„Viele nehmen Reißaus!“Klage gegen Studiengebühren im Ländle
Es geht mal wieder um Studiengebühren: Sind solche nur für Nicht-EU-Bürger verfassungsgemäß?
Studis Online: Sie werden am Mittwoch beim Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage gegen das Land Baden-Württemberg wegen der seit dem gerade gestarteten Wintersemester an den Hochschulen des Landes fälligen Studiengebühren für Nicht-EU-Ausländer einreichen. Das entsprechende Gesetz hatte der Stuttgarter Landtag mit der Regierungsmehrheit aus Grünen und CDU im Mai beschlossen. Wie hart trifft Sie die Neuregelung?
Vu Pham: Es ist für mich nicht leicht, plötzlich mit Mehrkosten von 1.500 Euro pro Semester dazustehen. Ich stamme aus bescheidenen Verhältnissen und habe mein Studium vom ersten Tag an selbst finanziert. Ich lebe jetzt seit fünf Jahren in Deutschland und stehe kurz vor meinem Bachelor-Abschluss. Wegen meiner am Anfang schwachen Deutschkenntnisse habe ich das Pensum nicht in der Regelstudienzeit geschafft. Damit ist mein Studium schon jetzt teurer als geplant. Aber ans Aufgeben denke ich deshalb nicht.
Sehen Sie die Gefahr, Ihr Studium wegen der Mehrbelastung abbrechen zu müssen?
Nicht akut. Allerdings will ich nach dem Bachelor noch ein Master-Studium in Wirtschaftsingenieurwesen anschließen. Wegen der Gebühren hatte ich auch schon überlegt, meinen Master in einem anderen Bundesland zu machen. Allerdings bräuchte ich dann wegen der unterschiedlichen Module wohl länger als die üblichen zwei Jahre. So ist die Sache zeitlich überschaubar für mich, und mit dem, was ich mit meinen Nebenjobs verdiene und mir in den letzten Jahren angespart habe, komme ich wahrscheinlich gerade so über die Runden.
Wahrscheinlich …
Länger als zwei Jahre darf das Master-Studium auf keinen Fall gehen. Um die Gebühren bezahlen zu können, muss ich noch mehr Geld dazuverdienen und noch mehr bei den Ausgaben reduzieren. Reisen zu meiner Familie in Vietnam werde ich mir dann gar nicht mehr leisten können. Das hat schon in der Vergangenheit nur ganz selten geklappt. Und dann muss ich mir auch immer wieder Geld für die Visumsverlängerung beiseitelegen.
Was versprechen Sie sich von Ihrer Klage? Gerichtsverfahren können sich schließlich über Jahre hinziehen …
Unser Interviewpartner Vu Pham (Name auf Wunsch geändert) stammt aus Vietnam und studiert im 8. Semester Wirtschaftsingenieurwesen am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Er reicht am Mittwoch beim Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage gegen das Land Baden-Württemberg wegen der seit dem Wintersemester 2017/18 erhobenen Studiengebühren für Studierende von außerhalb der Europäischen Union ein.
Mir geht es vor allem darum, ein Zeichen zu setzen. Die ganzen Argumente, mit denen die Landeregierung ihr Gebührengesetz rechtfertigt, sind komplett daneben und weitgehend unlogisch. Zum Beispiel heißt es ja, das Geld würde in die Lehre fließen und internationalen Studierenden zugutekommen mit dem Ziel, die angeblich so hohen Abbrecherquoten in dieser Gruppe zu senken. Allerdings sollen die Hochschulen dafür nur 300 von 1.500 Euro erhalten. Der Rest versickert irgendwo im Landeshaushalt. Mehr Förderung ist zwar schön und gut. Aber was bringt das, wenn die Betroffenen im Gegenzug jetzt noch mehr jobben müssen, um Haushaltslöcher zu stopfen, die es gar nicht gibt.
Was wäre Ihr Vorschlag?
Wie wäre es damit? Man betrachtet internationale Studierende als Bereicherung für das Land und sorgt mit bestmöglichen Studienbedingungen dafür, dass die Menschen in Zukunft als hochqualifizierte Fachkräfte dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen und mit ihren Einkommensteuern etwas dafür zurückgeben, dass sie in Deutschland eine hochwertige Ausbildung genossen haben. Oder: Man könnte doch Gebühren von Professorinnen und Professoren verlangen, die neben ihrer Hochschultätigkeit lukrative Berater- und Gutachterposten innehaben oder dank ihres Knowhows aus staatlich finanzierter Forschung eigene Firmen gründen. Auf solche Ideen kommt die Politik aber nicht. Stattdessen holt man sich das Geld bei denen, die sich am wenigsten wehren können.
Wie gehen andere Studierende an Ihrer Uni mit der Änderung um?
Die meisten meiner ausländischen Freunde und Kommilitonen wandern lieber in ein anderes Bundesland aus. Sie haben Sorge, ihren Master nicht in zwei Jahren erfolgreich abschließen zu können. Mehrkosten von 250 Euro pro Monat sind für alle Betroffenen eine massive Mehrbelastung. Man muss noch mehr jobben und hat dafür noch weniger Zeit, sich auf sein Studium zu konzentrieren. Wie gesagt: Auch ich habe mit dem Gedanken gespielt, Baden-Württemberg zu verlassen, habe mich dann aber doch entschlossen, das Ganze trotz aller Widrigkeiten durchziehen.
Und wie denken die deutschen Studierenden über die Sache?
Ein Menge Leute haben nichts oder kaum etwas von der Gesetzesänderung mitbekommen. Darauf angesprochen, zeigen sie sich ziemlich überrascht, wie viel Geld man von uns verlangt. Viele empfinden die Neuerung als diskriminierend und sozial ungerecht und sie sagen, dass sie an unserer Stelle einen großen Bogen um Baden-Württemberg machen würden. Die Vorgängerregierung aus Grünen und SPD hatte ja erst vor fünf Jahren die bis dahin erhobenen allgemeinen Studiengebühren wieder abgeschafft. Das waren damals 500 Euro pro Semester – und wir sollen jetzt gleich das Dreifache bezahlen.
Sehen Sie hier ein Problem, das ganz Deutschland betrifft? Die neue Regierung aus CDU und FDP will es in Nordrhein-Westfalen gleichtun und laut Koalitionsvertrag ebenfalls eine Extraabgabe für Nicht-EU-Ausländer einführen.
Sollte es demnächst Studiengebühren für internationale Studierende in noch mehr Bundesländern oder vielleicht sogar in ganz Deutschland geben, werden viele junge Talente dem Land den Rücken kehren oder gar nicht erst hierher kommen. Ich sehe es so, dass wir eine Bereicherung für das Land sind, sowohl kulturell als auch ökonomisch. Wir konsumieren, wir jobben, wir zahlen Steuern und wir bringen besondere Kenntnisse und Erfahrungen mit, die dem Land heute und in Zukunft zugutekommen und die auf dem Arbeitsmarkt gefragt sind. Ich denke auch, dass Deutschland weltweit ein enormer Imageverlust droht, sollten die Hürden für Menschen aus dem Ausland höher gezogen werden. Internationale Studierende sind immer auch Botschafter des Landes, in dem sie studieren. Nachteile sehe ich deshalb auch für die Verbreitung der deutschen Sprache.
Die Grünen-CDU-Regierung im Ländle behauptet, mit den Gebühren keine neuen Grenzen gegen Ausländer hochzuziehen. Wären Sie nach Baden-Württemberg gegangen, hätte es die Studiengebühren schon vor fünf Jahren gegeben?
Ganz bestimmt nicht. Ich hatte auch schon ohne diese Gebühren nicht unbedingt das Gefühl, besonders willkommen zu sein in Baden-Württemberg. Vieles könnte und müsste besser sein im Umgang mit internationalen Studierenden: Die Lehrbedingungen, der Zugang zum Wohnungsmarkt, die Aufenthaltsmodalitäten. Wir dürfen zum Beispiel nur an 120 Tagen im Jahr arbeiten, um unser Studium zu finanzieren. Natürlich werden durch die Gebühren viele abgeschreckt, hier zu studieren. Das zeigt sich ja jetzt schon. An manchen Unis sind die Bewerberzahlen deutlich eingebrochen. Viele nehmen Reißaus aus Baden-Württemberg!
Sie sind bereits der dritte Betroffene, der gegen die Neuregelung vor Gericht zieht.
Ja, ich werde dabei durch das Aktionsbündnis gegen Studiengebühren unterstützt. Ziel ist es, in allen vier Regierungsbezirken Klage zu erheben. Das Gesetz ist ein massiver Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz im Grundgesetz sowie den UN-Sozialpakt, der diskriminierende Bildungshürden verbietet. (rw)
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