Probleme ohne e-NdeBearbeitung des BAföG-Antrags kann dauern
Studis Online: In den vergangenen Wochen häuften sich Presseberichte, wonach es bei der Bearbeitung von Anträgen auf Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) mancherorts gravierende Schwierigkeiten gebe. Vor allem war dies über Niedersachsen zu lesen, dort drohten wegen Softwareproblemen Tausende Antragssteller zu Semesterbeginn ohne Geld dazustehen. Ein Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) erweckte sogar den Anschein, dass es um ein bundesweites Phänomen geht und sich mithin Zehntausende Studierende auf eine „BAföG-Verspätung“ einstellen müssten. Sie selbst werden in dem Beitrag als Kronzeuge für diese Darstellung zitiert. Wollten Sie das so?
Achim Meyer auf der Heyde: In dem Artikel werden zwei Aspekte miteinander vermischt: die bundesweite Umsetzung des e-Antrages und die Probleme in denjenigen Bundesländern, die die Software „BAföG21“ einsetzen. Hier habe ich darauf verwiesen, dass es zu verspäteten Auszahlungen kommen könnte. Dies gilt natürlich nicht bundesweit, aber das Problem ist real. Die BAföG-Software in den neun sogenannten Verbundländern läuft nicht rund. Problematisch sind die Programmteile „BAföG21“, das ist das Berechnungsverfahren, und „Kasse21“, das ist das Forderungsmanagement. Seit dem Tag der Einführung im Jahr 2013 in den ersten Bundesländern tauchen immer wieder Fehler auf. Die Kontrolle, ob Fehler versteckt sind, ist für die BAföG-Ämter sehr aufwendig. Das kann zu Verzögerungen führen.
Noch Zukunftsmusik: BAföG ist bisher nicht voll durchdigitalisiert, in manchen Bundesländern fehlt sogar noch ein vernünftiger Online-Antrag.
Welche Fehler meinen Sie konkret?
Seit drei Jahren gibt es ungelöste Prozesse. Neuversionen enthalten bereits behobene geglaubte Fehler von Vorversionen. Auch die neueste Version von „BAföG21“, bei der die neuen BAföG-Sozialpauschalen eingearbeitet sein sollen, ist problembehaftet. Deshalb führen einige Verbundländer diese Version bewusst nicht ein, um größere Probleme zu vermeiden. Auf die Dauer ist das natürlich keine Lösung, zumal mit dem händischen Einarbeiten der aktuellen BAföG-Sozialpauschalen Mehrbelastungen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den BAföG-Ämtern verbunden sind.
Das heißt also, es gibt Bundesländer, die einfach weiter mit einer alten Version und alten Zahlen operieren …
Ja. Bisher sind bei „BAföG21“ die geänderten Sozialpauschalen, die sich aus der 25. BAföG-Novelle ergeben, nur in Bremen und seit August in Baden-Württemberg berücksichtigt – und das nach zwei Jahren Vorlaufzeit. In den übrigen sieben Verbundländern werden wegen der noch nicht eingearbeiteten Sozialpauschalen „falsche“ Bescheide an die Studierenden verschickt, mit der Folge, dass es irgendwann Korrekturbescheide geben muss. Das ist eigentlich vermeidbar, aufwendig und führt nicht selten zu Verwirrung bei den BAföG-Empfängerinnen und -Empfängern.
Wer gehört noch zu den Verbundländern?
Neben Bremen und Baden-Württemberg sind es Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Saarland, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern. In Zahlen kann man die Probleme nicht fassen. Fakt ist: Die BAföG-Ämter behelfen sich für ihre eigene Statistik mit einer Paralleleingabe in Altprogrammen, mit Excel-Tabellen – oder händischer Auszählung. Schöne neue digitale Welt …
Wie gut oder schlecht läuft es in den restlichen sieben Ländern, die nicht oder nicht mehr bei dem Verbund mitmischen?
Dort ist die BAföG-EDV stabil. Nordrhein-Westfalen nutzt eine Eigenprogrammierung des Landesbetriebs IT NRW, und die weiteren sechs Bundesländer nutzen die Software der Firma Datagroup. Das sind Bayern, Berlin, Brandenburg, Hamburg, Hessen und Schleswig-Holstein. Aus diesen sieben Ländern hört man keine Klagen.
Abseits der ganzen Baustellen im Einzelnen – Was läuft in Ihren Augen vom Grundsatz her schief?
Die Bundesländer sind weiterhin für den Vollzug des BAföG-Gesetztes zuständig. Die Wissenschaftsministerinnen und -minister bestimmen im Rahmen ihrer Kompetenz, welche Software und vor allem welche Version der Programmmodule verwendet wird. Das hat dazu geführt, dass eine Vielzahl von Versionen im Betrieb ist. Und es gibt sehr viele Akteure: die Länderministerien als Besteller, die Datenzentrale Baden-Württemberg als Softwareentwickler, die Landes-IT-Dienstleister als Service-Ansprechpartner für die BAföG-Ämter der Studentenwerke. Diesen Landes-IT-Dienstleistern ist aber die Fachanwendung im BAföG-Amt oft fremd.
Ein Beispiel: Bei „Kasse21“ gab es Probleme mit Auslandsanschriften. Dann stellte sich heraus, dass nicht „Kasse21“ Zicken macht, sondern „BAföG21“, das die Datenweitergabe an „Kasse21“ behindert. Da muss man erst einmal drauf kommen! Entdeckt haben das übrigens die BAföG-Ämter – bei einem vom Deutschen Studentenwerk organisierten Anwenderaustausch. Überdies werden innerhalb des Länderverbundes Fehlermeldungen untereinander nicht transparent gemacht. So müssen die BAföG-Ämter die Fehler pro Version immer wieder neu entdecken, und bekommen dann oft vom Land zu hören: Das wissen wir bereits.
Das Hauptproblem ist, dass die BAföG-Ämter dem Programm nicht vertrauen, sie müssen zeitaufwändig alles kontrollieren, um Fehler zu vermeiden. Das belastet das Personal und führt schlussendlich zu verlängerten Bearbeitungszeiten – zulasten der Studierenden.
Nun gibt es in Niedersachsen offenbar die größten Sorgen. Wieso macht die Technik dort mehr zu schaffen als anderswo?
Dort ist die Software der Verbundländer seit Dezember 2015 im Einsatz. Bis Juli 2016 – also über ein halbes Jahr hinweg – gab es erhebliche Performanceprobleme. Es dauert, ehe sich der Bildschirm aufbaut, es kommt zu Systemabstürzen, bei Updates ist zeitweise gar kein Betrieb möglich. Das zerrt an den Nerven der Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter. Diese Probleme existieren zusätzlich zu den bereits geschilderten. Aktuell wird geprüft, ob die eingesetzte Client-Server-Software „Citrix“ überhaupt kompatibel ist mit „BAföG21“. Wir honorieren aber, dass die Landesregierung reagiert hat. Wissenschaftsministerin Gabriele Heinen-Kljajić (Bündnis90/Die Grünen) hat die Studentenwerke eingeladen und sich selbst ein Bild von der Lage gemacht. Baldige Besserung scheint in Sicht.
Niedersachsen ist sehr spät auf das Verbundprojekt „Dialog 21/BAföG 21/Kasse21“ aufgesprungen. Zuvor war dort eine Technik der privaten Datagroup GmbH im Betrieb. Ist ein Umstieg von einem zum anderen System immer mit Reibereien verbunden?
Verbundländer haben den Begriff „Kinderkrankheiten“ benutzt. Kurzfristig ist das bei einem Softwareumstieg nicht zu vermeiden. Gerade bei der Übernahme von Altfällen läuft die Verbundländersoftware sehr unrund und eine drei Jahre dauernde Fehlerkontrolle ist einfach nicht hinnehmbar. Die BAföG-Ämter sind zu korrekten Ergebnissen verpflichtet, die Studierenden haben einen Anspruch darauf.
Lassen Sie es mich so ausdrücken: Die Beschäftigten in den BAföG-Ämtern gehen auf dem Zahnfleisch. Und es ist leider mal so im deutschen Bildungsföderalismus, dass die Länder ihrer Selbstkoordination – die sie ja gerne für sich reklamieren – nicht immer vollends nachkommen. Man hätte es beim Thema BAföG-Software sicher einfacher haben können.
Aber sollte das Verbundprojekt nicht gerade die passende Antwort auf das föderale Kleinklein sein, nach dem Motto: eine einheitliche Lösung für immer und überall?
Die diversen Versionen in den neun Verbundländern zeigen, wie gering ausgeprägt das verbindende Interesse an Zusammenarbeit ist. Da müssen Sie nur die sechs Datagroup-Länder fragen, warum sie aus dem Verbund ausgestiegen sind.
Von den am Anfang mit Ausnahme von Nordrhein-Westfalen (NRW) 15 beteiligten Ländern sind heute noch neun an Bord. Die anderen sind inzwischen bei der privaten Konkurrenz gelandet oder verwenden landeseigene Lösungen. Muss man daraus nicht ableiten, dass es das System einfach nicht bringt?
Uns beim DSW und den Studentenwerken vor Ort ist es egal, wer hinter einem BAföG-Programm steckt. Für uns ist allein entscheidend, ob ein Programm stabil und fehlerfrei läuft.
Die Frage ist für mich eine ganz andere. Die Anforderungen für die BAföG-EDV sind in der Gesetzesbegründung der 25. BAföG-Novelle so beschrieben: „Ziel sind medienbruchfreie Prozesse, die zu vollständig auf elektronischem Weg durchgeführten Verwaltungsverfahren führen.“ Es wird also ein durchdigitalisierter Prozess aus einem Guss gefordert: e-BAföG mit elektronischer Identifikation, mit e-Akte und reibungslosem Datenaustausch zwischen allen Bundesländern. Davon sind wir weit entfernt. Da muss sich auch der Bund überlegen, wie er die Sache mit der notwendigen Unterschrift der Eltern auf dem Einkommens-Formular löst – um nur ein Problem zu nennen.
Unser Interviewpartner Achim Meyer auf der Heyde ist Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks (DSW), in dem die 58 Studentenwerke in Deutschland zusammengeschlossen sind.
Was erwarten Sie also von der Politik?
Die Politik hat die Aufgabe, Hilfsmittel für die Aufgaben einer Sozialleistungsbehörde zur Verfügung zu stellen. Diese wiederum sind verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass jeder Berechtigte die ihm zustehenden Sozialleistungen in zeitgemäßer Weise, umfassend und zügig erhält.
Mit der Verpflichtung der Länder, zum 1. August 2016 einen e-BAföG-Antrag bereitzustellen, haben sich die Anforderungen noch einmal verändert. Nach dem e-Antrag wäre eine e-Akte der nächste Schritt. Bisher sind die BAföG-Akten nicht elektronisch versendbar. Dabei könnten als ideale Einstiegsgruppe für echtes e-Government gerade die IT-affinen Studierenden dienen. Dazu müsste die Politik dem e-BAföG aber eine Vorreiterrolle einräumen – und entsprechend investieren.
Aber noch einmal: Die Länder sind für Organisation und Verfahren zuständig. Wenn das nicht klappt, stellt sich die Frage, ob der Bund nicht eingreifen muss.
Hessen war das erste Land mit ausgereiftem e-BAföG-Verfahren und ist eines der Datagroup-Länder. Wie ist anderswo der Stand der Umsetzung?
In Hessen ist das System schon im November 2015 und damit vorfristig auf Sendung gegangen und läuft seitdem reibungslos. Die weiteren Datagroup-Länder sind fristgerecht im Juli gefolgt. Von den Verbundländern haben nur Baden-Württemberg und NRW die Zielvorgabe eingehalten, wobei wohl inzwischen auch der Rest nachgezogen ist.
Aber ein e-Antrag basiert auf einem Online-Antrag, und es existieren Verfahren sehr unterschiedlicher Qualität. Ohne Vollständigkeitsprüfung, hinterlegte Hinweise, weitreichende Plausibilitätsprüfungen, individuelle Nennung von beizufügenden Anlagen sind Online-Anträge zwangsläufig, wie die Papieranträge auch, zu 99 Prozent unvollständig – und die Bearbeitungszeit lang. Wir haben selbst einige der Online-Anträge getestet, keiner davon erfüllt die genannten Voraussetzungen!
Ihr Stellvertreter Stefan Grob hatte schon vor Monaten im Interview mit Studis Online gemahnt, dass in puncto e-Bafög noch vieles im Argen liegt. Was sagen Sie jetzt, da Ihre Warnungen offensichtlich unerhört geblieben sind?
Unsere Kritik ist, dass die Länder keinen Perspektivwechsel vornehmen und nicht die Sicht der Kunden einnehmen, also der Studierenden. Ein Bundesgesetz muss überall gleiche Bedingungen ermöglichen. Ein schnell gegoogelter Antrag müsste in allen Ländern anwendbar sein. Das ist aber nicht der Fall, da im spezifischen Antrag des Bundeslandes nur die Hochschulen des jeweiligen Bundeslandes benannt werden, aber möglicherweise nicht die in dem Land des gewünschten Hochschulortes. Da sucht man nicht weiter, sondern füllt einen überall nutzbaren Papierantrag aus, der dann eben leider häufig unvollständig ist.
Wir hatten als DSW im Frühjahr einen koordinierten Föderalismus angemahnt, bei dem sich die 16 Bundesländer zusammensetzen und eine bundesweite Lösung anbieten. Daraus ist leider nichts geworden.
Angesichts all der Rückstände, Unzulänglichkeiten und Ungereimtheiten zwischen den Ländern, wann rechnen Sie mit einem bundesweit einheitlichen und funktionstüchtigen Verfahren? Oder rechnen Sie überhaupt noch damit?
Wir mahnen weiter einen koordinierten Föderalismus an. Im Bundeshaushalt 2017 steht: „Die (BAföG-)Ausgaben dürfen auch für die Kosten (…) für die Pflege DV-gestützter Verfahren zur Durchführung des BAföG verwendet werden.“ Vielleicht hat ja die Bundesregierung das Problem erkannt und will nun selbst aktiv werden.
(rw)