BAföG-Reform greift zu spätSinkende Zahl von BAföG-Geförderten
Auf BAföG angewiesene Studierende werden immer ärmer, da die BAföG-Erhöhung erst 2016 kommt und die letzte schon fünf Jahre her ist.
Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) ist stolz wie Oskar. Mit der 25. Novelle Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) werde sich der Kreis der Anspruchsberechtigten um 110.000 erhöhen, sagt sie. Tatsächlich sagt sie das immer wieder und das schon ganz schön lange. Genaugenommen hantiert sie mit der Zahl seit dem Tag herum, an dem sie ihre Reformpläne publik machte. Das war im Sommer 2014, also vor weit über einem Jahr und weit über zwei Jahre bevor die neue Rechtlage überhaupt wirksam wird.
Das wirft Fragen auf: Worauf bezieht sich Wanka mit ihrer Hausnummer 110.000? Wird es ab Stichtag 1. August 2016, wenn die Reform planmäßig in Kraft treten soll, so viele mehr BAföG-Empfänger geben? Oder kalkuliert sie mit der Ausgangslage Juli 2014, als es nach Lage der Dinge mehr Geförderte gab als heute und noch einmal deutlich mehr, als es absehbar im nächsten Jahr sein werden? Welcher ist also der Vergleichswert, der Wankas Kalkulation zugrunde liegt. Schließlich will sie mit der schönen Kennzahl ja suggerieren, ihr Projekt sei ein ganz großer Wurf und bringe ganz viele Gewinner hervor.
Ansprüche gehen flöten
Bei der Grünen-Fraktion im Bundestag hält man das für Augenwischerei. Ihr hochschulpolitischer Sprecher Kai Gehring hat bereits vor einem Jahr vorgerechnet, dass 2015 und 2016 rund 60.000 Schüler und Studierende aus der Förderung purzeln, noch ehe die Reform überhaupt greift. Das Problem dahinter: Weil seit der letzten und bis auf weiteres wirksamen Novelle aus dem Jahr 2010 die Löhne samt Inflation kräftig zugelegt haben, sind die seinerzeit festgelegten Elternfreibeträge von der Zeit lange überholt. Mit jedem Tag, den der Gesetzgeber die Einkommensgrenzen, unterhalb derer man als förderwürdig gilt, nicht anhebt, gehen immer mehr eigentlich Bedürftigen die Ansprüche flöten. (Vgl. auch unseren Artikel „Rechenbeispiele BAföG 2016“)
Am Montag hat Gehring noch einmal nachgelegt. Bis zum Reformauftakt würden sogar 130.000 Schülerinnen, Schüler und Studierende aus dem Kreis der Berechtigten herausfallen. In einem Statement, das Studis Online vorliegt, bezeichnet er die anstehende Novelle von Union und SPD als „Schrumpfkur“. Immer weniger könnten mit einer Förderung rechnen „und auch die Zahl derjenigen, die eine volle Förderung erhalten, geht weiter zurück“. Da die Regierung lediglich 110.000 zusätzliche Berechtigte erwarte, sei ein „Bedeutungsverlust des BAföG vorprogrammiert“.
Minus 18.000 seit 2010?
Seine Zahlen leitet der Grünen-Politiker aus aktualisierten Vorausberechnungen der Bundesregierung und Daten des Statistischen Bundesamts ab. Wie aus der Antwort des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) vom 1. Oktober auf eine Kleine Anfrage Gehrings hervorgeht, wird für 2015 und 2016 „der Rückgang bei den insgesamt Geförderten auf jeweils etwa 29.000 geschätzt“. Die Grünen gehen zeitlich noch weiter zurück und schlüsseln die Verluste seit der 24. BAföG-Novelle auf. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts belaufen die sich zwischen 2010 und 2014 auf weitere 70.000. Damit landet man in der Gesamtschau bei 128.000. Verrechnet mit der Regierungsprognose bliebe damit ein Minus von 18.000 gegenüber 2010.
Dabei ist das sogar eine „optimistische“ Betrachtung. Hält der Trend der Vorjahre an – wofür die weiterhin gute Lohn- und Gehaltsentwicklung spricht – , dann könnte der Schwund für 2015 und 2016 durchaus bei insgesamt 70.000 liegen. Die Wiesbadener Statistiker hatten für den Zeitraum 2013/14 einen Rückgang von 3,5 Prozent (minus 34.000) ermittelt. Die Regierung glaubt dagegen, es würden sich im laufenden und im nächsten Jahr nach „aktualisierter Schätzung keine nennenswerten Unterschiede zu den (…) drei Prozent Rückgang“ ergeben, die sie im Vorjahr prognostiziert haben will.
Weniger für weniger
Während sich das BMBF zu Gehrings Vorstoß nicht äußerte, setzte es dafür von Oliver Kaczmarek von der SPD-Bundestagsfraktion Schelte. Die Grünen würden „wieder einmal Jahresdurchschnittszahlen und Jahresfallzahlen im BAföG durcheinander bringen“ und operierten mit „grundloser Panikmache“. So werde bewusst verschwiegen, „dass BAföG-Bezieher mit geringer Teilförderung aus dem BAföG fallen, weil ihre Eltern, deren Einkommenssituation die zentrale Bezugsgröße für das BAföG ist, die Einkommensgrenzen nach oben durchstoßen“. Selbst wenn man diesen Effekt herausrechne, würden „immer noch über 70.000 Menschen zusätzlich Anspruch auf BAföG haben“.
Die Einwände wirken befremdlich. Tatsächlich beschreibt Kaczmarek ja genau die fatale Wirkung einer verschleppten BAföG-Anpassung: Die Geförderten werden zahlenmäßig immer weniger und natürlich gehen zuerst die mit „geringer Teilförderung“ verloren (aufgrund ihrer vergleichsweise noch „gut“ verdienenden Eltern). Zugleich schwindet auch die Zahl der Vollförderungen und die Ansprüche werden auf der ganzen Breite der Bezieher sukzessive geringer. So ging etwa 2014 sowohl die Zahl Teilgeförderten (minus 3,4 Prozent) als auch die der Vollgeförderten (minus 3,7 Prozent) gegenüber 2013 zurück. Ganz zu schweigen davon, dass man sich heutzutage mit 100 Euro wegen des Preisauftriebs längst nicht mehr so viel leisten kann wie vor fünf Jahren. Tatsächlich haben die Verbraucherpreise schon zwischen 2010 und 2014 um knapp sieben Prozent zugelegt, nahezu um den Wert also, den die Freibeträge und Regelsätze steigen sollen – wohlgemerkt erst in einem Jahr.
Wie rechnet die Regierung?
Was den Vorwurf der Verwechslung von Jahresdurchschnitts und -fallzahlen angeht, könnte SPD-Mann Kaczmarek allenfalls dann richtig liegen, sofern sich die Zielgröße 110.000 tatsächlich auf diejenigen bezieht, die über den Zeitraum eines ganzen Jahres Förderung erhalten. Im Oktober 2014 hatte sich Wanka im Bundestag genau das auf die Fahnen geschrieben. Wörtlich sagte sie: „Dabei geht es um junge Menschen, die wirklich ein ganzes Jahr lang BAföG bekommen.“ Wäre dem so, fiele die Zahl der zu irgendeinem Zeitpunkt im Jahr Begünstigten natürlich höher aus und am Ende drohte vielleicht doch kein Schwund.
Aber warum verwendet die Regierung nicht gleich diese Zahlen, wo sie doch sonst so gerne große Brötchen backt? Zum Beispiel verbreitet sie auch schon mal, ein Viertel aller Studierenden bezöge BAföG. Das geht aber nur dann halbwegs auf, sofern sämtliche Leistungsbezieher eines Jahres berücksichtigt sind. Im Monatsmittel profitierten 2014 dagegen nur 424.000, was einer Quote von unter 16 Prozent entspricht. Überdies mutet Kaczmarek Kritik mindestens ein bisschen heuchlerisch vor dem Hintergrund an, dass seine Partei schon vor Jahren eine BAföG-Reform wollte, diese aber nicht durchsetzen konnte. Seit Ende 2013 in Regierungsverantwortung war die Handlungsnot dann plötzlich doch nicht mehr so groß und heraus kam vor einem Jahr ein Reformgesetz, das noch bis Wintersemester 2016/17 auf Eis liegen soll.
Verbesserungen sofort!
Immerhin wächst der öffentliche Druck, die Novelle doch noch vorzuziehen. „Anstatt das BAföG weiter herunterzuwirtschaften, braucht die junge Generation jetzt ein klares Ja für eine unverzügliche Reform der Studienfinanzierung“, verlangte Gehring. Erhöhung und Verbesserungen müssten noch in diesem Jahr kommen und größer ausfallen, mit zehn Prozent bei Freibeträgen und Fördersätzen. Andreas Keller, Vizevorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) plädiert dafür, „die BAföG-Novelle noch im soeben begonnenen Wintersemester – gegebenenfalls rückwirkend – in Kraft zu setzen“. In einem Pressestatement sprach er sich ferner für eine „regelmäßige und automatische Anpassung der Bedarfssätze und Freibeträge an steigende Lebenshaltungskosten und Preissteigerungen“ aus. „Sonst müssen die Studierenden, Schülerinnen und Schüler wieder Jahre auf die ihnen zustehende Anpassung der BAföG-Leistungen warten.“
Ben Seel, Vorstandsmitglied beim „freien zusammenschluss von studentInnenschaften“ (fzs) kommentierte die Zahlen so: „Wenn alle zehn Jahre das Geld noch nicht einmal der Inflation angepasst wird, ist das de facto eine Sozialkürzung für die Studierenden. Eine automatische Anpassung an die Preisentwicklung wäre das Mindeste. Dass die Regierung die Studierenden immer noch bis Mitte 2016 vertrösten will, ist ein Unding.“ Aber eines, das die Regierung billiger kommt. (rw)
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