Studierende am Ende der GeduldNothilfefonds-Zuschuss kommt endlich
Der Zuschuss soll ein Rettungsring sein – doch die zu Rettenden sind schon fast ertrunken und der Rettungsring hält nicht lange.
Spät, später, „Corona-Rettung“. Die durch die Bundesregierung einst mit Attributen wie „schnell“ und „unbürokratisch“ angepriesene Überbrückungshilfe für in der Pandemie in Not geratene Studierende bleibt eine einzige Hängepartie. Nach Angaben des Deutschen Studentenwerks (DSW) müssen Betroffene noch einmal mindestens vier Tage länger auf eine Auszahlung warten als bisher angekündigt. Eigentlich war der Start der Antragsbearbeitung auf Donnerstag, den 25. Juni terminiert. Nun soll es frühstens am Montag, den 29. Juni losgehen. Wenn es „gut“ läuft, werden damit die ersten Überweisungen noch innerhalb der ersten Juliwoche erfolgen. Wahrscheinlicher ist, dass das Geld erst irgendwann nach dem 6. Juli auf dem Konto eingeht.
Aktuelles Update (29.06.): Offenbar klappt es mit der Antragsbearbeitung heute tatsächlich. Uns wurde schon von mehreren mitgeteilt, dass ihre Anträge heute bewilligt wurden. Nun bleibt noch die Frage, wie schnell die Studentenwerke das Geld dann auf die Konten der Studis überweisen können. Das Geld wurde vom BMBF nämlich tatsächlich an alle Studentenwerke verteilt, die dieses dann an die Studis weitervertreilen.
Wie der Wissenschaftsjournalist Jan-Martin Wiarda am 23. Juni in seinem Blog berichtete, will man sich beim DSW nicht auf einen Tag festlegen, ab dem die Zuschüsse rausgehen. „Das hängt davon ab, wie viele Anträge bei einem Studenten- oder Studierendenwerk eingegangen sind, und wie arbeitsintensiv die Prüfung der Anträge ausfällt“, gab Wiarda DSW-Generalsekretär Achim Meyer auf der Heyde wieder. Wie lange es dauern wird, sämtliche für Juni gestellten Anträge zur Auszahlung zu bringen, lasse sich „heute nicht sagen“. DSW-Pressesprecher Stefan Grob äußerte sich am Mittwoch auf Anfrage von Studis Online wie folgt: „Avisiert ist der Start der Bearbeitung am und die anschließende Auszahlung ab 29. Juni.“
Ohne Ende Warteschleife
Der auf dem Papier mit 100 Millionen Euro bestückte Hilfsfonds wird über das DSW, beziehungsweise die angeschlossenen 58 lokalen Studierendenwerke verteilt. Um das zu bewerkstelligen, mussten eigens eine neue Software sowie eine entsprechende Webseite überbrückungshilfe-studierende.de entwickelt werden. Allein dafür sind mehrere Wochen ins Land gegangen. Verkündet hatte Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) ihr Vorhaben, Hochschülern in „nachweislich besonders akuter Notlage“ mit staatlichen Mitteln beizustehen, bereits Ende April. Zwei Monate später steckt das Paket immer noch in der Warteschleife. Nach DSW-Auskunft sind noch bis Ende dieser Woche interne Schulungen dazu im Gange.
Nicht annähernd so groß wäre der Aufwand gewesen, hätte man Hilfen mit einfachen Regeln mittels einer vorübergehenden Öffnung der Bundesausbildungsförderung (BAföG) zugunsten der Notleidenden bereitgestellt. Dafür hatte sich neben Studierendenvertretern, Gewerkschaften und der Opposition im Bundestag auch das DSW stark gemacht. Auch deshalb wäre es falsch, die Schuld für die Verzögerungen bei den Studentenwerken zu suchen.
BAföG-Bashing
Die Misere geht allein auf das Konto der Regierung, vorneweg auf das des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) und ihrer Ressortchefin Karliczek. Sie hat den Lösungsweg übers BAföG aus rein ideologischen Gründen verunmöglicht, aus „Sorge“, die Sozialleistung könnte in der Epidemie durch ein kurzfristig größeren Zulauf aufgewertet werden. Stattdessen hat sie die Krise und die Nöte der Menschen (aus)genutzt, um das von ihr favorisierte Modell der Studienkredite weiter zu pushen.
Mit ihrem „zinslosen“ Darlehen der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) war sie nicht nur viel eher bei der Hand – das Angebot stand schon Anfang Mai, die ersten Zahlungen erfolgten zum 1. Juni. Mit 650 Euro monatlich gibt es dabei auch mehr zu holen als beim Nothilfefonds, bei dem maximal 500 Euro für einen Monat bewilligt werden. Im Unterschied zum KfW-Kredit muss das Geld aber nicht zurückerstattet werden. Überhaupt verkaufte die Ministerin die Kredit-Offerte als ein Heilmittel, das sie nicht ist. Die Zinsfreiheit erstreckt sich über höchstens elf Monate, beläuft sich auf kümmerliche 100 bis 200 Euro, und wer sich darauf einlässt, läuft Gefahr, in die Schuldenfalle zu tappen. Auch wird das Darlehen nur bis Beantragung vor Vollendung des 10. Fachsemester gewährt.
Nötigung zum Schuldenmachen
Gleichwohl haben nach Regierungsangaben offenbar allerhand Studierende zugegriffen. Im Mai hätte sich die Zahl der Anträge im Vergleich zum April „mehr als vervierfacht“, was einem Finanzvolumen von über 167 Millionen Euro entspreche. Das ist ein ziemlich zweifelhafter Erfolg. Wenn man jungen Leuten, die monatelang ohne Job und Einkommen waren, direkte und rasche Hilfen rigide verweigert und sie wochenlang auf eine, dazu noch klägliche, Überbrückungshilfe vertröstet, die aber einfach nicht kommen will: Was sollen diejenigen, die in akuten finanziellen Schwierigkeiten stecken, anderes tun als zur Staatsbank zu rennen? So betrachtet ist das „Angebot“ des KfW-Kredits eine Form von Nötigung – nach dem Motto: „Friss oder schmeiß Dein Studium hin!“
Vielleicht erklärt sich auch dadurch, dass der Andrang auf den Nothilfsfonds bislang hinter den Erwartungen zurückbleibt. Stand 10 Uhr am Mittwochmorgen (24.06.) haben laut DSW „mehr als 58.000 Studierende“ einen Antrag eingereicht. Würden diese allesamt genehmigt, entspreche das einer Auszahlungssumme von „24,5 Millionen Euro“, also rund einem Viertel der ausgelobten Summe. Rund 60 Prozent der Studierenden hätten 500 Euro beantragt, 20 Prozent 400 Euro und weitere 20 Prozent 300 Euro oder weniger. Den Maximalsatz erhält nur, wer zum Antragszeitpunkt weniger als 100 Euro sein Eigen nennen kann, nachzuweisen über den aktuellen Kontostand. Geld gibt es lediglich für die Monate Juni, Juli und August. Um den Zuschuss muss man dabei immer wieder von neuem ersuchen.
Am 26.06. antwortete dann noch das BMBF auf eine Anfrage von uns. Am Morgen des 26.06. waren es 65.825 Anträge mit einem Gesamtvolumen von 27,6 Mio. Euro.
Beim KfW Studienkredit sehen wurden laut BMBF im Mai 5.343 Anträge gestellt und bis 25. Juni weitere 10.404. Das Gesamtvolumen dieser Anträge ist deutlich größer als bei der Nothilfe – da es hier dann gleich um alle Monate bis März 2021 geht. Ein Antrag im Mai kann also 10 * 650 = 6500 € umfassen.
Ausschließen und Abschrecken
Allein diese Regularien haben einen starken Abschreckungs- und Ausschlusseffekt. Wer in der Krise fast sein ganzes Erspartes bis auf 500 Euro aufgezehrt hat, geht leer aus. Andere von der Bundesregierung aufgelegte Hilfen, etwa für Beschäftigte und Selbständige, bescheren den Betroffenen dagegen eine echte und mit bis zu 67 Prozent des üblichen Einkommens großzügige Kompensation für in der Krise erlittene Einbußen. Und das völlig unabhängig davon, wie viel Geld sie auf der hohen Kante haben.
Zu fragen ist auch, ob nicht viele der Adressaten auf die Überbrückungshilfe verzichten, weil sie die Mühlen der Bürokratie wegen läppischer 100 oder 200 Euro lieber meiden. Zumal längst nicht klar und absehbar ist, ob man am Ende überhaupt zum Zug kommt, weil der Topf bald leer sein könnte. Wann das so weit ist, kann man beim DSW nicht abschätzen. Da man „nicht von einem linearen oder progressiven Verlauf der Anträge ausgehen“ könne, sei es „schwer zu sagen, ob und wann die Mittel erschöpft sind“, erklärte dazu Pressesprecher Grob.
Was verschlingt die Verwaltung?
Tatsächlich muss die mickrige Hausnummer „100 Millionen Euro“ (bei möglicherweise Hunderttausenden Bedürftigen) noch tiefer gehängt werden. So soll eine halbe Million Euro für die Entwicklung des Antragstools geflossen sein. Weitere 2,5 Millionen Euro würden für Rechtsstreitigkeiten zurückgehalten. Wie lange das Geld reicht, hängt insbesondere von einer noch völlig „unbekannten“ Größe ab. Denn aus dem Topf sind auch Verwaltungskosten für die Antragsbearbeitung zu begleichen.
Gemäß BMBF-Richtlinien dürfen die Studentenwerke pro Eingabe 25 Euro „aus den ihnen jeweils zugewiesenen Mitteln für die Überbrückungshilfe“ als Ausgleich einbehalten. Stand jetzt wären das allein 1,45 Millionen Euro, die die Bürokratie bereits verschlungen haben könnte. Allerdings werden wohl nicht alle Studentenwerke die Karte ziehen, wie das DSW gegenüber Studis Online durchblicken ließ. Viele würden ihre Ressourcen „unentgeltlich einsetzen und die Pauschale den Studierenden zu Gute kommen lassen“.
Studentenwerke springen ein
Das deckt sich zum Teil mit Angaben aus den Wissenschaftsministerien der Bundesländer, die Studis Online dazu angefragt hat. Aus Bayern heißt es etwa, die zuständigen Stellen wollten die Pauschale „nach derzeitigem Stand zunächst nicht in Anspruch nehmen“. Niedersachsen plant die Mittel „insbesondere dafür zu verwenden, eigene Nothilfen an Studierende in einer finanziellen Notlage, die die Kriterien für den Erhalt einer Überbrückungshilfe nicht erfüllen, vergeben zu können“. Außerdem sollten daraus Studierende vergütet werden, „die gegebenenfalls als Hilfskräfte zur Unterstützung der Studentenwerke bei der Antragsbearbeitung eingesetzt werden“.
In Brandenburg behält man sich Maßnahmen vor, „um notfalls regulierend eingreifen zu können“. Dazu habe der Potsdamer Landtag schon am 14. Mai 2020 beschlossen, genau zu prüfen, „wie das Bundesprogramm greift“ und bereits vorhandene Härtefallfonds der Studentenwerke Potsdam und Frankfurt (Oder) bei Bedarf aufzustocken, „um Härtefälle zu vermeiden.“ Aus Hessen war dagegen zu hören, die Verwaltungskosten aus „rechtlichen Gründen“ nicht übernehmen zu können. Also werden auch dort womöglich die Studentenwerke in die Bresche springen müssen. In der Konsequenz könnte Karliczeks sogenanntes Hilfspaket die ohnehin chronisch unterfinanzierten Studierendenwerke samt angeschlossener BAföG-Ämter noch einmal ärmer machen.
Operation am offenen Herzen
Auf die schon jetzt darbenden Studierenden lauert ein weiteres Restrisiko, nämlich das, als Opfer der Technik auf der Strecke zu bleiben. Die Software und das Portal wurden in großer Eile aus dem Boden gestampft. DSW-Funktionär Meyer auf der Heyde hatte noch in der Vorwoche von einer „Operation am offenen Herzen“ gesprochen und mögliche Probleme mit der IT ins Spiel gebracht. Tatsächlich ging die Webseite unter der Bewerberlastlast zwischenzeitlich in die Knie. Verbandssprecher Grob ergänzte dazu am Mittwoch: „Das ganze Projekt stellt eine gigantische technische und organisatorische Herausforderung dar, die in kurzer Zeit zu bewältigen ist.“
Die Bundesregierung war indes schon früher gerüstet, als die ganzen Zeitverzüge vermuten lassen. Das BMBF-Regelwerk „Zusätzliche Nebenbestimmungen zur Durchführung der Überbrückungshilfe für Studierende in pandemiebedingten Notlagen (Richtlinien)“ datiert in der Endfassung auf den 26. Mai. Veröffentlicht wurde es aber erst Wochen später. Das passt: Für Karliczek ist spät nie spät genug. (rw)
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