Studieren in der Kostenfalle21. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks
Die Finanzierung eines Studiums ist meist ein Jonglieren mit verschiedenen Einnahmequellen … bei leider immer weiter steigenden Kosten.
Die vielleicht alarmierendste Zahl gleich zu Anfang: Nur noch 18 Prozent aller Studierenden erhielten 2016 Förderleistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG). Wie der Präsident des Deutschen Studentenwerks (DSW), Dieter Timmermann, am Dienstag vor Pressevertretern in Berlin anmerkte, sei das „die niedrigste Quote seit Beginn der 1990er Jahre“. Sein Verband sehe sich durch die Daten darin bestätigt, „dass das BAföG regelmäßig und auch auf der Basis der Sozialerhebung erhöht werden muss“.
Die 21. Sozialerhebung zur „wirtschaftlichen und sozialen Lage der Studierenden in Deutschland 2016“ wurde im Auftrag des DSW vom Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) und mit Unterstützung der Bundesregierung erstellt. Dazu sind im vergangenen Sommer rund 341.000 Hochschüler im Online-Verfahren angefragt worden, wovon sich letztlich 67.000 beteiligten. In die Analyse eingegangen (hier als Zusammenfassung) sind etwas mehr als 55.000 Datensätze, was einer Nettorücklaufquote von 16,2 Prozent entspricht. Bei der Untersuchung von 2012, die noch mit Papierfragebogen auf dem Postweg durchgeführt wurde, betrug die Rücklaufquote 28 Prozent. Nominell waren es seinerzeit aber nur 16.000 Teilnehmer. Die Repräsentativität der Auswertung ist also insgesamt größer geworden. (vgl. hier).
Regierung zählt anders
Eine Aussage über die Entwicklung der Förderzahlen nach der im Vorjahr in Kraft getretenen 25. BAföG-Novelle kann die Studie nicht liefern. Timmermann äußerte indes die Hoffnung, dass durch Erhöhung der Elternfreibeträge um sieben Prozent „nun deutlich mehr Studierende BAföG bekommen“. Die Jugendorganisation des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) hat in ihrem unlängst vorgelegten „alternativen BAföG-Bericht“ gar eine Förderquote von zwölf Prozent für das Jahr 2015 errechnet. Von den Schülern in Deutschland profitierten sogar lediglich 1,5 Prozent von einer Förderung.
Die Bundesregierung hantiert mit ganz anderen Hausnummern. Sie zieht seit 1994 für ihre Kalkulation lediglich die Fälle von „förderungsfähiger Ausbildung“ heran, womit Menschen, die beispielsweise über Regelstudienzeit hinaus studieren, ein bestimmtes Alter überschreiten (30 Jahre beim Bachelor, 35 beim Master), einen Studiengang abgebrochen haben oder einen Teilzeitstudiengang absolvieren, unberücksichtigt bleiben. Für das Jahr 2012 ergab sich so ein Wert von 28 Prozent bei Studierenden und 19 Prozent bei Schülern.
Angst vor Verschuldung
Die Sozialerhebung von 2012 hatte eine Förderquote von 24 Prozent (bezogen auf alle Studierenden) ergeben. Angesichts des Rückgangs um sechs Punkte auf jetzt 18 Prozent sieht Timmermann „dringenden Handlungsbedarf“. Das zeige sich insbesondere an der Diskrepanz zwischen den durchschnittlichen Einnahmen der Studierenden von monatlich über 900 Euro und dem aktuellen BAföG-Höchstsatz von 735 Euro. Vor allem dürfe es zwischen zwei BAföG-Anpassungen „nicht wie zuletzt viele Jahre Stagnation geben“. Den der jüngsten Reform vorangegangen Förderzuschlag hatte es im Wintersemester 2010/11 gegeben.
Für besorgniserregend hält es der DSW-Chef zudem, dass längst nicht alle Förderfähigen ihre Ansprüche geltend machen. So würden in der sozialen Herkunftsgruppe „niedrig“, für die das BAföG eigentlich gedacht ist, 37 Prozent keinen BAföG-Antrag stellen. Begründet wird das überwiegend damit, dass die Betroffenen sich nicht verschulden wollen. Timmermann wies daher auf die Deckelung des Darlehensanteils bei 10.000 Euro und die „äußerst sozialverträglichen“ Rückzahlungsmodalitäten hin und appellierte an die Politik: „Für das BAföG und seine äußerst fairen Konditionen muss stärker geworben werden.“
Teures Wohnen
Ausgaben (Fokus Typ) | 2016 | Veränderung zu 2012 |
Miete inkl. Nebenkosten | 323 € | +10% |
Ernährung | 168 € | +4% |
Kleidung | 42 € | -19% |
Auto/ÖPNV | 94 € | +21% |
Gesundheit | 80 € | +29% |
Telefon, Internet | 32 € | -3% |
Freizeit, Kultur, Sport | 61 € | -10% |
Quelle: 21. Sozialerhebung,
Details im Artikel „Was kostet ein Studium monatlich?“
Das tut auch deshalb not, weil die Kostenlast weiter zugenommen hat. Im Durchschnitt beliefen sich die monatlichen Ausgaben von alleinstehenden, nicht bei den Eltern wohnenden Studierenden („Fokus Typ“) 2016 auf 819 Euro. 2012 waren es noch 777 Euro nach 742 Euro im Jahr 2009. Der größte Posten sind die Mietzahlungen, die im Mittel bei 323 Euro lagen (294 Euro 2012). Vier Prozent der Studierenden geben fürs Wohnen über 500 Euro aus, vier Prozent zwischen 451 und 500 Euro, acht Prozent zwischen 401 und 450 Euro, 15 Prozent zwischen 351 und 400 Euro sowie 20 Prozent zwischen 301 und 350 Euro. Alle diese Werte liegen, zum Teil deutlich, über denen des Jahres 2012. Zum Vergleich: Die BAföG-Wohnpauschale beträgt aktuell 250 Euro. Unter den höchsten Kosten folgen an zweiter Stelle Ausgaben für Ernährung (168 Euro), an dritter die für Mobilität (94 Euro) und dahinter die für Gesundheit (80 Euro).
Von den Fokus-Typ-Studierenden gaben 19 Prozent an, dass ihre Einnahmen gerade ausreichen, ihre Ausgaben zu decken. Bei der Hälfte übersteigen die Ausgaben das Budget um 50 Euro. Zugleich ist der Anteil derer, denen am Monatsende 200 Euro übrig bleiben, im Vergleich zur Vorgängeruntersuchung um zwölf Prozent auf 37 Prozent gestiegen. Für das Viertel der Studierenden im unteren Einnahmenquartil ergibt sich jedoch in 40 Prozent der Fälle eine negative Einnahmen-Ausgaben-Bilanz. Von den Studierenden, die der Herkunftsgruppe „niedrig“ zugeordnet sind, gaben lediglich 51 Prozent an, ihre Finanzierungssituation sei gesichert. Bei der Studie von 2012 waren es noch 53 Prozent. Bei den Befragten der Herkunftsgruppe „hoch“ ging der entsprechende Wert binnen vier Jahren von 83 auf 81 Prozent zurück.
Jobben ist Pflicht
In punkto Einnahmen verfügte der Durchschnittsstudent 2016 mit 918 Euro über 76 Euro mehr als im Jahr 2012. Allerdings müssen 28 Prozent mit weniger als 700 Euro auskommen, jeder fünfte sogar mit weniger 670 Euro, dem BAföG-Höchstsatz zum Zeitpunkt der Befragung. Mehr Geld beziehen die Betroffenen vor allem durch Erwerbsarbeit. Gegenüber 2012 hat der Anteil derer, die neben dem Studium jobben, um sechs Punkte auf 68 Prozent zugelegt. Ebenso sind die Unterstützungsleistungen der Eltern gestiegen, von im Schnitt 261 Euro im Jahr 2012 auf 309 Euro 2016.
DSW-Präsident Timmermann stellte das in einen Zusammenhang mit dem BAföG. Weil das zu knapp bemessen sei, kompensierten Studierende dies „mit vermehrter Erwerbstätigkeit, und die Eltern müssen sie stärker unterstützen.“ Großen Nachholbedarf sieht er auch bei der Wohnraumförderung. 41 Prozent der Studierenden, die im Wohnheim lebten, gehörten zum unteren Einkommensquartil. „Fast gleich viele haben am Ende des Monats kein Geld mehr übrig. Das zeigt, wie essentiell die Leistungen der Studentenwerke sind.“ Einmal mehr forderte Timmermann, einen „Hochschulsozialpakt“ aufzulegen, ein Bund-Länder-Programm analog zum sogenannten Hochschulpakt zur Finanzierung zusätzlicher Studienplätze.
Wanka will`s flexibler
„Die Gruppe der Studentinnen und Studenten in Deutschland ist heute so vielfältig wie unsere ganze Gesellschaft“, sagte Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) anlässlich der Präsentation der Studie. Sie hätten demnach „ganz unterschiedliche Bedürfnisse im Studium“, weshalb sie eine noch flexiblere Gestaltung der Studienformen empfahl, „etwa mit Blick auf ein Studium mit Kind oder im Umgang mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen“. Laut Analyse hatten 2016 sechs Prozent der Befragten mindestens ein Kind (fünf Prozent 2012), fast jede (jeder) zehnte davon war alleinerziehend. Elf Prozent der Studierenden litten unter gesundheitlichen Beeinträchtigungen.
Im Hinblick auf die Berufsabschlüsse der Eltern der heutigen Studierenden zeigt sich, dass von ihnen 48 Prozent aus keinem Akademikerhaushalt stammen. Damit stelle das Hochschulstudium für fast die Hälfte einen „Bildungsaufstieg“ dar, äußerte sich Monika Jungbauer-Gans, wissenschaftliche Geschäftsführerin des DZHW. Dieser Anteil liegt seit 2006 in etwa konstant im Bereich um die 50 Prozent. Von 66 Prozent der Studierenden hat mindestens ein Elternteil das Abitur gemacht hat, 2012 lag der Wert noch bei 60 Prozent. Allerdings erlaubt dies laut Jungbauer-Gans alleine noch keine Aussagen über eine Veränderung der Chancenverhältnisse, weil der Anteil der Menschen mit Abitur in der Bevölkerung ebenfalls steige und der Abgleich zur Gesamtbevölkerung fehle.
Sozial undurchlässig
Das deutsche Bildungswesen gilt gemeinhin als sozial wenig durchlässig. Kinder aus sogenannten bildungsfernen Familien schaffen eher selten den Sprung an die Hochschulen. Immerhin: Während seit Anfang der 1990er Jahre bis 2012 der Anteil der Studierenden mit „niedriger“ Bildungsherkunft von über 20 Prozent auf neun Prozent im Jahr 2012 eingebrochen war, signalisieren die zwölf Prozent im Vorjahr eine leichte Besserung. Andererseits hat aber der Anteil derer mit „mittlerer“ Bildungsherkunft deutlich von 41 auf 36 Prozent nachgegeben. Diejenigen mit „hoher“ und „gehobener“ Bildungsherkunft habe dagegen um zwei Punkte auf zusammen 52 Prozent draufgesattelt. Hieraus lässt sich durchaus auch ein Trend zur weiteren Elitisierung der Hochschulbildung ablesen.
Noch besser ließe sich dies jedoch anhand des „Bildungstrichters“ veranschaulichen. Dabei handelt es sich um eine Grafik, die bis zuletzt in jeder DSW-Sozialerhebung aufgetaucht ist und bildlich darstellte, wer aus welcher sozialen Herkunftsgruppe in seiner Bildungslaufbahn wo scheiterte oder reüssierte (siehe bspw. in unserem Interview zur 20. Sozialerhebung). Dabei ergab sich ein über Jahre fast unverändertes Bild: Von 100 Akademikerkindern studieren 77. Von 100 Kindern aus Nicht-Akademikerelternhäusern nur 23 Prozent. Laut der Wochenzeitung Der Freitag war der Bildungstrichter „die medial wie politisch meistbeachtete Grafik in den Sozialerhebungen des Studentenwerks“.
Kein „Bildungstrichter“ mehr
In der neuesten Sozialerhebung kommt der „Bildungstrichter“ nicht vor – ein Novum. Damit gibt die Untersuchung keinen Aufschluss darüber, wie viele Schülerinnen und Schüler aus Nicht-Akademikerfamilien insgesamt ein Abitur absolviert und wie viele von ihnen den Weg an die Hochschule gewählt haben. Der Freitag fragt dann auch: „Ist Ungleichheit in der Bildung plötzlich kein Thema mehr? Passen die Daten etwa nicht in das Vorfeld der Bundestagswahl 2017? Vor allem dann nicht, wenn die Vorgängerregierung von Union und FDP und auch die Koalition von Union und SPD dafür gesorgt haben, dass Elternfreibeträge und Fördersummen des BAföG sechs Jahre lang eingefroren blieben – trotz gestiegener Lebenshaltungskosten?“ Auffällig auch: In den offiziellen Verlautbarungen zur Studie, auch denen des in dieser Frage bis dato stets kritischen DSW, wurde der Aspekt soziale Selektivität nicht gesondert problematisiert. Vier Jahre davor hatte Timmermann Politik und Hochschulen noch eindringlich aufgefordert, sich endlich auf die Suche nach einem Konzept zu machen, um den sozialen Verwerfungen beim Studienzugang zu begegnen.
Klare Worte fand an seiner Stelle die Opposition im Bundestag. Kai Gehring von den Grünen bezeichnete es als „falsch, am Studiendesign so zu drehen“, dass wesentliche Infos herausfielen. „Anstatt den eklatanten Zusammenhang zwischen Bildungschancen und sozialer Herkunft zu verschleiern, muss es um maximale Transparenz und optimale Förderung jedes Talents gehen“, nahm er in einer Pressemitteilung Stellung. Nach zwölf Jahren unionsgeführter Bundesregierung sei das BAföG „ein Schatten seiner selbst“. Mit ihrer unsozialen Politik falle die Koalition „vor allem Studieninteressierten aus Elternhäusern mit geringem bis mittlerem Einkommen in den Rücken“, monierte Gehring.
„Zehn Prozent mehr“
Der stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Andreas Keller, forderte, direkt nach der Bundestagswahl eine neuerliche BAföG-Erhöhung um „mindestens zehn Prozent“ auf den Weg zu bringen und die Ausbildungsfinanzierung umfassend zu reformieren. Dazu gehöre auch, „BAföG endlich wieder von einem Teildarlehen zu einem Vollzuschuss umzubauen und für Schülerinnen und Schüler ab Klasse elf an allgemeinbildenden Schulen wieder einzuführen“.
ArbeiterKind.de, Deutschlands größte gemeinnützige Organisation für Studierende aus Nicht-Akademikerfamilien, plädierte am Dienstag für mehr Anstrengungen zu Gunsten bildungsbenachteiligter junger Menschen. „Studieninteressierte, die keine Vorbilder in ihrer Familie haben, schöpfen zu selten ihre Potenziale aus“, erklärte Verbandsgründerin Katja Urbatsch. Das Informationsdefizit, das dazu führe, dass zu wenig über Finanzierungsmöglichkeiten, Stipendien, Studienorganisation und -ablauf bekannt ist, müsse behoben werden. Menschen aus Familien ohne akademische Tradition brauchten „Ermutigung und Selbstvertrauen, um ihre Bildungschancen wahrzunehmen“. ArbeiterKind.de geht angesichts der neuesten Zahlen davon aus, „dass sich die Chancen auf den Bildungsaufstieg zwar nicht verschlechtert, allerdings auch nicht verbessert haben“.
„Union und SPD treiben durch ihre Untätigkeit die regelrechte Verarmung vieler Studierender an“, kommentierte Nicole Gohlke von der Partei Die Linke. „1991 machten Studierende mit sogenannter gehobener und hoher Bildungsherkunft noch 36 Prozent der Studierendenschaft aus, 2016 ist ihr Anteil auf über die Hälfte angestiegen.“ Durch die „Verstümmelung des BAföG“ seien viele Studierende „armutsgefährdet“. So wären etwa die Ausgaben für Kleidung um 20 Prozent gesunken, für Lernmittel würden ein Drittel, für Freizeit und Kultur zehn Prozent weniger ausgegeben. Gohlkes Fazit: „Union und SPD sind eine echte Gefahr für die Studierenden.“ (rw)
- 21. Sozialerhebung (Hauptbericht als PDF)
- Zusammenfassung der 21. Sozialerhebung (PDF)
- Was kostet ein Studium monatlich? (mit Daten aus der Sozialerhebung)
- Mietkosten in 59 Studentenstädten (aus der Sozialerhebung, 2006-2016)
- Interview zur 20. Sozialerhebung (mit Bildungstrichter!)
- Alle Möglichkeiten der Studienfinanzierung im Detail