Konto leer – Nase voll!Proteste gegen Kleckerhilfen für Studierende
Es gibt genug Gründe für Proteste von Studierenden (Symbolbild).
Nach fast einem Vierteljahr pandemieverschuldeter Mittellosigkeit haben heute Hochschüler in ganz Deutschland erstmals mit physischer Präsenz auf ihre prekäre Situation im Zeichen der Corona-Krise aufmerksam gemacht. Unter anderem in Bonn, Dresden, Hannover, Leipzig, Mainz, Potsdam, Tübingen, Wiesbaden und Wuppertal sind am Montagvormittag um 11 Uhr Studierendenvertreter auf die Straße gegangen, um gegen die unzureichenden Unterstützungsmaßnahmen der Bundesregierung zu protestieren. „Die Botschaft ist klar: Um eine Bildungskatastrophe zu verhindern, muss den in Not geratenen Studierenden endlich geholfen werden“, heißt es im Aufruf des studentischen Dachverbands fzs.
In mindestens 13 deutschen Städten zeigten die Betroffenen Flagge. Nach Auskunft von fzs-Vorstandsmitglied Amanda Steinmaus fanden Kundgebungen mit Teilnehmerzahlen zwischen 20 und 40 etwa vor der Dresdner Semperoper statt, vor dem Landtag in Hannover, dem Wissenschaftsministerium in Potsdam, auf dem Ernst-Ludwig-Platz in Mainz sowie vor dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) in Bonn statt. Weitere „kreative“ Aktionen stiegen in Bremen, Erlangen, Halle und Münster. Sie sollen indes nur der Vorgeschmack zu einer größeren, zentralen Demonstration am 20. Juni in Berlin sein.
Totalausfall Karliczek
Aufruf zu den Protesten am 08.06.2020
„Wir wissen uns nicht mehr anders zu helfen“, äußerte sich Adrian Weiß vom Bundesausschuss der Studentinnen und Studenten in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW-Studis). „Anja Karliczek ist nicht nur beratungsresistent, sondern verhindert aktiv, dass Studierenden schnell und unbürokratisch geholfen wird.“ GEW-Studis-Sprecherin Nathalie Weiß ergänzte: „Der Protest soll der Million Studierenden eine Stimme geben, die ihre Jobs verloren haben und keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld II oder Kurzarbeitergeld haben.“ Seit drei Monaten müssten sie „irgendwie über die Runden kommen, leihen sich Geld von Familie und Freunden, um Miete und Essen bezahlen zu können“. Viele hätten schon ihr Studium abgebrochen, um Anspruch auf Grundsicherung zu bekommen.
Die Wut der Leidtragenden richtet sich zuvorderst gegen Bundesbildungsministerin Karliczek (CDU). Als Krisenmanagerin ist sie vom ersten Tag der Epidemie an ein Totalausfall. Zunächst glänzte sie wochenlang durch Untätigkeit, obwohl sehr schnell klar war, dass Hunderttausende infolge massenhaften Jobverlusts in Bedrängnis geraten werden. Eine Online-Petition für eine Soforthilfe von 3.000 Euro für drei Monate ignorierte sie zunächst so konsequent wie die Appelle von Bildungs-, Hochschulverbänden und Gewerkschaften. Mit ihrer Ankündigung Ende April, „zinslose“ Darlehen durch die staatliche Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) gewähren zu wollen, sorgte die Ministerin für noch mehr Verdruss. Beim zweiten Blick erwies sich das Angebot als teure Mogelpackung, die die „Nutznießer“ in die Schuldenfalle treibt.
Eine Million Jobs weg
Auch die zeitgleich avisierte Offerte, einen sogenannten Nothilfefonds für ganz besonders „harte Härtefälle“ einzureichen, beruhigte die Gemüter nicht. Das Volumen von 100 Millionen Euro erscheint völlig unzureichend. Laut einer Umfrage des Personaldienstleisters Zenjob vom Mai haben 40 Prozent der Studenten in der Corona-Krise ihren Job verloren. Jeder Dritte gab an, in ernsten finanziellen Nöten zu stecken. 22 Prozent sahen sich außerstande, Miete und Rechnungen wie gewohnt zu zahlen und mussten sich deshalb Geld bei der Familie oder ihren Freunden leihen. Drei Viertel der Befragten signalisierten deshalb die Bereitschaft, auf den besagten KfW-Überbrückungskredit in Höhe von maximal 650 Euro monatlich zuzugreifen.
Aber was ist mit jenen, die das aus Sorge vor Verschuldung oder wegen fehlender Ansprüche das nicht wollen oder können (bewilligt wird nur bis einschließlich 10. Fachsemester)? Hier soll eigentlich der „Nothilfefonds“ Abhilfe schaffen. Laut BMBF ist dieser für diejenigen „in nachweislich besonders akuter Notlage“ vorgesehen, „die ganz unmittelbar Hilfe benötigen und keine andere Unterstützung in Anspruch nehmen können“. Allerdings lässt das Angebot weiter auf sich warten. Zunächst verlautete seitens des Ministeriums, mit dem Antragsverfahren werde es am 8. Juni losgehen, also heute. Aber schon vor Tagen zeichnete sich ab, dass dieser Termin nicht gehalten werden kann. Auf Anfrage von Studis Online verlautete am Freitag von der Pressestelle des Deutschen Studentenwerks (DSW): „Die Beteiligten sitzen mit Hochdruck dran. Wir werden uns aber erst dann zu einem Starttermin äußern, wenn dieser verlässlich ist, alles andere weckt nur nicht erfüllbare Erwartungen.“
Warten bis Juli?
Offenbar Unausgegorenes hatte in der Vorwoche der parlamentarische Staatssekretär im Bundesbildungsministerium, Michael Meister, verbreitet. Darin nannte er den 8. Juni als Stichtag, wobei der CDU-Mann für diese Aussage das DSW in Haftung nahm. Der Verband widersprach dem später per Twitter-Tweet: „Ehrlich gesagt: nein – haben wir auch nicht kommuniziert ...“ Das DSW setzt im Auftrag der Bundesregierung das geplante Hilfsprogramm als Dachorganisation der 57 lokalen Studierenden- und Studentenwerke um. Über deren bereits bestehende, jedoch viel kleiner bemessene Nothilfefonds sollen die Gelder an die Bedürftigen ausgezahlt werden. Zudem ist das DSW für die Beauftragung und Ausgestaltung des Onlinetools zur Beantragung und Bedarfsberechnung zuständig.
„Wir streben aber weiterhin die erste Junihälfte an“, ließ DSW-Sprecher Stefan Grob wissen. Wie der Wissenschaftsjournalist Jan-Martin Wiarda am vergangenen Donnerstag in seinem Blog schrieb, komme es offenbar bei der Technik zu Verzögerungen. Deshalb sei mit einer ersten Auszahlung nicht vor Juli zu rechnen.
Der Berliner Tagesspiegel ließ tags darauf DSW-Generalsekretär Achim Meyer auf der Heyde zu Wort kommen: Das gesamte Verfahren von Förderkriterien über ein Onlineportal bis zur Zahlung müsse völlig neu implementiert werden. „Welche Imponderabilien dies beinhalten kann, dürfte jedem leicht nachzuvollziehen sein.“
Die „Überbrückungshilfen“ für Studis in der ständig aktualisierten Übersicht
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Die Antragsbedingungen sind streng – lies hier welche Unterlagen benötigt werden und wann du beantragen solltest. weiter
Als größeren Posten der Hilfe sieht das BMBF den KfW-Studienkredit an. Das BMBF übernimmt bis Dezember 2021 die Zinszahlungen in der Auszahlungsphase. Was aber nur vergleichsweise wenig Erleichterung bringt. weiter
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Anti-BAföG-Ministerin
Hier rächt sich einmal mehr, dass man die Hilfen nicht über das System der Bundesausbildungsförderung (BAföG) abwickelt. Die Opposition im Bundestag, Studierendenvertreter und Bildungsverbände hatten einmütig dafür plädiert, Unterstützungsleistungen mittels einer Öffnung des BAföG zu ermöglichen. Das wäre wegen der vorhandenen Infrastruktur wohl nicht nur deutlich einfacher und fixer gegangen. Auch hätte das arg heruntergewirtschaftete und nur noch kümmerlich genutzte BAföG eine nachhaltige Aufwertung erfahren können, wären die kurzfristig hinzugewonnen Profiteure in erklecklicher Zahl dauerhaft im System „hängengeblieben“. Karliczek wollte diesen Weg aus augenscheinlich ideologischen Gründen nicht mitgehen. Wie ihre Vorgängerinnen im Amt (Johanna Wanka, Annette Schavan) pusht sie stattdessen lieber private Studienfinanzierungsmodelle wie das Deutschlandstipendium oder eben Studienkredite.
Immerhin soll der versprochene Nothilfefonds auf der „Zielgeraden“ sein. Das DSW habe am „Freitag rückwirkend zum 15. Mai die Bewilligung zur Auszahlung erhalten“, zitierte am Samstag die Nachrichtenagentur AFP Staatssekretär Meister. „Damit sind die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass die Überbrückungshilfe noch im Juni starten kann.“ Die Hilfen könnten zunächst für die Monate Juni, Juli und August über die Studierendenwerke beantragt werden und müssten nicht zurückgezahlt werden. Der Zuschuss solle „schnellstmöglich beantragt und ausgezahlt werden können“, sagte er. Um die Nennung eines konkreten Termins drückte sich Politiker jedoch abermals herum.
„Nicht ohne Tücken“
Ergänzend ließ die BMBF-Pressestelle Studis Online eine Stellungnahme Meisters zukommen. „Ein neues Antragssystem und seine technischen Voraussetzungen aufzubauen, ist naturgemäß nicht ohne Tücken“, liest man dort. „Das war auch ein Grund, warum wir in der ersten Säule der Überbrückungshilfe auf den bewährten KfW-Studienkredit gesetzt haben.“ Nach Meisters Angaben habe sich die Zahl der Anträge im Mai im Vergleich zum April mit einem Umfang von 167 Millionen Euro „mehr als vervierfacht“. Damit bewahrheitet sich das, was Nicole Gohlke von der Linksfraktion im Bundestag unlängst gemutmaßt hatte. Sie nannte die Operation ein „verdecktes Konjunkturprogramm für einen Ladenhüter der KfW“. Man darf sicher sein: Ohne das ewige Hinhalten in puncto Nothilfefonds hätte die Staatsbank keinen so guten Schnitt gemacht.
Entschieden ist inzwischen auch, für wen und unter welchen Bedingungen die Corona-Überbrückungshilfen zu haben sind. Das BMBF hat dazu vor drei Tagen Informationen ins Netz gestellt. Den Höchstsatz von 500 Euro monatlich erhalten nur diejenigen, die anhand ihres Kontostandes völlige Mittellosigkeit nachweisen können. Wer über 500 Euro besitzt, bekommt gar nichts, jene, die weniger haben, kriegen gestaffelt zwischen 100 Euro und 500 Euro. Nach spätestens drei Monaten ist Schluss mit der Förderung. Bei 100 Millionen Euro könnten 66.666 Studierende für drei Monate die Höchstsumme in Anspruch nehmen. Bei Auszahlungen von jeweils nur 100 Euro wären es 333.333 Begünstigte.
Gießkanne für Familien, Almosen für Studis
Zur Einordnung: Allein für Familien will die Bundesregierung gemäß jüngst beschlossenem Corona-Kunjunkturpaket 300 Euro pro Kind bereitstellen – ohne Bedürftigkeitsprüfung. Alles in allem soll die Förderung 4,3 Milliarden Euro verschlingen. Ein Student in akuter Notlage soll dagegen mit 100, 200 oder höchstens 500 Euro auskommen, nachdem er vielleicht schon drei Monate auf dem Trockenen gesessen hat. „Das ist ein schlechter Witz“, beklagte Amanda Steinmaus vom fzs. „Damit kommt man vielleicht ein paar Tage über die Runden. Und was dann?“ Die Antragsbedingungen wären deshalb so „rigide und erbärmlich, damit die 100 Millionen Euro möglichst lange halten“. Trotzdem glaubt sie, dass das Geld „ziemlich schnell“ aufgebraucht sein wird. „Was danach passiert, steht in den Sternen. Auf keinen Fall ist damit irgendwem wirklich geholfen.“
Diese Regeln seien „an Absurdität nicht zu überbieten“, hatte schon Ende Mai der Bundesverband ausländischer Studierender (BAS) moniert. Internationale Studierende hätten gerade in der Krise wenige Möglichkeiten, an Geld zu kommen, und benötigten immer einen finanziellen Puffer. „Erst wenn sie kurz vor der Pleite stehen und ihre eisernen Reserven, die sich meist aus geliehenem Geld zusammensetzen, aufgebraucht haben, greift diese Nothilfe.“ (rw)
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