Doppelt und dreifach benachteiligtAusländische Studierende und Corona
Die Corona-Pandemie trifft viele Studierende finanziell – gerade auch solche aus dem Ausland.
Studis Online: Vor drei Wochen verkündete Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU), die sogenannte Corona-Überbrückungshilfe für Studierende um einen auf vier Monate zu verlängern. Nun können in der Krise in Not geratene Hochschüler auch im September um den staatlichen Zuschuss zwischen 100 und 500 Euro nachsuchen. Wie sehr ist den Betroffenen damit geholfen?
Johannes Glembek: Die Studierenden warteten länger als jede andere Gruppe auf Hilfen der Bundesregierung. Lange Ankündigungen, unzureichende Unterstützung und ein anfangs nicht funktionierendes Bürokratiemonster helfen den Betroffenen kaum. Ausländische Studierende haben wie ihre deutschen Kommilitonen Jobs verloren und standen monatelang ohne Beistand der Politik da. Miete und Rechnungen mussten trotzdem beglichen werden. Auch diverse Fonds von Studierendenschaften, den örtlichen Studentenwerken und Hilfsvereinen waren schnell leer.
Seit der Schließung der Hochschulen erhielten wir über 1.200 E-Mails von Studierenden, die uns ihre finanziellen Probleme schilderten. Bei ausländischen Studierenden schwingt immer auch die Angst mit, dass sie gegenüber der Ausländerbehörde zwecks Verlängerung ihres Aufenthaltstitels den Nachweis erbringen müssen, ihren Lebensunterhalt finanzieren zu können. Deshalb verfügen viele von ihnen über ein sogenanntes Sperrkonto, auf dem das nötige Geld geparkt ist. Das dürfen sie aber nicht ausgeben.
Die mit der Überbrückungshilfe maximal bewilligten 500 Euro sind einfach zu wenig, um damit über die Runden zu kommen. Die Mittel einen Monat länger bekommen zu können, ist natürlich gut, aber eben bei weitem nicht genug. Nein, den Betroffenen ist nicht ausreichend geholfen, denn ausländischen Studierenden stehen kaum anderen Unterstützungsmöglichkeiten zur Verfügung. Es fehlen meist familiäre und soziale Netzwerke, die helfen können und andere Finanzierungsmittel sind weitgehendst ausgeschöpft. Und die Arbeitsmöglichkeiten sind nach wie vor miserabel.
Haben Sie Daten darüber, wie sich ausländische Studierende finanzieren?
Selbst vor der Pandemie hatten von ihnen rund 40 Prozent Schwierigkeiten, ihr Studium finanziell zu stemmen. Die Lage hat sich durch den Wegfall von Nebenjobs und in Fällen, in denen die Krise auch den Eltern zugesetzt hat, weiter verschärft. Etwa 60 Prozent sind auf Hilfen von zu Hause angewiesen, circa 50 Prozent gehen, in der Regel zusätzlich, einer Erwerbstätigkeit nach. Im Durchschnitt setzt sich das Einkommen zu 41 Prozent aus Zuwendungen der Eltern und zu 29 Prozent aus eigenem Verdienst zusammen.
In welchen Nöten stecken die Betroffenen seit Ausbruch der Krise?
Der Deutsche Akademische Austauschdienst geht davon aus, „dass bis zu 100.000 der internationalen Studierenden bei uns im Zuge der Corona-Krise die Zuverdienstmöglichkeiten wegbrechen“. Aus Baden-Württemberg ist zu hören, dass dort die Hochschulen mit einer Antragsflut auf Erlass der Studiengebühren für Nicht-EU-Ausländer zu kämpfen haben. Eine BAföG-Förderung ist für diese Gruppe in der Regel nicht möglich. Auch Stipendien fallen weg und auf dem Arbeitsmarkt sind etwa die Absolventen englischsprachiger Studiengänge wegen oft unzureichender Deutschkenntnisse benachteiligt. Außerdem können ausländische Studierende zumeist nicht auf soziale und familiäre Netzwerke in Deutschland zurückgreifen. Mal eben zu den Eltern zurückziehen, weil man die Miete nicht zahlen kann, geht dann halt nicht. Und dann kommen noch andere Ungerechtigkeiten dazu: Zum Beispiel haben ausländische Studierende mit Kindern keinen Anspruch auf den staatlichen Corona-Zuschuss von 300 Euro pro Kind.
Es gibt ja dieses Vorurteil, dass sich überwiegend Kinder reicher Eltern ein Studium im Ausland, in diesem Fall Deutschland, leisteten. Wie weit entspricht dies der Realität?
Unser Interviewpartner, Johannes Glembek, ist Geschäftsführer des Bundesverbands ausländischer Studierender (BAS). Der Verein vertritt die Interessen internationaler und staatenloser Hochschüler an deutschen Hochschulen.
Klar ist, dass nicht die Ärmsten der Armen im Ausland studieren. Allerdings studiert in Deutschland auch nicht die Finanzelite aus aller Herren Länder. Nach der jüngsten Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks von 2016 kommen mehr als zwei Drittel der Bildungsausländer aus einem Land mit hohem oder gehobenem Einkommen. Studierende aus Staaten, die als „lower middle income“ – 27 Prozent – oder „low income“ – zwei Prozent – eingestuft werden, haben im Vergleich zur 2009er-Studie abgenommen. Damals stammten noch 41 Prozent aus diesen Ländern. Leider nur neun Prozent kommen aus Afrika, 33 Prozent aus Asien.
Natürlich kann von der Herkunft nicht unmittelbar auf den finanziellen Hintergrund der Studierenden geschlossen werden. Als einen wesentlichen Grund für ein Studium in Deutschland geben im Mittel 54 Prozent an, dass hier keine Studiengebühren fällig werden. Von den Ländern mit „low“ bis „upper middle income“ trifft dies auf über 60 Prozent zu. Wenn man aber sieht, dass weit über zwei Drittel Probleme haben, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten und fast die Hälfte auf den Zuverdienst aus Jobs angewiesen sind, dann relativiert sich das Bild von den „reichen ausländischen Studierenden“. Zudem muss man bedenken, dass diejenigen, die etwa in Indonesien gut verdienen, in Deutschland trotzdem zu den Armen gehören.
Kritiker der Bundesregierung und ihrer halbherzigen Hilfsmaßnahmen befürchten, viele junge Menschen könnten bereits ihr Studium abgebrochen haben oder müssten dies bei anhaltender Krise früher oder später tun. Haben Sie dafür Anhaltspunkte, gerade mit Blick auf Ihre Klientel?
Die meisten ausländischen Studierenden versuchen mit allen Mitteln, ihr Studium zu beenden. Sie haben bereits viel investiert und in Kauf genommen: Geld auftreiben, die deutsche Sprache erlernen, ihre Herkunftsländer, Freunde und Familien verlassen. Leider gibt es auch hierzu keine belastbaren Zahlen, weil die Studierendensekretariate die Gründe der Exmatrikulation nicht so genau abfragen. Wir wissen aber, dass sich ein Teil der Betroffenen wieder in ihren Herkunftsländern aufhält und abwartet, wie sich die Situation entwickelt. Geschätzt sind das vielleicht fünf Prozent.
Wie hat man sich das vorzustellen?
Ich denke mal, dass es Menschen gibt, die ihre Wohnung haben kündigen müssen und jetzt aus ihrer Heimat online an den Veranstaltungen teilnehmen. Und dann müssen sie halt rechnen, ob und wann sie sich eine Rückkehr wieder leisten können. Für die deutschen Studierenden gibt es Schätzungen, wonach von ihnen sieben Prozent einen Studienabbruch ernsthaft erwägen. Ich halte diese Zahl auch bei ausländischen Studierenden für realistisch. Einerseits gibt es für sie zwar mehr und größere Probleme, andererseits ist der Druck, das Studium zu Ende zu führen, meistens sehr hoch. Sie selbst und ihre Familien haben viel ins Studium investiert – ein Scheitern wäre fatal.
Welche Rolle spielen bei all dem deutschen Behörden?
Das genau ist eine unserer größten Sorgen: Dass nicht die ausländischen Studierenden ihr Studium hinschmeißen, sondern die Ausländerbehörde sie zum Abbruch zwingt. Noch agieren die meisten Ämter wegen der zugespitzten Situation recht kulant, wenn es um Finanzierungsnachweise geht, die es zur Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis braucht. Aber wie sieht das in ein, zwei Jahren aus? Was wird dann zum Beispiel mit denen, die einen Kredit aufgenommen haben, den aber wegen immer noch fehlender Erwerbsmöglichkeiten nicht zurückzahlen können? Hier droht noch viel Ungemach, sollte sich die Situation im allgemeinen und auf dem Arbeitsmarkt nicht bald entspannen.
Zu allem Überdruss mussten ausländische Studierende deutlich länger auf Unterstützungsleistungen warten – sowohl auf die Zuschüsse aus dem Nothilfefonds als auch auf das „zinslose“ Darlehen durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW-Studienkredit). Gab es dafür aus Ihrer Sicht eine stichhaltige Rechtfertigung?
Nein, dafür gibt es absolut keine Rechtfertigung. Die zu prüfenden Unterlagen und Anträge sind dieselben, die auch für deutsche Studierende gelten. Diese ganze Zeitspielerei war und ist für uns unverständlich und ein Anzeichen von Diskriminierung.
Stimmt es, dass vermehrt ausländische Studierende in ihrer Not auf den KfW-Studienkredit zugegriffen haben und wie bewerten Sie das?
Ja, auch ausländische Studierende sahen sich in ihrer Not gezwungen, den KfW-Kredit zu beantragen. Wir halten dies für ein Problem, da die Betroffenen schnell in der Schuldenfalle landen. Das KfW-Darlehen gibt es, anders als dies das Bundesbildungsministerium suggeriert, nicht zum Nulltarif. Für den „zinslosen“ Kredit müssen die Studierenden je nach Rückzahlungsmodell zwischen 500 bis 4.000 Euro Zinsen berappen.
Die Bundesregierung preist Deutschland gerne als eines der attraktivsten Ziele für Studierende und Forschende aus dem Ausland und macht dies an der gestiegenen Zahl der Internationalen an hiesigen Hochschulen fest. Würden Sie das so stehen lassen, auch mit Blick auf die vergangenen Krisenmonate?
Mein Verband hat in dem Moment bei Twitter den Hashtag #notwelcomeinGermany geschaltet, als klar war, dass sich die Politik nicht um die Interessen der ausländischen Studierenden kümmert.
Mit Ausnahme von ganz wenigen Amtsträgern hat die Politik kein tiefer gehendes Interesse an der Situation ausländischer Studierender gezeigt. Auch engagierte Appelle haben nicht gefruchtet. Erst werden die Menschen mit riesigem Marketingaufwand nach Deutschland geworben und als künftige Fachkräfte gefeiert – um sie dann einfach im Regen stehen zu lassen.
Dazu kommt noch die gesamtgesellschaftliche Situation. Da sind wir zum Beispiel bei der Initiative #IAmNotAVirus, die auf den Umgang mit Studierenden asiatischer Herkunft gemünzt ist. Diese wurden teilweise massiv angegangen, mitunter sogar tätlich angegriffen mit der Unterstellung, sie würden ein tödliches Virus verbreiten. Die davor schon vorhandenen rassistischen Tendenzen in der deutschen Bevölkerung sind in der Pandemie noch deutlicher zu Tage getreten. Erschwert wird die Situation noch durch das Verhalten der Ausländerbehörden. Uns erreichen dazu monatlich im Schnitt 15 Anfragen und Beschwerden, obwohl wir gar nicht direkter Ansprechpartner sind. Das regeln bei uns die Studierendenschaften vor Ort, die bei uns allerdings aber mehr Schulungen zum Ausländerrecht einfordern. Die Anerkennung von Zeugnissen, Studiennachweisen und Abschlüssen ist ein riesiger bürokratischer Akt, der abschreckt. Bei vielen fängt der Ärger damit an, überhaupt einen Termin für eine Visaerteilung bei einer deutschen Auslandsvertretung zu bekommen. In manchen Staaten ergeben sind Wartezeiten von einem halben Jahr. Das ist untragbar.
Sie haben jüngst erst per Pressemitteilung auf Missstände beim Verein uni-assist hingewiesen, der die Vorprüfung internationaler Studienbewerbungen im Auftrag einiger Hochschulen durchführt. Was liegt dort im Argen?
Aktuell ziehen sich die Bearbeitungszeiten der Zulassungsanträge teilweise so lange hin, dass Studienbewerber erst nach Vorlesungsbeginn grünes Licht erhalten. Gründe sind offenbar zu wenig Personal bei zugleich schlechten Arbeitsbedingungen. Ausbaden müssen das die Kunden, die Studienbewerber, die zwar Geld für die Bearbeitung zahlen müssen, dafür aber das „Service“-Telefon nie erreichen. Rückmeldungen zu Anträgen gibt es teilweise nach Fristende, Rückfragen bleiben unbeantwortet. Das sind unerträgliche Zustände, die offenbaren, welche Folgen die Privatisierung öffentlicher Aufgaben hat. Die Probleme zeigen sich in der Pandemie wie unter einem Brennglas noch einmal deutlicher.
Sie fordern deshalb die Auflösung des Vereins …
Wir fordern ein Ende der privatrechtlichen Konstruktion, die eigentlich hoheitliche Auflagen übernimmt, aber nur ungenügend erbringt. Hoheitliche Aufgaben wie die Hochschulzulassung gehören in allen Phasen in die Hände der Hochschulen oder von Organisationen, die per Staatsvertrag einzurichten sind, besten Service und das kostenfrei bieten und die auch ihre Mitarbeiter auf Basis von Tarifverträgen beschäftigen.
Seit nunmehr drei Jahren bittet Baden-Württemberg seine Studierenden aus Nicht-EU-Staaten mit Studiengebühren von 1.500 Euro zu Kasse. Wie hat sich das ausgewirkt?
Davor war die Zahl ausländischer Studierender zum Teil stark gestiegen, seit 2017 ging es dann bergab. Leider blieb auch das Versprechen unerfüllt, die Angebote zur Betreuung und Integration ausländischer Studierender auszubauen. Die Gebühren müssen so schnell wie möglich wieder abgeschafft werden – und zwar endgültig. Zuletzt hatten das im Frühjahr einmal mehr Studierendenverbände, Studierendenschaften und verschiedene Nichtregierungsorganisationen gefordert.
Immerhin hat Nordrhein-Westfalen, das ähnliche Pläne verfolgte, inzwischen von Studiengebühren für Internationale Abstand genommen. Glauben Sie, dass sich das Thema damit bis auf weiteres erledigt hat?
Es ist zu hoffen. Wir jedenfalls werden gegen alle Versuche, Studiengebühren einzuführen aktiv werden. Die Signale aus der „nicht-grünen“ Politik sind jedoch hoffnungsvoll. Zuletzt hatten die Landesrechnungshöfe in Niedersachsen und Thüringen Studiengebühren für ausländische Studierende in ihren Berichten vorgeschlagen. Die Regierungsparteien beziehungsweise Ministerien haben diesen Vorschlägen zum Glück die kalte Schulter gezeigt. Wir hoffen, dass dies so bleibt.
(rw)