Voll im Trend statt TrendwendeBAföG-Reform zum Sparpreis
BAföG-Novelle 2019 beschlossen
Die 26. BAföG-Novelle ist beschlossene Sache. Am späten Donnerstagnachmittag verabschiedete der Bundestag mit den Stimmen der Regierungsfraktionen (385) bei zwei Ablehnungen und 259 Enthaltungen in zweiter und dritter Lesung die von Bundesministerin Anja Karliczek (CDU) eingebrachte Vorlage zur Reform der Bundesausbildungsförderung. Das Regelwerk tritt mit Stichtag 1. August zum kommenden Wintersemester 2019/20 in Kraft. Bis Ende der Wahlperiode sollen dafür zusätzlich mehr als 1,2 Milliarden Euro bereitgestellt werden.
„Damit erneuern wir das Versprechen der sozialen Marktwirtschaft, jedem jungen Menschen gute Startchancen zu geben“, behauptete die Ministerin bei ihrer Rede. Allerdings gibt es nicht alle Neuerungen auf einen Schlag. Die Bedarfssätze werden zunächst um fünf Prozent und 2020 um weitere zwei Prozent angehoben. Der Aufschlag bei den Elternfreibeträgen um insgesamt 16 Prozent erstreckt sich gar auf drei Etappen: Los geht es mit sieben Prozent im laufenden Jahr, gefolgt von drei Prozent im nächsten und noch einmal sechs Prozent im Jahr 2021.
Für die Opposition ist diese Hängepartie eine Zumutung. „Überfällig ist schon jetzt, dass Fördersätze und Freibeträge sofort um mindestens zehn Prozent steigen und danach automatisch und regelmäßig“, sagte Kai Gehring, hochschulpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion, im Vorfeld der Plenumssitzung gegenüber der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Für ein dynamisches BAföG, das verlässlich mit der allgemeinen Lohn- und Preisentwicklung mitwächst, haben auch die Partei Die Linke, Gewerkschaften, Studienverbände und der Bundesrat plädiert. Mit Stellungnahme vom 15. März hatte die Länderkammer appelliert, „im weiteren Gesetzgebungsverfahren eine automatisierte Anpassung von Freibeträgen, Bedarfssätzen und Sozialpauschalen an die tatsächliche Entwicklung der Einkommen und Preise vorzusehen“.
„Schippe drauflegen“
Nicht mit dieser Regierung. Begründung: „Mögliche Indizes-gestützte automatisierte Anpassungen würden ausbildungsförderungspolitische Entwicklungen nicht zielgenauer abbilden als verantwortliche Entscheidungen des Gesetzgebers selbst.“ Ehrlicher wäre die Antwort gewesen: „Ist uns zu teuer.“
Allein zwischen 2010 und 2016 waren sechs lange Jahre ohne BAföG-Erhöhung ins Land gegangen, zwischen 2001 und 2008 sogar sieben und bis zum Herbst werden es wieder drei Jahre sein, die Studierende und Schüler auf einen Nachschlag haben warten müssen. Im Zeitraum 2014 bis 2017 ist die Zahl der geförderten Studenten um 180.000 eingebrochen. Nur knapp über 13 Prozent erhielten noch entsprechende Leistungen. Neuere Zahlen liegen noch nicht vor. Der Schwund dürfte sich aber fortgesetzt haben, weil die 2016er-Reform im Volumen nicht dazu angetan war, die „Verluste“ der Vergangenheit wettzumachen.
Und die neue Reform? An die von der großen Koalition versprochene „Trendumkehr“ mit demnächst 100.000 Begünstigen mehr glaubt man beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) jedenfalls nicht. „Zu schwer wiegen die Versäumnisse jahrelanger Nullrunden, die die Studierendenförderung systematisch geschwächt haben“, äußerte sich am Donnerstag die stellvertretende Bundesvorsitzende Elke Hannack. „Anja Karliczek wird deshalb noch in dieser Wahlperiode bei Freibeträgen und Bedarfssätzen eine weitere Schippe drauflegen müssen.“ Zur Erinnerung: Eine „Trendwende“ hatte vor drei Jahren auch Amtsvorgängerin Johanna Wanka (CDU) beschworen. Tatsächlich sackte die Förderquote noch tiefer ab. 2017 wurden übers Jahr betrachtet mit 556.000 in etwa so viele Studierende bezuschusst wie 2009. Nur waren seinerzeit rund 800.000 Menschen weniger an den Hochschulen eingeschrieben.
Mehr, aber zu wenig
Nach dem Fahrplan der Regierung soll der Förderhöchstbetrag von aktuell 735 auf 861 Euro im kommenden Jahr steigen, der Grundbedarf von 399 Euro auf dann 427 Euro. Zulegen werden auch die Zuschläge für die Kranken- und Pflegeversicherung auf 84 Euro bzw. 25 Euro für den „Normalstudenten“ sowie auf 155 Euro bzw. 34 Euro bei den über 30jährigen.
Eine Zugabe winkt auch bei den Vermögensfreibeträgen. Diese werden für den Antragssteller von 7.500 Euro auf 8.200 Euro angehoben, für den/die Ehepartner(in) und für jedes Kind von 2.100 Euro auf 2.300 Euro.
Ferner soll es künftig für Härtefälle einen Schuldenerlass bei der Rückzahlung des BAföG-Darlehens (Hälfte der Förderleistungen) nach 20 Jahren geben. Dafür sollen im Gegenzug die Rückzahlungsraten von 105 auf 130 Euro steigen und über einen Zeitraum von 77 Raten beglichen werden. Alles in allem beträgt die Schuld künftig maximal 10.010 Euro statt bisher 10.000 Euro.
Was sich im einzelnen nach viel anhört, erweist sich im Lichte der Wirklichkeit als ziemlich dürftig. Laut Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks (DSW) hatten Studierende schon im Jahr 2016 ohne Miete 496 Euro zum Leben ausgegeben. Eine jüngere Studie des Berliner Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS) taxiert den eigentlich erforderlichen Regelsatz sogar auf einen Betrag der „Bandbreite von 500 bis zu 550 Euro“.
Kein gestaffelter Mietzuschuss
Großen Nachholbedarf machen die Forscher ebenso in puncto Mietzuschlag geltend. Die BAföG-Wohnpauschale will die Regierung von 250 Euro auf 325 Euro hochsetzen. Angesichts der Preisexplosion in Ballungsräumen, den Groß- und traditionellen Universitätsstädten reicht dort das Geld aber allenfalls dann, wenn man einen Platz in einem staatlichen Studentenwohnheim ergattert. Auf dem freien Markt kommt man damit nicht weit. In München kostet ein WG-Zimmer über 600 Euro und laut FiBS-Untersuchung müssen einkommensschwache, alleine wohnende 18- bis 24jährige Studierende mit im Schnitt 359 Euro schon heute mehr berappen, als das, was für die Regierung schon das Ende der Fahnenstange ist.
Statt eines Zuschusses, der „in den großen Uni-Städten hinten und vorne nicht reicht, ist eine regionale Staffelung nach dem Wohngeldgesetz wesentlich sinnvoller“, monierte DGB-Vize Hannack. Auch die Linkspartei empfiehlt in ihrem gestern im Plenum niedergestimmten Gegenantrag eine flexible Handhabung entsprechend der „örtlich unterschiedlichen Mietniveaus“. Gerade die horrenden Mieten in vielen Hochschulstädten sorgten dafür, dass die Fördersätze „weit unterhalb der realen Lebenshaltungskosten der Studierenden liegen“, beklagte Linke-Hochschulexpertin Nicole Gohlke gegenüber der dpa.
Das Deutsche Studentenwerk (DSW) begrüßte die Nachbesserungen zwar vom Grundsatz her. Damit noch mehr Studenten vom BAföG profitieren können, seien jedoch weitere Maßnahmen notwendig, schränkte Generalsekretär Achim Meyer auf der Heyde ein. So müsse etwa die Förderhöchstdauer um mindestens ein Semester verlängert werden, weil derzeit nur eine Minderheit von 37 Prozent die Regelstudienzeit einhalte.
Andreas Keller, Vizechef der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), bedauerte das Ausbleiben einer „überfälligen Strukturreform“. So scheuten viele Studienberechtigte ein Hochschulstudium, „weil sie Angst haben, nach dem Studium mit einem Schuldenberg ins Erwerbsleben zu starten“, erklärte er gegenüber Studis Online. Das BAföG müsse „endlich wieder zu 100 Prozent als Zuschuss gezahlt werden, der nicht zurück zu erstatten ist“.
Abgelehnt, abgelehnt, abgelehnt ...
Enttäuschung herrscht auch bei den Juso-Hochschulgruppen. „An der prekären Lebenssituation von vielen Studierenden ändert sich nichts“, bemängelte gestern Bundesvorstandsmitglied Julie Göths. Es brauche weiterhin eine regelmäßige Anpassung der Frei- und Förderbeträge sowie eine Entkopplung der Förderungshöchstdauer von der Regelstudienzeit. „Ohne diese Änderungen ist die BAföG-Reform die zweite in Folge, die zu keiner Trendwende führen wird.“ Lediglich wegen des Einsatzes der SPD wären „konkrete Verbesserungen für Studierende mit pflegebedürftigen Angehörigen oder Kindern“ erkämpft worden, während die Unionsfraktion blockiert habe, ergänzte Göths. Tatsächlich wurde im Gesetzgebungsverfahren an dieser einen Stelle gegenüber Karliczeks ursprünglichem Entwurf nachjustiert: Demnach sollen diejenigen, die nahe Familienmitglieder pflegen, auch nach Überschreiten der Förderungshöchstdauer BAföG beziehen dürfen. Allerdings greift die Regelung erst ab Pflegegrad 3.
Sämtliche Änderungsvorstöße, die auf eine substanzielle Ausweitung des Kreises der Anspruchsberechtigen zielen und richtig teuer hätten werden können, wurden dagegen abgeschmettert. Der Bundesrat hatte beispielsweise eine Überprüfung der Altersgrenzen angeregt. Wer mit 30 Jahren ein Studium beginnt, hat nach geltender Rechtslage keinen Leistungsanspruch, dasselbe gilt für jene, die mit 35 Jahren ein Master-Studium beginnen. „Die Bundesregierung stimmt dem Vorschlag nicht zu“, lautete die Replik.
Außerdem sprachen sich die Ländervertreter „vor dem Hintergrund der großen Vielfalt der Bildungsbiographien“ für die Förderung von Teilzeitausbildungen aus. Und wieder: „Die Bundesregierung stimmt dem Vorschlag nicht zu.“ Ferner erhob die Länderkammer Einwände gegen das sogenannte Ausbildungsstättenprinzip. Daraus erwachsen Schülern mit bereits abgeschlossener Berufsausbildung förderungsrechtliche Nachteile, sofern sie etwa in einer Fachoberschule mit Schülern ohne Berufsabschluss in einer Klasse sitzen. Die Regierung habe „den Sachverhalt geprüft“ und, man ahnt es schon, „stimmt dem Vorschlag nicht zu“.
Verzögern und vertuschen
Gar nicht erst prüfen will die Koalition die Auswirkungen ihrer 2016 ins Werk gesetzten 25. BAföG-Novelle – zumindest nicht so bald. Laut Gesetz müsste sie eigentlich alle zwei Jahre Bericht darüber erstatten, wie sich der Gefördertenkreis in Art und Umfang vor dem Hintergrund gestiegener Löhne und Preise entwickelt hat. Auf dieser Basis sind dann gegebenenfalls Nachsteuerungen vorzunehmen, womit die Bestandsaufnahme zum Impulsgeber für die nächste Reform werden kann. Schon ihren letzten 21. BAföG-Bericht von 2017 lieferte die Regierung mit einem Jahr Verspätung ab. Jetzt will man noch einen draufsetzen und vier Jahre bis zur Abgabe, nämlich bis 2021 warten. Vorher könnten mögliche Effekte nicht erfasst werden, heißt es zu Begründung, womit praktisch ausgemacht ist, dass in dieser Legislaturperiode keine weitere Novelle mehr ansteht.
Die Fraktionen von Linkspartei und Grünen haben in einem gemeinsamen Antrag eine Vorlage noch in diesem Jahr gefordert. Unter Verweis auf besagte FiBS-Studie wird darin konstatiert, dass schon die erste vorgesehene Erhöhung der Regelsätze um fünf Prozent im kommenden Herbst nicht ausreiche, die Preissteigerungen seit 2016 aufzufangen. Damit droht die „Wiederholung eines Misserfolgs“ wie bei der vorangegangen Novelle, „die nicht 110.000 Geförderte mehr, sondern 180.00 Geförderte weniger gebracht hat“, heißt es in der Eingabe. Freilich wurde die mit den Stimmen der Koalition abgebügelt. Linkspolitikerin Gohlke hatte es schon davor kommen sehen: Union und SPD wollten offenbar „bewusst verhindern (...), dass Daten erhoben werden, die zeigen, wie unzureichend ihre BAföG-Novelle ist“.
Kürzen im Voraus
Dabei gibt es schon einen anderen Hinweis darauf, dass die letzte Reform ein Flop gewesen ist. Mitte März hatte SPD-Finanzminister Olaf Scholz mit seiner Ankündigung für Wirbel gesorgt, den Bildungsetat für 2020 im Vergleich zum laufenden Jahr um eine halbe Milliarde Euro zu kürzen. Weiterhin sieht seine Finanzplanung bis 2023 Einbußen von 2,4 Milliarden Euro gegenüber einem früheren Entwurf vor. Zehn Tage später rechnete dann der bundesweite studentische Dachverband fzs unter Berufung auf eine „sichere Quelle“ vor, dass sich das Minus fürs nächste Jahr lediglich aus der Anpassung an die Fördervolumina der Jahre seit der 2016er-Novelle ergebe. Wie der Verband per Pressemitteilung verbreitetet, resultiere dies daraus, dass die Sätze deutlich weniger erhöht wurden, als es möglich gewesen wäre. Das zeigten auch die Soll- und Ist-Werte des letzten Bundeshalts.
Die Folgerung der Studierendenvertreter: Das Bildungsministerium habe es schlicht versäumt, das ihm zur Verfügung stehende Geld auszugeben, und es „billigend in Kauf genommen“, dass die Gefördertenzahlen weiter abgeschmiert wären. Also hätte man den alten Haushaltsansatz durch eine „neue, realistische Schätzung um 800 Millionen Euro nach unten korrigiert“. Sollte die Darstellung zutreffen, dann baut Scholz für die Zeit nach der Reform mitnichten auf die proklamierte Trendwende, sondern kalkuliert allenfalls mit einer Konsolidierung auf dem durch die Novelle von vor drei Jahren hinterlassenen Niveau. Damit läge die Regierung dann wieder einmal voll im Trend. (rw)
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