Reform in der WarteschleifeSchwund bei BAföG-Empfängern
Immer mehr Studierende gehen beim BAföG leer aus. Und für die BAföG-EmpfängerInnen kommt die geplante Erhöhung nächstes Jahr zu spät und fällt zu gering aus.
Kai Gehring von der Bundestagsfraktion der Grünen bringt das Problem auf den Punkt: „2014 haben hierzulande mehr junge Menschen studiert als 2013. 2014 haben aber weniger als 2013 BAföG erhalten.“ Dies zeige, dass die Chance auf Förderung sinke, das sei ein „ernüchterndes Signal an Studieninteressierte“, beklagte er in einer Pressemitteilung. „Das ist verheerend für die Öffnung der Hochschulen für Studierende der ersten Generation und ein Armutszeugnis für eine zukunftsorientierte Wissensgesellschaft.“
Nach den heute vorgelegten Daten der Wiesbadener Statistiker erhielten im Vorjahr bundesweit 925.000 Personen Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG). 278.000 Geförderte waren Schülerinnen und Schüler, 647.000 Studierende. Verglichen mit 2013 profitierten damit insgesamt 34.000 weniger junge Menschen von der staatlichen Unterstützung, was einem Minus von 3,5 Prozent entspricht. Der Schwund beim Schüler-BAföG betrug fünf Prozent, bei Studierenden 2,9 Prozent. Im Durchschnitt wurden je Monat 596.000 Personen begünstigt (172.000 SchülerInnen und 424.000 Studierende), das waren 3,8 Prozent weniger als 2013.
Anhaltender Abwärtstrend
Die neuesten Kennzahlen liegen erwartungsgemäß voll im Trend. Davor hatte es schon im Vergleichszeitraum 2012/13 Einbußen gegeben, damals allerdings um lediglich 2,1 Prozent. Dass die Abwärtsbewegung sich verstärkt hat, erklärt sich mit der allgemeinem Lohn- und Gehaltsentwicklung, die seit Jahren stabil nach oben geht. 2014 lagen die Tarifsteigerungen bei 3,1 Prozent (gegenüber 2013), während es im Jahr davor noch 2,7 Prozent waren (gegenüber 2012). Weil die letzte und bis auf weiteres wirksame BAföG-Novelle aus dem Jahr 2010 auf der Grundlage des damaligen Preis- und Lohnniveaus kalkuliert ist, sind die seinerzeit festgelegten Elternfreibeträge längst von der Zeit überholt. Und mit praktisch jedem Tag, den der Gesetzgeber die Einkommensgrenzen, unterhalb derer man als förderwürdig gilt, nicht anhebt, büßen immer mehr eigentlich Bedürftige ihre Ansprüche ein.
Für Kritiker kommt die von der Bundesregierung für das Wintersemester 2016/17 angekündigte BAföG-Reform deshalb viel zu spät. Bei gleichbleibender Dynamik könnten bis dahin noch Zehntausende mehr nötiger Hilfen verlustig gehen oder durch Leistungskürzungen in Bedrängnis geraten, nur weil ihre Eltern auf dem Papier zu viel Geld verdienen. Die Bundesregierung weiß um diesen Mechanismus, denkt aber nicht daran, das bereits vom Bundestag beschlossene 25. BAföG-Änderungsgesetz früher in Kraft treten zu lassen. Schließlich ist aus ihrer Sicht jede Verzögerung bares Geld wert. Laut Statistischem Bundesamt betrugen die BAföG-Ausgaben von Bund und Ländern 3,1 Milliarden Euro im Jahr 2014. Das sind 99 Millionen Euro weniger als 2013. Dass der Bund die Kosten seit Beginn des laufenden Jahres alleine trägt, dürfte den Finanzminister in seinen Sparanstrengungen noch zusätzlich anstacheln.
Zehntausende Sparopfer
Bis Herbst 2016 gibt es für ihn noch einiges zu holen. Das Bundesbildungsministerium hatte im vergangenen Oktober in seiner Antwort auf eine parlamentarische Anfrage eingeräumt, dass die Zahl der Geförderten 2016 noch einmal um weitere drei Prozent gegenüber Jahr 2015 zurückgehen werde. Entsprechendes gelte für 2015/16 verglichen mit 2014. Die Grünen rechneten das seinerzeit auf 60.000 Sparopfer in zwei Jahren hoch, was angesichts der neuesten Zahlen sogar noch „optimistisch“ erscheint. Bei gleichbleibendem Trend könnten die Verluste in der Größenordnung von 70.000 und mehr liegen.
Grünen-Hochschulexperte Gehring hält das für „bildungspolitisch skandalös“. Es sei „ungeheuerlich, dass sich diese Koalition weigert, das BAföG zügig und nachhaltig zu einem Förderinstrument für echte Bildungsgerechtigkeit zu entwickeln“. Bis die „schmale Erhöhung von Freibeträgen und Fördersätzen“ zum Wintersemester 2016/17 endlich greife, steckten Studierende zwei weitere Semester in der Warteschleife und Zehntausende müssten ohne BAföG über die Runden kommen. An Bildungsministerin Johanna Wanka (CDU) appellierte Gehring, die vorgesehene Reform um ein Jahr aufs kommende Wintersemester 2015/16 vorzuziehen. „Noch bietet das Haushaltsverfahren im Spätsommer die Möglichkeit, ein Willkommenssignal an Studienberechtigte aus finanzschwachen Elternhäusern zu setzen.“
Keine dynamische Anpassung
Kritik kam am Donnerstag auch vom Deutschen Studentenwerk (DSW). Generalsekretär Achim Meyer auf der Heyde nannte die anstehende Novelle „überfällig“ und plädierte einmal mehr für eine regelmäßige und dynamische BAföG-Nachbesserung. Der Bund habe als neuerdings alleiniger Zahlmeister die Verantwortung, „die sollte er nutzen und eine automatische Anpassung verankern“. Daraus wird nach Lage der Dinge nichts. Wanka hatte dem Anliegen bereits im April eine Abfuhr erteilt. „Das wird der Lebenssituation von Studierenden nicht gerecht“, äußerte sie sich damals. Die Einkommenssituation von Studenten lasse sich „nicht einfach mit der eines Durchschnittverdieners vergleichen“ (Studis Online berichtete).
Dieselben Preise wie ein Normalbürger müssen SchülerInnen und Studierende aber sehr wohl berappen. Die 25. BAföG-Novelle, die wohl noch über ein Jahr auf Eis liegen wird, sieht eine Erhöhung der Bedarfssätze und Elternfreibeträge um jeweils sieben Prozent vor. In puncto Kaufkraft läuft das auf deutliche Einbußen hinaus. Die Inflation hat seit der 2010er-Novelle bis heute schon um über sieben Prozent zugelegt. Und in einem Jahr wird das Leben noch einmal teurer geworden sein. Das „Mehr“ an BAföG, das die Regierung ab Herbst 2016 beschert, ist in Wahrheit eine „Kürzung“ gegenüber 2010.
Förderquote unter 16 Prozent
Vergleichbar, wie Ministerin Wanka sagt, sind Durchschnittsverdiener und Studierende in der Tat nicht. Ein überproportional großer Teil der verfügbaren Mittel letzterer geht für die heutzutage horrenden Mieten drauf. In Hamburg zum Beispiel zahlt man heute im Schnitt 26 Prozent mehr pro Quadratmeter als noch 2010. In Metropolen und traditionellen Universitätsstädten werden nicht selten zwischen 400 und 500 Euro für ein WG-Zimmer aufgerufen. Wenn die Koalition den Wohnzuschuss, wie beschlossen, im Rahmen des BAföG von 224 Euro auf 250 Euro anhebt, dann wird das für die wenigsten die tatsächlichen Kosten decken.
Nicole Gohlke von der Bundestagfraktion Die Linke rechnete in einer Stellungnahme vor, dass bei 2,7 Millionen Studierenden und im Monatsmittel 424.000 BAföG-Beziehern die Förderquote im Vorjahr auf „unter 16 Prozent" gefallen sei. Sozial schwächere Schulabgänger würden „systematisch vom Studieren abgehalten“, wenn die Sätze so niedrig seien, dass ihre Lebenshaltungskosten davon nicht beglichen werden können. „Die Erhöhung der BAföG-Sätze und der Freibeträge um mindestens zehn Prozent war längst überfällig, und die geplante Erhöhung kommt Ende 2016 für viele zu spät.“
Kein neuer Rekord in Sicht
Nur rund zwei Drittel der Geförderten im Jahr 2014 erhielten das ganze Jahr über BAföG. Den maximalen Betrag von 670 Euro bekamen 46 Prozent. Ein Schüler erhielt im Durchschnitt 418 Euro im Monat, ein Student 448 Euro. Wanka geht davon aus, dass mit der Reform im nächsten Jahr der Kreis der Anspruchsberechtigten um 110.000 steigen wird. Den bisherigen Förderrekord mit 979.000 Leistungsbeziehern in einem Jahr gab es 2012. Hält der Schwund der Vorjahre weiter an, wird es wohl bei der Bestmarke bleiben – auch nach Wankas Reform.
(rw)