber noch einige Wochen oder Monate zuvor und dass auch dieses Vermögen einer nachträglichen (fiktiven) Vermögensanrechnung zugrunde gelegt werden kann, sofern der Antragsteller nach Ansicht des Bafög-Amtes rechtsmissbräuchlich darüber verfügt haben sollte.
In welchen Fällen der Verdacht eines derartigen Rechtsmissbrauchs entstehen kann, welche verwaltungsrechtlichen und strafrechtlichen Konsequenzen hieraus erwachsen können und bei welchen Fallkonstellationen eine Rückzahlung und/oder eine strafrechtliche Sanktion vermieden werden kann, wird nachfolgend auf der Grundlage einer nunmehr zehnjährigen sowohl verwaltungs-als auch strafrechtlichen Befassung mit dem Thema Datenabgleich aufgezeigt werden.
Wie der Verdacht entsteht…
Die Rechtsfigur der sogenannten rechtsmissbräuchlichen Vermögensverfügung- bzw. Übertragung geht zurück auf eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 1983 (Az. 5 C 103/80). Rechtsmissbrauch bedeutet, dass auch Vermögen – fiktiv – angerechnet wird, welches vor Antragstellung unentgeltlich oder ohne gleichwertige Gegenleistung auf Dritte übertragen worden ist. In den aktuellen BAföG-Anträgen (Rz 118) wird nochmals ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine rechtsmissbräuchliche Vermögensübertragung dann vorliegt, wenn Vermögenswerte
in zeitlichem Zusammenhang mit der Aufnahme der förderungsfähigen Ausbildung bzw. der Stellung des Antrags auf Ausbildungsförderung,
unentgeltlich oder ohne gleichwertige Gegenleistung an Dritte, insbesondere an Eltern oder Verwandte übertragen werden.
Die Rechtsfigur bedeutet eine Abweichung vom gesetzlich bestimmten Stichtagsprinzip, das in § 28 BAföG geregelt ist, was jedoch durch die Verwaltungs- und Verfassungsgerichtsrechtsprechung bislang nicht beanstandet worden ist.
Letzteres gilt auch für die gängige Praxis der BAföG-Ämter, einen „zeitlichen Zusammenhang“ zwischen Antragstellung und Vermögensverfügung auch dann zu bejahen, wenn zwischen Verfügung und Antragstellung Zeiträume von deutlich länger als 6 Monaten liegen. So hat der VGH München (Urteil vom 23.04.2008, Az.: 12 B 06.1397) in einer zeitlichen Distanz zwischen Verfügung und Antragstellung von 9 Monaten kein Hindernis für eine Vermögensanrechnung gesehen.
Letztlich wird hier äußerst pragmatisch vorgegangen und der geforderte zeitliche Zusammenhang stets dann bejaht, wenn die Vermögensverfügung noch im Jahr der Antragstellung erfolgt ist, die Kapitalerträge im Wege des Datenabgleichs daher für dieses Jahr noch festgestellt werden können. Umgekehrt würde bei einer Antragstellung beispielsweise im März des Jahres 2014 eine unter dem Verdacht des Rechtsmissbrauchs stehende Vermögensverfügung vom Dezember des Vorjahres im Datenabgleich für das Jahr 2014 nicht aufscheinen und bliebe unentdeckt, obgleich hier ein sehr enger zeitlicher Zusammenhang zwischen Vermögensverfügung und Antragstellung bestünde.
Abgesehen von wenigen Ausnahmen, in denen ein konkreter Verdacht besteht, orientieren sich die BAföG-Ämter ausschließlich an der Auswertung des Datenabgleichs, bei dem erstmalig für den Betroffenen ein Zinsertrag von mehr als 100,00 € festgestellt wird. Eine Nachforschung auch für Jahre vor der ersten Antragstellung kommt praktisch nicht vor. Es ist an dieser Stelle auch einzuflechten, dass im Datenabgleich ausschließlich erzielte und freigestellte Zinsen erfasst werden, nicht jedoch Kapitalerträge, für die kein Freistellungsauftrag erteilt wurde und für die erst im Rahmen einer Steuererklärung die entsprechenden Freibeträge geltend gemacht werden. Eine hundertprozentige Garantie hierfür gibt es zwar nicht, da die BAföG-Ämter im sogenannten „Kontenabrufverfahren“ die Stammdaten der Kunden sämtlicher Banken in Deutschland (nicht jedoch die Kontenstände im Einzelnen!) abrufen können.
Es gab auch Fälle, in denen die Staatsanwaltschaft, meistens auf Veranlassung des BAföG-Amtes, die jeweiligen Kontenstände auch für zurückliegende Zeiträume ermittelt. Die Banken sind hier zur Auskunft gegenüber der Staatsanwaltschaft verpflichtet. Hierzu kommt es in der Regel jedoch nur in konkreten Verdachtsfällen oder dann, wenn der Betroffene den Kopf in den Sand steckt und auf die Nachfragen des BAföG-Amts nicht (mehr) reagiert.
Wie man sich gegenüber dem BAföG-Amt verhält…
Wie lässt sich nun erfolgversprechend dem Verdacht entgegentreten, eine Vermögensverfügung vor Antragstellung sei rechtsmissbräuchlich gewesen?
Zum einen kann ein Rechtsmissbrauch insbesondere dann nicht vorliegen, wenn zum Zeitpunkt der Vermögensübertragung noch nicht absehbar war, dass der Auszubildende studieren und Ausbildungsförderung beantragen würde. Es fehlt dann an einem kausalen Zusammenhang zwischen Vermögensübertragung und beabsichtigter Beantragung von Ausbildungsförderung. Wer beispielsweise eine bereits begonnene Berufsausbildung spontan abbricht und sich kurz darauf einem akademischen Studium zuwendet und diesen Sachverhalt möglichst detailliert und glaubhaft darlegt, muss sich, auch bei einer relativ kurz vor der Antragstellung vorgenommenen Zuwendung ohne Gegenleistung – etwa an ein Familienmitglied zur Überbrückung einer finanziellen Notlage –, nicht vorhalten lassen, diese Schenkung sei rechtsmissbräuchlich gewesen.
Das zentrale Argument gegen den Rechtsmissbrauchs-Verdacht ist die Darlegung, dass die Vermögensübertragung eben nicht unentgeltlich sondern gegen eine angemessene Gegenleistung vorgenommen wurde. So ist etwa die Übernahme von Kosten für die grundlegende Renovierung einer im Eigentum der Eltern stehenden Wohnung durch den Auszubildenden dann nicht rechtsmissbräuchlich, wenn er als Gegenleistung mietfrei in dieser Wohnung während der maßgeblichen Ausbildungsdauer wohnt und der Wohnwert – fiktive Monatsmiete – in einem angemessenen Verhältnis zu den übernommenen Renovierungskosten stehen.
Aufschlussreich ist auch hier die bereits zitierte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 13.01.1983 (5 C 103/80). Das Gericht hat hier detailliert ermittelt, in welchem Umfang für die Kostenübernahme eine Gegenleistung vorliegt und in welchem Umfang nicht. D.h., eine Vermögensübertragung kann teilweise rechtsmissbräuchlich und teilweise nicht rechtsmissbräuchlich sein. Dies wird durch die BAföG-Ämter und auch durch die Verwaltungsgerichte (z.B. Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 25.03.2010, Az.: 4 ME 38/10) teilweise übersehen.
Rechtsmissbrauch liegt natürlich auch dann nicht vor, wenn vor der Antragstellung zivilrechtlich wirksame und vom Betroffenen nachgewiesene Verbindlichkeiten im Sinne von § 28 Abs. 3, Satz 1 BAföG etwa aus Darlehen oder aus einem Treuhandverhältnis zurückgezahlt wurden. Insoweit kann beispielsweise auf diesen Beitrag Bezug genommen werden.
…und wie gegenüber Polizei und Staatsanwaltschaft
Verwaltungsrechtlich ist die Verteidigung gegen den Verdacht, rechtsmissbräuchlich verfügt zu haben, vielfach nicht besonders erfolgversprechend, da der Betroffene hier glaubhaft machen und damit gewissermaßen beweisen muss, daß ein Rechtsmissbrauch nicht vorliegt. In strafrechtlicher Hinsicht sieht es jedoch deutlich besser aus, da hier der Zweifelsgrundsatz („in dubio pro reo“) gilt und dem Betroffenen der vorgeworfene Betrug in vollem Umfang sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht (bedingter Vorsatz) nachgewiesen werden muss.
Je umfassender sich nun allerdings der Betroffene im Verwaltungsverfahren geäußert hat, ohne damit Erfolg gehabt zu haben, desto mehr Material hat die Staatsanwaltschaft, seine Einlassungen, denen ja bereits das BAföG-Amt keinen Glauben geschenkt hatte, als Schutzbehauptungen zu qualifizieren, was als Tatnachweis für einen Betrug bereits ausreichen kann. Es nützt dann auch nichts mehr, wenn der Betroffene im Strafverfahren von seinem Schweigerecht Gebrauch macht, da der gesamte Inhalt der BAföG-Akte strafrechtlich verwertbar ist. Es ist daher ganz wichtig, bereits vor Abgabe der ersten Stellungnahme gegenüber dem BAföG-Amt im Auskunftsverfahren zu prüfen und zu entscheiden, ob es wirklich erfolgversprechend ist, sich gegen die Rückzahlung zur Wehr zu setzen oder ob es sich nicht doch empfiehlt, sich gleich auf die Vermeidung einer strafrechtlichen Verurteilung zu konzentrieren!
Stellt sich somit die Vermögensanrechnung als nicht vermeidbar dar, sollte die vor Antragstellung erfolgte Vermögensverfügung lediglich dokumentiert und nicht erläutert werden. Das BAföG-Amt erkundigt sich zwar stets nach dem Verbleib der zum Stichtag nicht mehr vorhandenen Vermögenswerte, begnügt sich jedoch in aller Regel mit der Erklärung, dass eine BAföG-unschädliche Vermögensverfügung nicht dokumentiert werden kann und dass mit einer Vermögensanrechnung (auch) hinsichtlich des zum Stichtag nicht mehr vorhandenen Vermögens Einverständnis besteht. Damit anerkennt der Betroffene zwar seine verwaltungsrechtliche Rückzahlungsverpflichtung, jedoch ohne sich strafrechtlich selbst zu belasten.
Wird in der hier empfohlenen Art und Weise gegenüber dem BAföG-Amt verfahren und wird gegenüber Polizei und Staatsanwaltschaft vom Schweigerecht Gebrauch gemacht, kann in der Regel ein Tatnachweis nicht geführt werden, zumal es sich bei dem durch die Vermögensverfügungen begünstigten Personenkreis meistens um Familienangehörige handelt, die ihrerseits ein Zeugnisverweigerungsrecht haben und daher nicht gegen ihren Willen als Zeugen „in die Mangel“ genommen werden können.
Auch der Hinweis in den BAföG-Anträgen (TZ 180), wonach Vermögenswerte auch dann dem Vermögen zuzurechnen sind, wenn sie rechtsmissbräuchlich übertragen wurden, verschlechtert die aufgezeigte Beweislage nicht zulasten der Betroffenen. Zum Nachweis des Betrugs müsste auch hier auch hier zum einen nachgewiesen werden, dass die Vermögensverfügung objektiv rechtsmissbräuchlich gewesen ist und zum anderen, dass dies dem Betroffenen bereits bei Antragstellung bewusst gewesen ist. Des Weiteren ließe sich einwenden, dass eine „rechtsmissbräuchliche Vermögensverfügung“ aufgrund der Abweichung dieser Rechtsfigur vom gesetzlich normierten Stichtagsprinzip (maßgeblich danach allein der Zeitpunkt der Antragstellung) wegen eines Verstoßes gegen das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot (Artikel 103, Abs. 2 Grundgesetz) eine Verurteilung wegen Betrugs nicht zu tragen vermag.