Zwei Prozent plus X„BAföG-Partei SPD“
Studis Online: Ende Mai haben sich die Regierungsparteien von Union und SPD auf die Verteilung der im Koalitionsvertrag angekündigten sogenannten Bildungsmilliarden verständigt. Es geht um insgesamt neun Milliarden Euro, die bis Ende der Legislaturperiode zusätzlich für Kitas, Schulen, Hochschulen und außeruniversitäre Forschung mobilisiert werden sollen. Am vergangenen Mittwoch und damit nur eine Woche später hieß es dann, die erste Tranche des Gesamtpakets – die für 2014 vorgesehenen 500 Millionen Euro – werde aus Spargründen vom Finanzminister einbehalten. Wo bleibt da die Verlässlichkeit?
Unser Interviewpartner Ernst Dieter Rossmann ist Sprecher der AG Bildung und Forschung der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag und Sprecher der SPD-Landesgruppe Schleswig-Holstein
Ernst Dieter Rossmann: Dass diese 500 Millionen Euro überhaupt schon für das laufende Haushaltsjahr verbucht wurden, war zuallererst als ein starkes symbolisches Zeichen zu verstehen, dass es die Koalition wirklich ernst meint mit dem Vorhaben, substanziell in Bildung und Forschung zu investieren. Wenn das Geld jetzt nicht länger im Finanzhaushalt 2014 veranschlagt ist, bedeutet dies ja keinesfalls, dass es damit verloren ist. Es wäre ohnehin schwierig gewesen, in nur einem halben Jahr neue Projekte im Umfang von einer halben Milliarde Euro anzustoßen. Entscheidender ist es, dass wir bis zum Ende der Legislaturperiode die avisierten sechs Milliarden Euro für Kitas, Schulen und Hochschulen sowie die drei Milliarden Euro für die außeruniversitäre Forschung zur Auszahlung bringen. Von daher ist der Vorgang erst einmal von keiner großen Dramatik.
Soll heißen, Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) fehlt das Geld erst einmal nicht, weil sie damit auf die Schnelle gar nichts hätte anfangen können?
Wie gesagt: Das Geld ist nicht futsch, es wird lediglich später, im Laufe der kommenden drei Haushaltsjahre verausgabt.
Gefallen wird Ihnen das aber nicht, oder? An einem Tag verkündet die Regierung die große Bildungsoffensive und tags darauf gibt es schon das erste „Aber“.
Wie mein Parteikollege Swen Schulz ja schon herausgestellt hat, hat das globale Haushaltsgebaren der Vorgängerregierung erhebliche Finanzlücken hinterlassen, die es zunächst einmal zu schließen gilt. Das ist nicht schön, muss aber sein. Aber noch einmal: Die 500 Millionen Euro werden fließen und unseren Bildungseinrichtungen zugute kommen.
Sie und ihre Partei sind 2013 zur Bundestagswahl angetreten, schnellstens eine Novelle des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) auf den Weg zu bringen. Nach der Einigung der Koalitionäre wird es die erst 2016 geben, also sechs Jahre nach der letzten. Stellt Sie das Ergebnis zufrieden?
Nein.
Warum nicht?
Weil seit der letzten Reform dann in der Tat zu viel Zeit verstrichen sein wird. Ich finde schon, dass wir künftig zu einem zeitnäheren Rhythmus gelangen müssen, was die Anpassung der Förderung an die veränderten Lebenshaltungskosten und gewandelten Studienbedingungen betrifft. Sechs Jahre sind zu lang, aber es war in den Verhandlungen nicht mehr rauszuholen.
Woran hat es gelegen?
In Sachen BAföG wird weiterhin um jeden Cent gefeilscht – auch wenn der Bund sich zukünftig nicht auch noch mit den Ländern um die Finanzierung streiten muss.
Weil der Finanzkorridor von vornherein sehr schmal geschneidert worden ist. Sechs und drei Milliarden Euro sind eine stattliche Summe. Und wenn ich auch sage, damit ist das Glas halb voll, fehlt eben immer noch die andere Hälfte. Die SPD konnte sich in dieser Frage bei den Koalitionsverhandlungen leider nicht so durchsetzen, wie es von der Sache her wünschenswert gewesen wäre.
Immerhin soll jetzt überhaupt eine Novelle kommen, nachdem über drei Jahre darum gestritten worden war. Wäre ohne die SPD vielleicht gar nichts passiert?
Das ist spekulativ. Bildungsministerin Wanka hatte sich ja vor der Bundestagswahl sehr weit aus dem Fenster gelehnt und ziemlich ins Blaue hinein – weil bar jeder finanziellen Unterfütterung – eine umfassende Reform bis hin zur Förderung von Teilzeitstudierenden versprochen. Soll ich nun glauben, dass das alles nicht ernst gemeint war? Für meine Partei war es auf alle Fälle ein ganz wichtiger Punkt, dass es eine BAföG-Reform in dieser Wahlperiode gibt. Ich will dem Koalitionspartner aber nicht unterstellen, dass er die gar nicht gewollt hat.
Ihr Fraktionschef Thomas Oppermann nannte die Verständigung eine „hervorragende Lösung“, Gewinner seien die jungen Menschen im Land und die SPD wäre die „BAföG-Partei in Deutschland". Muss man bei dem für Ihre Partei doch eher mauen Ergebnis so dick auftragen?
Was den Punkt „BAföG-Partei“ angeht, müssen wir uns überhaupt nicht zurückhalten. Historisch gab es für meine Partei immer eine klare Linie, angefangen mit der Gründung des BAföG Anfang der 1970er Jahre unter Willy Brandt über die folgenden Jahrzehnte bis zum heutigen Tag. Der Finanzkorridor, der jetzt für die kommende Novelle aufgemacht wurde, ist meines Erachtens verbesserungswürdig. Was am Ende bei der Reform herausspringt, wird auch von der Finanzentwicklung der folgenden Jahre abhängen. Von daher bin ich mit Beurteilungen nach dem Motto, „alles ist hervorragend“, vorsichtig. 500 Millionen Euro, die in Zukunft mindestens pro Jahr mehr für das BAföG bereitstehen sollen, sind eine Menge Geld und ein guter Anknüpfungspunkt. Aber wir werden noch einmal überlegen müssen, ob wir daraus nicht noch mehr machen können.
Mal Hand aufs Herz: Wäre Ihre Partei in der Opposition, würden Sie das Ergebnis doch in Bausch und Bogen verdammen, oder nicht?
Ich verdamme nichts, wenn wir 500 Millionen Euro plus X für eine BAföG-Reform mobilisieren können, und ich jubiliere auch nicht, wenn ich weiß, an welche Grenzen wir bei dem Unterfangen stoßen. Daher kann ich auch nur dafür werben, mit Ehrlichkeit die jungen Menschen davon zu überzeugen, dass es eine bemerkenswerte Leistung ist, beim BAföG nachzulegen.
Es heißt, die Reform kommt spätestens zum Wintersemester 2016/17, vielleicht sogar eher. Wie stehen die Chancen für einen früheren Vollzug? Denn bliebe es bei der Planung, hätten am Ende zwei ganze Bachelor-Generationen ohne jede BAföG-Aufbesserung studiert.
Ich bin Realist genug, um nicht an eine frühere Umsetzung zu glauben. Es muss jetzt um eine qualitativ und quantitativ bestmögliche Reform für 2016 gehen. Wir sollten deshalb nichts überstürzen. Um das Optimum in den jetzt anstehenden Verhandlungen herauszuholen, müssen wir uns auch ein wenig Zeit nehmen. Was ich den ohne BAföG-Plus bleibenden Studierenden sagen möchte: Einerseits ist es gut, dass es das BAföG seit über 40 Jahren durchgehend gibt und auch die heutige Studierendengeneration davon profitiert – das ist keine Selbstverständlichkeit. Andererseits muss die Politik dahin kommen, die Bildungsfinanzkorridore so aufzubauen, dass das BAföG in Zukunft kontinuierlich weiterentwickelt wird.
Kritiker zweifeln, dass die besagten 500 Millionen Euro für eine umfassende Reform ausreichen werden, insbesondere was die Höhe der Anpassung bei Bedarfssätzen und Freibeträgen angeht. Welche Größenordnung peilt die Regierung an und was will die SPD erreichen?
Zahlen zu nennen, bevor die konkreten Verhandlungen losgegangen sind, wäre nicht zielführend. Soviel muss allerdings klar sein: Es braucht eine substanzielle Verbesserung. Und nicht substanziell wäre eine Erhöhung bei Bedarfssätzen und Freibeträgen, die sich um zwei Prozent bewegt …
… soviel gab es bei der letzten Novelle 2010.
Darüber müssen wir hinausgehen, nach Möglichkeit deutlich.
Verbände wie das Deutsche Studentenwerk (DSW) und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) haben schon für das laufende Jahr einen BAföG-Zuschlag von zehn Prozent gefordert. 2016 müssten es laut DGB-Bildungsexperte Matthias Anbuhl sogar „mindestens 15 Prozent“ sein.
Eine Anpassung muss sich auf dem Niveau der allgemeinen Einkommens- und Lohnentwicklung und jener der Renten bewegen …
… aber Rentner und Beschäftigte müssen nicht sechs Jahre nachholen.
BAföG-Entwicklung
Im BAföG-Bericht 2012 (siehe unser Bericht dazu) wird mit Basisjahr 1998 vorgerechnet, dass das BAföG durch die Anpassungen 2008/2010 stärker gestiegen wäre als die Inflation. Das ist zwar richtig – aber man beachte die Wahl des Basisjahres. Nimmt man (wie im genannten Artikel von uns gezeigt) das Basisjahr 1991, so war das BAföG im Jahr 2010 gerade der Preisentwicklung gefolgt. Und es ist nicht so, dass BAföG-EmpfängerInnen 1991 in Saus und Braus leben konnten (1998 allerdings noch viel weniger).
Es gibt aber Stimmen, die sagen, das BAföG sei der allgemeinen Entwicklung bei Löhnen und Einkommen vor 2010 vorausgeeilt. Deshalb wäre nach Meinung mancher Experten eine BAföG-Anpassung auch jetzt erst und nicht schon vor zwei Jahren erforderlich gewesen, wie besagte Verbände meinen. Deshalb halte ich Vorstellungen, zehn und mehr Prozent draufzusatteln, für etwas sehr weltfremd.
Weil so etwas mit der Union nicht zu machen sein wird oder weil Sie das selbst nicht wollen?
Eine BAföG-Anpassung von zehn oder gar 15 Prozent will auch die Sozialdemokratie nicht.
Was soll die kommende Novelle noch bringen?
Es wird darum gehen müssen, wie man die Bachelor-Master-Lücke schließt, wie man die Förderung an die Erfordernisse von Alleinerziehenden und Familien anpasst, ob und wie weit man die Altersgrenzen beim BAföG-Bezug heraufsetzt bis hin in mittlere und höhere Altersschichten. Und man wird darüber diskutieren, ob und zu welchem Grad Teilzeitstudien förderfähig werden. Neben der klassischen BAföG-Politik – also Anpassung von Fördersätzen – wird es also ganz entscheidend um eine Modernisierung des Systems gehen müssen.
Ab 2015 soll der Bund die BAföG-Kosten alleine schultern, während der Bund bisher 65 Prozent und die Länder 35 Prozent beisteuern. In diesem Punkt hat sich SPD durchgesetzt. Was ist so gut an der Regelung?
Dass es künftig eine klare Souveränität des Bundes geben wird, ein Sozialleistungsgesetz im Bildungsbereich entscheiden zu können. Andererseits gäbe es damit ein Element weniger in der gemeinsamen Bund-Länder-Verantwortung für Bildung und Forschung mit der möglichen Konsequenz radikaler Umstellungen bei der Ausbildungsförderung. Ich halte diese Gefahr allerdings nicht für allzu groß. Die Auftragsverwaltung in der Administration des BAföG verbleibt auch weiterhin bei den Ländern, damit bleibt auch die Zustimmungspflicht des Bundesrates erhalten. Natürlich werden die Länder, sobald sie nicht mehr mitbezahlen, kommende Reformen nicht mehr im Detail mitbestimmen können. Sie werden aber eine Art Veto- oder Schutzrecht über das BAföG behalten.
Aber ganz ohne Risiko ist das nicht. Angenommen die Union stellt irgendwann die Alleinregierung, könnte sie das BAföG dann nicht entscheidend verschlechtern? Zur Erinnerung: Ex-Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) wollte schon einmal dahin kommen, die Förderung auf ein Volldarlehen umzustellen.
Erstens wird die Union so bald nicht alleine regieren. Zweitens ist das BAföG, auch dank der Beharrlichkeit der SPD, heute in der Mitte von Politik und Gesellschaft stärker verankert, als das noch vor acht oder neun Jahren der Fall war. Wer an diesem Konsens rütteln will, hat nach meiner Wahrnehmung inzwischen auch in Reihen von CDU und CSU keine Chance.
So sehr gefestigt das BAföG momentan erscheinen mag, so sehr spielt sich das sogenannte Deutschlandstipendium und damit ein Element individueller Studienförderung ohne sozialen Anspruch in den Vordergrund – auf Betreiben der Union. Im SPD-Wahlprogramm wurde noch die rasche Abschaffung des Instruments verlangt. Lässt die Union in dem Punkt überhaupt mit sich reden?
Es war einmal das Ziel von Frau Schavan, acht Prozent aller Studierenden damit zu erreichen. Im Koalitionsvertrag wurde festgelegt, die Reichweite bei zwei Prozent zu deckeln. Die Union musste also mächtig abspecken. Das kann sich die SPD durchaus als Erfolg auf die Fahnen schreiben.
Das im Grundgesetz verankerte Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern in Bildungsfragen soll immerhin für die Hochschulen gelockert werden. Gibt es dazu schon konkrete Überlegungen?
Es wird sich zeigen müssen, ob und inwieweit der Bund künftig auch dauerhaft in die Hochschulen wird investieren können. Auf alle Fälle sind wir auf einem guten Weg, vergangene Fehler in punkto Hochschulfinanzierung wieder zu beheben. Dass es im Schulbereich bei der alleinigen Länderhoheit bleiben soll, ist dem Starrsinn der CSU geschuldet, mit der CDU alleine wäre vielleicht mehr drin gewesen. Aber wir werden auch hier beim Werben und Überzeugen nicht nachlassen.
Soll und wird der Bund in die Grundfinanzierung der Hochschulen einsteigen? Oder wird er sein Geld lediglich projektbezogen verteilen?
Das ist noch nicht ausgemacht. Mit der anstehenden Grundgesetzänderung wird beides möglich sein, sowohl die Beteiligung an der Grundfinanzierung als auch projektbezogene Unterstützung. Was dann genau passiert, steht auf einem anderen Blatt. Ob der Bund in die Grundfinanzierung einsteigt oder ob es nicht klüger ist, beispielsweise Programme für wissenschaftlichen Nachwuchs dauerhaft zu unterstützen, das ist eine Frage der Sachpolitik und nicht der Verfassung.
Was wäre Ihnen lieber?
Man muss fragen, wie nachhaltig eine Beteiligung an der Grundfinanzierung sein kann und ob man nicht bessere Steuerungsimpulse setzen kann – etwa durch gezielte Nachwuchsförderung, Frauenförderung oder die Förderung von Forschungsexzellenz. Dass wir als Bund etwas tun können und müssen in der Breite aller Hochschulen, steht außer Frage. Und dieses Feld ist jetzt neu geöffnet.
(rw)