Karliczeks ReförmchenRegierung beschließt BAföG-Novelle
Die 26. BAföG-Novelle ist auf dem Weg und bringt viele Veränderungen.
Die Bundesregierung hat am Mittwoch grünes Licht für die 26. Novelle des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) gegeben. Am Vormittag beschloss das Bundeskabinett einen von Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) eingebrachten Gesetzentwurf, der neben der schrittweisen Anhebung der Regelsätze und Freibeträge eine Aufstockung der Wohnpauschale von derzeit 250 auf 325 Euro vorsieht. Alle Änderungen haben wir in BAföG-Novelle 2019 in der Übersicht zusammengestellt. Die Vorlage geht nun in die parlamentarische Beratung, planmäßig sollen die Neuerungen zum Wintersemester 2019/20 in Kraft treten. Die Opposition im Bundestag, Bildungs- und Studierendenverbände halten die geplanten Neuregelungen für unzureichend. Dagegen verspricht die Koalition eine „Trendumkehr“ bei den Gefördertenzahlen.
Nur 35.000 Neuförderungen?
Das täte bitter Not. 2017 erhielten nach Angaben des Statistischen Bundesamts übers Jahr betrachtet nur noch kümmerliche 557.000 Studenten und 225.000 Schüler staatliche Ausbildungshilfen. Wie die Fraktion von Bündnis90/Die Grünen dieser Tage durch eine Anfrage beim Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) in Erfahrung brachte, ist die Zahl der Leistungsbezieher zwischen 2014 und 2017 um 180.000 eingebrochen, was einem Rückgang um ein Fünftel entspricht. Für 2018 liegen noch keine Daten vor, der Schwund dürfte sich aber fortgesetzt haben. 2016 war das BAföG nach fünf Nullrunden in Folge nur unzulänglich aufgebessert worden. Die seit 2010 aufgelaufenen „Verluste“ konnten damit nicht annähernd wettgemacht werden.
Der Grünen-Abgeordnete Kai Gehring fürchtet, dass der „Bedeutungsverlust des BAföG“ auch mit der anstehenden Reform nicht gestoppt wird. Wie er zu Wochenfang unter Berufung auf die Antwort aus Karliczeks Ministerium gegenüber der Deutschen Presse-Agentur (dpa) erklärte, rechne man beim Bund lediglich mit einer schwachen Erholung im Umfang 35.000 zusätzlichen Profiteuren. Konkret hat das BMBF diese Zahl nicht benannt. Allerdings lasse der Mehraufwand, mit dem das Ministerium bei der Bearbeitung der BAföG-Anträge nach der Reform rechne, auf eben diese Größenordnung schließen, erläuterte Gehring.
Freibeträge 16 Prozent hoch
„Ministerin Karliczek liefert kein Reformwerk sondern Stückwerk ab“, kommentierte der Grünen-Politker am Mittwoch den Kabinettsbeschluss. Das BAföG sei „ein Rechtsanspruch und darf keine Lotterie oder Almosen sein“, bekräftigte er und weiter: „Unter dem Strich wird ein Minus bei den Gefördertenzahlen bleiben.“ Kämen am Ende tatsächlich nur 35.000 Neuförderungen hinzu, würde man „hinter dem Stand von vor fünf Jahren zurückbleiben“, hatte der freie „zusammenschluss von studentInnenschaften“ (fzs) schon am Montag in einer Pressemitteilung beklagt. Beim studentischen Dachverband findet man, „dass die Änderungen zu spät erfolgen, zu gering ausfallen und zu wenigen zugutekommen“. Karliczek nehme „sehenden Auges historische Tiefstände bei der BAföG-Förderung hin“. Es brauche endlich eine „angehörigenunabhängige Unterstützung, die die tatsächlichen Bedarfe berücksichtigt“.
Für die Regierung ist der BAföG-Absturz nicht Folge eigener Versäumnisse, sondern Ausdruck der positiven Wirtschafts- und Arbeitsmarktentwicklung sowie gestiegener Löhne, wie sie gestern einmal mehr in einer Medienmitteilung erklärte. Gleichwohl sehe man „Handlungsbedarf“, insbesondere müsse die Leistung an das aktuelle „Preisniveau, unter anderem auch auf dem Wohnungsmarkt, angepasst werden“. Alles in allem wären hierfür in der laufenden Wahlperiode 1,233 Milliarden Euro zusätzlich vorgesehen. Damit sollen die Bedarfssätze zunächst um fünf Prozent und 2020 um weitere zwei Prozent aufgestockt werden. Bei den Elternfreibeträgen will man in drei Schritten sogar 16 Prozent drauflegen: 2019 mit sieben Prozent, 2020 mit drei Prozent und 2021 mit sechs Prozent. Diese Ansage ist allerdings neu. Bei der Vorstellung ihrer Reformeckpunkte im November hatte Karliczek noch eine Steigerung von bloß neun Prozent in Aussicht gestellt.
Teure Lebenshaltung
Die Maßnahmen würden zwar in die „richtige Richtung“ weisen, blieben aber „weit hinter den gestiegenen Lebenshaltungskosten zurück“, bezog am Mittwoch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Stellung. Hochschulexperte Andreas Keller verwies dabei auf eine neuere Studie des Berliner Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS), das für Studierende einen Grundbedarfssatz (ohne Wohnkosten) von 550 Euro monatlich ermittelt hat. Die Regierung kalkuliert hingegen gerade einmal mit 427 Euro. Auch sei der Mietkostenzuschuss mit 325 Euro weiterhin zu knapp bemessen, damit lasse sich „in vielen Hochschulstädten“ keine Bleibe finanzieren. Das Parlament müsse hier kräftig nachlegen, damit aus einem „Reförmchen eine echte Reform“ werde, verlangte der GEW-Vize.
FiBS-Direktor Dieter Dohmen bezweifelte am Dienstag in einem Interview im Deutschlandfunk, dass mit dem 16-Prozent-Aufschlag bei den Elternfreibeträgen eine Trendwende zu erreichen ist. Das höre sich zwar nach viel an, befand er, man müsse aber feststellen, dass die Nominaleinkünfte allein in den zurückliegenden beiden Jahren um sieben bis acht Prozent angezogen hätten. Das liege schon über dem, was die Regierung für 2019 an Nachholbedarf beim Inflationsausgleich veranschlagen würde. „Wie sich das in den kommenden zwei Jahren weiterentwickeln wird, kann im Moment niemand sagen.“
Verbesserungen im Detail – und endlich mehr Zuschlag zur Kranken- und Pflegeversicherung für über 30-jährige
Zu den weiteren Regierungsvorhaben gehören: Die Erhöhung des Vermögensfreibetrags von 7.500 auf 8.200 Euro und für Härtefälle ein Schuldenerlass bei der Rückzahlung des Darlehens nach 20 Jahren. Dafür sollen im Gegenzug die Rückzahlungsraten von 105 auf 130 Euro steigen und über einen Zeitraum von 77 Raten beglichen werden. Insgesamt würde man künftig im Höchstfall insgesamt 10.010 Euro statt bisher 10.000 Euro zurückzahlen müssen (bei weniger BAföG-Schulden zahlt man entsprechend weniger Raten). Auch wenn damit die 10.000 Euro-Grenze erstmals überschritten würde: Nach über 15 Jahren sollte man sich über 10 Euro mehr nicht beschweren, vor allem wenn gleichzeitig für alle, die nach 20 Jahren noch offenen Schulden haben, diese künftig erlassen werden. (Wer tatsächlich 77 Raten – auch vergünstigte – gezahlt hat, bei dem ist eben schon dann Schluss). Was übrigens auch für Altfälle gelten soll. Immer natürlich unter der Voraussetzung, dass die noch offenen Schulden durch beantragte Freistellungen wegen zu geringem Einkommens zustande gekommen waren und nicht etwas durch einfaches nicht-Zahlen.
Ein erfreuliches Detail gibt es bei den Zuschlägen für Kranken- und Pflegeversicherung: Künftig sollen über 30-jährige, die in den meisten Fällen nicht mehr vom günstigen Studierendentarif in KV/PV profitieren können, gegen Nachweis einen Zuschlag von bis zu 155 Euro für die Krankenversicherung und bis zu 34 Euro für die Pflegeversicherung erhalten können.
Das Wichtigste fehlt
Ein Nullsummenspiel sind die höheren Zuschüsse zur Kranken- und Pflegeversicherung für alle (von 62 auf 84 Euro bspw. für die Krankenversicherung). Denn das ist nur der Ausgleich der steigenden Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung, die sich am BAföG-Satz bemessen und damit bei einer BAföG-Erhöhung immer entsprechend angepasst werden müssen. Für alle, die kein BAföG erhalten, bedeutet das also sogar mehr Kosten. Dass die Erhöhungen ansonsten zwar groß sind, aber im Grunde nur ausgleichen (und an manchen Stellen nicht einmal das), was über Jahre versäumt wurde, bleibt leider auch wahr.
Im Detail haben einige vernünftige Dinge Eingang ins Gesetz gefunden. Wirklich bedauerlich ist allerdings, dass die große Koalition sich nicht daran wagt, eine echte Verstetigung des BAföGs zu erreichen und eine Regelung zu finden, wie das BAföG jährlich oder spätestens alle zwei Jahre am besten automatisch an die gestiegenen Lebenshaltungskosten angepasst wird und auch die Freibeträge auf das Elterneinkommen steigen. In den letzten Jahren folgten auf große Reformen meist viele Jahre des Stillstands – und die sind es, die das BAföG aushöhlen, weil so kein Vertrauen in diese Förderung gebildet werden kann. Dagegen sollte im anstehenden Gesetzgebungsverfahren endlich etwas getan werden. (rw)