Mehr Daten, mehr BAföG?Auftakt zur 21. Sozialerhebung des Studentenwerks
Die Sozialerhebung bildet seit über 60 Jahren die studentische Lebensrealität ab – und für manche ist die leider mit Geldsorgen verbunden.
Studis Online: Ab Anfang dieser Woche sind rund 400.000 Hochschüler dazu aufgerufen, sich an der 21. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks (DSW) zur wirtschaftlichen und sozialen Lage der Studierenden in Deutschland zu beteiligen. Die Studie wird vom Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DHZW) durchgeführt und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Normalerweise erfolgt die Befragung alle drei Jahre, diesmal sind seit der vorigen Erhebung schon vier Jahre ins Land gegangen. Was sind die Gründe dafür?
Achim Meyer auf der Heyde: Das ist rasch erklärt: Wir haben uns gemeinsam mit den Projektpartnern BMBF und DZHW dazu entschieden, die Befragung vollständig online statt wie bisher mit Papierfragebogen durchzuführen. Da mussten einige technische und methodische Fragen geklärt werden. Der große Vorteil des Online-Verfahrens ist, dass die Stichprobe größer wird, wir also potenziell deutlich mehr Studierende erreichen.
Wie groß war der Kreis der Befragten bisher, und wie viele haben am Ende im Durchschnitt wirklich mitgemacht? Die Teilnahme erfolgt schließlich freiwillig.
Den Papierfragebogen im alten Verfahren erhielt jeder bzw. jede 27. Studierende. Nun wird per E-Mail nach dem Zufallsprinzip jede sechste Studentin bzw. jeder sechste Student zur Teilnahme eingeladen. Das sind rund 17 Prozent der gegenwärtig rund 2,8 Millionen Studierenden in Deutschland, mehr als 400.000 Personen. Und 4,5mal so viele wie bei der Vorgängerbefragung aus dem Jahr 2012. Wir hoffen auf eine rege Beteiligung und einen hohen Rücklauf, aus Gründen der Repräsentativität, aber auch, um belastbare Aussagen machen zu können über kleinere Gruppen von Studierenden, etwa Studierende mit Kind, Studierende mit Behinderung oder chronischer Krankheit, oder zu dual Studierenden.
Existieren eigentlich alternative Studien, die es mit der Sozialerhebung des DSW in Inhalt und Reichweite aufnehmen können?
Nein, aber es gibt gute Ergänzungen. Wir fragen mit der Sozialerhebung nach den „hard facts“, nach der Finanzierung, dem Nebenjob, dem Zeitaufwand oder der Wohnform. Der ebenfalls von der Bundesregierung geförderte „Studierendensurvey“, der alle zwei Jahre erscheint, fragt dagegen nach den „soft facts“, den Einstellungen, Werten und nach der Zufriedenheit der Studierenden. Über ein Online-Panel führt das DZHW im Jahresverlauf ebenfalls mehrere Studierendenbefragungen durch. Das alles ergänzt sich gut.
Die Sozialerhebung ist ein echter historischer Dauerbrenner, los ging es mit der ersten Erhebung bereits im Jahr 1951. Auf welcher Zahlenbasis hat man damals operiert?
Ach, das war damals alles doch etwas kleiner. Es gab rund 110.000 Studierende insgesamt, davon übrigens 83 Prozent Männer, unter ihnen viele Vertriebene, Spätheimkehrer und Kriegsversehrte. Die erste Sozialerhebung von 1951 legte Gerhard Kath vor, der damalige Geschäftsführer des Studentenwerks Frankfurt am Main. 1952 hatte fast die Hälfte aller Studierenden zwischen 50 und 100 DM zur Verfügung.
Worin sehen Sie die Gründe, dass die Sozialerhebung bald 70 Jahre hat überdauern können? Zumal die Studie im Laufe der Jahrzehnte ja auch allerhand unangenehme Wahrheiten ans Licht befördert hat …
Unser Interviewpartner Achim Meyer auf der Heyde ist Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks (DSW), in dem die 58 Studentenwerke in Deutschland zusammengeschlossen sind.
Die Sozialerhebung ist eine einzigartige Langzeituntersuchung, sie hat sich etabliert, auch weil sie viele Daten liefert, die die amtliche Statistik nicht zu bieten hat. Ob zu Hochschulreformen, Modernisierung des BAföG oder zur studentischen Erwerbstätigkeit – die Sozialerhebung liefert verlässliche Vergleichswerte und gerade für kleinere Gruppen von Studierenden überhaupt erst die empirische Grundlage für politische Entscheidungen. Auch für die Evaluation bildungs- und hochschulpolitischer Maßnahmen ist die Sozialerhebung wichtig: Wie verändert sich die Auslandsmobilität mit dem Bologna-Prozess, wie die Erwerbstätigkeit? Das sind Fragen, die so nur die Sozialerhebung beantworten kann. Sie ist auch fester Bestandteil der Bildungsberichterstattung in Deutschland und offeriert mit ihren repräsentativen Langfristdaten wertvolle Indikatoren etwa zur sozialen Durchlässigkeit des Bildungssystems. Ohne die Sozialerhebung würde die Hochschul- und Bildungspolitik im Nebel stochern müssen.
Sie sagten, die Studie liefere Daten, auf deren Grundlage politische Entscheidungsfindung überhaupt erst möglich wird. Gilt diese optimistische Sicht auch heute noch? Oder haben sich die Spielräume für Verbesserungen für Studierende, insbesondere in Sachen Ausbildungsförderung nach dem BAföG-Gesetz, vor dem Hintergrund der seit zwei Jahrzehnten forcierten Sparpolitik nicht erheblich eingeengt?
Na ja, insgesamt fließt ja so viel Geld wie noch nie ins Wissenschaftssystem: vor allem über die großen Bund-Länder-Programme, also die Hochschulpakte, die Exzellenzinitiative, nun auch über die neuen Programme für Fachhochschulen, kleine und mittlere Universitäten oder für den wissenschaftlichen Nachwuchs. Insofern sehe ich durchaus Spielräume für die Politik, endlich auch beim BAföG eine automatische Erhöhung einzuführen, damit die Studierenden nicht sechs oder noch mehr Jahre auf eine Verbesserung bei den Leistungen warten müssen. Auch bei der Versorgung der Studierenden mit bezahlbarem Wohnraum besteht großer Handlungsdruck. Dafür brauchen wir dringend auch ein Bund-Länder-Programm.
Nun ist ja die nächste, wenn auch reichlich verspätete BAföG-Anpassung beschlossene Sache. Im kommenden Wintersemester wird es sechs Jahre nach der letzten Erhöhung endlich soweit sein. Sie halten diese allerdings für unzureichend und bereits überholt, bevor sie überhaupt in Kraft getreten ist. Und die Argumente dafür liefert Ihnen eben die Sozialerhebung …
Fakt ist, dass zwischen der jüngsten BAföG-Erhöhung im Jahr 2010 und der nun kommenden Erhöhung zum Wintersemester 2016/2017 zwei Generationen von Bachelor-Studierenden durch die Hochschulen gingen, für die das BAföG nicht erhöht wurde, obwohl die Entwicklung von Preisen und Einkommen dies erfordert. Besser spät als nie: Gut, dass jetzt eine Erhöhung kommt, aber in Zukunft brauchen wir das als Automatismus. Ein Beispiel: Die BAföG-Wohnkostenpauschale steigt jetzt von bisher 224 Euro auf 250 Euro im Monat. Unsere Sozialerhebung zeigt aber, dass die Studierenden deutlich mehr für die Miete aufwenden müssen. Hier können wir mit der Sozialerhebung die tatsächlichen Bedarfe der Studierenden gegenüber der Politik aufzeigen.
Sie sagen es. Denn genau an diesem Beispiel, wie an vielen anderen davor, zeigt sich ja, dass die Regierenden mitunter sogar der eigens geförderten Statistik zuwiderhandeln. Oder sehen Sie es umgekehrt und würden behaupten, dass viele der Verbesserungen der zurückliegenden Jahrzehnte ohne Sozialerhebung sich nicht hätten erreichen lassen?
Sagen wir so: Es wäre ungleich schwerer, ohne die Sozialerhebung auf Verbesserungen, insbesondere BAföG-Erhöhungen, zu pochen. Nochmal: Ohne die Sozialerhebung würde man in der Studierendenpolitik im Nebel stochern. Man hätte keine empirische Grundlage für die Politikberatung.
Auch das Bundesbildungsministerium hat am Montag per Pressemitteilung auf den Start der 21. Sozialerhebung hingewiesen. Glauben Sie, damit erfüllt das Ministerium mehr als eine lästige Pflicht? Irgendwie erinnert das Ganze an den „nationalen Armuts- und Reichtumsbericht“. Den legen die Regierenden auch nur eher widerwillig vor.
Das sehe ich anders. Ich glaube, der Bundesregierung und insbesondere der Bundesbildungsministerin ist es absolut ernst mit der 21. Sozialerhebung. Ich sehe einen klaren politischen Willen, die soziale und wirtschaftliche Lage der Studierenden kennen zu wollen und auf dieser Basis dann Entscheidungen zu treffen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert die Befragung, und ich sehe dabei auf allen Ebenen in diesem Ministerium großes Engagement und echtes Interesse.
Gab es also noch keine Versuche seitens der Politik, die Statistiker in ihrer Arbeit zu behindern?
Nein. Das kann und will sich keine Bundesregierung erlauben, die amtierende schon gar nicht.
Der Aufruf zum Mitmachen bei der Neuauflage ist so überschrieben: „Wir rechnen, damit du zählst.“ Trotzdem ist die Beteiligung reine Glücksache …
Oder eben Zufall, er entscheidet, wer von seiner oder ihrer Hochschule zur Teilnahme eingeladen wird. Wenn ich aber die E-Mail erhalte, gilt: mitmachen! Die Sozialerhebung ist die wichtigste und größte Studierendenbefragung in Deutschland. Sie zeigt, wie das Studierendenleben wirklich ist. Sie liefert Daten und Fakten anstelle von Vermutungen und Vorurteilen.
Wann ist mit den Ergebnissen zu rechnen?
Im Frühsommer 2017, dann soll der Hauptbericht vorgestellt werden. Dann geht es in der zweiten Jahreshälfte 2017 und auch im Jahr 2018 weiter mit detaillierteren Berichten zu ausgewählten Themen.
Und dann folgt auch gleich die übernächste BAföG-Erhöhung und bezahlbarer Wohnraum für alle …
Ganz Genau!
(rw)