Schluss mit der Schrumpfkur!„Alternativer BAföG-Bericht“ der DGB-Jugend
Der „alternative BAföG-Bericht“ zeigt: Mehr BAföG wäre nötig!
Eigentlich hätte Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) längst liefern müssen. Nach § 35 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) sind „Bedarfssätze, Freibeträge sowie die Vomhundertsätze und Höchstbeträge nach § 21 Absatz 2 (…) alle zwei Jahre zu überprüfen und durch Gesetz gegebenenfalls neu festzusetzen“. Dabei sei der „Entwicklung der Einkommensverhältnisse und der Vermögensbildung, den Veränderungen der Lebenshaltungskosten sowie der finanzwirtschaftlichen Entwicklung Rechnung zu tragen“. Im Klartext heißt das: Legen Löhne und Preise zu, muss auch beim BAföG nachgelegt werden.
Wankas Hinhaltetaktik
Nicht mit dieser Regierung. Weder bessert sie in halbwegs verlässlichen Abständen bei der Förderung nach, noch hält sie das Zeitfenster bei der Begutachtung ein. Zuletzt hatte Wanka im Januar 2014 Zeugnis abgelegt, mit dem 20. BAföG-Bericht. Die 21. Auflage ist damit lange überfällig. Wobei das irgendwie sogar Sinn macht, zumindest in der Logik einer politischen Linie, die nicht auf den Ausbau, sondern den schleichenden Abbau der Förderung setzt. Vor der neuesten zum laufenden Wintersemester in Kraft getretenen Novelle waren sechs lange Jahre ohne BAföG-Nachschlag ins Land gegangen. Jetzt, wo die neue Reform gerade mal ein halbes Jahr alt ist – Wie will man da bereits fundiert die Auswirkungen messen?
Das haben sich auch die Regierenden gedacht und im neugefassten 25. BAföG-Gesetz festgeschrieben, die Berichtserstattung mal eben aufs Jahr 2017 zu verschieben. Also: Kein Grund, Stress zu machen, alles zu seiner Zeit. Denn wer wollte noch vor der Bundestagswahl ein Fass aufmachen wegen einer Sache, die von den „wirklich wichtigen“ Themen wie Trump, Brexit und Terror nur unnötig ablenkt. Soll sich doch die kommende Regierung damit rumschlagen. Deshalb: Deckel drauf, Ruhe im Karton.
15 Prozent Förderquote
Der Nachwuchsverband des Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB-Jugend) spielt da nicht mit und will sich nicht länger hinhalten lassen. Nach dem Motto, wenn die Regierung schon nichts bringt, bringen wir`s halt, hat sie kurzerhand einen eigenen „alternativen BAföG-Bericht“ erarbeitet. Der am Montag veröffentlichte Report ist dabei nicht nur „anders“, sondern vor allem „besser“, weil deutlich realitätsnäher als der amtliche. Anders als dieser beschönigt er nichts und operiert mit Zahlen, die die Wirklichkeit abbilden, statt sie zu verschleiern.
Zum Beispiel rückt er Wankas Ansage von vor drei Jahren gerade, dass die Zahl der BAföG-Empfänger auf dem „höchsten Stand seit 30 Jahren“ sei. Damals trumpfte die Ministerin mit einer Gefördertenquote von „28 Prozent im Jahr 2012“ auf, womit sie suggerierte, dass fast jeder dritte Student in den Genuss staatlicher Unterstützung kommen würde. Das trifft nicht einmal annähernd zu. Laut „alternativem Bericht“ lag die Förderquote vor fünf Jahren bei 19 Prozent und ist bis 2015 auf 15 Prozent „eingebrochen“. Bei den Schülern ist die Diskrepanz noch gewaltiger: Wanka hantierte seinerzeit mit einem Wert von 19 Prozent. Dagegen schreibt die DGB-Jugend: „Tatsächlich werden nur noch rund 1,5 Prozent aller Schülerinnen und Schüler in 2015 überhaupt noch durch das BAföG gefördert.“
Schönrechnerei
Lügt die Regierung? Nein: Sie misst nur anders. Während der DGB die Geförderten ins Verhältnis zur Gesamtzahl der Studierenden setzt, legt die Regierung seit 1994 allein Fälle von „förderungsfähiger Ausbildung“ zugrunde. Nicht inbegriffen sind dabei zum Beispiel Leute, die über die Regelstudienzeit hinaus studieren, ein bestimmtes Alter überschreiten (30 Jahre beim Bachelor, 35 beim Master), einen Studiengang abgebrochen haben oder einen Teilzeitstudiengang absolvieren.
Indem der Kreis der potenziell Anspruchsberechtigten durch immer wieder neue „nichtökonomische Förderungsvoraussetzungen“ immer weiter eingeschränkt wurde, trug die Politik für zweierlei Sorge: Die Ausgaben konnten klein- bzw. unter Kontrolle und die „Förderquote“ weitgehend konstant hochgehalten werden. Mehr noch: Mit dem seit über einem Jahrzehnt anhaltenden Hochschulrun ließen sich sogar „Förderzuwächse“ verzeichnen, die allerdings in Relation zur Gesamtstudierendenzahl gar keine sind.
„Schwarze Null“ beschert Minus
Aber sogar mit der „frisierten“ Methodik lässt sich nicht mehr alles schönmalen. Laut DGB-Papier ist Zahl der BAföG-Bezieher unter den Fällen „förderungsfähiger Ausbildung“ von 28 auf 23 Prozent im Jahr 2015 zurückgegangen. Nominell waren das „fast 90.000“ weniger als drei Jahre davor, für die Autoren „absolut enttäuschend“. Der massive Rückgang erkläre sich mit der Entwicklung der Freibeträge, „die in 2013 wieder unter die Entwicklung der Bruttolöhne gerutscht ist, aber auch mit den nichtmonetären Fördervoraussetzungen“.
Bei den Schülern rutschte der Wert von 19 auf 16 Prozent ab, was nominell einem Minus von 21.000 entspricht. Für die DGB-Jugend spiegelt sich darin „deutlich die Politik der schwarzen Null, die bei der Bundesausbildungsförderung über den Umweg eines langen Stillhaltens durchgesetzt wurde“, heißt es in der Studie. Man habe das BAföG seit 2010 „erodieren“ lassen und „sparte in 2015 rund 306 Millionen Euro im Vergleich zum Haushaltsjahr 2012 ein“.
Kleinteilige Reform
Und so könnte es weitergehen. Durchgreifende Besserung versprechen sich die jungen Gewerkschafter nämlich auch nicht von der 2016 ins Werk gesetzten BAföG-Reform. Selbst die versprochenen 500 Millionen Euro „würden die Ausgaben für das BAföG (gemessen an der Relation zum Bruttoinlandsprodukt) nicht auf das Niveau von 2012 heben“. Außerdem bleibe zu befürchten, dass die Freibetragserhöhung „aufgrund ihres zu geringen Ausmaßes nur den Rückgang der Anzahl der Geförderten stoppen, den angekündigten Ausbau um 110.000 neue Geförderte aber nicht bewirken kann“.
Zum August 2016 wurden die Fördersätze und Elternfreibeträge um jeweils sieben Prozent angehoben. Der allgemeinen Lohn- und Preisentwicklung hinkt man damit aber schon wieder hinterher. Die Teuerungsrate lag schon 2014 knapp sieben Prozent über dem Stand von 2010. Inzwischen ist laut Statistischem Bundesamt die Acht-Prozent-Marke geknackt. Das, was BAföG-Empfänger seither mehr in der Tasche haben als davor, ist in Wirklichkeit weniger wert als noch vor sieben Jahren.
„Faktische Entwertung“
Das hat schlechte Tradition: Nach DGB-Berechnungen lagen die Bedarfssätze 2016 um 6,4 Prozentpunkte unter der Entwicklung der Lebenshaltungskosten seit 1971. Um diese „faktische Entwertung auszugleichen“, seien die Förderbeträge „sofort“ um 6,5 Prozent anzuheben, fordert der Gewerkschaftsdachverband. Weiterhin müssten die Freibeträge mit den Bruttolöhnen und -gehältern Schritt halten, die Bedarfssätze, Freibeträge und Sozialpauschalen mit jedem BAföG-Bericht automatisch angepasst und der Darlehnsanteil an der Förderung schrittweise bis zur Vollförderung gesenkt werden. Insbesondere bleibe die Wohnpauschale, die sich neuerdings auf 250 Euro beläuft, weit hinter dem Bedarf zurück. Örtlich decke der Betrag nur 60 Prozent der realen Wohnkosten.
Aber nicht nur am Geld hapert es. Wanka hatte vor drei Jahren eine grundlegende „Weiterentwicklung des BAföG“ mit dem Ziel angekündigt, den Kreis der Förderfähigen zu erweitern. Viel mehr als ein paar Erleichterungen beim Übergang vom Bachelor- zum Master-Studium sind dabei nicht herausgekommen. Laut DGB-Jugend gab es „nur eine pauschale Erhöhungsrunde“ und keine strukturellen Verbesserungen, etwa in Gestalt einer „Öffnung des BAföG durch veränderte Altersgrenzen oder die Förderfähigkeit von Teilzeitstudiengängen“.
SPD-Schlafmützen
Dieser Meinung ist man auch beim „freien zusammenschluss von studentInnenschaften“ (fzs). „Der alternative BAföG-Bericht zeigt, dass die Bundesregierung bei der BAföG-Reform versagt hat“, äußerte sich am Dienstag Verbandsvorstandsmitglied Janek Heß per Pressemitteilung. Madelaine Stahl, Sprecherin im Bundesverband von Campusgrün, ergänzte: „Wir brauchen ein alters- und herkunftsunabhängiges BAföG, das sich an den steigenden Lebenshaltungskosten orientiert. Dazu müssen Fördersätze und Freibeträge regelmäßig erhöht werden und das BAföG zu einem Vollzuschuss-Modell ausgebaut werden.“ Zudem müsse die Koppelung an die Regelstudienzeit abgeschafft werden.
Auch Nicole Gohlke von der Bundestagsfraktion der Partei Die Linke beklagte ein „Totalversagen“ der Verantwortlichen. „Die Bedarfssätze, die Kosten der Unterkunft, die Altersgrenzen oder die Nichtförderung von Teilzeitstudiengängen – all dies entspricht überhaupt nicht mehr der heutigen Lebensrealität der Studierenden.“ An die SPD appellierte die Politikerin, „endlich aus ihrem Winterschlaf“ zu erwachen. Statt der warmen Worte ihres Kanzlerkandidaten Martin Schulz und der Wiederentdeckung der Bekämpfung sozialer Ungleichheit im Wahlkampf, solle sie einfach handeln. „Schließlich ist sie an der Regierung.“
Schrumpfkur nach Plan
Ob das mal was wird. Die Sozialdemokraten haben sich, trotz ihrer gerne beschworenen Gewerkschaftsnähe, eine Stellungnahme zum DGB-Papier gespart. Auch von der Union war nichts zu hören, so wenig wie von Ministerin Wanka. Diese forciert wie ihre Amtsvorgängerin und Parteifreundin Annette Schavan lieber den Ausbau privater Studienfinanzierungmodelle – etwa mit Studienkrediten oder in Gestalt des sogenannten Deutschlandstipendiums. Deren Bedeutung wächst in dem Maße, wie die staatliche Ausbildungsförderung an Boden verliert und Studierende und Studierwillige genötigt sind, auf alternative Geldquellen zuzugreifen.
Ergo: Die Schrumpfkur beim BAföG ist kein Ausrutscher, sondern geschieht nach Plan. Vor diesem Hintergrund muss die Aufforderung des Gewerkschaftsnachwuchses, „nach der Reform ist also vor der Reform“ nichts Gutes verheißen. Denn die Erfahrung lehrt: Schlechter geht immer. (rw)