Wanka kennt studentische LebensrealitätAbfuhr für dynamisches BAföG
Hochverehrtes Studentenpack! Kriegt Ihr den Hals nicht voll genug? Hat die Bundesregierung nicht erst im letzten November die historisch „größte Reform“ des Bundesausbildungsförderungsgesetztes (BAföG) beschlossen? Und winkt Euch nicht schon zum Wintersemester 2016/17 eine Zugabe von sagenhaften sieben Prozent bei Bedarfssätzen und Elternfreibeträgen? Wer wird denn da noch meckern und wer bitteschön noch mehr absahnen wollen? Was genug ist, ist genug, nicht unbedingt für immer, aber für die nächsten paar Jahre bestimmt.
Da hat Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) aber mal Tacheles geredet: Sie sei „gegen eine formalisierte, automatische Anhebung“ der BAföG-Leistungen, ließ sie sich am Dienstag von der Deutschen Presse-Agentur (dpa) zitieren. „Das wird der Lebenssituation von Studierenden nicht gerecht“, lautet ihr Mantra. Schließlich lasse sich die Einkommenssituation von Studenten „nicht einfach mit der eines Durchschnittverdieners vergleichen“, meint die Ministerin. Außerdem findet sie, dass bei einer automatischen Anpassung an Inflation und höhere Produktivität dann auch keiner mehr auf Geschenke hoffen kann. Denn „im Übrigen gibt man uns dann ja auch nicht die Möglichkeit, höher zu gehen als die Berechnungen eigentlich nahelegen würden“.
Aus Plus wurde Minus
So, so. Man erinnere sich: Die letzte „Aufbesserung“ beim BAföG liegt mittlerweile fast fünf Jahre zurück. Seinerzeit, mit Beginn des Wintersemesters 2010/11, wurden die Regelsätze für Schüler und Studierende um mickrige zwei Prozent, die Freibeträge auf Elterneinkommen um drei Prozent aufgestockt.
Verharren: Wanka spricht sich gegen eine automatische Anpassung des BAföGs aus
Im Schnitt hatten die Anspruchsberechtigten zum damaligen Zeitpunkt monatlich zwölf Euro mehr in der Tasche. Dann passierte lange nichts und das Plus verdünnisierte sich preisbereinigt langsam zum Minus. Relativ zur Zahl der Studierenden verflüchtigten sich auch die „Bedürftigen“, weil mit steigenden Löhnen bei eingefrorenen Freibeträgen für immer mehr die Förderunwürdigkeit eingetreten ist.
Da kommt was zusammen. Die Grünen-Fraktion im Bundestag hat ermittelt, dass allein in diesem und im nächsten Jahr jeweils drei Prozent aus der Förderung herausfallen werden. Das wären laut amtlicher Statistik 60.000 Schüler und Studierende. Der Schwund von 2010 bis 2014 dürfte noch deutlich höher liegen. „Auch diejenigen, die überhaupt noch BAföG bekommen, spüren die zwölf Semester Nullrunden“, beklagte gestern der Hochschulexperte der Grünen, Kai Gehring. Gegenüber der dpa befand er zu Wankas Abfuhr für ein dynamisches BAföG: „Studierende aus Elternhäusern mit schmalem Konto sind fatalerweise kein Herzensanliegen der Bildungsministerin.“ Dabei bringe nur eine automatische Anpassung beim BAföG Schülern und Studenten Verlässlichkeit „und schützt sie vor Regierungswillkür“.
Geschenke für Unbedürftige
Es gibt sehr wohl Studierende, für die Wankas Herz schlägt. Die nämlich, die sich durch „Spitzenleistungen“ auszeichnen. Mit dem sogenannten Deutschlandstipendium wird eine von Bund und Wirtschaft kofinanzierte 300-Euro-Geldspitze mithin Leuten verpasst, die das Geld gar nicht nötig haben. Dieses Modell der „Begabtenförderung“ ist zwar längst nicht der Renner, der es sein sollte, wird aber unverdrossen gepusht. Die letzte kümmerliche Bilanz von knapp 20.000 Geförderten im Jahr 2013 ließ die Ministerin über ein Instrument jubilieren, das „auf dem richtigen Kurs“ sei und sich in der „deutschen Hochschullandschaft etabliert“ habe.
Dabei verschwieg sie freilich, dass nach mittelfristiger Planung acht Prozent aller Hochschüler – nach aktuellem Stand also weit über 200.000 – profitieren sollen. Ganz egal, genauso wie die Tatsache, dass der Flop auch noch ein bürokratisches Ungetüm ist. Das Ding wird weiter gehätschelt, koste es, was es wolle. Und wenn das Geld doch mal knapp wird, lassen sich ja kommende BAföG-Reformen wieder einmal auf den Sankt Nimmerleinstag verschieben.
„Die Elite-Minsiterin“
Dass die Ministerin es mit der Gerechtigkeit nicht so hat, moniert auch Spiegel Online. In einem Kommentar vom Dienstagabend wird auf die jüngsten Erhöhungen des sogenannten Büchergeldes verwiesen. Das wird Stipendiaten der Begabtenförderwerke extra beschert, ob sie es brauchen oder nicht. Und zumeist brauchen sie es nicht. Nach etlichen Studien erhalten die fraglichen Stipendien vor allem Kinder aus „besseren Verhältnissen“. Trotzdem sind die Zuschüsse zwischen 2011 und 2013 von 80 auf exorbitante 300 Euro hochgeschnellt. Laut Spiegel Online „stimmen die Relationen nicht“, was sich auch an den Milliardeninvestitionen für Forschungsprogramme wie die „Exzellenzinitiative“ zeige. Das Urteil der Hamburger Nachrichtenmacher: „Die Elite-Ministerin.“
Zuletzt hatte im März das Deutsche Studentenwerk (DSW) eine Dynamisierung des BAföG durch Kopplung an Einkommen und Preise verlangt. „Eine Erhöhung pro Legislaturperiode einer Bundesregierung reicht nicht“, bekräftigte Generalsekretär Achim Meyer auf der Heyde. Für ihn ist die politische Ausgangsposition günstiger denn je. Seit Jahresbeginn trägt der Bund die vollen Kosten beim BAföG. Weil er „sich nicht mehr mit 16 Bundesländern abstimmen muss, kann er nun endlich einen Automatismus entwickeln für eine regelmäßige Anpassung“. Ähnliches wie das DSW forderten bereits der studentische Dachverband fzs oder auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW).
Es gibt indes auch Mahner, denen anderes schwant: Dass eine nunmehr allein verantwortliche Bundesregierung auf eigene Faust weitere Verschlechterungen beim BAföG durchsetzen oder gar dessen Abschaffung vorantreiben könnte. Aus Reihen von CDU und CSU wurden beispielsweise immer wieder Forderungen nach Umstellung auf ein Volldarlehen laut.
18,5 Prozent mehr für Parlamentarier
Das genaue Gegenteil wünscht man sich bei der Partei Die Linke. „Wir schlagen vor, dass das BAföG wieder zum Vollzuschuss umgebaut wird, damit sich junge Menschen nicht erst verschulden müssen“, äußerte sich die hochschulpolitische Sprecherin im Bundestag, Nicole Gohlke. In Anlehnung an Wankas Wortlaut bezifferte sie in einer Stellungnahme die „Lebensrealität“ der Parlamentarier: „Die Abgeordnetendiäten wurden 2012 um 3,5 Prozent, 2013 um vier Prozent, 2014 um fünf Prozent, und 2015 um 4,8 Prozent erhöht. Insgesamt kommen Abgeordnete in vier Jahren auf eine Diätenerhöhung um 18,5 Prozent.“ Studenten wurden in der gleichen Zeit auf Nulldiät gesetzt und der angekündigte Zuschlag wird auch nicht richtig satt machen. Nicht nur käme die Novelle zum Jahresende 2016 „viel zu spät“, so Gohlke. Sie gleiche obendrein „nicht annähernd den Anstieg der Lebenshaltungskosten seit der letzten BAföG-Erhöhung im Jahr 2010 aus“.
Wankas vermeintliche Kenntnis der „Lebenssituation“ von Studierenden brachte auch die Juso-Hochschulgruppen in Rage. „Diese Äußerung lässt die Frage aufkommen, ob sie vielleicht einfach keine Ahnung von dem hat, was sie als Bundesbildungsministerin tun sollte“, bemerkte Bundesvorstandsmitglied Philipp Breder. Genauso wie Löhne und Gehälter müsse auch das BAföG, „wie schon heute eigentlich gesetzlich vorgesehen, mit der Preisentwicklung mitgehen“. Letztlich sei klar, dass die Ministerin „an der Lebensrealität völlig vorbeigeht, wenn sie diese Forderung nicht umsetzt“.
SPD mit Durchblick
Aber es gibt noch Hoffnung. Schließlich sitzt der Gescholtenen die „BAföG-Partei SPD“ als Regierungspartner im Nacken. Und die kann manchmal ganz schön unbequem sein, obgleich nicht unbedingt immer. Oder doch? Oliver Kaczmarek, stellvertretender bildungspolitischer Sprecher der Bundestagfraktion, brachte am Dienstag das Kunststück fertig, in einem recht langatmigen Pressestatement zum Thema weder die Ministerin beim Namen oder in ihrer Funktion zu nennen noch ihren Vorstoß konkret zu erwähnen. Stattdessen dies: „Die SPD begrüßt, dass die Debatte um eine zeitgemäße und lebensnahe Weiterentwicklung des BAföG weiter geht.“ Aha, so wird also ein Schuh draus: Wanka wollte mit ihrem Nein zu einer Dynamisierung nur zu einer Diskussion einladen, an deren Ende ein Ja zur Dynamisierung stehen wird. Nur gut, dass wenigstens die Sozialdemokraten das geblickt haben.
(rw)