BAföG-Erhöhung reicht nichtLebenshaltungskosten von Studierenden steigen rasant
Ein Geldregen wäre nötig, um das BAföG wieder richtig auf Vordermann zu bringen. Die geplante Reform reicht leider nicht aus.
Wollte man das Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) auf die Höhe der Zeit bringen. Was wäre dann ein wirklich großer Wurf? Vielleicht das, was der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) kurz vor Weihnachten mit seinen „Anforderungen für ein modernes sozial gerechtes BAföG“ in die Debatte geworfen hat? Dem Gewerkschaftsdachverband schwebt nichts weniger als ein Radikalumbau der staatlichen Studienfinanzierung vor. Dazu gehören unter anderem: die regelmäßige Anpassung der Freibeträge und Bedarfssätze an die Lohn- und Preisentwicklung, die Aufhebung der Altersgrenzen, höhere Vermögensfreibeträge, regional gestaffelte Wohnkostenzuschüsse, auf individuelle Lebenslagen sowie die Art der Studiengestaltung abgestimmte Förderzeiträume und allerhand mehr.
Im besten Sinne radikal und dazu angetan, die Erosion bei den Gefördertenzahlen zu stoppen, erscheint vor allem der Vorschlag, die Leistungen bis zum Jahr 2025 schrittweise in einen Vollzuschuss zu überführen. Die Sorge, sich zu verschulden und das Darlehen später – wenn auch nur zur Hälfte und bis maximal 10.000 Euro – abstottern zu müssen, schreckt viele und immer mehr eigentlich Bedürftige davon ab, ihre Ansprüche geltend zu machen. Nicht minder schwer wiegt, dass das, was an Unterstützung winkt, mittlerweile nicht annähernd zum Leben reicht. Wozu sich den ganzen Antragsstress machen, wenn es am Ende doch nur für ein Zubrot reicht? Dann jobbt man lieber 20 Stunden mehr pro Monat.
Förderquote im freien Fall
* BAföG-Geförderte 2017: BAföG-Statistik 2017. Studierende+Gefördertenquote (alle) 2017 geschätzt. Weitere historische Zahlen (und auch die Quote bezogen auf alle Studierende) in unserer Geschichte des BAföG.
Im Jahr 2016 erhielten laut BAföG-Bericht der Bundesregierung noch kümmerliche 13,9 Prozent der damals 2,7 Millionen Studierenden eine Förderung. Für 2017 liegen noch keine offiziellen Zahlen vor. Angesichts der Studierendenzahlen und der BAföG-Statistik des Statistischen Bundesamtes ist von einer Quote in der Größenordnung von auf 13,3 Prozent auszugehen. Laut DGB liegt der Wert inzwischen sogar bei „12,7 Prozent“, was „ein völlig inakzeptabler Zustand“ sei. Begegnen ließe sich dem kurzfristig nur mit einer kräftigen Erhöhung, die wieder Lust macht aufs BAföG, einfach deshalb, weil sich die Sache wieder lohnt. Der Gewerkschaftsbund ruft eine echte Hausnummer auf: Um die aufgelaufenen sowie bevorstehende Preissteigerungen zu decken, wäre der Regelsatz zum Wintersemester 2019/20 einmalig um satte 150 Euro anzuheben. Statt der seit 2016 beiwilligten 399 Euro ohne Wohnpauschale wären dann 550 Euro fällig. Danach wären die Leistungen und Freibeträge im Zweijahrestakt automatisch nachzubessern. Zur Erinnerung: Zwischen 2010 und 2016 war das BAföG sechs Jahre eingefroren und Zehntausende purzelten inflationsbedingt aus der Förderung.
Verglichen mit den DGB-Forderungen mutet das, was die Bundesregierung vorhat, wie Kleckerkram an. Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) hatte Mitte November Eckpunkte für eine BAföG-Novelle vorgelegt. Danach sollen die Regelsätze im Schnitt um sieben Prozent und die Elternfreibeträge um neun Prozent in zwei Stufen erhöht werden. Losgehen soll es im kommenden Wintersemester mit fünf bzw. sieben Prozent, ein Jahr später folgt dann ein Nachschlag von jeweils zwei Prozent. Der Höchstförderbetrag soll um 15 Prozent auf 850 Euro und die Wohnpauschale von 250 Euro auf 325 Euro zulegen. Geplant ist ferner eine Aufstockung der Vermögenfreibeträge sowie für Härtefälle ein Cut bei der Schuldentilgung nach 20 Jahren. Dafür sollen allerdings die monatlichen Rückzahlungsraten von 105 auf 130 Euro steigen.
Karliczek verspricht „Trendumkehr“
Anders als im Koalitionsvertrag von Union und SPD festgehalten, will die Regierung nicht eine Milliarde sondern zwei Milliarden Euro bis 2021 für die Umsetzung des Projekts locker machen. Das berichtete vor Weihnachten das Handelsblatt unter Berufung auf den Referentenentwurf des Bildungsministeriums. Die Freibeträge für das Elterneinkommen würden demnach für Verheiratete von 1.785 auf 1.870 Euro und für Alleinerziehende von 1.145 auf 1.250 Euro hochgesetzt. Der Freibetrag für das Einkommen der Studierenden selbst bleibe bei 290 Euro. Die Reform solle dafür sorgen, dass das BAföG „seine zentrale Bedeutung für die Chancengerechtigkeit in der Bildung und damit für eine breite Bildungsbeteiligung behält“, liest man in der Vorlage. So wolle man das „unverzichtbare Vertrauen in eine dauerhaft verlässliche breitenwirksame Förderung“ stärken. Eine „Trendumkehr bis 2021“ hatte bei der Vorstellung ihrer Vorhaben auch Karliczek beschworen.
Daraus dürfte nichts werden. Nach einer vom Deutschen Studentenwerk (DSW) in Auftrag gegebenen Studie des Berliner Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie (FIBS) bleiben die geplanten Maßnahmen weit hinter den realen Erfordernissen zurück. Die avisierten Erhöhungen reichten kaum aus, „die Ausgabenentwicklung insgesamt, wie insbesondere auch bei zentralen Einzelpositionen, angemessen zu berücksichtigen“, heißt es in der am 9. Januar veröffentlichten Untersuchung.
Kostenexplosion
Das Forscherteam hat eine bereits 2017 vorgelegte Analyse der Lebenshaltungskosten von Studierenden, die sich auf die Jahre 2012 und 2013 bezog, um Daten der 21. Sozialerhebung des DSW zur wirtschaftlichen und sozialen Lage der Studierenden aus dem Jahr 2016 ergänzt und die Veränderungen im Zeitverlauf gemessen. Innerhalb der fraglichen vier Jahre sind danach die Gesamtausgaben für allein, in einer WG oder einem Wohnheim lebende unter 25jährige im Mittel um bis zu 18 Prozent gestiegen. Studierende, die zu den 15 Prozent mit den geringsten Einnahmen gehören, hatten sogar Mehrkosten von bis zu 31 Prozent. Für FIBS-Direktor Dieter Dohmen sind die Steigerungen „deutlich höher als erwartet und betreffen die ärmeren Studierenden noch viel mehr als ihre Mitstudierenden mit höheren Einnahmen“.
Gemäß Datenauswertung betrugen die durchschnittlichen Ausgaben sogenannter Normal- oder Fokustyp-Studierender, zu denen rund zwei Drittel aller Hochschüler zählen, 832 Euro, während es bei sogenannten Elternwohnern 680 Euro waren. Alleinwohnende gaben 2016 im Mittel 992 Euro aus, in einer WG lebende Studenten 818 Euro und im Wohnheim wohnende 762 Euro. Die vergleichsweise ärmsten alleine wohnenden Studierenden verbuchten Ausgaben von 831 Euro, die in einer WG bzw. einem Wohnheim lebenden von 709 Euro bzw. 661 Euro. Gruppenübergreifend liegt das durchschnittliche Ausgabenniveau bei 867 Euro, während es 2012 noch 838 gewesen waren.
550 Euro „angemessen“
Mit steigendem Alter wird die Lebenshaltung sukzessive und zum Teil massiv teurer. Los geht es mit 792 bei den unter 25jährigen, 875 Euro sind es bei den unter 29jährigen, 1.080 Euro bei unter 39jährigen und 1.477 bei den über 40jährigen. Viel Geld braucht es vor allem im Falle von Kindern. Alleinerziehende bringen es auf Ausgaben von knapp 1.600 bzw. 1.750 Euro, wenn Betreuungskosten anfallen. Studierende Eltern in Paarbeziehung geben im Mittel 1.255 bis 1.523 Euro aus. Bei den einkommensschwächsten unteren 15 Prozent belaufen sich die Kosten im Falle von Kindern auf Beträge zwischen 1.100 und 1.200 Euro.
Die Differenz zwischen den bewilligten Leistungen und den realen Kosten sei teilweise so groß, „dass das BAföG seinen Zweck nur noch begrenzt erfüllt“, zitierte SPIEGEL ONLINE FiBS-Direktor Dieter Dohmen. Daran ändere auch die für Herbst 2019 geplante Reform nichts. Die angekündigte Erhöhung des Grundbedarfs von 399 auf 420 Euro gehe an der Realität vorbei und bleibe deutlich hinter der Preisentwicklung seit der vorigen Anhebung im Herbst 2016 zurück. „Um tatsächlich eine Trendwende einleiten zu können und die Förderquote wieder zu erhöhen“, wäre stattdessen eine Summe in der Bandbreite zwischen 500 bis 550 Euro „angemessen“, heißt es in der Studie.
Wohnpauschale überholt
Überproportional zugenommen haben die Ausgaben für Mobilität (bis zu 38 Prozent), Gesundheit (bis zu 41 Prozent) sowie für Mieten um in der Spitze bis zu 55 Prozent. In Groß- und klassischen Universitätsstädten muss man heute mitunter 500 Euro und mehr für ein WG-Zimmer berappen, in München sogar über 600 Euro. „Von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen“ habe weder die zum Erhebungszeitpunkt (Sommer 2016) geltende Mietpauschale von 224 Euro noch die zum Herbst 2016 auf 250 Euro angehobene Pauschale ausgereicht, „um die tatsächlichen Mieten der Studierenden vollständig abzudecken“, stellen die Autoren fest. So zahlten einkommensschwache, alleine wohnende 18- bis 24jährige Studierende mit 359 Euro inzwischen über 100 Euro mehr als ihnen per Wohnpauschale zusteht.
Der Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks Achim Meyer auf der Heyde wies in einer Pressemitteilung auf die große Zahl derer hin, die neben dem Studium jobben müssen. Laut DSW-Sozialerhebung betraf dies 2016 fast 70 Prozent aller Studierenden. Das sei „eben nicht eine Folge der guten Konjunkturlage, sondern vielmehr dem Umstand geschuldet, dass das BAföG mit diesem Kostenanstieg nicht mithält“. Auch deuteten die erheblich gestiegenen Fahrtkosten auf eine starke Zunahme von Pendlern hin, da sie sich die hohen Mieten am Studienort nicht mehr leisten könnten, beklagte der Funktionär. „Dies unterstreicht einmal mehr unsere seit Jahren erhobene Forderung nach einem öffentlich geförderten Ausbau der Wohnheimplätze in Hochschulstädten.“
Drei Euro fürs Essen
Nicht für alles legen Studenten heute mehr Geld hin. Rückläufig und „vielfach sehr niedrig“ sind der Erhebung zufolge die Kosten für Ernährung, Freizeit, Kleidung und Lernmaterial. Das liege daran, dass sich die Ausgaben bei diesen Posten, anders als in punkto Wohnen, Fahren und Versicherungen, leichter steuern ließen. Als sehr bedenklich erachtet es Dohmen, dass sich immer mehr Studenten ihr Studium buchstäblich vom Mund absparen. Vor allem Einkommensschwächere kompensieren finanzielle Mehrbelastungen durch selbstauferlegte Kürzungen bei der Versorgung mit Lebensmitteln. Wie die Forscher ermittelten, geben diese im Schnitt weniger als vier Euro täglich fürs Essen aus, die unter 25jährigen nicht einmal drei Euro. Das liege „unterhalb des physiologischen Existenzminimums“ und „weit unterhalb“ dessen, was Hartz-IV-Beziehern zugestanden wird. (rw)