Chance auf Realisierung?Dynamische Erhöhung des BAföG
Von Janna Degener
Kritik am Status Quo
Der Paragraph 35 des Bundesausbildungsförderungsgesetz sieht vor, dass die Bedarfssätze und Freibeträge alle zwei Jahre überprüft und ggf. durch Gesetz neu festgelegt werden. Dabei ist der „Entwicklung der Einkommensverhältnisse und der Vermögensbildung, den Veränderungen der Lebenshaltungskosten sowie der finanzwirtschaftlichen Entwicklung Rechnung zu tragen.“ Tatsächlich werden alle zwei Jahre so genannte BAföG-Berichte erstellt, doch Gesetzesänderungen finden nur deutlich seltener statt: 2001, 2008 und 2010 gab es Reformen, die nächste (25.) BAföG-Novelle soll erst 2016 in Kraft treten. Das bedeutet, dass der tatsächliche Bedarf nicht immer durch die Förderung gedeckt ist und dass ganze Studierendengenerationen ohne BAföG-Erhöhung auskommen müssen.
Von vielen anderen Details abgesehen, war in den letzten Jahren vor allem die unregelmäßige Anpassung des BAföGs Hauptkritikpunkt
Kritiker bemängeln auch, dass die in den Reformen durchgesetzten Verbesserungen angesichts der finanziellen Entwicklungen nicht ausreichen: In der aktuellen BAföG-Novelle zum Beispiel sollen die Ausbildungsförderung um 7 Prozent und der Wohnzuschlag-Höchstsatz um 11 Prozent angehoben werden. Doch diese Verbesserung soll erst ab Herbst 2016 in Kraft treten, während die Verbraucherpreise zwischen dem Jahr der letzten Erhöhung (2010) und dem Herbst 2014 laut Amtlicher Berechnung bereits um rund 7 Prozent gestiegen sind. Dass Studierende ihre Lebenshaltungskosten nicht allein durch das BAföG decken können, zeigt sich möglicherweise auch daran, dass sie nebenbei arbeiten: Laut der Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks ist das bei 63 Prozent der Studierenden der Fall. Das Jobben kann aber das Studieren und das Einhalten der Regelstudienzeiten erschweren.
Befürworter des „dynamischen BAföG“
Schon 2009/2010 forderten unter anderem der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), das Deutsche Studentenwerk (DSW) und der freie zusammenschluss von studentInnenschaften (fzs) deshalb eine dynamische Erhöhung des BAföG, die an der allgemeinen Preis- und Einkommensentwicklung orientiert und im Gesetz festgeschrieben ist. Diese Forderung wird angesichts der aktuellen BAföG-Novelle wieder betont, zum Beispiel in einer Pressemitteilung des Deutschen Studentenwerks (DSW). Auch Einzelgewerkschaften wie die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und ver.di sprechen sich dafür aus, sowie politische Jugendverbände wie die Jungsozialisten, die Junge Union Deutschlands und die Jungen Liberalen. Darüber hinaus sprechen sich ebenso der BAföG-Beirat und das BAföG-Bündnis für eine gesetzlich verankerte dynamische Erhöhung des BAföG aus – und einzelne Politiker wie zum Beispiel Kai Gehring (Bündnis 90/Die Grünen), Sprecher für Hochschule, Wissenschaft & Forschung sowie Mitglied im Bundestagsausschuss für Bildung, Forschung & Technikfolgenabschätzung.
Berechnungsgrundlagen für das „dynamische BAföG“
Einigen müsste man sich noch auf die Berechnungsgrundlage – wobei man dafür nichts neues erfinden muss.
Eine solche gesetzlich verankerte dynamische Erhöhung des BAföG sollte nicht nur an die Inflation, sondern auch an andere Entwicklungen gekoppelt sein, die Studierende finanziell betreffen: Etwa die Höhe von Mieten oder Krankenkassenbeiträgen. Andreas Keller von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) schlägt als Berechnungsgrundlage die Erhebungen des Deutschen Studentenwerks zu den Lebenshaltungskosten von Studierenden, aber auch die Daten des Statistischen Bundesamts zu den Preissteigerungen, vor. Achim Meyer auf der Heyde vom Deutschen Studentenwerk fordert, dass die dynamische Erhöhung auf den bereits vorhandenen BAföG-Berichten beruhen sollte. Die GEW schlägt vor, solch eine Anpassung könne auf Basis eines studentischen Warenkorbes erfolgen. Und Daniel Gaittet vom freien zusammenschluss von studentInnenschaften (fzs) weist darauf hin, dass neben diesen Möglichkeiten auch der Reallohnindex, der auch vom Statistischen Bundesamt berechnet wird, ein diskutabler Bezug sei. Auf diese Weise wird auch die Erhöhung der Diäten von Abgeordneten sichergestellt.
Was spricht für das „dynamische BAföG“?
Die Autorin dieses Artikels
Janna Degener studierte Germanistik und Ethnologie an der Freien Universität Berlin und verbrachte Auslandsaufenthalte in Costa Rica, Syrien, Frankreich und Tansania. Als freie Journalistin beschäftigt sie sich heute besonders mit Bildungs- und Verbraucherthemen. Mehr Infos zu ihr und ihrer Arbeit gibt’s unter jannadegener.wordpress.com
Durch die gesetzlich vorgeschriebene dynamische Erhöhung des BAföG soll gewährleistet werden, dass die Erhöhung der Fördersätze und Freibeträge automatisch – also rechtzeitig – bedarfsdeckend erfolgt. Denn warum sollten Studierende, wenn es um das Decken ihrer Lebenshaltungskosten geht, immer wieder auf Entscheidungen aus der Politik warten müssen? Aus Sicht der Befürworter verspricht die dynamische Erhöhung den Studierenden also Sicherheit und Transparenz, die unabhängig von der aktuellen Regierung und den Parteien im Kabinett ist: „Die Studierenden müssten nicht damit rechnen, dass sie weniger Geld in der Tasche haben, wenn die Preise steigen oder wenn zum Beispiel ihre Eltern aufgrund der Tarifentwicklung mehr verdienen“, erklärt Achim Meyer auf der Heyde vom Deutschen Studentenwerk.
„Es braucht eine sofortige bedarfsdeckende Anhebung der Sätze und zukünftig eine automatische Anpassung an die Inflationsentwicklung. Was für viele Löhne und Gehälter selbstverständlich ist, muss auch für das BAföG endlich gelten!“, äußern sich auch die Jusos und die Juso-Hochschulgruppen in einem Statement. Und Kai Gehring, Sprecher für Hochschule, Wissenschaft und Forschung sagt: „Wir wollen die unbefriedigende und ungerechte Situation beenden, dass mehrere Studierenden-Generationen und viele Jahre ins Land gehen, bevor sich beim BAföG etwas tut. Ein Automatismus mit Indexierung bringt mehr Verlässlichkeit und Transparenz für Schüler, Studierende sowie Eltern und würde die jahrzehntelange gewisse politische Willkürlichkeit von BAföG- Erhöhungsschritten beenden.“
Dazu kommt, dass eine gesetzlich vorgeschriebene dynamische Erhöhung auch den organisatorischen Aufwand der Abgeordneten reduzieren würde, so dass sich die Diskussionen auf andere Fragen, etwa strukturelle Veränderungen des BAföG, konzentrieren könnten. Dem stimmt auch Stephan Albani (CDU/CSU) zu, der als Mitglied des Deutschen Bundestags im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung sitzt: „Ich bin von Hause aus Physiker und sage: ‚Was man in eine Formel packen kann, gibt Sicherheit – a beim Rechnen und b im Leben an sich‘. Natürlich ist es einfach und effektiv, wenn man die Diskussion über die Erhöhung des BAföG nur einmal führen muss, weil man dann eine Berechnungsgrundlage für eine automatische Erhöhung hat.“
Was spricht gegen das „dynamische BAföG“?
Dennoch spricht sich Albani gegen eine gesetzlich verankerte dynamische Erhöhung des BAföG aus: „Was wir bei der Diskussion nicht vergessen sollten: Der Haushalt, der neben dem BAföG viele andere wichtige Leistungen enthält, muss am Ende zum Ausgleich gebracht werden. Wir beschäftigen uns eben auch mit Hochschulpakten, der Finanzierung von Wissenschaft, Exzellenzinitiativen und vielen anderen Dingen und dank der Schuldenbremse dürfen die Ausgaben nicht größer sein als die Einnahmen. Wenn wir Sozialleistungen in dieser Form in Formeln gießen, so dass sie einen gesetzmäßigen Charakter bekommen, dann wird die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung im Rahmen der gesamten Haushaltsplanungen immer weiter gegen null gehen.“ Albani plädiert also dafür, dass die BAföG-Berichte wie bisher einen appellativen Charakter behalten und damit als Grundlage der Haushaltsfestlegung dienen. „Wir orientieren uns daran, müssen aber in der Lage sein, über alle Themenfelder hinweg vernünftige Entscheidungen zu treffen und auf aktuelle Entwicklungen zu reagieren“, sagt Albani. Auch eine Sprecherin des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) betont, dass man sich nicht durch eine gesetzliche Verankerung die Zügel aus der Hand nehmen lassen möchte: „In der Diskussion um diese Forderung gilt es zu bedenken, dass ein Automatismus dem Gesetzgeber den politischen Gestaltungsspielraum für dieses Instrument der Ausbildungsförderung nehmen würde, also auch die Möglichkeit, beispielsweise durch gezielte Anhebungen auf Entwicklungen zu reagieren, die von einem Automatismus nicht erfasst würden. So macht es die bestehende Handhabung für den Gesetzgeber leichter, auf studentische Anliegen einzugehen – wie zum Beispiel aktuell durch die überproportionale Anhebung des Wohnzuschlags im 25. BAföG-Änderungsgesetz.“
Dass die Studierenden von dieser Flexibilität profitieren werden, bezweifeln Kritiker indes. „In der Vergangenheit hat der Gesetzgeber die überfällige BAföG-Anpassung immer wieder über Jahre ausgesessen. Eine automatische BAföG-Erhöhung wäre immer nur ein Mindeststandard, der weitergehende strukturelle Verbesserungen nicht ausschließt“, meint etwa Andreas Keller von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW).
Um die dynamische Erhöhung des BAföG durchzusetzen, fordert Sonja Bolenius vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) sozial gerechte Steuererhöhungen – insbesondere bei Vermögen, hohen Erbschaften und Finanztransaktionen. Und Jana Schneiß vom AStA der Uni Mainz ist der Meinung, dass die Schuldenbremse Bildungschancen zerstört. Andere Kritiker sprechen sich beispielsweise dafür aus, im Sinne der Chancengerechtigkeit eine BAföG-Reform auf Kosten der Förderung von Stipendien durchzusetzen.
(Wann) wird das „dynamische BAföG“ kommen?
Trotz der Kritik am Status quo gehen die Experten davon aus, dass die gesetzlich verankerte dynamische Anpassung des BAföG in dieser Legislaturperiode nicht mehr kommen wird: Denn sie ist im 25. BAföG-Änderungsgesetz nicht vorgesehen. Die Befürworter der „dynamischen Erhöhung“ versuchen dennoch weiterhin, den Druck auf die Politik zu erhöhen, um das Thema wenigstens bei der nächsten Bundestagswahl zu platzieren. Sonja Bolenius vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) wünscht sich dafür eine Solidaritätsbewegung: „Der Anteil der BAföG-Empfänger ist zurückgegangen und es bekommen auch nicht viele Studierende den BAföG-Höchstsatz, so dass die Betroffenheit durch BAföG-Reformen nicht sehr hoch ist. Außerdem gibt es andere Forderungen wie die Abschaffung von Altersgrenzen und die Förderung von Teilzeitstudium und berufsbegleitendem Studium, die teilweise auch in Konkurrenz zueinander stehen. Wir sollten aber alle an einem Strang ziehen.“ Andreas Keller vermutet, dass der Druck auch durch den demographischen Wandel steigen wird: „Wenn sich der Studierendenberg abflacht und wenn man dann die geburtenschwachen Jahrgänge an die Hochschulen locken möchte, was schon in wenigen Jahren der Fall sein kann, dann wird man den jungen Menschen eine verlässliche Studienfinanzierung anbieten müssen.“
Neue Verteilung der Zuständigkeiten – ein gutes Signal?
Durch die aktuelle BAföG-Novelle wird der Bund ab 2015 allein für die Finanzierung des BAföG zuständig sein, so dass Änderungsgesetze nicht mehr der Zustimmung im Bundesrat bedürfen. Ob sich dadurch die Chancen auf eine gesetzlich verankerte dynamische Anpassung des BAföG erhöhen, ist umstritten: Die Sprecherin des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) sagt, dadurch werde „die angemessene Reaktionsfähigkeit des Gesetzgebers mit Blick auf gesamtwirtschaftliche Entwicklungen in Zukunft erleichtert“: „Es ist davon auszugehen, dass dieser Aspekt das parlamentarische Verfahren bei BAföG-Änderungsgesetzen – und damit auch zukünftige Anhebungen – insgesamt vereinfachen und im Einzelfall beschleunigen und so zu einer kontinuierlich verlässlichen Studienfinanzierung beitragen wird.“
Achim Meyer auf der Heyde vom Deutschen Studentenwerk und Andreas Keller von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) gehen davon aus, dass die neuen Zuständigkeiten dem „dynamischen BAföG“ entgegen kommen. Sonja Bolenius vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) allerdings ist skeptisch: „Es stimmt zwar, dass die Länder jahrelang Entwicklungen blockiert haben, weil sie kein Geld hatten. Aber die Erfahrungen aus den 80er Jahren haben auch gezeigt: Wenn eine starke Opposition fehlt, kann es dem BAföG relativ schnell an den Kragen gehen. Die gegenläufigen Mehrheitsverhältnisse im Bund und in der Länderkammer waren da in den letzten Jahrzehnten immer auch ein gewisser Schutz für das BAföG.“