Pseudodigitaler PapierkramBaustelle e-BAföG
Die BAföG-Akte: Bisher fast immer ganz klassisch viel Papier. Selbst bei Online-Antragstellung kommt man um die Einsendung von Ausdrucken bisher kaum umhin.
Studis Online: Mit der 25. BAföG-Novelle wurde gesetzlich eine „Verpflichtung der Länder“ festgeschrieben, dass Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) ab dem 1. August 2016 bundesweit online beantragt werden können. Übergeordnetes Ziel seien „dabei medienbruchfreie Prozesse, die zu vollständig auf elektronischem Weg durchgeführten Verwaltungsverfahren führen“. Ihr Verband hat dieser Tage darauf hingewiesen, dass es mit den schönen Vorsätzen nicht weit her ist. Was läuft schief?
Stefan Grob: Nun ja, es herrscht nun mal Bildungsföderalismus. Wir erleben das jetzt einmal mehr beim Thema e-BAföG. Es gibt keine echte Koordinierung zwischen den Bundesländern, wie sie die als zukünftiges Ziel im Gesetz verankerte Digitalisierung des Verwaltungsverfahrens gemeinsam und im Interesse der Studierenden umsetzen wollen. Die jetzige Verpflichtung bezieht sich erst einmal auf den e-Antrag, hat aber durchaus die Perspektive für ein digitalisiertes Verwaltungsverfahren. Dagegen setzen die Länder auf unterschiedliche technische Lösungen, praktisch jedes unterhält sein eigenes Online-Portal und der Stand des Erreichten variiert ganz erheblich. Kurzum: Der Anspruch auf ein einheitliches, einfaches, transparentes und entbürokratisiertes System ist längst nicht eingelöst.
Wie sähe ein in Ihren Augen ausgereiftes System aus?
Es geht nicht darum, was wir uns wünschen. Wir nehmen lediglich den Gesetzgeber beim Wort, der durch die „Verpflichtung der Länder“ ausdrücklich gewährleisten will, dass „die Abgabe von Anträgen für BAföG-Antragsteller erleichtert und den zeitgemäßen Kommunikationsformen junger BAföG-Antragsteller angepasst“ wird. Das kann nicht bedeuten, dass ein e-Antrag einfach nur online gestellt wird. Ein e-Antrag ist nur dann gut, wenn dadurch die Qualität der ausgefüllten Formulare und Anlagen zukünftig besser wird und damit dies zu einer Bearbeitungsbeschleunigung führt. Natürlich müssen die Angaben aus dem e-Antrag auch in das länderspezifische Fachverfahren übernommen werden können.
Welche Unzulänglichkeiten gibt es noch?
Die Schwierigkeiten gehen damit los, dass kein bundesweites Antragsportal existiert. Gibt man bei Google „e-Bafög“ ein, tauchen gleich mehrere Angebote aus diversen Bundesländern auf, die aber nur für das jeweilige Bundesland verwendbar sind, weil nur die Hochschulen im Bundesland wählbar sind. [Anmerkung der Redaktion: Siehe auch unseren Artikel Wo ein BAföG-Online-Antrag möglich ist.] Allein das schreckt schon viele ab mit dem Ergebnis, dass sie den Antrag am Ende doch bloß wieder ausdrucken und mehr schlecht als recht ausfüllen. Weil 99 Prozent aller Papieranträge unvollständig sind, können nach Anforderung der fehlenden Informationen bis zur Bewilligung schon mal drei Monate ins Land gehen …
… was ja ein Grund dafür war, warum man auf e-BAföG umstellen will.
Unser Interviewpartner Stefan Grob ist Sprecher und stellvertretender Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks (DSW), in dem die 58 Studentenwerke in Deutschland zusammengeschlossen sind.
Richtig. Allerding hängt die Qualität eines e-Antrags von mehreren Dingen ab: Gibt es eine Vollständigkeits- und Plausibilitätsprüfung? Wie gut sind die Erklärungen zum Ausfüllen der Felder? Sind die Hinweise auf die beizufügenden Anlagen korrekt? Hapert es daran, hat niemand etwas gewonnen: weder die Antragssteller noch die Mitarbeiter in den BAföG-Ämtern, wenn sich die Bearbeitungsdauer nicht verkürzt. Ganz entscheidend ist aber auch, dass die BAföG-Ämter sich untereinander austauschen können, und das über Ländergrenzen hinweg. Es kann nicht angehen, dass Studierende bei einem Studienortwechsel von einem BAföG-IT-System in ein anderes wechseln und plötzlich einen ganz neuen Grad der Digitalisierung antreffen. Die wollen, dass das flutscht und deshalb muss eine bundeseinheitliche Regelung her. Vor gar nicht langer Zeit sind zwischen Hessen und Thüringen Dienstwagen mit Datenträgern hin- und hergefahren – ein ziemlich antiquiertes Verständnis von „Datenautobahn“. Was es braucht, ist eine vollständige Digitalisierung, vom BAföG-e-Antrag bis zur e-Akte. Und im Falle eines Hochschulwechsels müssen sämtliche Daten sicher elektronisch weitergeleitet werden können.
Sehen Sie Chancen, dass es mit all dem noch klappt bis zum 1. August?
Das einzige Bundesland, das den e-Antrag umgesetzt hat, ist Hessen – und zwar seit November 2015. Dies macht Hoffnung und zeigt: Es geht. Wir sehen allerdings kommen, dass zu diesem Termin fünf, sechs oder sieben unterschiedliche Lösungen von e-Anträgen vorhanden sein werden – mit jeweils unterschiedlicher Tiefe an Digitalisierung. Das ist umso bedauerlicher, als die fragliche Verpflichtung der Länder schon seit 2014 sicher war. Aber es bleiben immerhin noch über vier Monate, in denen sie ihre föderale Selbstkoordination beweisen können. Wir brauchen eine koordinierte, gemeinschaftliche Lösung aller 16 Bundesländer – und nicht im Extremfall 16 unterschiedliche Lösungen auf 16 Länder-Portalen.
Tatsächlich kommen heute als BAföG-Software im Wesentlichen drei Techniken zum Einsatz. Neun Bundesländer setzen auf die in landeseigener Regie geförderte EDV „Dialog21/BAföG21/Kasse21“, während sechs größere Bundesländer das Online-Verfahren der privaten Datagroup GmbH nutzen. Nordrhein-Westfalen verwendet eine ganz eigene Lösung seines Landesbetriebs Information und Technik (IT.NRW). Berichten zufolge soll es vor allem dort weitgehend reibungslos laufen, wo das Datagroup-Produkt am Start ist, wie etwa in Bayern, Hessen und Hamburg. Deckt sich das mit Ihren Erfahrungen?
Aus den sechs Datagroup-Ländern und aus NRW hört man bezüglich der Fachanwendung keine Klagen. Die Fachsoftware der neun Verbundländer läuft, aber auch noch drei Jahre nach deren Einführung gibt es Vorschläge zur Optimierung. Allerdings muss man berücksichtigen, dass es beim Projekt e-Antrag auch darum geht, den e-Antrag in die digitale Infrastruktur des jeweiligen Landes einzubinden. Der e-BAföG-Antrag soll also nur eines von vielen Angeboten sein auf einer zentralen e-Government-Plattform, neben so Dingen wie der Beantragung des Personalausweises oder der Meldung eines Wohnungswechsels. Das macht das Unterfangen natürlich anspruchsvoller als eine isolierte Lösung nur fürs BAföG.
Aber das Ziel der neun Verbundländer ist es schon, gemeinsame Sache zu machen und ihre Technik so zu vereinheitlichen, dass diese in Zukunft länderübergreifend funktioniert?
Das muss man abwarten. Zum Beispiel arbeitet die Datenzentrale Baden-Württemberg (DZ) an einer e-Antragslösung erst einmal nur für Baden-Württemberg. Ob die am Ende von den restlichen acht Verbundländern übernommen wird, gilt nach meinen Kenntnissen nicht als ausgemacht. Mir ist zu Ohren gekommen, dass es ja ausreiche, sich bis Mai oder Juni einig zu werden. Ich halte das angesichts der erforderlichen technischen und organisatorischen Abstimmungsprozesse für reichlich spät.
Wenn Sie sagen, es bräuchte ein „einheitliches System“, meinen Sie dann damit, dass es auch nur eine einzige Technik geben müsste?
Uns ist es letztlich egal, auf welcher Technik die Lösung basiert. Ob jetzt die Verbundländerlösung, die Datagroup-Software oder das NRW-Programm besser ist, kann und will ich nicht beurteilen. Entscheidend ist, dass es künftig ein zentrales bundesweites e-Antragsportal geben muss, das aus allen 16 Bundesländern in gleich hoher Qualität unterstützt wird und das Maximum an Möglichkeiten bietet. Ob diese Plattform an ein, zwei oder mehr EDV-Systeme angedockt ist, tut nichts zur Sache. Hauptsache ist, die Technik funktioniert und das Ergebnis stimmt. Der Ball liegt deshalb bei den Ländern.
Hessen ist bisher das einzige Bundesland, in dem der BAföG-Antrag komplett papierlos, das heißt mit abschließender digitaler Signatur, beantragt werden kann. Allerdings braucht es dafür einen Personalausweis mit Online-Funktion (eID) samt passendem Lesegerät. Datenschützer monieren, die Technik weise erhebliche Sicherheitslücken auf. Ähnliche Vorbehalte bestehen auch für die Kommunikation via DE-Mail, die der Gesetzgeber ebenfalls als mögliche Versandart vorsieht. Tatsächlich nutzt heutzutage auch kaum einer diese Techniken. Müssen nicht erst diese Baustellen behoben werden, bevor man eine Totaldigitalisierung beim BAföG überhaupt propagiert?
Das sind in der Tat Teile des Gesamtproblems. Ziel muss es aber sein, eine medienbruchfreie Antragsstellung zu ermöglichen, mit der sich das Ausdrucken der Formulare erübrigt. Aber natürlich ist dabei ein Höchstmaß an Sicherheit zu gewährleisten. Im Übrigen setzen bei DE-Mail die Anbieter inzwischen auf die Möglichkeit einer Ende-zu-Ende-Verschlüsselung beim Versenden von Mails und Anhängen.
Anderes Thema: Zum kommenden Wintersemester wird es endlich wieder eine BAföG-Erhöhung geben. Ihr Verband verlangt nun, gleich die nächste Novelle auf den Weg zu bringen. Wie stellen Sie sich das vor?
Wir haben schon von verschiedenen Seiten zu hören bekommen, diese Forderung sei doch utopisch, wo doch noch nicht mal die neue Novelle wirksam geworden ist. Man muss sich ansehen, wie lange die letzte BAföG-Nachbesserung zurückliegt, nämlich sechs Jahre. Bei diesem Tempo würde die nächste Reform dann 2022 anstehen. Das darf aber nicht sein. Inzwischen ist es ja fast schon traurige Normalität, dass es bestenfalls eine Erhöhung pro Legislaturperiode gibt. Wir haben die Sorge, dass es nach der kommenden Bundestagswahl noch einmal locker bis zum Jahr 2018 oder 2019 dauert, bis das Thema BAföG überhaupt erst wieder angegangen wird. Bis zu einem neuen Gesetz könnten dann noch einmal ein, zwei Jahre verstreichen. Um sich diese Hängepartie zu ersparen, muss endlich ein Automatismus bei der Anpassung her, und zwar im Zweijahresrhythmus der BAföG-Berichterstattung. Diese Berichte haben schließlich den Zweck aufzuzeigen, wie sich die Preise und Einkommen im Zeitverlauf verändern. Also muss die Regierung auch die Konsequenzen aus den Befunden ziehen …
… und schleunigst die nächste Erhöhung für das Jahr 2018 beschließen.
Ja, und zwar noch vor der Bundestagswahl. Die kommende Erhöhung im Herbst berücksichtigt ja nur die Preis- und Einkommensentwicklung bis Herbst 2014, dem Jahr des letzten BAföG-Berichts. 2017 wird der nächste vorliegen und bis zum Sommer 2017 sollte die amtierende Regierung darauf reagieren. (rw)