Studentische Mitarbeiter in Berlin in Streikbereitschaft„Hiwis“ auf die Barrikaden!
Der Tarifvertrag ist gekündigt – ab 2018 könnte es zum Streik der HiWis an den öffentlichen Hochschulen in Berlin kommen.
Die Alma Mater ist das Hauptquartier der Ausgebeuteten. Keine Branche in der freien Wirtschaft ist arbeitsrechtlich derart dereguliert wie die staatlichen Hochschulen. Prekär geht es vor allem im Mittelbau zu: Vier von fünf Jungakademikern sind befristet angestellt. Wissenschaftliche Mitarbeiter und Lehrbeauftrage hangeln sich zu Zehntausenden von einem Zeitvertrag zum nächsten. Viele verdingen sich auf Honorarbasis zum Hungerlohn. Privatdozenten, die es zum Professor bringen wollen, tun sogar Dienst zum Nulltarif.
Weit unten in der Nahrungskette stehen auch sogenannte studentische Beschäftigte. Obwohl ohne sie nichts mehr liefe im Unibetrieb, werden sie überwiegend mit kläglich geringen Bezügen abgespeist. Stundensätze von unter zehn Euro sind die Regel, häufig sind es weniger als neun Euro. Mit der Einführung des Mindestlohns wurde inzwischen wenigstens eine Grenze nach unten eingezogen, aktuell bei 8,84 Euro. Das war bitter nötig. Nach einer Studie der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) wurden noch Ende 2014, also kurz bevor die gesetzliche Lohnuntergrenze von anfangs 8,50 Euro in Kraft trat, bisweilen sogar nur sechs Euro für „Hiwis“ gezahlt.
Einzigartige Hauptstadt
Wirklich gut verdient man als studentischer Mitarbeiter nirgendwo in Deutschland (siehe folgende Tabelle). Auch nicht in der Hauptstadt, wobei die Verhältnisse hier noch mit Abstand die besten sind. Während überall sonst die Lohn- und Arbeitsbedingungen einseitig durch die Bundesländer diktiert werden, verfügt einzig Berlin über einen eigenständigen Tarifvertrag für „Hiwis“ (TV Stud II) – mit festgeschriebenen Rechten und verbindlicher Vergütung. Das Regelwerk war 1986 durch Tutorinnen und Tutoren in einem mehrwöchigen Streik erkämpft worden und 15 Jahre lang an die Einkommensentwicklung des öffentlichen Dienstes gekoppelt. Mit jedem neuen Lohnabschluss für reguläre Arbeitnehmer sprang auch für Hilfskräfte mehr heraus.
Was Studis als HiWi (höchstens) verdienen Löhne vor erstem Studienabschluss (also bspw. im Bachelor). Die Hochschulen können in den meisten Bundesländern die angegebenen Löhne unterschreiten, es handelt sich also oft um die Obergrenze. In jedem Fall muss aber der Mindestlohn von aktuell 8,84 € / Stunde gezahlt werden. | |
Bundesland | Stundenlohn |
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Baden-Württemberg | 9,16 € |
Berlin | 10,98 € |
Brandenburg | 9,16 € |
Hamburg | 9,71 € |
Niedersachsen | 9,70 € |
Rheinland-Pfalz | 9,70 € |
Sachsen | 9,64 € |
Thüringen | 9,05 € |
Quelle: Wikipedia (dort z.T. Originalquellen und Stand angegeben) |
2001 war dann allerdings Schluss mit der schönen Gleichbehandlung. Die Dynamisierung wurde ausgesetzt, wodurch die Vergütung immer weiter hinter der allgemeinen Lohnprogression zurückblieb. Tatsächlich treten die „Hiwis“ seither sogar auf der Stelle. Der heute gültige Stundensatz von 10,98 Euro entspricht nominell exakt dem von vor 16 Jahren. Bei im Regelfall 40 Stunden im Monat und rund 430 Euro netto macht man damit keine großen Sprünge. Im Zuge der staatlichen Kürzungspolitik haben die Hochschulen im Jahr 2004 obendrein damit aufgehört, Weihnachtsgeld zu zahlen. Alles in allem sind so inzwischen über 30 Prozent Reallohneinbußen aufgelaufen.
Unis spielen auf Zeit
Die Betroffenen wollen sich das nicht länger bieten lassen. Am Dienstag haben die Gewerkschaften GEW und ver.di angekündigt, den Tarifvertrag zum 31. Dezember zu kündigen. Kommt es so, können ab dem 1. Januar 2018 Arbeitskampfmaßnahmen ergriffen werden. „Jetzt ist der Weg frei für einen Streik zu Beginn des nächsten Jahres“, schrieb die eigens zur Durchsetzung eines neuen Tarifvertrags gegründete Initiative „TV Stud“ in einer Medienmitteilung. Man werde zeigen, „dass wir es ernst meinen“, äußerte sich die Sprecherin des Bündnisses Franziska Hamann-Wachtel. „Wir lassen uns nicht weiter als Beschäftigte zweiter Klasse behandeln.“
Vorausgegengen ist dem Beschluss eine lange Hängepartie. Eigentlich hatte man sich schon 2011 auf eine Neuverhandlung des Vertragswerks verständigt. Seinerzeit gestand das Land Berlin den direkt bei ihm beschäftigten Studierenden immerhin einen moderaten Lohnaufschlag und die Wiedereinführung des Weihnachtsgeldes zu. Die Hochschulen verweigerten sich dagegen auch in den Folgejahren konsequent jeder Aufwertung ihrer „Hiwis“. Zu Jahresanfang wurden zwar endlich Verhandlungen aufgenommen, seither sind aber mehrere Runden ergebnislos gescheitert. Beim vorerst letzten Treffen Mitte September bot der Kommunale Arbeitgeberverband, KAV, der für die Hochschulen verhandelt, eine Erhöhung auf 12,13 Euro zum 1. Januar und eine Anhebung auf 12,35 Euro ab 2021 an.
Zurück zur Lohnanbindung
Die Gewerkschaften beanspruchen dagegen eine Erhöhung auf 14 Euro, um den durch Inflation und gestiegene Lebenshaltungskosten bedingten Lohnverfall der letzten 16 Jahre wettzumachen. Ferner verlangen sie unter anderem eine „Lohnfortzahlung im Krankheitsfall“, einen „Schutz vor Arbeitsverdichtung“ und die „Wiedereinführung der Jahressonderzahlung“. Elementar wichtig ist ihnen die Rückanbindung an die allgemeine Einkommensentwicklung. Nachbesserungen beim Tarifvertrag der Länder (TV-L) müssten „zeitgleich mindestens zu 100 Prozent auf die studentischen Beschäftigten übertragen“ werden, lautet eine zentrale der insgesamt 14 Forderungen, mit denen man in die Tarifgespräche gegangen ist. Der KAV hat dagegen bis dato keinerlei Bereitschaft zu einem Wiedereinstieg in die Dynamisierung der Bezüge signalisiert.
Für einen möglichen Streik sieht ver.di-Verhandlungsführer Matthias Neis seine Mitstreiter „gut aufgestellt“. Man habe in den vergangenen zwölf Monaten 1.000 neue Gewerkschaftsmitglieder gewonnen und damit einen „beträchtlichen Organisationsgrad“ erreicht, sagte er am Donnerstag im Gespräch mit Studis Online. „Dazu werden wir im demnächst anlaufenden Wintersemester noch einmal massiv in die Hochschulen reingehen und den Leuten sagen: Wenn ihr etwas erreichen wollt, dann müssen wir jetzt zusammen loslegen.“ Gleichwohl sei man auch weiterhin zum Einlenken bereit, „sobald die Hochschulen doch noch ein Angebot vorlegen, über das wir verhandeln können“. Solange das nicht passiere, „stellen wir unbeirrt unsere Fähigkeit zum Arbeitskampf her“.
„Mädchen für alles“
Studentische Beschäftigte fungieren heute als eine Art „Mädchen für alles“ im Unibetrieb. Sie recherchieren, fotokopieren, archivieren, redigieren. Sie betreuen ihre Kommilitonen, leiten Tutorien, halten Prüfungsaufsicht, bereiten Tagungen vor, transkribieren Interviews, sammeln und werten Daten aus, gehen Dozenten im Labor zur Hand und halten technische Geräte in Schuss. Der ganze Lehr-, Forschungs- und Verwaltungsapparat ginge auf der Stelle in die Knie, würden nicht Tag für Tag massenhaft Studierende als Lückenbüßer eines Hochschulwesens auf Sparflamme herhalten und dabei vielfach Aufgaben ausfüllen, die eigentlich hauptamtlichem Personal obliegen. Weil das den Hochschulen jedoch zu teuer ist, setzen sie lieber auf „schlechter bezahlte Dienstboten“.
Die Bezeichnung findet sich so in einer vor fünf Jahren durch die GEW vorgelegten Untersuchung. Diese beziffert die Zahl der damals an deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen tätigen studentischen Mitarbeiter auf bis zu 400.000. Die Befunde der Autoren fielen durchweg ernüchternd aus: Danach arbeiten die Betroffenen ganz überwiegend unter prekären Bedingungen, verdienen in der Mehrzahl wenig Geld, sind oft nur ein paar Stunden im Einsatz, haben praktisch keine Rechte und lernen bei all dem in der Regel nichts dazu. Dabei würden „vor allem junge und hochqualifizierte Personen an Arbeitsverhältnisse gewöhnt (…), die nachhaltige Folgen für die Ansprüche an die Arbeitsbedingungen im gesamten weiteren Karriereverlauf haben“.
Campus im Stillstand
An den Berliner Hochschulen sind gegenwärtig rund 8.000 Hilfskräfte im Einsatz. Ohne sie liefe nichts mehr auf dem Campus – und mit ihnen spart die Unileitung viel Geld. Beides zusammen ist ein gewichtiges Druckmittel. Das weiß man auch beim KAV und man darf gespannt sein, wie lange die Arbeitgeberseite bei einem wirkungsvollen Ausstand ihre Starrsinnigkeit durchhält. Das freilich hängt entscheidend von der Schlagkraft der Gegenseite ab, etwa auch von der Frage, ob und in welchem Umfang solche „Hiwis“ mitziehen, die nicht in der Gewerkschaft sind, oder auch davon, ob die anderen Studierenden und nicht zuletzt die Öffentlichkeit für das Anliegen gewonnen werden können.
Dazu kommt eine weitere Unwägbarkeit: Mit der Kündigung des Tarifvertrags endet nicht nur die Friedenspflicht, sondern auch dessen Verbindlichkeit für die künftige Stellenvergabe. Während zwar bestehende Arbeitsverträge fortwirken würden, dürfen die Hochschulen ab dem 1. Januar neue Hilfskräfte zu dann noch schlechteren Bedingungen einstellen. Verpufft der Streik, könnte sich der tariflose Zustand für die Unis am Ende sogar durch neue Kürzungsspielräume bezahlt machen.
Prekär ist normal
Neis von ver.di legt es nicht darauf an, „dass wir wochenlang streiken müssen“. Man werde dort ansetzen, „wo wir die meiste Wirkung erzielen, wir können auch mit kleineren Maßnahmen einsteigen und uns dann steigern“. Man baue auch darauf, im Arbeitskampf neben den Organisierten neue Mitstreiter ins Boot zu holen und „wir hoffen auch auf Solidarität – bei den Studierenden und bei anderen Beschäftigtengruppen den Hochschulen“. Dahingehend stehen die Chancen nicht schlecht. Noch einmal: Prekär zu arbeiten, ist an der Uni der Normalfall. (rw)