Hinhalten und KleinhaltenCorona-Soforthilfe für Studierende weiter auf Sparflamme
Die „Überbrückungshilfen“ für Studis in der ständig aktualisierten Übersicht
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Die Antragsbedingungen sind streng – lies hier welche Unterlagen benötigt werden und wann du beantragen solltest. weiter
Als größeren Posten der Hilfe sieht das BMBF den KfW-Studienkredit an. Das BMBF übernimmt bis Dezember 2021 die Zinszahlungen in der Auszahlungsphase. Was aber nur vergleichsweise wenig Erleichterung bringt. weiter
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Es dauert und dauert … und immer noch gibt es keine echte „Soforthilfe“ für Studis.
Die Begriffe „schnell“, „unmittelbar“ oder „akut“ sind offensichtlich äußerst dehnbar. Den Beweis dafür liefert dieser Tage Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU). Vor zweieinhalb Monaten verhängte die Bundesregierung den Corona-Lockdown. Über Nacht verloren Hunderttausende Studierende ihren Nebenjob, weil Bars, Cafés und Restaurants dichtmachten und Handwerk, Industrie und Dienstleistungsbranche den Betrieb auf Sparflamme herunterregelten. Urplötzlich standen zahllose junge Menschen ohne festes Einkommen da, hatten keine Mittel mehr, um ihre Miete und ihre Rechnungen zu begleichen. Mithin fehlte mit einem Mal sogar das Geld, um sich das Nötigste zum Leben zu leisten.
Wochenlang trommelten Studierendenvertreter wegen der verbreiteten Nöte für eine „Soforthilfe“ durch die Politik. Einer Petition im Internet schlossen sich binnen kurzer Zeit weit über 50.000 Unterstützer an. 3.000 Euro für drei Monate forderten die Initiatoren, in Form direkter Zuschüsse, die nicht zurückzuzahlen wären. Auch vielen anderen Gruppen in der Gesellschaft stehe die Bundesregierung auf diese Weise bei, argumentierten sie. Und sie standen mit ihrer Forderung nicht allein. Die Opposition im Bundestag, Gewerkschaften, Bildungsverbände, selbst die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) machten sich für ihr Anliegen stark.
Mogelpackung
Und was tat Karliczek? Zuerst einmal gar nichts. Dann folgten irgendwann ein paar warme Worte und unverbindliche Ankündigungen, bis sie dann schließlich Ende April ihr Modell für „zinslose“ Darlehen durch die staatliche KfW-Bank auftischte. In Wahrheit entpuppt sich das als Mogelpackung. Gegenüber dem gängigen KfW-Studienkredit bewegt sich die erlassene Zinslast über die gesamte Laufzeit hinweg im Bereich zwischen 100 und 200 Euro. Wer den Kredit aufnimmt, tappt früher oder später in die Schuldenfalle. Auch kann längst nicht jeder auf die „Hilfe“ zugreifen. Anrecht darauf hat man höchstens bis zum zehnten Fachsemester. Und dann gibt es das Geld nur mit noch mehr Verzögerungen: Einheimische bekommen es frühestens Anfang Juni überwiesen, Ausländer planmäßig erst zum 1. Juli.
Immerhin versprach die Ministerin, flankierend einen „Nothilfefonds“ über 100 Millionen Euro aufzulegen. Damit solle „denjenigen Studierenden in nachweislich besonders akuter Notlage geholfen werden, die ganz unmittelbar Hilfe benötigen und keine andere Unterstützung in Anspruch nehmen können“, teilte damals das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit. In der Erklärung tauchte neben „akut“ und „unmittelbar“ auch das Wörtchen „schnell“ auf. An einer Stelle war auch von „fair“ die Rede, allerdings im Zusammenhang mit dem Angebot des KfW-Kredits, das sich vor allem für die Staatsbank rentieren dürfte. Das nennt man dann wohl einen fairen Gewinner. Dazu passend sprach zuletzt auch Nicole Gohlke von der Linksfraktion im Bundestag von einem „verdeckten Konjunkturprogramm für einen Ladenhüter der KfW“.
Nichts ist spruchreif
Die Verlierer, die vielen in der Corona-Krise „akut“ und „unmittelbar“ notleidenden Studierenden, sitzen derweil weiter auf dem Trockenen. Denn selbst einen Monat nach Ankündigung ist der sogenannte Hilfsfonds längst nicht unter Dach und Fach. Womöglich wird es sogar noch vier, mitunter acht Wochen dauern, bis der ohnehin kümmerlich gefüllte Topf ausgeschüttet werden wird. Die Süddeutsche Zeitung lies dazu am 20. Mai den Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks (DSW), Achim Meyer auf der Heyde, zu Wort kommen: „Die Kriterien sind noch nicht spruchreif. Wir sind im Moment noch in der Konzeption mit dem Bundesbildungsministerium.“ Tatsächlich sollen die Zuwendungen durch die örtlichen Studierendenwerke verteilt werden. Wann das passiert, steht in den Sternen: „Wir hoffen, im Laufe des Juni zahlfähig zu sein, wissen es aber noch nicht“, beschied der Verbandsfunktionär.
Koalitionsintern sorgt die Hängepartie für Zoff. Die SPD hatte ihr Okay für die Darlehenslösung unter der Bedingung eines ergänzenden Notfallfonds gegeben. Eigentlich hatten die Sozialdemokraten eine vorübergehende Öffnung der Bundesausbildungsförderung (BAföG) für von der Pandemie gebeutelte Hochschüler favorisiert. Nun sieht man sich von Karliczek verschaukelt. Diese habe schnelle und unbürokratische Hilfe versprochen. „Dieses Versprechen hat sie gebrochen“, gab das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) am Mittwoch den bildungspolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Oliver Kaczmarek, wieder. Weiter sagte der Politiker: „Ich habe nicht den Eindruck, dass die Ministerin sich mit Hochdruck und Engagement darum kümmert, endlich Studenten in finanzieller Not zu helfen. Im Gegenteil, man hat den Eindruck, das Ministerium macht es nur noch komplizierter.“
Kümmerlicher Zuschuss – die aktuellen Details
Auf RND-Anfrage erklärte das BMBF, der Bund werde in Kürze „schlanke Förderkriterien“ veröffentlichen und man arbeite „mit Hochdruck“ daran, dass alle 57 Studierendenwerke die Überbrückungshilfe im Juni anbieten könnten. Zudem soll der parlamentarische Staatssekretär im Bildungsministerium, Michael Meister (CDU), nach einer Sitzung des Bildungsausschusses im Bundestag am Mittwoch bekundet haben, das DSW strebe an, eine Beantragung der Mittel ab dem 8. Juni zu ermöglichen. Kommt es so und läuft dann alles nach Plan, wäre voraussichtlich am 1. Juli Zahltag.
Bleibt die Frage, worauf die Bittsteller dann hoffen können. Antwort: ziemlich wenig. Am 28. Mai verwies der freie „zusammenschluss von student*innenschaften“ (fzs) auf ein Statement von Staatssekretär Meister. Die Rede ist darin von einem „zügigen Bewilligungsverfahren“ in enger Abstimmung mit den Studierendenwerken. Von ihnen hätten bis dato 49 einen Antrag gestellt, wovon noch ein „Großteil“ in der laufenden Woche bewilligt werden solle. Die Höhe der Unterstützung bezifferte Meister mit „bis zu 500 Euro Überbrückungshilfe als Zuschuss für maximal drei Monate, abhängig von der über den Kontostand nachgewiesenen Bedürftigkeit“. Je höher der Kontostand sei, desto geringer falle der Zuschuss aus. Dabei habe DSW hat die Grenze der Bedürftigkeit mit einem Kontostand von 500 Euro definiert.
Sehr wenig für sehr viele
Im Klartext: Wer 500 Euro besitzt, erhält nichts. Wer über 300 Euro verfügt, bekommt 200 Euro. Den vollen Satz gibt es nur, wenn auf dem Konto nichts – oder ein Minus zu finden – ist. Nichts kriegen auch die, die zu spät kommen. Laut DSW-Sozialerhebung von 2016 sind 1,11 Millionen Studierende auf Erwerbsarbeit neben dem Studium angewiesen. Nach einer Onlineumfrage sind 750.000 Studentenjob in der Krise weggebrochen. Gemessen daran sind 100 Millionen Euro ein Tropfen auf den heißen Stein.
In Hessen war ein Mitte April über die Studierendenwerke eingerichteter Hilfsfonds innerhalb von zwei Stunden ausgeschöpft. Die vom Land bereitgestellten knapp 400.000 Euro bescherten insgesamt 1.975 Studierenden jeweils 200 Euro. Bei 100 Millionen Euro, die der Bund in Aussicht stellt, kämen bei durchgängiger Maximalförderung rund 66.000 Studierende zum Zug.
Beim „fzs“ äußerte man sich am Donnerstag „schockiert“. Die angebliche Überbrückungshilfe komme „nicht nur viel zu spät – nein, sie ist sogar noch viel niedriger als wir es befürchtet haben“, monierte Vorstandsmitglied Jacob Bühler. Die Grenzziehung bei 500 Euro sei „ein klares Bekenntnis dazu, Studierenden keine Lebensgrundlage zuzugestehen“. Seine Kollegin Amanda Steinmaus warf Karliczek ein abgekartetes Spiel vor: Die Nothilfe werde streng reglementiert und eng begrenzt, um später behaupten zu können, dass gar kein so großer Bedarf vorhanden gewesen sei. „Wie viele Studierende in der Zwischenzeit schon ihr Studium abbrechen mussten und wie viele es als Folge von Armut und Verschuldung noch tun werden, wird sich noch zeigen. Frau Karliczek trägt dafür die Schuld.“
Zweiklassen-Hochschulsystem
Kai Gehring von der Grünen-Fraktion im Bundestag unterstellte der Ministerin Versagen auf ganzer Linie. „Kredite mit Verschuldungsgarantie und ein kleiner Nothilfefonds, bei dem alle wesentlichen Punkte unklar sind, sind keine Unterstützung, sondern unterlassene Hilfeleistung.“ Der FDP-Bildungspolitiker Jens Brandenburg meinte: „Den Titel der Trödelministerin hat sich Frau Karliczek redlich verdient.“ Gohlke von der Partei Die Linke bemerkte gestern per Pressemitteilung, „die Betroffenen sollen augenscheinlich zur Aufnahme von KfW-Krediten gedrängt werden“. Die Hinhaltetaktik werde das „Zweiklassen-Hochschulsystem in der Coronakrise zu Lasten von Studentinnen und Studenten aus Arbeiterfamilien verschärfen“.
Auf diese Problematik hatte am Dienstag auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in einer Studie zu den Folgen des massenhaften Verlusts von Studentenjobs hingewiesen. Demnach gerieten vor allem Studierende aus Nichtakademikerfamilien in Bedrängnis, da diese „meist fachfremd und somit in stärker von der Krise betroffenen Sektoren“ arbeiten würden. Dazu steige mit der finanziellen Unsicherheit innerhalb dieser Gruppe die Wahrscheinlichkeit von Studienabbrüchen, „was gesamtwirtschaftlich betrachtet hohe Kosten mit sich bringen könnte“. Auch könnten Kostenüberlegungen potenzielle Studienanfänger ohne akademischen Familienhintergrund von der Aufnahme eines Studiums abhalten. „Damit würde der ‚Education Gap‘ im Hochschulbereich weiter zunehmen und somit der Bildungshintergrund der Eltern eine noch größere Rolle bei der Entscheidung für oder gegen die Aufnahme eines Studiums spielen.“
Beim „fzs“ sieht man auch deshalb nur noch eine Lösung für das Problem: „Im Übrigen sollte Anja Karliczek von der Bundeskanzlerin entlassen werden und durch eine Ministerin ersetzt werden, die die grundlegenden Interessen der Studierenden nicht mit Füßen tritt.“ (rw)
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