Zu wenig und viel zu spätBundestag behandelt BAföG-Reform
Die Bundestagfraktion der Grünen hat beim Bundesbildungsministerium (BMBF) mit einer Anfrage nachgebohrt, was das Zeitspiel bei der Umsetzung der geplanten Reform an Opfern bringen könnte. Die Antwort birgt einiges an Sprengstoff: Darin räumt die Regierung nämlich ein, dass die Zahl der Geförderten 2016 um rund drei Prozent gegenüber dem Jahr 2015 zurückgehen werde, wenn die Freibeträge bis dahin nicht angehoben werden. Entsprechendes gelte für die Förderperiode 2015/16 verglichen mit 2014/15.
60.000 Sparopfer
Mit der geplanten Umsetzung der BAföG-Reform im Jahr 2016 erlebt eine ganze Studierendengeneration keine BAföG-Anpassung an den realen Bedarf
Der Grünen-Hochschulexperte Kai Gehring hat das in absolute Zahlen umgerechnet. Demnach fallen in den kommenden zwei Jahren rund 60.000 Schüler und Studierende aus der Förderung heraus. Weil die letzte und bis auf weiteres wirksame Novelle aus dem Jahr 2010 auf der Grundlage des damaligen Preis- und Lohnniveaus kalkuliert ist, die Löhne seitdem aber kräftig zugelegt haben, sind die seinerzeit festgelegten Elternfreibeträge von der Zeit lange überholt. Mit jedem Tag, den der Gesetzgeber die Einkommensgrenzen, unterhalb derer man als förderwürdig gilt, nicht anhebt, gehen immer mehr eigentlich Bedürftige ihrer Ansprüche verlustig.
Bundesbildungsministerin Wanka sagte heute im Bundestag, die von den Grünen angegebenen 60.000 seien falsch. Im weiteren Verlauf der Debatten kristallierte sich heraus, dass es wohl um 40.000 gehen müsse. Aber auch das ist eine äußerst unerfreuliche Zahl. Dass Wanka dann auch noch den Grünen die Mitschuld an der späten BAföG-Erhöhung gab (sie seien doch inzwischen an sieben Landesregierungen beteiligt und die Länder seien in näherer Vergangenheit immer die Bremser in Sachen BAföG-Erhöhung gewesen), ist zwar nicht vollkommen falsch. Da der Bund aber ab 2015 die BAföG-Kosten selbst tragen will, könnte er spätestens zum 1. Januar 2015 und nicht erst zum Wintersemester 2016 (also noch 21 Monate später) das BAföG erhöhen.
Grünen-Politiker Gehring äußerte bereits vor der Bundestagsdebatte gegenüber Studis Online: „Die Entlastung beim BAföG schmeckt den Finanzministern der Länder, Schüler und Studierende dagegen müssen eine bittere Pille schlucken“. Weil sie nicht zügig handeln wollten, drängten Union und SPD junge Menschen zu Zehntausenden aus der Förderung heraus. „Das verletzt Chancengerechtigkeit massiv und ist ein schwerer Rückschlag für Schüler, Studierende und deren Eltern, die um die Bildungsfinanzierung bangen.“ Dabei falle die überfällige Erhöhung weiter aus, „obwohl die Bundesregierung sie ab Anfang nächsten Jahres im Alleingang beschließen kann“.
Bund vorm Alleingang
Tatsächlich sollen sich die Bundesländer nach dem Willen der Regierungskoalition ab 1. Januar komplett aus der Finanzierung der Ausbildungsförderung zurückziehen. Der Bund hätte dann nicht nur die finanzielle Alleinverantwortung inne, sondern auch nahezu freie Handhabe über die Ausgestaltung des Instruments. Durch Wegfall des bislang fälligen 35-Prozent-Anteils sparen die Länder insgesamt knapp 1,2 Milliarden Euro. Das Geld soll eigentlich in vollem Umfang in Schulen und Hochschulen fließen. Wegen der chronischen Finanznot der Bundesländer erscheint das aber alles andere als ausgemacht.
So oder so erwartet die Regierung als eine Gegenleistung den Segen der Länder für die geplante Lockerung des im Grundgesetz verankerten sogenannten Kooperationsverbots von Bund und Ländern im Wissenschaftsbereich. Künftig sollen die Hochschulen in gleicher Weise wie außeruniversitäre Forschungseinrichtungen „in Fällen überregionaler Bedeutung“ durch den Bund institutionell gefördert werden können. Nicht alle Länder, vorneweg die Unions-geführten, begrüßen das. Sie wollen die absolute Länderhoheit in Bildungsfragen bewahren. Die SPD-Seite würde es dagegen gerne sehen, wenn das Kooperationsverbot auch bei den Schulen fiele. Über das Thema wird der Bundestag erstmals am Freitag (10.10.2014) beraten.
Reif in 19 Monaten
Das „25. Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes“ jedenfalls soll nach den Vorstellungen der Regierung noch vor Weihnachten beschlossene werden. Dann wird es – bis auf die Entlastung der Länder – erst einmal Ad acta gelegt, für 19 Monate, bevor es ab August 2016 bei Schülern und zum folgenden Wintersemester bei Studierenden greift. Damit hätte es dann sechs Jahre lang keinen Zuschlag bei der Bundesausbildungsförderung gegeben.
Zuletzt war die Förderung im Jahr 2010 um kümmerliche zwei Prozent oder im Schnitt zwölf Euro aufgebessert worden. Nach den Plänen der Koalition werden die Bedarfssätze und Elternfreibeträge um jeweils sieben Prozent erhöht. In puncto Kaufkraft läuft das auf deutliche Einbußen hinaus. Die Inflation hat seit der letzten Novelle bis heute bereits um sieben Prozent zugelegt, in zwei Jahren wird das Leben noch einmal deutlich teurer sein. Vgl. auch unsere Rechenbeispiele.
Zehn Prozent mehr
Darum müssten die Leistungen „noch in diesem Jahr um mindestens zehn Prozent erhöht werden und ein regelmäßiger Inflationsausgleich gesetzlich festgeschrieben werden“, verlangte zu Wochenanfang das sogenannte BAföG-Bündnis, ein Zusammenschluss aus Studierendenverbänden und Gewerkschaften. „Wenn die lang ersehnte Erhöhung tatsächlich erst 2016 kommt, hat eine ganze Studierendengeneration keine BAföG-Anpassung an den realen Bedarf erlebt.“
In dieselbe Richtung geht ein Antrag der Grünen-Fraktion, der ebenfalls im Parlament behandelt wurde, aber keine Aussicht auf Erfolg hat. „Das BAföG muss rauf und zwar sofort. Die Freibeträge müssen um zehn Prozent steigen, damit wieder mehr junge Menschen überhaupt BAföG erhalten – statt massenhaft raus zu purzeln“, bekräftigte Gehring. Ferner gehörten auch die Fördersätze um zehn Prozent erhöht, „um den Kaufkraftverlust der letzten Jahre auszugleichen“.
Bei der Rente hat die Koalition schnell eine relevante Erhöhung beschlossen – beim BAföG dagegen kommt sie erst in zwei Jahren und in zu geringem Umfang. Gehring fasste das in der Bundestagsdebatte knapp zusammen mit „Bei der Rente schnell geklortzt, beim BAföG langsam gekleckert.“
Zurück zum Vollzuschuss?
„Zuerst unterlassene, dann zu späte Hilfeleistung“, beklagte am Mittwoch der freie zusammenschluss von studentInnenschaften (fzs) per Pressemitteilung angesichts von weiteren 60.000 Opfern regierungsamtlicher Kürzungspolitik. „Verlässliche Politik erfordert eine regelmäßige, automatische Erhöhung des BAföG und nicht das Stückwerk der Bundesregierung“, erklärte Verbandsvorstand Isabella Albert. „Letztlich muss das BAföG zu einem eltern- und altersunabhängigen Vollzuschuss ausgeweitet werden. Einschränkungen oder Sanktionen sind abzuschaffen!“ Für Gehring von den Grünen spricht „alles dafür, die Verbesserungen beim BAföG zum Start des nächsten Semesters am 1. April 2015 in Kraft zu setzen“. Daraus wird nach Lage der Dinge nichts. (rw)