Statistik vor der ErhöhungNeuer Minusrekord bei BAföG-Empfängern
Einige Symbole im Bild (Daumen hoch, nach oben weisende Statistik) sind zwar aktuell nicht passend – aber die Hoffnung stirbt zuletzt …
Hört, hört! „Die Trendwende beim BAföG ist eingeleitet“, verkündete dieser Tage Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU). Durch die zum 1. August wirksam gewordene 26. Novelle des Bundesausbildungsförderungsgesetzes sollten mehr junge Menschen staatliche Unterstützung erhalten, um ihnen den Weg zu ebnen, „eine qualifizierte Ausbildung an Schulen oder Hochschulen aufzunehmen“. Ziel der Regierung sei es, dass alle „ihre Talente voll entfalten können“, ließ sie am vergangenen Mittwoch per Pressemitteilung verbreiten. Wenn das mal nicht verheißungsvoll klingt.
Leider gibt es da dieses leidige Etwas, das sich Realität nennt. Denn nur zwei Tage nach ihrer Einlage aus der Rubrik Wünsch-Dir-was fand sich die Ministerin prompt auf dem harten Boden der Tatsachen wieder. Wie jedes Jahr im August gab das Statistische Bundesamt am Freitag die Zahl der Studierenden und Schüler bekannt, die im Jahr davor BAföG-Leistungen bezogen. Und einmal mehr taugte das nicht zum Festakt für Jubelperser. Gemäß Erhebung kamen 2018 übers Jahr betrachtet kümmerliche 727.000 Menschen in den Genuss der gesetzlichen Ausbildungshilfe. Das waren 55.000 oder 7,1 Prozent weniger als im Jahr 2017.
Scholz kann sich freuen
Profitierten seinerzeit noch 557.000 Studierende von dem Förderinstrument, waren es im Vorjahr nur noch 518.000. Das entspricht einem Rückgang um sieben Prozent. Im Verhältnis noch größer fällt der Schwund beim Schüler-BAföG aus. Hier brachen die Zahlen von 225.000 auf 209.000 und damit um 7,3 Prozent ein. Im Monatsdurchschnitt wurden 2018 lediglich 468.000 Personen bezuschusst, 129.000 Schülerinnen und Schüler und 339.000 Studenten. Das waren 6,9 Prozent oder 35.000 weniger als 2017.
Auf unverändertem Niveau von 50 Prozent blieb der Anteil derer, die den maximalen Förderbetrag erhielten. Die andere Hälfte bezog eine Teilförderung, die geleistet wird, wenn das Einkommen der Betroffenen oder der Eltern bestimmte Grenzen übersteigt. Im Vergleich zum Vorjahr gab es allerdings 5,7 Prozent weniger Voll- und 8,7 Prozent weniger Teilgeförderte. Abwärts ging es auch in puncto Auszahlungshöhe. Im Mittel verbuchten Studenten im zurückliegenden Jahr 493 Euro im Monat und damit sechs Euro weniger als im Jahr davor. Schüler bekamen 454 Euro und damit zwei Euro weniger. Freuen kann sich darüber Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD). Im Jahr 2018 betrugen die BAföG-Ausgaben nur noch 2,7 Milliarden Euro, 233 Millionen Euro oder 7,9 Prozent weniger als 2017.
Die Entwicklung der BAföG-Statistik 2014-2018
2014 | 2015 | 2016 | 2017 | 2018 | |
Studierende (gesamt) in Tsd. | 2.579 | 2.654 | 2.709 | ~2.746 | ~2.763 |
Anspruchsberechtigte in Tsd. | 1.696 | 1.706 | 1.709 | >1.709 | >1.709 |
BAföG-Geförderte in Tsd. | 425 | 401 | 377 | 364 | 338 |
Gefördertenquote (alle Studierende) | 16,5 | 15,1 | 13,9 | ~13,3 | ~12,2 |
Gefördertenquote (Anspruchsberechtigte) | 25,0 | 23,5 | 22,1 | <21,3 | <19,8 |
Gesamtausgaben in Mio. €2 | 2.281 | 2.158 | 2.099 | 2.181 | 2.002 |
Quellen: BAföG-Statistik 2018 des Statistischen Bundesamtes. Die Studierendenzahlen liegen noch nicht in vergleichbarer Zahl vor, wir haben sie mit Hilfe der Wintersemesterzahlen des Statistischen Bundesamtes geschätzt. Bei den Anspruchsberechtigten rechnen wir mit den Zahlen von 2016, auch wenn diese inzwischen noch etwas gestiegen sein dürften.
Alle Angaben bis 2016: 21. Bericht der Bundesregierung nach § 35 BAföG, Dezember 2017, https://www.bmbf.de/files/21%20bafoeg%20bericht.pdf.
Rohrkrepierer
Die Daten der Wiesbadener Statistiker schreiben den Negativtrend des zurückliegenden Jahrzehnts eindrucksvoll fort. Während die Studierendenzahlen seit langem kein Halten mehr kennen und stramm auf die Drei-Millionen-Marke zusteuern, verliert das BAföG immer mehr an Bedeutung. Wie Kai Gehring von der Bundestagsfraktion der Grünen-Partei vorrechnete, sind allein zwischen 2013 und 2018 „rund eine Viertelmillion Studierende und Schüler aus dem BAföG gefallen“. Für ihn ist der neueste historische Tiefstand „die Quittung für die verfehlte Politik“ der vergangenen 15 Jahre, in denen die Bundesregierung von CDU/CSU angeführt wird.
Vor allem beweist der anhaltende Niedergang, dass die 25. BAföG-Reform, die 2016 nach sechs Jahren ohne Anpassung in Kraft getreten war, komplett verpufft ist. Vor einem Jahr, als die Zahlen für 2017 vorgelegt wurden, hatte sich die Regierung noch damit herausgeredet, die Neuerungen würden erst mit verspäteter Wirkung auf die Statistik durchschlagen. Tatsächlich hat sich die Talfahrt seither sogar beschleunigt: 2016 erhielten noch 584.000 Studierende BAföG-Leistungen, während es zuletzt 66.000 weniger waren. Und die seit Jahren stärksten Verluste mit sieben Prozent fallen ausgerechnet in den Vergleichszeitraum 2017/2018. Bezogen auf alle derzeit Studierenden liegt die Quote der BAföG-Bezieher nur noch bei knapp über zwölf Prozent. Selbst die offizielle Quote, bezogen auf die theoretisch Förderberechtigten (also ohne Teilzeitstudierende, zu „alte“ oder zu „lange“ Studierende), dürfte erstmals unter 20 Prozent liegen – auch das ein historischer Minusrekord. Eigentlich sollte schon die 2016er-Novelle eine „Trendumkehr“ bringen. Statt dessen geriet sie zu einem echten Rohrkrepierer.
Keine Verlässlichkeit
Die Gründe für die Entwicklung liegen auf der Hand: Durch die wiederholt langen Durststrecken ohne Anpassung – insbesondere zwischen 2001 und 2008 sowie zwischen 2010 und 2016 – sind viele einst Anspruchsberechtigte aus der Förderung gepurzelt. Noch schwerwiegender ist allerdings der allgemeine Ansehensverlust. Immer mehr eigentlich Förderfähige nehmen ihre Ansprüche gar nicht mehr wahr, sei es, weil die Zuwendungen ohnehin nicht zum Leben reichen, weil man sich nicht verschulden will oder den Antragsstress scheut. Das alles hängt auch mit dem politischen Umgang mit einer staatlichen Sozialleistung zusammen, die seit zwei Jahrzehnten systematisch auf Verschleiß gefahren und schlecht geredet wird. Vor allem hat das Instrument durch die wiederholten Hängepartien im Gesetzgebungsprozess massiv an Verlässlichkeit eingebüßt. Wer damit rechnen muss, dass vier, fünf und mehr Jahre bis zum nächsten BAföG-Nachschlag ins Land gehen können, lässt vielleicht doch besser gleich die Finger von der Sache.
„Die Bedeutung des BAföG rutscht von einem Tiefpunkt zum nächsten“, monierte denn auch Nicole Gohlke, hochschulpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke mit Blick auf das neueste Zahlenwerk. „Ein Studium oder eine förderfähige Ausbildung aufzunehmen, wird dadurch zu einer immer schwereren finanziellen Belastung für junge Menschen und ihre Familien.“ Entsprechend fänden immer weniger Kinder aus Nicht-Akademikerhaushalten den Weg an die Hochschulen. „So werden Lebenswege versperrt und Potentiale nicht ausgeschöpft.“
Schlichte Erhöhungsrunde
Eine „Talfahrt sondergleichen“ beklagte der Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks (DSW), Achim Meyer auf der Heyde: „Hätte es noch eines weiteren Beweises bedurft, wie dringend eine BAföG-Erhöhung ist, dann läge er jetzt vor.“ Die zum kommenden Wintersemester greifende BAföG-Reform nannte er deshalb „absolut überfällig“. Ziel müsse es vor allem sein, das BAföG wieder für Studierende aus mittleren Einkommensschichten zu öffnen. Auch sei eine Strukturreform dahingehend notwendig, die Förderung für mindestens ein Semester über die Regelstudienzeit hinaus zu verlängern, da weniger als 40 Prozent der Studierenden ihr Studium überhaupt in der Regelstudienzeit schafften. Ferner müssten die Altersgrenzen abgeschafft und auch ein Teilzeitstudium förderfähig werden, verlangte der DSW-Funktionär.
Vieles dessen leistet Karliczeks Gesetzespaket aber gerade nicht. Zu mehr als einer Erhöhungsrunde hat sich die Koalition aus Union und SPD nicht durchringen können. Dabei steigen die Elternfreibeträge bis 2021 in drei Schritten um 16 Prozent und die Regelsätze bis 2020 in zwei Schritten um sieben Prozent. Der Förderhöchstbetrag wird von aktuell 735 auf 861 Euro im kommenden Jahr zulegen, der Grundbedarf von 399 Euro auf dann 427 Euro. Daneben wird die Wohnpauschale auf 325 Euro angehoben. Erhöht werden auch die Zuschläge für die Kranken- und Pflegeversicherung auf 84 Euro bzw. 25 Euro für den „Normalstudenten“ sowie auf 155 Euro bzw. 34 Euro bei den über 30jährigen. Dazu kommen Erleichterungen bei den Vermögensfreibeträgen. Diese werden für von 7.500 Euro auf 8.200 Euro aufgestockt, für Ehepartner und für jedes Kind von 2.100 Euro auf 2.300 Euro.
100.000 mehr Geförderte?
Die Ministerin verspricht sich von den Maßnahmen, den Kreis der BAföG-Bezieher im Jahresschnitt um 100.000 auszuweiten. Mit derselben Hausnummer hatte seinerzeit auch ihre Amtsvorgängerin und Parteifreundin Johanna Wanka gewedelt, als sie ihre 2016er-Reform auf den Weg brachte. Daraus wurde bekanntlich nichts, die Förderzahlen rauschten sogar noch tiefer in den Keller.
Die Juso-Hochschulgruppen trauen den schönen Ankündigungen deshalb auch nicht. Am „Abwärtsstrudel“ werde auch die aktuelle Reform nichts ändern, erklärte Bundesvorstandsmitglied Julie Göths. Diese „holt lediglich die letzten Jahre nach, schafft aber keine langfristige Perspektive“. Dafür brauche es eine regelmäßige Anpassung der Frei- und Förderbeträge, sowie eine Entkopplung der Förderungshöchstdauer von der Regelstudienzeit. „Das Schönreden der Bundesbildungsministerin hilft den Studierenden nicht weiter – es muss endlich gehandelt werden.“ (rw)