Der Groko-CheckVier weitere Jahre schwarz-rote Hochschulpolitik?
Noch ist zwar nicht klar, ob schwarz und rot wirklich zusammenfinden. Aber wenn ja – was bedeutet das für die Hochschulen und Studierenden?
Jetzt also die Groko. Schon wieder! Zum dann dritten Mal seit 2005, und deshalb vielleicht eher: Nicht schon wieder! Aber alles Jammern bringt nichts. Dass es zu einer Neuauflage der bei der Bundestagswahl eigentlich abgestraften Großen Koalition kommt, ist so gut wie ausgemacht. Oder wollen die Verhandler von CDU/CSU und SPD wie zuletzt die Jamaika-Sondierer von Union, FDP und Grünen erneut wochenlang die Köpfe rauchen lassen, um am Ende doch bloß zu verkünden: Die Sache läuft nicht – Pustekuchen. Geht besser noch mal wählen, liebe Bürgerinnen und Bürger, aber diesmal richtig, so, dass es auch mit einer Regierung hinhaut.
Aber muss das Unvermeidliche unbedingt schlecht sein für Deutschlands Studierende? Verheißt eine Groko-Verlängerung hochschulpolitisch vielleicht mehr, als man im ersten Moment zu denken oder gar befürchten geneigt ist? Bahnt sich womöglich sogar ein großer Wurf für die Kitas, Schulen und Unis im Lande an? Oder sollte man besser mit weniger rechnen und sich auf die Fortsetzung des unerquicklichen Status quo einstellen: auf gleichbleibend volle Hörsäle, gleichbleibend hohe Abbrecherquoten, auf ein „Weiter so“ mit der allgemeinen Mangelverwaltung? Studis Online blickt sowohl nach vorne als auch zurück und liefert den Groko-Check.
1. Die Programmatik
CDU mit Magerkost
Das, was CDU und CSU in ihrem Programm zur Bundestagswahl in Sachen Bildungs- und Hochschulpolitik abliefern, ist kümmerlich. Die Begriffe „Hochschulen“, „Fachhochschulen“ und „Universitäten“ tauchen darin zusammen viermal auf. Im Ganzen finden sich im Text zwei Aussagen, die bei wohlwollender Auslegung die mögliche Bereitstellung zusätzlicher Bundesgelder andeuten. Die erste lautet so: „In der Nachfolge des auslaufenden Hochschulpakts wollen wir mit den Ländern gute Lehre und digital innovative Universitäten und Fachhochschulen stärken.“ Die zweite dreht sich um die Anbindung der Schulen an das „schnelle Internet“ mit der Ergänzung: „Das Gleiche gilt für Hochschulen.“ Mehr Unverbindlichkeit geht praktisch nicht.
Das Thema Bundesausbildungsförderung (BAföG) handelt das Papier mit zwei Hinweisen auf schon Vergangenes ab: Man habe das BAföG „in die alleinige Zuständigkeit des Bundes überführt und deutlich erhöht“ und nach der grundlegenden Reform des Meister-BAföG könnten „davon jetzt so viele profitieren wie noch nie“. Ende der Durchsage. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) wollte es vor der Wahl genauer wissen und konnte der Union immerhin die Aussage entlocken, die Fördersätze „auch in Zukunft an die sich wandelnden Rahmenbedingungen eines Studiums und an die Preis- und Einkommensentwicklungen anpassen“ zu wollen. Die Wendung „auch in Zukunft“ ist eine dicke Nebelkerze. Der letzten BAföG-Novelle waren sechs Nullrunden vorausgegangen. Aber „wollen“ muss ja auch nicht „machen“ bedeuten. Im Bemühen, die „Stipendienkultur“ auszubauen, bewies die Union jedenfalls größere Tatkraft und knüpft daran auch programmatisch an. „Dies gilt auch und besonders für das Deutschlandstipendium.“
SPD bietet mehr
Deutlich mehr hat das SPD-Programm zu bieten. Unter der Überschrift „Gute Hochschulen“ ist der Thematik ein Unterkapitel über mehr als zwei Seiten gewidmet. Man werde die „Grundfinanzierung (…) stärken“ und die befristeten Mittel der Wissenschafts- und Hochschulpakte „auch nach 2019/20 erhalten und in eine verlässliche und dauerhafte Finanzierung überführen“, heißt es darin. Zudem wolle man die grassierenden Befristungen im akademischen Mittelbau „deutlich“ verringern, „Anreize für verlässliche Karrierewege“ geben und sich für „verlässliche Beschäftigungsbedingungen für studentische Hilfskräfte“ einsetzen.
Ferner verspricht die SPD, die „Qualität der Lehre zu verbessern“ („bessere Betreuung“) und die „Zahl der Studienabbrüche zu reduzieren“. Dazu werde man einen „Hochschulsozialpakt“ auf den Weg bringen an, in dessen Rahmen Studienberatung und Betreuung verbessert, die Mensen ausgebaut sowie die Sanierung und der Neubau für studentisches Wohnen vorangetrieben werden sollen. Mit Blick auf die umstrittene Bologna-Studienstrukturreform wolle man „Qualitätsanreize setzen, damit Studieneingangsphasen flexibler gestaltet und Freiräume zur Studiengestaltung ausgeweitet werden“. Dazu werde man die „ausufernde Anzahl von verschiedenen, sehr ausdifferenzierten Studiengängen (…) deutlich begrenzen“.
Ferner wollen die Sozialdemokraten eine „Ausstattungsinitiative starten, mit der wir Hochschulen bei der Digitalisierung ihrer Campus-Systeme und Lernplattformen unterstützen“, die Vernetzung untereinander ausbauen und die „Idee einer digitalen ,Open University‘ fördern, an der auch Menschen ohne Abitur teilnehmen können“. In punkto BAföG kündigt die SPD an, „die Förderung stärker auf neue Lebenssituationen ausrichten und das BAföG an die vielfältigen Bildungswege anpassen“ zu wollen. „Dazu gehört eine bedarfsdeckende Erhöhung der Fördersätze, die regelmäßig überprüft und angepasst wird.“
Projekt BAföG-Abbau?
Fazit: Auf Grundlage des Null-Programms der Union erscheint alles und nichts möglich. Das eröffnet einerseits Möglichkeiten, denn nicht existente Wahlversprechen lassen sich auch nicht brechen und alles, was die SPD von ihren Anliegen wird durchsetzen können, müssen CDU/CSU vor ihren Mitgliedern nicht einmal als Niederlage verbuchen. Andererseits: Die wegen ihrer Stimmenanteile verhandlungsstärkere Union könnte viele der durchaus guten SPD-Ansätze abräumen oder soweit entkernen, dass wenig an Substanz übrig bleibt. Dann drohen unverbindliche Formelkompromisse, etwa derart, dass „gutgemeinte“ Vorhaben unter Finanzierungsvorbehalt gestellt und ihre Umsetzung am fehlenden Geld scheitert („schade aber auch“).
Kompromisslinien zeichnen sich bei der Digitalisierung ab sowie bei der Weiterführung des Hochschulpakts. Eine substantielle Erhöhung der Grundmittel steht mit der Union nicht zu erwarten, so wenig wie eine rasche und kräftige BAföG-Erhöhung, geschweige denn eine „automatische“ Anpassung im Zweijahresrhythmus. CDU/CSU zielen auf einen Ausbau der privaten Studienfinanzierung und setzen im Umkehrschluss auf eine Schwächung der staatlichen Studienförderung – freilich ohne dies offen zu propagieren.
Die sechsjährige Hängepartie vor der letzten BAföG-Erhöhung zum Wintersemester 2016/17 und der damit verbundene Einbruch bei den Gefördertenzahlen lassen erkennen, wohin die Reise gehen soll. Dass die SPD diese Politik mitgetragen hat, dass sie beim BAföG geknausert hat und beim Deutschlandstipendium trotz ihrer Kritik mitgegangen ist, muss nicht bedeuten, dass sie lügt, wenn sie sich als „die BAföG-Partei“ preist. Der Fall zeigt allerdings, wie schnell sich Grundsätze über Bord werfen lassen, wenn Mitregieren und die Koalitionsräson über alles gehen. Warum sollte sich das in der nächsten Groko ändern, dazu mit einer Sozialdemokratie, die noch geschwächter dasteht als nach dem 2013er Urnengang? Und ohnedies gilt für alle Parteien: Wahlversprechen sind nach der Wahl schnell Schnee von gestern. So betrachtet, steckt im Programm der Union deutlich weniger Enttäuschungspotenzial.
2. Die Leistungsbilanz
Mehr Geld für die Spitze
Es gibt manches, was die SPD-Genossen in vier Jahren Groko nicht durchgesetzt haben, und manches mehr, was sie mitverantwortet haben, obwohl es ihrem eher egalitären Bildungsbegriff zuwiderläuft. Über chronisch unterfinanzierte Hochschulen klagt die Partei seit langem, vor 2013 lauter als dann auf der Regierungsbank. Statt aber vorhandenes Geld in die Breite der Hochschullandschaft zu investieren, steckte sie es lieber in die Exzellenzstrategie (früher Exzellenzinitiative), damit sich über die Niederungen ein paar strahlende „Leuchttürme“ der Spitzenforschung erheben.
Dann lockerten Union und SPD zu Jahresanfang 2015 das sogenannte Kooperationsverbot im Bildungsbereich. Der neue Artikel 91b des Grundgesetztes erlaubt es dem Bund seither, „in Fällen überregionaler Bedeutung“ dauerhaft die Hochschulen zu fördern. Für viele verband sich damit die Hoffnung, Berlin würde endlich den Geldhahn für die bis dahin in alleiniger Landeshoheit minderfinanzierten Unis aufdrehen. Nichts dergleichen passierte, außer das: Die Bundesregierung beschloss, den neuen Passus ab 2019 dafür zu nutzen, die „Exzellenzuniversitäten“ auf lange Sicht mit Milliardensummen zu peppeln. Damit wird es künftig noch mehr Geld für oben und verhältnismäßig weniger für unten geben und die Spaltung zwischen Elite- und Massenhochschulen weiter forciert – alles mit dem ausdrücklichen Segen der SPD.
Hochschulpakt: Viel Geld, aber zu wenig
Aber hat die Groko nicht auch den Normalounis Milliarden Euro mehr beschert? Ja, hat sie, aber aus schierer Not heraus. Die sogenannten Hochschulpakte, in deren Rahmen Bund und Länder seit 2007 Hunderttausende zusätzlicher Studienplätze geschaffen haben, sind das Gegenteil eines planmäßigen, gestalterischen Hochschulausbaus. Zwar war es politischer Wille, dass mehr junge Menschen studieren. Die Wucht des Andrangs, bedingt durch das plötzliche Ende der Wehrpflicht und die doppelten Abiturjahrgänge infolge der Umstellung auf das Abitur in acht Jahren (G8), hat die Politik aber kalt erwischt.
Gemessen an den tatsächlichen Erfordernissen war und sind die durch Bund und Länder mit dem Pakt mobilisierten Mittel völlig unzureichend. Pro Studienplatz steht mit 6.500 Euro jährlich deutlich weniger Geld zur Verfügung als für einen aus den Grundmitteln finanzierten Normalstudienplatz (z. B. 8.700 Euro im Jahr 2011). Dabei wird die „Ausstattung“ sukzessive gestutzt, weil der Kostenansatz bis 2023 eingefroren bleibt – ungeachtet der Inflation und der wirtschaftlichen Entwicklung. Mit jedem neuen Student schrumpft die Pro-Kopf-Versorgung, auch wenn insgesamt mehr Geld an die Hochschulen fließt. Im Verhältnis zur Gesamtzahl an Studierenden verlieren die Unis mit jedem Jahr mehr Substanz.
Rumdoktern an Symptomen
Das zeigt sich an vielen Stellen: an der schlechten Betreuungssituation, der ausufernden Befristungspraxis im akademischen Mittelbau, hohen Durchfallquoten bei Prüfungen, Unmengen an Studienabbrechern (nahezu ein Drittel der Bachelor-Studierenden) oder überfüllten Lehrveranstaltungen und damit schlicht daran, dass für jeden Studienplatz räumlich weniger Platz da ist. Zwar hat die Politik Gegenmaßnahmen ergriffen, aber eben nur solche, die an den Symptomen rumdoktern und die die Missstände zum Teil lindern mögen, aber längst nicht beheben. Zur Kategorie dieser Notprogramme gehören etwa der 2011 durch Bund und Länder aufgelegte Qualitätspakt Lehre (QPL) oder die Vereinbarung im Rahmen des Hochschupakts 2020, ab 2016 zehn Prozent der Mittel dafür einzusetzen, „mehr Studierende qualitätsgesichert zu einem erfolgreichen Abschluss zu führen“.
Fazit: Insgesamt steht die Groko – die von 2005 bis 2009 wie die von 2013 bis 2017 – für einen fortgesetzten Kurs der Entstaatlichung, Quasi-Privatisierung und Verarmung der Hochschulen. Die noch amtierende Bundesregierung hat die allgemeine Hochschulmisere nicht alleine zu verantworten. Die chronische Mangelfinanzierung ist das Resultat einer seit Jahrzehnten verfehlten Politik, die ursächlich auf die Alleinzuständigkeit der Länder in Bildungsfragen zurückgeht. Allerdings hat die Große Koalition in den vergangenen vier Jahren auch nichts unternommen, das Grundproblem anzugehen und ihren Einfluss dahingehend geltend zu machen, die Hochschulen auf eine auskömmliche, verlässliche finanzielle Grundlage zu stellen.
Mit dem gelockerten Kooperationsverbot hätte sie die Möglichkeit gehabt, den Hebel anzusetzen, unterließ dies aber. Stattdessen hat sie das System einer auf Wettbewerb ausgerichteten Mittelvergabe (Exzellenzstrategie und Qualitätspakt Lehre) weiter ausgebaut, wodurch sich der Trend einer zunehmenden Abhängigkeit von Drittmitteln (Stiftungen, Industrie) noch weiter verstärkt. Beispielhaft für die Halbherzigkeit der Regierungspolitik ist das novellierte Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG), womit eigentlich der Befristungsflut bei der Beschäftigung von Nachwuchswissenschaftlern Einhalt geboten werden sollte. Die Gesetzesänderung ist seit eineinhalb Jahren in Kraft. Wegen der vielen Schlupflöcher und Ausnahmeregelungen hat sie für die Betroffenen bisher aber kaum Besserung gebracht.
3. Die Herausforderungen
Handlungszwänge
Die kommende Bundesregierung ist faktisch dazu verdammt, hochschulpolitisch zu liefern. Im Jahr 2020 laufen der Hochschulpakt und der Qualitätspakt Lehre aus. Treffen die Beteiligten von Bund und Ländern keine Anschlussvereinbarung, bricht der Hochschulbetrieb mittelfristig zusammen. Nach einer Langzeitprognose des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) wird der Run auf die Hochschulen anhalten und die Zahl der jährlichen Nachrücker bis 2050 „nicht mehr unter die Marke von 425.000 sinken“. Auch die Kultusministerkonferenz (KMK) rechnet mit anhaltend hohen Zuwächsen, die sich im Jahr 2025 auf 465.000 Studienanfänger belaufen sollen.
Dass die Politik mehr Geld nachschießen wird, steht außer Frage. Fraglich nur, ob sie sich dabei zu mehr durchringen wird als nur einem weiteren „Rettungspaket“, das zwar die schlimmsten Nöte behebt, aber die strukturelle Mangelfinanzierung unberührt lässt. Für Nicole Gohlke von der Bundestagsfraktion Die Linke ist die Sache klar: „Das Flickwerk aus kurzfristigen Förderprogrammen und privaten Projektfinanzierungen muss nicht zuletzt im Interesse der Studierenden und des wissenschaftlichen Personals endlich durch eine angemessene und langfristig planbare öffentliche Finanzierung ersetzt werden.“ Geäußert hat sie dies in Reaktion auf eine Mitteilung des Statistischen Bundesamts, wonach die Drittmittel für die Hochschulen aus der gewerblichen Wirtschaft erstmals seit 20 Jahren gesunken sind. Das belege eindrücklich, „welchem Risiko die Hochschulen ausgesetzt werden, indem die öffentliche Hand sich aus ihrer Finanzierung zurückzieht und sie auf das Einwerben von Geldern aus der Wirtschaft verweist“.
Wo bleibt das Soziale?
Prognose: Man sollte besser nicht darauf wetten, dass die kommende Regierung dieser Entwicklung ernsthaft begegnen will und wird, indem sie die Weichen auf eine voll umfassende, staatliche Hochschulfinanzierung stellt und darüber den monetären und inhaltlichen Einfluss der Industrie auf die Hochschulen zurückdrängt. Dafür sind die Union und mit kleinen Abstrichen die SPD zu sehr ins System einer im Kern neoliberalen Zurichtung der Hochschulen verstrickt, sowohl auf Länder- als auch auf Bundesebene.
Die Verhandlung der Anschlussvereinbarungen zu den auslaufenden Pakten wird absehbar viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen und in der „Erfolgsbilanz“ nach vier weiteren Jahren Groko im Jahr 2022 ganz oben stehen. Als Zugeständnis an die die SPD wird es eine BAföG-Reform geben, die aber nicht vor 2019 kommt. Eine „automatische“ Erhöhung der Fördersätze und Freibeträge im Zweijahresturnus, wie ihn Grüne, Linkspartei, Gewerkschaften und Studierendenverbände fordern, steht nicht zu erwarten. Das werden CDU/CSU zu verhindern wissen und die SPD wird die Kröte schlucken und manch andere mehr.
Spannung verspricht folgendes: In den zurückliegenden Jahren haben sich erste Tendenzen hin zu einer „Schließung“ der Hochschulen abgezeichnet, beispielsweise in der Debatte um einen „Akademisierungswahn“ oder in Bestrebungen der Rektoren, an der sogenannten Kapazitätsverordnung zu drehen. Man wird abwarten müssen, ob diese Diskussionen an Fahrt gewinnen. Kommt es so, könnte es das bald gewesen sein mit der schönen Offenheit der Hochschulen. Wäre erst einmal der Deckel darauf, bräuchte es auch weniger Geld. Und „Sparen“ ist immer noch einer der stärksten Handlungsimpulse in der Politik. (rw)