3.000 Euro für drei MonateStudi-Initiative und DSW stellen Forderungen an Bundesregierung
Wenn aktuell alle möglichen „Schutzschirme“ aufgespannt werden, sollte auch an Notleidende Studierende gedacht werden.
Kein BAföG, kein Stipendium, keine reichen Eltern – und jetzt auch keinen Job mehr. Die Corona-Krise reißt zahllosen Studierenden in Deutschland finanziell den Boden unter den Füßen weg. Nicht genug damit, dass derzeit niemand weiß, ob, wann und wie wieder richtig studiert werden kann. Mehr noch treibt dieser Tage viele die Frage um, wie sie oder er noch die Miete begleichen, das Zeitungsabo, den Sportverein, den Kitabeitrag des Kindes bezahlen oder einfach nur Lebensmittel einkaufen soll. Angesichts des Berges an Herausforderungen, Unwägbarkeiten und Sorgen, die das Virus schon aufgetürmt hat und weiter auftürmen wird, greift bei nicht wenigen die blanke Existenzangst um sich.
Da ist zum Beispiel eine Studentin aus Leipzig, die im Internet schreibt, sie habe ihren Nebenjob in einem Modegeschäft verloren. „Weil der Laden zumachen musste, weiß ich jetzt nicht, wie ich meinen Lebensunterhalt finanzieren soll.“ Ein Student aus Köln schildert: „Ich bin schon jetzt in eine finanzielle Schwierigkeit geraten, so dass ich auf Hilfe angewiesen bin.“ Erschwert werde seine Lage noch durch eine körperliche Beeinträchtigung. „Im schlimmsten Fall muss ich meinen Master bereits im Juni oder Juli komplett abbrechen – weil eben das Geld fehlt.“ In einem anderen Fall hat sich der Antrag auf Bundesausbildungsförderung (BAföG) wegen der Epidemie verzögert. „Es fällt mir schwer, meine Miete zu bezahlen, geschweige denn essen zu kaufen, weil ich gerade nirgendwo arbeiten gehen kann“, klagt der Betroffene und weiter: „Ich bitte um Hilfe!“
Mit BAföG unterm „Existenzminimum“
Gefragt ist allen voran die Bundesregierung. Zwar hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) zuletzt eine Art Garantieerklärung abgegeben, BAföG-Ansprüche auch für die unabsehbare Zeit einzulösen, in der der Hochschulbetrieb ruht. Allerdings können sich davon nicht viele etwas kaufen. Im Zuge der allgemeinen Erosion der Sozialleistung infolge einer Reihe unzulänglicher und mithin über Jahre aufgeschobener Reformen ist die Zahl der Profiteure regelrecht abgestürzt. Heute erhalten nicht einmal mehr zwölf Prozent der hierzulande fast 2,9 Millionen Hochschüler BAföG-Unterstützung. Auch gibt es erste Anzeichen, dass die Quote trotz der neuesten Novelle von 2019 noch weiter einbrechen wird.
Dazu kommt: Für die wenigen, die die staatliche Hilfe beziehen, reichen die Zuwendungen in aller Regel nicht aus, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Das belegt etwa eine Studie des Berliner Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie (FIBS) im Auftrag des Deutschen Studentenwerks (DSW) von vor einem Jahr. Solche Studierende, die aus armem Elternhaus stammen und sich einzig mit BAföG finanzieren, bewegten sich mit ihren Ernährungsgewohnheiten demnach auf einem Niveau „unterhalb des physiologischen Existenzminimums“. Und laut DSW-Sozialerhebung von 2016 gehen inzwischen über zwei Drittel der Studierenden jobben, um irgendwie über die Runden zu kommen.
Das BMBF hat in Sachen Corona+BAföG mittels Erlass schnell gehandelt und plant weitere Sonderregelungen. Wir erklären, welche Möglichkeiten wann bestehen – z.B. auch wenn die Eltern dauerhaft weniger Geld verdienen. Informiere dich frühzeitig und kümmere dich um deine Rechte! Wenn du bisher auf BAföG verzichtet hast: Vielleicht lohnt doch ein Antrag! weiter
Kneipen dicht, Kasse leer
Allerdings dürften die allerwenigsten einer wirklich krisensicheren Arbeit nachgehen. Tätigkeiten im Lehrbetrieb als studentische Hilfskräfte fallen so lange aus, wie die Uni dicht ist. Produktionshelfer braucht in der Industrie keiner, wenn die Bänder und Maschinen stillstehen und sogar das Stammpersonal in Kurzarbeit geschickt oder vor die Tür gesetzt wurde. Dasselbe gilt für fast alle Beschäftigungsverhältnisse im Einzelhandel und im Dienstleistungssektor, ob als Verkäuferin im Modeladen oder Aushilfe im Friseursalon. Vor allem mit der flächendeckenden Schließung aller Kneipen, Bars, Cafés und Restaurants ging über Nacht für Zehntausende der Studijob und damit die Haupteinnahmequelle flöten.
Den Nöten der Betroffenen hat sich inzwischen ein breites Bündnis von bundesweit, regional und lokal agierenden Studierendenvertretern angenommen. Ihr gemeinsames Ziel ist es, die Regierung zum raschen Handeln und zur Auflage eines Programms zu bewegen, um den Leidtragenden finanziell Luft zu verschaffen. Konkret verlangen die Initiatoren eine Soforthilfe ab dem 30. März in Höhe von 3.000 Euro zur Überbrückung der kommenden drei Monate. Dabei sei die Geldspritze zunächst ohne Bedürftigkeitsprüfung, also ohne kraft- und zeitraubenden bürokratischen Aufwand, zu bewilligen. Geprüft werden solle der Anspruch erst nachträglich und im Falle einer erwiesenen Nichtbedürftigkeit solle die Zahlung in einen zinslosen Kredit umgewandelt werden, der mit Ablauf von zehn Jahren fällig werde.
Soforthilfe jetzt!
Dem Bündnis gehören der „freie zusammenschluss von student*innenschaften“ (fzs), die Landesastenvertretungen aus Bayern, Nordrhein-Westfalen, Niedersachen, Sachsen und Brandenburg, der Bundesverband Ausländischer Studierender (BAS), etliche Asten aus dem gesamten Bundesgebiet und parteinahe Verbände wie Campusgrün, Die Linke.SDS und die Juso-Hochschulgruppen (SPD) an. Um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen, haben die Aktivisten eine Petition auf openPetition.de gestartet, deren Zuspruch sich ziemlich rasant entwickelt.
Bis Mittwochnachmittag kamen bereits knapp 18.000 Unterstützer zusammen. Geht es so weiter, könnte der nächste Schritt, 50.000 Menschen für die Sache zu gewinnen, bald erreicht sein. In diesem Fall wird openPetition bei der Bundesregierung eine Stellungsnahme zu dem Anliegen einholen.
In einer Pressemitteilung vom Montag begründen die Initiatoren ihren Vorstoß. In der aktuellen Situation sei es nicht haltbar, dass Studierende „deutschlandweit in finanzielle Notlagen geraten, weil ihre Nebenjobs wegfallen oder ihre Eltern sie aufgrund des plötzlichen Einnahmeausfalls nicht mehr finanzieren können“, äußerte sich Lasse Emcken von der Konferenz Sächsischer Studierendenschaften (KSS). Wer nicht wisse, wie die nächste Miete bezahlt werden soll, könne sich weder auf Prüfungen noch auf die Erarbeitung von Lernstoff konzentrieren, gab Maximilian Frank von der Landes-Asten-Konferenz Bayern (LAK Bayern) zu bedenken. „Zuerst müssen soziale Absicherungen geschaffen werden, bevor über einen Weiterbetrieb der Hochschulen gesprochen werden kann.“
Ausländer in Not
Besonders schwere Härtefälle befinden sich nach Darstellung des Bündnisses „im Lager der ausländischen Studierenden“. Stammten diese aus von der Pandemie betroffenen Staaten, könnten sie durch ihre Eltern vielfach nicht mehr finanziell unterstützt werden, erklärte BAS-Sprecher Kumar Ashish. In den wirtschaftlich schwächeren Ländern wären die Auswirkungen der Krise „noch dramatischer“. Es gebe Studierende, die wegen des Wegfalls ihrer Jobs „gar kein Geld mehr haben und durch alle sozialen Sicherungssysteme in Deutschland fallen“. Die Soforthilfe solle als erste Maßnahme dienen, „damit bis zum Sommer ein gegebenenfalls angepasstes Konzept zur nachhaltigen Studienfinanzierung entwickelt werden kann“, fuhr Ashish fort. 3.000 Euro würden dabei ungefähr dem entsprechen, was Studierende laut DSW-Sozialerhebung für ein viertel Jahr zum Leben benötigten. Laut den Zahlen sind 75 Prozent der ausländischen Hochschüler neben dem Studium erwerbstätig.
Auf den Webseiten der Petition haben sich mittlerweile über 6.000 Betroffene mit Schilderungen der eigenen Situation und damit zu Wort gemeldet, warum sie auf Hilfe angewiesen sind – davon viele in englischer Sprache. „Because I am a student and I cannot work now because of lockdown and I cannot pay my rent“, schreibt ein Student aus Darmstadt. „It is all about solidarity and circumspection“, bemerkt ein Unterzeichner aus Dresden. „Nie wurde so schnell so deutlich, dass die Studienfinanzierung in Deutschland nur einen Bruchteil der Studierenden erreicht und bei weitem nicht ausreichend ist“, befand fzs-Vorstandsmitglied Amanda Steinmaus in besagter Medienmitteilung. „Die Bundesregierung hat in den letzten Tagen bewiesen, dass dies für viele betroffene Gruppen möglich ist. Die Studierenden dürfen nicht erneut vergessen werden.“
Bund-Länder-Fonds für Studis
Schützenhilfe bekommt das Bündnis vom Deutschen Studentenwerk (DSW). Am Montag hatte der Verband einen Bund-Länder-Fonds für bedrängte Studierende vorgeschlagen. „Die Bundesregierung, aber auch die Bundesländer, sind jetzt gefordert, zum Wohle der Studierenden rasch und unbürokratisch zu handeln – so wie sie es angesichts der Pandemie bereits tun“, bekundete DSW-Generalsekretär Achim Meyer auf der Heyde in einer Stellungnahme. Als weitere Rezepte empfahl er wegen der „nur schwer oder nicht zu erbringenden Studienleistungen im Sommersemester 2020“, die Regelstudienzeit und die Förderungshöchstdauer beim BAföG zu verlängern, den vorübergehenden Verzicht auf Finanzierungsnachweise bei ausländischen Studierenden, die Übernahme von Bürgschaften durch die Bundesländer sowie Liquiditätshilfen von Ländern und Kommunen für die Studentenwerke, „die mit massiven Einnahmeausfällen zu kämpfen haben“.
Am Mittwoch legte das DSW mit weiteren „Tipps“ für Betroffene nach. So sollten Menschen, deren Eltern wegen der Krise keinen Unterhalt mehr leisten können, einen BAföG-Aktualisierungsantrag stellen. Dann werde das niedrigere Einkommen der Eltern zugrunde gelegt und nicht mehr dasjenige des vorletzten Kalenderjahrs, erläutertet Meyer auf der Heyde. „Die Chancen, mehr BAföG zu bekommen, steigen erheblich.“ Ein BAföG-Antrag böte sich auch dann an, wenn der Nebenjob komplett wegbreche, „gerade für Studierende, die bisher lieber gejobbt haben, als eine vermeintlich geringe BAföG-Förderung abzurufen“. Sogar als „Arbeitsvermittler“ tritt das DSW auf den Plan. „Im Gesundheitswesen, im Einzelhandel und in der Landwirtschaft werden gerade händeringend Studierende gesucht, die bereit sind, mitanzupacken.“ Einschlägige Online-Jobbörsen zu konsultieren, „lohnt sich absolut“.
Plädoyer für „Nicht-Semester“
Auch die Frage, was aus dem nur auf dem Papier angelaufenen Sommersemester werden soll, wird inzwischen diskutiert. In einem offenen Brief haben sich mehr als 1.400 Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer für ein „Nicht-Semester“ ausgesprochen. „Die Lehre im Sommersemester soll stattfinden, aber das Semester soll nicht formal zählen“, heißt es darin. „Studierenden, die keine Studienleistungen erbringen können, dürfen keine Nachteile entstehen.“ Die Umstellung auf digitale Lerninhalte halten die Initiatoren für wenig zielführend. Die technische Infrastruktur sei überlastet und Lehrende und Studierende wären mit Onlinetools nicht hinreichend vertraut. Deshalb sei die Zeit zu nutzen, ausstehende Prüfungsleistungen des Wintersemesters abzuschließen.
Unterstützt wird dieser Ansatz von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Niemand dürfe dafür bestraft werden, dass sie oder er in Folge der Corona-Krise die erwarteten Leistungen nicht erbringen kann, lies sich GEW-Vize Andreas Keller zitieren. „Das Semester darf daher nicht zählen: weder bei der Ausbildungsförderung noch bei befristeten Arbeitsverträgen.“ Auch er sieht die Hochschulen „nicht auf eine flächendeckende Umstellung ihrer Lehre auf ein Fernstudium eingestellt“. Dafür seien weder die Lehrenden ausreichend qualifiziert noch gebe es eine dafür geeignete digitale Infrastruktur.
Lernen im Schlaf
An die Regierenden im Bund appellierte Keller, die rechtlichen und finanziellen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass das Semester nicht zählt. „Beim BAföG muss die Förderhöchstdauer pauschal um ein Semester erhöht werden. Analog sind Stipendien der Studien- und Promotionsförderung um ein Semester zu verlängern. Befristete Arbeitsverträge mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sind um sechs Monate zu verlängern, damit die wissenschaftlichen Qualifizierungsziele erreicht und Forschungsprojekte abgeschlossen werden können.“ Eines besonderen Schutzes bedürften zudem Lehrbeauftrage, die mit jeder ausfallenden Lehrveranstaltungsstunde einen Einkommensverlust hinnehmen müssten. „Wir erwarten von den Hochschulen, dass sie ihren Lehrbeauftragten die volle Semestervergütung zahlen“, so Keller.
Studis Online hat am Dienstag beim BMBF schriftlich angefragt, ob und welche Vorkehrungen die Regierung zur Absicherung von Lernenden und Lehrenden in Erwägung zieht, insbesondere mit Blick auf die Forderung nach Soforthilfen bei Verlust des Studentenjobs. Eine Antwort blieb die Pressestelle zunächst schuldig. [Nachtrag: Am Donnerstagnachmittag ging doch noch eine Antwort ein – leider mit wenig Substanz. Siehe den Artikel Unterlassene Hilfeleistung: Bundesregierung verzichtet vorerst auf Soforthilfe für Studierende?] Bei bleibender Tatenlosigkeit dürfte sich einiges an Unmut zusammenbrauen, etwa dann, wenn man den Lehrbetrieb demnächst mit der Brechstange durchziehen will.
Wie ein nicht annulliertes Nach-Corona-Semester aussehen könnte, hat übrigens eine Hochschule in München in einer Mail an ihre Studenten aufgezeigt. Sollte die Uni ihre Pforten wie (noch) vorgesehen Mitte Mai wieder öffnen, wäre einiges nachzuholen. Lehrveranstaltungen sollen dann planmäßig von 8 bis 22 Uhr durchgeführt werden – von Montag bis Samstag. Dann mal gute Nacht. (rw)
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