Karliczek bläst Pandemie abSchluss mit Corona-Nothilfefonds für Studierende
Was nützt ein Hilfefond an welchen Studierende in Notlage bald nicht mehr heran kommen?
Zaudern, Zögern, Zeitspiel prägten die politische Entscheidungsfindung bis zum Tag, als die Bundesregierung den Startknopf zur sogenannten Überbrückungshilfe für Studierende in der Corona-Krise drückte. Ehrlicher wäre der Name „Viel-Zu-Spät-Hilfe“ gewesen: Als das Programm stand, waren die größten Lockdown-Zumutungen vom März, April und Mai bereits vergangen. „Rettung“ versprach die „Brücke“ nur noch denen, die nicht davor schon abgesoffen waren. Und wie viele ihr Studium geschmissen haben oder noch hinschmeißen, wird sich erst noch zeigen müssen.
Ruck, zuck ging es dagegen jetzt bei der Frage, was mit dem Projekt wird. „Bis Ende September ist es noch möglich, Anträge für diesen Monat zu stellen. Dann wird die Förderung ausgesetzt“, teilte am vergangenen Freitag das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit. „Mit dieser Nothilfe hat sich der Bund in der coronabedingten Ausnahmesituation der Belange der Studierenden angenommen und das Erforderliche getan, um unbürokratisch, schnell und wirksam zu helfen“, erklärte der parlamentarische Staatssekretär Michael Meister. Die von Beginn an befristet angelegte Maßnahme habe „ihren Zweck erfüllt“.
Spät, und kein bisschen oho
Damit macht Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) nach vier Monaten kurzen Prozess mit etwas, wohinter sie ohnehin nie stand. Eine halbe Ewigkeit hatte es gedauert, bis sie überhaupt die Möglichkeit in Betracht zog, den Studierenden in der Not beizustehen. Als Mitte März praktisch über Nacht Hunderttausende Studentenjobs in Gastronomie, Handel und Dienstleistungsgewerbe weggebrochen waren und Studierenden-, Hochschulverbände und Gewerkschaften in der Folgezeit lauthals nach Unterstützung durch die Regierung riefen, glänzte Karliczek noch lange mit Untätigkeit.
Erst mit wachsendem Druck lenkte sie irgendwann ein, wobei sie zunächst ihr Hauptaugenmerk auf das Angebot eines ein Jahr lang „zinslosen“ Darlehens durch die staatliche Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) legte. Den Kredit, der die Betroffenen auf lange Sicht in die Schuldenfalle tappen lässt, konnten einheimische Studierende ab 8. Mai beantragen, ausländische erst ab 1. Juni. Die Auszahlung erfolgte jeweils einen Monat später.
Nach etlichen Verzögerungen flossen dann Anfang Juli auch die ersten Gelder aus dem „Nothilfefonds“ für Menschen „in nachweislich besonders akuter Notlage“. Noch länger gedulden mussten sich abermals Studierende ohne deutschen Pass, obwohl diese besonders hart von der Krise gebeutelt wurden. Mehr noch als Einheimische sind sie auf Einnahmen aus Erwerbsarbeit angewiesen. Hatten dazu ihre Eltern im Ausland krisenbedingt die Zuwendungen gekappt oder gestrichen, standen sie mitunter völlig mittellos da.
30 Millionen Euro zu viel?
Gefüllt war der Fonds mit anfangs 100 Millionen Euro, aus Sicht von Kritikern viel zu knapp bemessen. Zum Beispiel forderte die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) ein Hilfspaket in der Größenordnung von einer Milliarde Euro. Dass nun nach vier Monaten immer noch Geld im Topf ist, verbucht Karliczek als Beleg für eine den Erfordernissen angemessene Ausstattung. Stand Freitag waren knapp 60 Millionen Euro an Zuschüssen bewilligt worden. Unter Berücksichtigung noch ausstehender Anträge für September und nach Abzug der Bearbeitungskosten durch die örtlichen Studentenwerke könnten am Ende 30 Millionen Euro übrig bleiben.
Hat die Regierung die Lage also doch richtig eingeschätzt? Die Initiatoren der Onlinepetition „Soforthilfe jetzt!“ hantierten stets mit einer Zahl von einer Million Studierenden in „ernsten finanziellen Schwierigkeiten“. Unterstützt haben ihren Aufruf dagegen nur rund 56.000 Menschen. Laut BMBF gab es bis dato 135.000 Bewilligungen. Wobei die Kopfzahl niedriger ausfällt, da viele Antragssteller mehrfach Geld zugesprochen bekamen, mitunter für alle vier Monate. Im Schnitt bezogen die Begünstigten 434 Euro, zwei Drittel aller wurden mit dem Höchstsatz von 500 Euro bedacht.
Die Zahlen müssen jedoch ins rechte Bild zu gerückt werden. Wie das Deutsche Studentenwerk (DSW) am Freitag vorrechnete, wurden von allen eingereichten 233.000 Anträgen nur knapp 63 Prozent positiv beschieden, in 36 Prozent der Fälle setzte es eine Absage. Einen Anspruch auf Hilfen konnten tatsächlich nur diejenigen geltend machen, die nachweislich durch die Pandemie in eine Notlage geraten sind. Wer schon davor bedürftig war, fiel von vornherein durch.
Kein Geld trotz Not
Nach Angaben von DSW-Generalsekretär Achim Meyer auf der Heyde betraf dies „mehr als die Hälfte der gescheiterten Anträge“. Für sie alle hieß es: „Ablehnung, obwohl die Studierenden in einer Notlage sind – diese aber eben nicht pandemiebedingt ist.“ Für den DSW-Funktionär ist das „die bitterste Erkenntnis“, es existiere eine „strukturelle Armut (...), die schon vor der Pandemie virulent war“. Meyer auf der Heyde hält deshalb nichts davon, sich mit dem Erreichten zufriedenzugeben. „Wir brauchen einen generellen Notfallmechanismus bei der Studienfinanzierung und dürfen uns daher nicht ausruhen. Die Pandemie bedrängt die Studierenden weiter.“
Die Zahlen bedürfen einer weiteren Einordnung. Zu den „korrekten“ 233.000 Anträgen kommt noch eine Vielzahl an „fehlerhaften“ und „unvollständigen“ Ersuchen, die es gar nicht erst in die Bearbeitung geschafft haben. Bis Ende August waren dies insgesamt 166.000, was zu diesem Zeitpunkt 46 Prozent aller Eingaben entsprach. Entsprechende Daten für September hat das BMBF nicht vorgelegt. Summiert man die Zahlen auf, könnten bis Ende September mithin 430.000 Menschen wenigstens versucht haben, einen Antrag zu stellen. Davon hätten am Ende nicht einmal ein Drittel einen Zuschlag erhalten.
Man kann nur spekulieren, wie viele davon dies wirklich aus einer akuten Notlage heraus getan haben und warum sie den Antrag nicht regelkonform ausgefüllt haben. Zu vermuten ist indes, dass sich darunter etliche „Bürokratieopfer“ befinden, die aus Unkenntnis oder mangelnden Sprachkenntnissen auf der Strecke geblieben sind.
Hilfe für KfW-Bank
Noch viel größer könnte die Menge derer sein, die schon aus dem Rennen waren, bevor es überhaupt losging. Wie eingangs bemerkt, wurde der Hilfsfonds erst eingerichtet, als der harte Corona-Lockdown bereits beendet war und sich Industrie, Handel und Gastgewerbe langsam wieder erholten. Bis dahin dürften sich viele Studierende entweder bereits mit anderen Mitteln über die Zeit gerettet oder womöglich schon aufgegeben und ihr Studium abgebrochen haben.
Passend dazu hatte das BMBF schon vor fünf Wochen mit merklichem Stolz verkündet, dass der „zinslose“ KfW-Kredit bis Mitte August von „rund 10.000 deutschen und mehr als 15.000 ausländischen Studierenden“ beantragt worden sei. Es stellt sich die Frage: Wurde das Angebot deshalb so vergleichsweise früh an den Start gebracht, um einem echten Hilfsprogramm mit nicht erstattungspflichtigen Zuschüssen schon im Vorfeld, also präventiv, die Luft abzulassen?
Von Karliczek ist bekannt, dass sie, wie schon ihre Amtsvorgängerinnen Annette Schavan und Johanna Wanka (beide CDU), eine Verfechterin privater Studienfinanzierungsmodelle ist und die staatliche Bundesausbildungsförderung (BAföG) nur stiefmütterlich behandelt. Erst jüngst machte das Statistische Bundesamt publik, dass die Gefördertenzahlen mit ihrer 2019er-Reform weiter abgeschmiert sind. Hat die BMBF-Chefin die Krise ausgenutzt, um das KfW-Angebot zu pushen? Denn hätte das Ministerium die Überbrückungshilfe bereits früher oder auch nur zeitgleich aufgelegt, wäre das Angebot gewiss von sehr viel mehr Studierenden wahrgenommen worden.
Bürokratische Fallstricke
Dasselbe ist für den Fall großzügigerer Zuwendungen anzunehmen. Bei monatelangen Verdienstausfällen werden 100 bis maximal 500 Euro wohl nur in seltenen Fällen aus den ärgsten Nöten helfen. Die geringfügige Erleichterung, die das Programm verspricht, gepaart noch mit der Aussicht auf reichlich bürokratische Fallstricke, haben den Kreis der Antragssteller wahrscheinlich erheblich geschmälert.
So betrachtet könnte Karliczeks Rechnung voll aufgegangen sein: Notleidende erst hängen lassen, dann in die Verschuldung treiben und, wer dann noch übrig bleibt, mit Almosen abspeisen. Und zu guter Letzt erklärt sie die Pandemie für Studierende kurzerhand für beendet, während die Infektionszahlen wieder steigen und allenthalben vor einer zweiten Welle mit einem möglichen zweiten Lockdown gewarnt wird. Immerhin will das BMBF am Ball bleiben. „Sollte noch einmal eine Situation für Studierende entstehen wie zu Beginn der Pandemie, so steht uns jetzt ein etabliertes Instrument zur Verfügung, um schnell reagieren zu können“, befand Staatssekretär Meister. Zumal dann auch gleich noch 30 Millionen Euro auf der hohen Kante bereitliegen würden. So hätte man schon mal für die Zukunft vorgeknausert.
Dafür hat man beim „freien zusammenschluss von student*innenschaften“ (fzs) nur noch Hohn übrig. Am Freitag twitterte der studentische Dachverband: „Neuigkeiten vom BMBF: 1. Corona ist vorbei. 2. Die Überbrückungshilfe hat super funktioniert und sollte immer wieder so gestaltet werden! Newsflash: Das ist beides inkorrekt!"
Linke beklagt „Nebelkerze“
Am Samstag legte der fzs-Vorstand mit einem Pressestatement nach: „Um Studierenden auch im Wintersemester schnell helfen zu können, sollte die Überbrückungshilfe verlängert und erweitert werden“, empfahl Amanda Steinmaus. Dazu müsse die Kontodeckelung dringend abgeschafft und auch denen geholfen werden, die nicht direkt wegen Corona ihren Nebenjob verloren hätten oder aktuell keinen neuen Job finden würden. Und schließlich brauche es „eine tatsächliche BAföG-Reform, die das BAföG familienunabhängig und zum Vollzuschuss macht“.
„Wenn das BMBF von einem Erfolg des Programms spricht, ist das an Zynismus kaum zu übertreffen“, beklagte am Montag Nicole Gohlke von der Bundestagsfraktion der Partei Die Linke. Das Argument, die Hilfen hätten die Studierenden erreicht, denen Nebenjobs oder familiäre Unterstützung weggebrochen sind, „ist eine Nebelkerze, die verschleiert, dass gerade den Studierenden, die schon zuvor in struktureller Armut lebten, nicht geholfen wurde, weil ihre Notlage länger andauert als die Pandemie“. Statt eines Hilfsangebots, das den Namen nicht verdiene, „hätten Sozialfonds eingerichtet und das BAföG für Studierende krisenbedingt geöffnet werden müssen“, führte Gohlke aus und weiter: „Ich werde sehr genau verfolgen, was mit den nicht abgerufenen Mitteln geschieht.“
Wie zu hören ist, geschieht das nicht bei allen Hilfspaketen der Bundesregierung. Beim Kurzarbeitergeld ist schon jetzt von Missbrauch in Millionenhöhe die Rede. Mehr Eindruck macht indes das, was sich die Bundesregierung die Maßnahme kosten lässt. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit (BA) waren das bisher über 14 Milliarden Euro. Die geplante Verlängerung der Bezugsdauer auf 24 Monate soll weitere zehn Milliarden Euro verschlingen. Die Pläne zeigen zudem: Für die Wirtschaft ist Corona noch lange nicht vorbei. Für die Studierenden ticken die Uhren offenbar schneller. (rw)
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