Größte Reform aller Zeiten?BAföG-Novelle vom Bundestag verabschiedet
Manchmal geht Gesetzgebung ganz schnell. So wie vor fünf Jahren mit dem „Wachstumsbeschleunigungsgesetz“. Kaum war die damalige Koalition aus Union und FDP vereidigt, machte sie sich ans Werk, der schwächelnden Konjunktur auf die Beine zu helfen. Freuen durften sich vor allem Hoteliers. Für Übernachtungen mussten sie plötzlich nicht mehr wie bisher 19, sondern nur noch sieben Prozent Mehrwertsteuer an den Fiskus abdrücken. Das geänderte Regelwerk wurde im November 2009 vom Regierungskabinett beschlossen, im Monat darauf vom Bundestag eingetütet – und trat zum 1. Januar in Kraft. Ein Profiteur war die Mövenpick-Gruppe. Die hatte den Liberalen im Vorfeld über Umwege 1,1 Millionen Euro überwiesen.
Auf den BAföG-Geldregen müssen Studierende und SchülerInnen noch zwei Jahre warten…
Manchmal geht Gesetzgebung ganz langsam. Die letzte, ziemlich klägliche Reform des Bundesausbildungsförderungsgesetztes (BAföG) gab es 2010, im Schnitt erhielten Bedürftige seinerzeit zwölf Euro mehr. Danach passierte lange nichts, bis auf ein paar Reibereien ums Thema zwischen der vorherigen Koalition, der Opposition und den Bundesländern. Dann, 2013, setzten sich die Streithähne gemeinsam auf die Regierungsbank und stritten erst einmal weiter. Bis zum Sommer dieses Jahres, da endlich tischte Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) ihre Eckpunkte für eine BAföG-Novelle auf. Union und SPD feierten sich selbst, vielleicht auch um zu übertönen, dass ihr Projekt einen Pferdefuß hat: Bis es für die Auszubildenden wirklich mehr Geld gibt, muss noch bis zum Wintersemester 2016/17 gewartet werden.
Erst weniger Geförderte, dann wieder mehr
Von gutem Wein weiß man ja, er muss lange reifen, bis er richtig mundet. Für das „25. Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes“ gilt das irgendwie auch. Je länger es aufgeschoben wird, desto besser ist es, wenn es dann irgendwann einmal kommt. Die Grünen im Bundestag haben ermittelt, dass in den kommenden zwei Jahren 60.000 Schüler und Studierende aus der Förderung herausfallen könnten. Weil die 2010 gültigen Einkommensgrenzen, unterhalb derer man als förderwürdig gilt, von der Zeit – sprich gestiegenem Lohnniveau und Inflation – längst überholt sind und weiter abgehängt werden, gehen immer mehr eigentlich Bedürftige ihrer Ansprüche verlustig.
Die Regierung hält die Berechnungen für unfair, sie kalkuliert genauer: Nur 40.000 fielen bis 2016 aus dem Fördertopf. Schade um sie. Aber vielleicht studieren sie ja in zwei Jahren noch und kommen dann wieder zum Zug. Laut Regierung soll sich der Kreis der Begünstigten künftig um 110.000 Schüler und Studenten ausweiten – ob im Vergleich zum Ist-Zustand oder dem in zwei Jahren, weiß man nicht. Auf alle Fälle relativieren sich bis dahin die avisierten BAföG-Aufschläge. Sieben Prozent mehr bei Bedarfssätzen und Elternfreibeträgen versprächen heute vielleicht spürbare Erleichterungen, wenngleich das die Einbußen der vergangenen vier Jahre nicht wettmachen würde. In zwei Jahren – wenn die Inflation die Preise weiter nach oben getrieben haben wird – ist ein Sieben-Prozent-Plus gegenüber 2010 wenig bis gar nichts. „Nur mit Hilfsmitteln erkennbar“, beklagte im Oktober der „freie zusammenschluss von studenentInnenschaften“ (fzs) und empfahl: „Lupen raus.“
Größte Reform vor allem dank fehlender Anpassungen seit Jahren
Alles eine Frage der Wahrnehmung. Das ist „die größte BAföG-Reform aller Zeiten“, findet der bildungspolitische Sprecher der Unions-Fraktion, Albert Rupprecht. Und hat dafür auch eine schöne große Zahl parat. Auf 825 Millionen Euro beliefen sich die Leistungsverbesserungen pro Jahr. Wie er zu der Hausnummer gelangt, bleibt sein Geheimnis. Die Aufstellung des Haushaltsauschusses gibt sie jedenfalls nicht her. Darin tauchen für 2016 Mehrausgaben von 147 Mio. Euro sowie für 2016 und 2017 von rund einer halben Milliarde Euro auf. Ganz egal, Hauptsache ist und bleibt: Es gibt mehr Geld und das lasse man sich nicht „klein reden“, murrte sein Fraktionskollege Stefan Kaufmann in einem Tweet beim Kurznachrichtendienst Twitter.
Wenn Sie 825 Mio. Euro zusätzlich pro Jahr (trotz schwarzer Null) klein reden wollen. Verstehen muss man das nicht. — Stefan Kaufmann (@StefanKaufmann)
Eine Hinterbänklern der SPD, versteigt sich im Zusammenhang mit der BAföG-Novelle gar zur Aussage, so ginge soziale Gerechtigkeit.
Abstimmung über Bafög-Novelle. Endlich wieder eine Leistungsausweitung! So geht soziale Gerechtigkeit! #dieSPDregiert — Daniela Kolbe (@danielakolbe)
Dazu passt eigentlich nur:
Gute Nachrichten, liebe Studenten.
Eure Kinder werden dereinst mehr Bafög bekommen.
Die Bundesregierung, die machen was. — Herr-Hirn-Himmel (@Viel_Davon)
Es ist durchaus nicht alles schlecht an dem Gesetzeswerk: Mit den höheren Fördersätzen steigt der maximale Fördersatz von derzeit 670 Euro auf 735 Euro. Der Vermögensfreibetrag wird von 5200 Euro auf 7500 Euro heraufgesetzt, der Kinderzuschlag von 113 Euro auf 130 Euro für jedes Kind. Dazu erhöht sich der Wohnzuschuss von derzeit 224 auf 250 Euro. Bei Spitzenmieten von 500 Euro und mehr ist freilich auch das nicht ganz „up to date“. Außerdem steigt die Zuverdienstgrenze von 400 Euro auf 450 Euro. Begrüßenswert sind desgleichen im parlamentarischen Verfahren erzielte Änderungen hinsichtlich der sogenannten BAföG-Lücke. So erhält man bereits eine Förderung für ein Master-Studium im Falle einer nur vorläufigen Zulassung. Zieht sich die Bearbeitung hin, können für die Zeit der Überbrückung bis zum endgültigen Bescheid höhere Abschlagszahlungen als bisher bewilligt werden. Die entsprechenden Regelungen sollen bereits ab August 2015 greifen.
Aber dennoch muss nochmals festgestellt werden: Dass erst Ende 2016 der BAföG-Satz erhöht wird und zwar auch zu wenig, um die Preissteigerungen seit 2010 auszugleichen, bleibt ein Armutszeugnis. Eine ganze Studierendengeneration (6 Jahre) musste ohne jede BAföG-Anpassung auskommen.
Länder können sich über Entlastung freuen
Die vollen BAföG-Kosten übernimmt der Bund bereits ab Januar 2015, während der bisherige 35-Prozent-Anteil der Länder entfällt. Die freiwerdenden Mittel sollen die Länder eigentlich in die Hochschulen stecken, müssen sie aber nicht. Hamburg und Schleswig-Holstein wollen das Geld stattdessen den Schulen zugutekommen lassen, Niedersachsen nur den Kitas. Ministerin Wanka sieht das nicht gerne, weil „die Grundintention war, die Grundfinanzierung der Hochschulen zu stärken“, sagte sie im Deutschlandfunk. Bleibt das Prinzip Hoffnung. Wanka baut darauf, dass die Bundesländer die Spielräume für mehr wissenschaftliches Personal nutzen. „Sie haben dauerhaftes Geld für Dauerstellen und können da zum Beispiel neue Stellen für die Professoren oder den wissenschaftlichen Nachwuchs (einrichten) oder Schulsozialarbeiter einstellen“.
Mehr Geld für den Wissenschaftsbereich verspricht auch die Lockerung des sogenannten Kooperationsverbots von Bund und Ländern, die ebenfalls am Donnerstag im Bundestag beschlossen wurde. Seit der Föderalismusreform von 2006 ist es dem Bund nur im Rahmen von befristeten Sonderprogrammen gestattet, in Kitas, Schulen und Hochschulen zu investieren. Für den Wissenschaftsbereich werden die Beschränkungen durch Änderung des Grundgesetzes nun zum Teil wieder revidiert. Künftig soll der Bund dauerhaft Hochschulprojekte unterstützen dürfen – vorausgesetzt es handelt sich um Fälle von „überregionaler Bedeutung“. Die Opposition aus Grünen und Linkspartei pocht dagegen auf eine Aufhebung der Restriktionen für den gesamten Bildungsbereich. Das war und ist eigentlich auch die Position der regierenden SPD. Rhetorisch gekleckert wird deshalb aber nicht. Der SPD-Abgeordnete Ernst-Dieter Rossmann befand ganz unbescheiden: „historischer Meilenstein“.
Zustimmung durch Bundesrat Formsache
Bevor die Gesetze in Kraft treten oder wie beim BAföG auf Eis gelegt werden können, muss noch vor Weihnachten der Bundesrat sein Okay geben, was jedoch als gesichert gilt. Grüne und Linkspartei forderten am Donnerstag ein deutliches Vorziehen der Reform. BAföG-Sätze und Freibeträge müssten „sofort“ um zehn Prozent erhöht werden. Auch der studentische Dachverband fzs will keine Ruhe geben: „Nach dem Reförmchen ist vor der Reform!“
(rw)