Bund-Länder-Zoff um Studi-RettungsschirmSoforthilfe in der Warteschleife
Um eine Nothilfe für Studierende, die durch die aktuelle Krise ihren Job verloren haben, wird leider weiter gestritten.
Zu der Frage, wie man notleidenden Studierenden in der Corona-Krise beistehen soll, ist zwischen den politisch Verantwortlichen in Bund und Ländern ein offener Streit ausgebrochen. Während das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) wie berichtet auf die Gewährung zinsloser Darlehen setzt, machen sich die Vertreter der 16 Bundesländer parteiübergreifend für Hilfen im Rahmen der Bundesausbildungsförderung (BAföG) stark. Eine am Freitag anberaumte Telefonkonferenz der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) brachte dem Vernehmen nach keine Annäherung der Positionen. Eigentlich wollte Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) das Thema bei der Besprechung in ihrem Sinne abräumen und die Voraussetzungen für eine zügige Umsetzung ihres Modells schaffen. Daraus wird nun fürs erste nichts.
Die Wissenschaftsminister der Länder zweifeln an der Sinnhaftigkeit der Regierungspläne und verlangen weitergehende Hilfen. Ihre Kritik an der Marschrichtung der Bundesregierung brachten sie in zwei Briefen zum Ausdruck, die am Donnerstag beim BMBF eingingen. Über deren Inhalt berichtete zuerst die Deutsche Presse-Agentur (dpa). Im ersten Schreiben wird Karliczek unter anderem darum gebeten, den Zugang zu Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz kurzfristig auch für diejenigen zu ermöglichen, die zwar formal nicht anspruchsberechtigt sind, denen aber in der Krise ihr Nebenjob und damit das Einkommen weggebrochen ist.
Studentenwerke stehen bereit
Unterzeichnet wurde das Schriftstück stellvertretend für alle Länder durch die amtierende KMK-Präsidentin Stefanie Hubig (SPD), Bayerns Wissenschaftsminister Bernd Sibler (CSU), der die Wissenschaftspolitik der Länder mit Unionsregierung koordiniert, sowie Konrad Wolf, der die gleiche Funktion auf SPD-Seite innehat. Mit dem Ziel einer kurzfristigen und unkomplizierten finanziellen Unterstützung der Betroffenen empfiehlt die KMK die Zuarbeit der Studierendenwerke und der BAföG-Ämter. Sie verfügten über die nötige „Expertise in der Abwicklung entsprechender Instrumente“ und wären deshalb die „richtigen Ansprechpartner“.
Deren Dachorganisation, das Deutsche Studentenwerk (DSW), hatte in Gesprächen mit dem BMBF ebenfalls für eine BAföG-Öffnung plädiert. Konkret regte dessen Generalsekretär Achim Meyer auf der Heyde an, die Förderung übergangsweise für sechs Monate auf Studierende auszudehnen, die pandemieverschuldet ihren Job verloren und/oder wegen gekürzter oder gestrichener Zuwendungen aus dem Elternhaus in finanzielle Bedrängnis geraten sind. Dabei könne man auf eine funktionierende Infrastruktur mit „massentauglicher IT“ und der „erforderlichen Administration“ zugreifen.
Halb Darlehen, halb Zuschuss
Dagegen wollte das BMBF bei seinem Modell, zinslose Kredite zu bewilligen, die bei den örtlichen Studentenwerken angesiedelten Darlehenskassen mit der Abwicklung betrauen. Diese wären allerdings wegen ihrer begrenzten Ressourcen durch die absehbare Antragsflut überfordert, weshalb das DSW der Ministerin eine Absage erteilte. Auch sei die Darlehensvergabe mit ungleich höheren bürokratischen Hürden verbunden, als dies bei einer BAföG-Öffnung der Fall wäre. Um mögliche Mitnahmeeffekte auszuschließen, hatte der Verband zudem zur Diskussion gestellt, die Förderung „notfalls über ein Volldarlehen“ erfolgen zu lassen.
Die Länder streben sogar eine großzügigere Lösung an. In ihrem Brief fordern sie, dass bei einer Förderung neben einem Darlehensanteil ein gleich großer Anteil als nicht rückzahlbarer Zuschuss ausgezahlt werden müsse. Das würde dann wohl dem gängigen BAföG-Regelwerk entsprechen, das eine hälftige Begleichung der Kreditschuld ohne Zinsen vorsieht. „So kann vermieden werden, dass die Inanspruchnahme nicht zu einer langfristigen finanziellen Belastung der Studierenden wird“, heißt es in der Stellungnahme. Internationale Studierende müssten auf jeden Fall und „in besonderem Maße“ von den Hilfen profitieren können. Diese Gruppe gilt als besonders hart durch den Shutdown gebeutelt. Ausländische Studierende gehen zu 75 Prozent einer Erwerbsarbeit neben dem Studium nach und bestreiten damit in der Mehrzahl ihren kompletten Lebensunterhalt.
Vorbild Hamburg
In einem zweiten an Karliczek gerichteten Schreiben fordern die Wissenschaftsministerinnen und Wissenschaftsminister von Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen und Hamburg die Schaffung einer „BAföG-Nothilfe“ für einen begrenzten Zeitraum. „Die Höhe der Förderung richtet sich nach dem Durchschnittswert der bisherigen Nebeneinkünfte aus den vergangenen Monaten mit Gehaltsbezug.“ Die Unterstützung solle dabei aus einer Hälfte Zuschuss und einer Hälfte Darlehen bestehen, das später abgestottert werden müsste. Antragsberechtigt sollten alle deutschen und internationalen Studierenden von staatlichen und privaten Hochschulen sein, „die nachweisen können, durch den Wegfall eines Nebenjobs selbst in wirtschaftliche Schwierigkeiten gekommen zu sein“.
Als Vorbild schwebt den Initiatoren der Nothilfefonds in Hamburg vor – der vom dortigen Studentenwerk administriert wird. Finanzieren wollen sie das Ganze mit den 900 Millionen Euro BAföG-Minderausgaben im Haushaltsjahr 2019, die quasi ungenutzt auf der hohen Kante liegen. Diese Reserven sollten für „mindestens“ drei Monate reichen. Ob der Vorstoß von sämtlichen Ländern unterstützt wird und inwieweit er sich von dem gemeinsam getragenen Rezept einer BAföG-Öffnung unterscheidet, blieb zunächst unklar. Man kann ihn aber auch einfach als Konkretisierung ansehen.
BAföG-Freisemester?
Einig sind sich alle 16 Landeswissenschaftsminister indes in ihrer Ablehnung des Vorgehens, die möglicherweise zu Hunderttausenden in Finanznöten steckenden Studierenden mit zinslosen Krediten zu vertrösten. Das oder der Verweis auf Härtefallregelungen für Hartz-IV-Empfänger seien „keine adäquate Lösung“, halten sie in ihrem Brief fest. Zuletzt hatte die große Koalition den Weg dafür frei gemacht, dass Studierende auch ohne Beurlaubung vom Studium Leistungen wie Arbeitslosengeld II und Wohngeld beanspruchen können – aber auch dies nur in Form erstattungspflichtiger Darlehen. Ferner werden BAföG-Mittel auch für die Dauer des stillstehenden Lehrbetriebs regulär ausgezahlt und Zuverdienste durch Tätigkeiten der Krisenbewältigung, etwa in Kliniken, Pflegeheimen oder Gesundheitsämtern, komplett von der Anrechenpflicht ausgenommen.
Bisher nicht geklärt ist, wie sich das „coronageschädigte“ Semester auf die Fördergrenzen beim BAföG auswirken wird. Vor elf Tagen hatte die bayerische Staatsregierung die Ansage gemacht, das Sommersemester nicht auf die Regelstudienzeit und das BAföG anzurechnen. Was zunächst wie ein Alleingang anmutete, ist nun offenbar Konsens aller Kultusminister. Das laufende Sommersemester werde zwar „kein verlorenes“ sein, aber es werde wegen des unkalkulierbaren Verlaufs der Krise Unwägbarkeiten geben, liest man in besagtem Schreiben. Während die Süddeutsche Zeitung in diesem Zusammenhang lediglich von verlangten „Lockerungen“ schrieb, ging der Wissenschaftsjournalist Jan-Martin Wiarda in seinem Blog einen Schritt weiter: Demnach dringen die Länder darauf, das Sommersemester bundesweit einheitlich bei der BAföG-Höchstförderdauer nicht anzurechnen.
Verhärtete Fronten
In dem Beitrag wird auch auf laufende Verhandlungen des BMBF mit der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) verwiesen. Von der staatlichen Förderbank sollen die Gelder für die geplanten Darlehen für Studierende kommen. Die Gespräche wären weit fortgeschritten, sei aus dem Ministerium zu hören, eventuell schon Anfang nächster Woche könnte ein Ergebnis erzielt werden, schrieb Wiarda. Auch deshalb erscheint es fragwürdig, dass sich Karliczek noch einmal wird umstimmen lassen.
Ein Antwortschreiben Karliczeks an die KMK, aus dem die dpa am Freitagmittag zitierte, lässt auf stark verhärtete Fronten schließen. Darin spricht sie sich strikt dagegen aus, das BAföG auch für nicht leistungsberechtigte Studierende zu öffnen. Sie begründet dies unter anderem mit den Mühen eines parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens. „Die hierfür notwendige Zeit (...) haben wir nicht.“ Wirklich nicht? Schließlich wurden bisher alle krisenbedingten Gesetzesänderungen, darunter zwei „Rettungspakete“ im Umfang von über 750 Milliarden Euro, im Schweinsgalopp durch den Bundestag gepeitscht. Vor diesem Hintergrund kann auch DSW-Funktionär Meyer auf der Heyde die Darstellung der Regierung nicht nachvollziehen.
Auch wehrte er sich erneut dagegen, von Karliczek als Sündenbock hingestellt zu werden. „Abgesehen davon, dass wir für die Betroffenen Zuschüsse für geeigneter halten, wollte der Bund für das Darlehensmassengeschäft partout die Darlehenskassen, nicht die BAföG-Ämter und Studentenwerke.“ Dabei seien letztere sehr wohl geeignet, „zumal sie über einen IT-gestützten Prozess von der Antragsstellung bis zum Forderungsmanagement verfügen“. Dagegen behauptete die Ministerin in ihrer Replik auf die KMK-Post, die BAföG-Ämter könnten die Last allein nicht schultern.
Sozialleistung unzureichend
Derweil hat das BMBF am Freitag eine neue Vollzugsanweisung an die BAföG-Ämter verschickt, in der es klarstellt, dass Notfallhilfen, wie sie mehrere Bundesländer oder Studierendenwerke offerieren, „nicht als Einkommen im Sinne des BAföG zu betrachten“ wären. Das heißt: Entsprechende Darlehen oder Zuschüsse schlagen nicht mit Kürzungen bei der Ausbildungsförderung zu Buche. Auch das ruft Kritik aus dem Kreise der Ländern hervor. Die Sonderregelung sei „Ausdruck des völligen Versagens des BAföG-Systems des Bundes“. Belege dies doch, dass der Bund selbst nicht glaube, dass die betroffenen Studierenden durch die Ausbildungsförderung ausreichend alimentiert würden, um keine Nothilfe in Anspruch nehmen zu müssen.
Kein gutes Haar lässt auch Nicole Gohlke von der Bundestagsfraktion Die Linke an der BMBF-Chefin. „Die Hilferufe aus den Ländern verdeutlichen, dass die Bundesregierung nach einem Monat Corona-Krise immer noch kein tragfähiges Unterstützungskonzept für alle betroffenen Studentinnen und Studenten auf den Weg gebracht hat“, äußerte sie in einer Stellungnahme gegenüber Studis Online. Ein Sozialfonds für rückzahlungsfreie Soforthilfen wäre die „schnellste und unkomplizierteste Lösung“. Grundsätzlich gehöre darüber hinaus das „über Jahre vernachlässigte BAföG-System“ reformiert.
Auf immerhin eine Sache sollen sich die Streihähne heute dann doch verständigt haben. Demnach wollen die Länder abfragen, ob die jeweils ansässigen Studentenwerke nicht doch in der Lage sein könnten, die Nothilfe zu managen. Eine BAföG-Öffnung ist damit vielleicht doch nicht ganz vom Tisch. Es fragt sich nur, wie lange die Bedürftigen noch warten können. (rw)
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