Faules Ei für StudisCorona-Soforthilfe nur auf Pump?
An Ostern verkündet, aber der Inhalt gefällt nicht unbedingt: Die Pläne des BMBFs für notleidende Studis.
Das also soll sie sein: Die schnelle Hilfe für Studenten, die in der Corona-Krise am Abgrund stehen. Am Ostersonntag ließ Bundesbildungsministerin Anja Karliczek die Katze – oder besser das Ei – aus dem Sack. Studierenden, die wegen des verordneten gesellschaftlichen Lockdowns ihren Nebenjob verloren haben oder deren elterliche Zuwendungen gekappt oder gestrichen wurden, will die Bundesregierung mit einem zinslosen Darlehen aus der Patsche helfen. Ihr Ziel sei es, sagte die CDU-Politikerin vorgestern in Berlin, dass keiner aus finanziellen Gründen sein Studium aufgeben müsse. Deshalb wolle man auch für diejenigen, die keine Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) erhielten, „eine kurzfristige Pandemie-Rückversicherung schaffen“
Entschieden ist in der Sache noch nichts. Bisher ist Karliczeks Vorstoß nicht mehr als ein Vorschlag an die Adresse ihrer Ministerkollegen in den Bundesländern. Die Deutsche Presse-Agentur (dpa) zitierte aus einem entsprechenden Brief vom vergangenen Donnerstag. Darin äußert die Chefin des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) ihre Sorge angesichts derer, die unverschuldet in eine Notlage geraten seien und keinen BAföG-Anspruch hätten. Für sie bleibe „nur der Gang zum Jobcenter und die dortige Beantragung eines Darlehens“, heißt es in dem Schreiben. Für sie wünscht sich Karliczek eine Unterstützung, die „unbürokratisch, schnell und wirksam“ sein müsse.
Wie lange noch?
Ganz so eilig ist es der Ministerin in der Angelegenheit aber dann auch nicht. Mit einem Beschluss ist frühestens am Freitag zu rechnen. Dann soll die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (GWK) von Bund und Ländern die Thematik per Telefonkonferenz beraten. Angesichts der oft genug divergierenden Interessen im deutschen Bildungsföderalimus erscheint eine Einigung keineswegs sicher. Zum Beispiel hat Hamburg schon Anfang April die Auflage eines landeseigenen Notfallfonds angekündigt, in dessen Rahmen das örtliche Studentenwerk zinslose Darlehen an Bedürftige vergeben soll. Ähnliche Initiativen gibt es in Niedersachsen, Berlin und Brandenburg. Ob sich die fraglichen Länder darüber hinaus im Rahmen eines bundesweiten Programms engagieren wollen, muss man abwarten. Aber selbst bei einer Entscheidung am Freitag wird mit dem gesetzgeberischen Vollzug noch einige Zeit ins Land gehen.
Dabei wird der Druck mit jedem Tag größer. Bevor Karliczek mit ihrer Idee herausgerückt ist, ließ sie bereits viel und wertvolle Zeit ungenutzt verstreichen. Wer seit jetzt fast vier Wochen kein Geld mehr verdient, zum Monatswechsel Miete und andere Rechnungen begleichen musste und dazu über keine großen Rücklagen verfügt, dürfte inzwischen in ernsthaften Problemen stecken. Laut Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks (DSW) gehen über zwei Drittel der knapp 2,9 Millionen Hochschüler in Deutschland jobben. Davon gaben 59 Prozent an, der Zuverdienst wäre notwendig, um den Lebensunterhalt zu sichern.
Direkthilfen gefordert
Wie sehr bei vielen der Schuh drückt, lässt sich auch am starken Zuspruch für die Petition „Sofortilfe für alle Studierende“ ermessen. Die am 20. März durch ein breites Bündnis aus bundesweit, regional und lokal agierenden Studierendenvertretern gestartete Aktion zählte bis Dienstag schon über 54.000 Unterstützer. Dazu haben auf der Plattform openPetition.de Betroffene in Tausenden Kommentaren ihre Situation geschildert und die politisch Verantwortlichen zum Handeln aufgefordert. Kernforderung der Initiatoren ist die Bewilligung von Direkthilfen im Umfang von 3.000 Euro für drei Monate. Daneben haben auch das DSW, die Gewerkschaften ver.di und GEW sowie die Opposition im Bundestag wiederholt auf die Problematik aufmerksam gemacht und raschen und unkomplizierten Beistand angemahnt.
Dass das BMBF nun endlich liefern will, bedeutet freilich nicht, dass das Gelieferte auch schmeckt. Was das Bündnis Solidarsemester angeht, in dem knapp 70 Studierendenvertretungsorgane aus der ganzen Republik zusammengeschlossen sind, hält sich die Freude über Karliczeks Osterüberraschung jedenfalls in Grenzen. Amanda Steinmaus, Vorstandsmitglied beim „freien zusammenschluss von student*innenschaften“ (fzs), äußerte sich am Montag gegenüber Studis Online ernüchtert: „Grundsätzlich haben auch Studierende das Recht, sich nicht verschulden zu müssen, um ihr Essen und ihre Miete bezahlen zu können.“ Es dürfe nicht sein, dass die Bundesregierung vielen anderen von der Krise gebeutelten Gruppen im Rahmen milliardenschwerer Rettungspakete Direkthilfen zugestehe, „und uns vertröstet man mit Krediten, die später wieder abgestottert werden müssen“.
Umsetzung ungewiss
In einer Pressemitteilung vom Dienstag legte Steinmaus mit Kritik nach: „Zinslose Darlehen sind immer noch Darlehen“, die bedeuteten, dass sich Studentinnen und Studenten unverschuldet verschulden müssten, um über die Runden zu kommen. „Mindestens im Falle der Bedürftigkeit“ müssten daher Zuschüsse ausgezahlt werden. Diese erforderten „insgesamt einen deutlich geringeren Verwaltungsaufwand, sowohl bei der Prüfung der Berechtigung als auch bei der Rückabwicklung“. Ihre Vorstandskollegin Leonie Ackermann ergänzte: „Wir brauchen eine einheitliche Lösung für alle Bundesländer“ und „der Bund hat die Zuständigkeit für die Studienfinanzierung“. Dass es in der aktuellen Situation Zuschüsse geben müsse, sei eine „moralische Pflicht“.
Auch Andreas Keller, stellvertretender GEW-Vorsitzender und Vorstandsmitglied für Hochschule und Forschung, hat in einer aktuellen Mitteilung nochmals betont: „Wie bei der Soforthilfe für Selbstständige und Unternehmen, sollte auch eine Soforthilfe für Studierende unbürokratisch und als Zuschuss erfolgen.“
Längst nicht ausgemacht ist, wie die avisierten Kredite überhaupt bei den Bedürftigen ankommen sollen. In Karliczeks Ministerium sieht man ein „Hauptproblem“ darin, einen Träger zu finden, der die Umsetzung des Darlehens übernimmt. Angedacht war, sich dafür das DSW ins Boot zu holen und die bei den örtlichen Studentenwerken angesiedelten Darlehenskassen mit der Abwicklung zu betrauen. Dafür setzte es vom DSW allerdings eine Absage. Verbandsgeneralsekretär Achim Meyer auf der Heyde begründete dies im Gespräch mit Studis Online mit der Überforderung der zu kleinen Darlehenskassen. „Da diese in der Regel nur wenige Darlehen vergeben, verfügen sie weder über die für ein Massengeschäft erforderliche IT-Ausstattung noch über die erforderliche Erlaubnis der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht.“
Regierung mag`s kompliziert
Dem Endruck, sein Verband lasse die Studierenden im Regen stehen, widersprach Meyer auf der Heyde und verwies auf andere Lösungswege, die er in Gesprächen mit dem BMBF angeregt hatte. „Auf unseren prioritären Vorschlag, das BAföG übergangsweise für pandemieverschuldete Härtefälle zu öffnen oder entsprechende Zahlungen über die BAföG-Ämter der Studentenwerke zu organisieren, wollte die Regierung aber nicht eingehen.“ Dabei hätte man sowohl auf eine massentaugliche IT als auch die erforderliche Administration zugreifen können. „Unsere Empfehlung war, die Förderung vorzugsweise als Zuschuss zu gewähren, da das wesentlich einfacher zu handhaben ist“, erläuterte der DSW-Funktionär. Dagegen bedürfe es bei der Darlehensvergabe eines gegenseitigen Vertrages und der Implementierung eines Rückforderungsmanagements, das zusätzliche personelle Ressourcen erfordere. Ansonsten hätte – um mögliche Mitnahmeeffekte auszuschließen – die Förderung „notfalls über ein Volldarlehen“ erfolgen sollen.
Stellt sich die Frage, warum sich die Regierung gegen eine Öffnung des BAföG sperrt. Die Vorteile gegenüber der Möglichkeit, als Student auch ohne Beurlaubung vom Studium Hartz-IV und Wohngeld – allerdings auch nur als Darlehen – beziehen zu können, liegen auf der Hand. Aufs Sozialamt zu gehen, ist bei weitem abschreckender, als beim BAföG-Amt um Hilfen nachzusuchen. Dazu kommt der Aspekt, dass die Corona-Krise die Erosion der Sozialleistung nicht nur aufhalten, sondern den Trend womöglich sogar umkehren könnte. Derzeit empfangen nicht einmal mehr zwölf Prozent aller Studierenden entsprechende Leistungen.
Chance auf BAföG-Comeback?
Jene, die in ihrer akuten Not von einer BAföG-Öffnung auf Zeit profitieren würden, könnten, sofern sie die Fördervoraussetzungen erfüllen, auch längerfristig im System hängen bleiben. Vielleicht lernen ja allerhand Menschen erst in der Krise dessen Vorzüge schätzen und setzen etwas in Bewegung, das zur nachhaltigen Gesundung des BAföG beiträgt. Zumal es am nötigen Geld nicht mangelt. Nach einer Aufstellung des BMBF von Anfang März wurden 2019 rund 900 Millionen Euro weniger abgerufen, als fürs BAföG eigentlich vorgesehen waren. Daneben zeigt sich am Beispiel Berlins, dass die Gefördertenzahlen auch nach der 2019er-Reform weiter im Schrumpfen begriffen sind.
Oft ist die Rede davon, eine Krise als Chance zu begreifen. Nicht mit dieser Regierung? In der Vorwoche hatte das Bundeskabinett ein sogenanntes Unterstützungspaket nur für den schwindenden Kreis derer beschlossen, die überhaupt noch BAföG beanspruchen. Demnach sollen die Geldleistungen auch in der durch das Corona-Virus verschuldeten Zwangspause des Lehrbetriebs regulär und in voller Höhe ausgezahlt werden. Ferner sollen Zuverdienste durch Tätigkeiten der Krisenbewältigung, etwa in Kliniken, Pflegeheimen oder Gesundheitsämtern, komplett von der Anrechenpflicht ausgenommen werden.
Return to sender
Der Opposition im Bundestag reicht das bei weitem nicht. Karliczek schweige dazu, „dass 750.000 Studentinnen und Studenten bereits ihre Nebenjobs verloren haben und dass den Honorarkräften und Lehrbeauftragten durch den Lehrausfall das Einkommen wegbricht“, beklagte Nicole Gohlke von der Linksfraktion. Kein Wort verliere die Ministerin auch dazu, dass internationale Studierende „um ihre Aufenthaltsgenehmigung und drittmittelgeförderte Projekte um die Finanzierung bangen“. Gohlkes Fazit: „Das Agieren der Bundesbildungsministerin in der Corona-Pandemie ist ein Armutszeugnis.“
Scharfe Kritik übte auch Kai Gehring von der Grünen-Fraktion. „Fast 90 Prozent“ der Studierenden hätten nichts von den Maßnahmen. Nötig sei stattdessen ein Hilfspaket, das diesen Namen auch verdient habe. Das vorgelegte Paket sei mit dem Sticker „Return to sender“ zu versehen. Mal sehen, was daraus wird. Dass der Osterhase faule Eier zurücknimmt, ist bis dato jedenfalls nicht überliefert. (rw)
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