Grüße nach Hotspot-PassauSeelsorge mit Merkel und Steinmeier
Wer kennt das gerade nicht? Die X.te Videokonferenz …
Da behaupte noch einer, keiner kümmere sich in der Pandemie um die Studierenden. Von wegen: Frank-Walter Steinmeier (SPD), das höchste deutsche Staatsamt in persona, nimmt sich ihrer Sorgen an. An der Seite der „First Lady“, Elke Büdenbender, lauschte der Bundespräsident vor einer Woche geschlagene 90 Minuten lang, was den Hochschülern der Republik in diesen Tagen, Wochen und Monaten unter den Nägeln brennt. Da fielen dann Sätze wie diese: „Wir wollen Ihnen jedenfalls versichern, Sie sind nicht vergessen.“ Das hilft…
Es dauert nicht mehr lange, dann liegt das, was man einst für ein Studium gehalten hat, ein geschlagenes Jahr zurück. Im Februar 2020 ist man noch „in“ die Uni gegangen, hat Hörsäle von „innen“ gesehen, hatte Dozenten, Professoren und Kommilitonen in natura vor Augen, sie mitunter gar per Handschlag begrüßt oder Seit an Seit in der Mensa gespeist. „Es war einmal“ und so ein bisschen wirkt all das wie aus einem Märchen – einem schönen. Heute steht die Studentin und der Student in einig Corona-Land vor dem dritten Digital-, Hybrid- oder Virtualsemester und weit und breit ist kein Morgenland in Sicht. Statt dessen klebt der Bildschirm vor der Nase (wenn überhaupt) und köcheln auf dem Herd die Dosenravioli (wenn überhaupt).
Plauderstündchen hilft nichts
„Das Studium macht keinen Spaß mehr. Und wer hätte gedacht, dass unsere Generation mal einen Computer an die Wand werfen will – also mir geht’s auf jeden Fall so“, klagte ein Potsdamer Student dem Präsidenten sein Leid. „Manchmal hat man das Gefühl, man spricht mit einem schwarzen Loch“, beschrieb eine Studentin aus Brasilien ihr Innenleben, wenn sie mal wieder ein Onlinetutorium in der eigenen Bude „besucht“. Von Steinmeier gab es dafür eine Portion Betroffenheit: „Sie alle starten unter wirklich sehr schwierigen Umständen ins Leben.“ Und zum Dessert ein Dankeschön – „für den Kraftakt, den sie täglich vollbringen“. Denn „Sie werden gebraucht, gerade in einer Zeit, in der wichtige, wichtige Transformationen vor uns stehen“.
Steinmeiers guter Wille soll gar nicht bezweifelt werden. Aber so ernst ihm die Sache sein mag, ein Plauderstündchen für die Galerie bringt keinem etwas, solange nicht endlich konkrete Schritte unternommen werden, die Situation der Studierenden zu verbessern. Wie es weitergehen soll, ist dabei die eine Frage, viele dürften indes nicht mal mehr wissen, ob es überhaupt weitergeht. Anfang November hatte sich Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) unter Berufung auf eine Erhebung des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) erfreut geäußert, „dass Studierende im Sommersemester 2020 nicht häufiger über einen Studienabbruch nachdachten als in den letzten Jahren“.
Kein Geld, kein Job, keine Lust mehr
Seither sind aber weitere drei Monate vergangen und nichts hat sich zum Besseren verändert. Wer im vergangenen Sommer noch nicht daran dachte, sein Studium zu schmeißen, dürfte kaum geahnt haben, dass das nächste Sommersemester immer noch im Krisenmodus starten wird. Und dass sich noch über Monate hinweg kein Geld verdienen lässt, weil die Läden weiter geschlossen und Inhaber von Bars, Kneipen und Restaurants auf unabsehbare Zeit keine Studentenjobs zu bieten haben.
Dabei sind Schwierigkeiten, sich zu finanzieren, bestimmt ein drängendes, aber längst nicht das einzige Problem. Was ist mit jenen, die unter den Bedingungen eines Fernstudiums nicht klar kommen, weil sie nicht über die nötige technische Ausstattung verfügen oder ihnen einfach das psychisch-mentale Rüstzeug fehlt, unter den Bedingungen einer hermetischen „Homeschool“ fernab von Menschen ohne soziales Miteinander den Lern- und Prüfstoff zu pauken?
Man stelle sich bloß die Lage von Studieneinsteigern vor, selbst solchen, die schon seit Sommersemester 2020 dabei sind. Sie haben ihre Uni praktisch nie betreten, geschweige denn so etwas wie ein normales Studentenleben erlebt. Wie soll man von ihnen erwarten können, aus dem Stand und quasi ohne Anschauungsunterricht ein selbstorganisiertes Studium zu meistern? Zumal das auch in Vor-Corona-Zeiten manch einem nicht nach vier Semestern gelungen ist.
Leiden im Schattendasein
Nun gibt es in der Pandemie etliche gesellschaftliche Gruppen, die in Nöten stecken und die gar nicht oder nur unzureichend unterstützt werden, zum Beispiel Schausteller, Soloselbständige, Gastronomen. Aber immerhin ist von ihnen dann und wann die Rede, nehmen die Medien Notiz von ihnen und je nach Stärke ihrer Standes- und Berufsvertreter nimmt sich die Politik ihrer Notlage mal mehr, mal weniger an. Von den Studierenden hört, liest und sieht man aber praktisch nichts. Obwohl es fast drei Millionen von ihnen gibt in Deutschland, führen sie ein Schattendasein.
In einem lesenswerten Beitrag hat der Wissenschaftsjournalist Jan-Martin Wiarda auf diese Leerstelle im öffentlichen und im Bewusstsein der politisch Verantwortlichen hingewiesen. So werde zwar viel über die Schulen verhandelt und darüber gestritten, ob und wie lange man Kinder aus dem Klassenzimmer verbannt. Dagegen wären die Hochschulen in den letzten vier Corona-Beschlusspapieren von Bund und Ländern nur an einer einzigen Stelle aufgetaucht. In dem vom 25. November heißt es: „Hochschulen und Universitäten sollen grundsätzlich (mit Ausnahme insbesondere von Labortätigkeiten, Praktika, praktischen und künstlerischen Ausbildungsabschnitten und Prüfungen) auf digitale Lehre umstellen.“ Von „Studierenden“ fehlt hier jede Spur.
E-Learning für die Präsenzprüfung
Auf Auslassungen setzt man auch bei der Hochschulrektorenkonferenz (HRK). Dessen Präsidium hat vor zehn Tagen ein Papier zu den Auswirkungen der Covid-19-Krise auf die Hochschulen verabschiedet. Das beschäftigt sich jedoch einzig mit den Folgen für die Forschung und die dort Beschäftigen. So wolle man erneute Schließungen im Forschungsbetrieb wie im Frühjahr 2020 vermeiden. Zu Öffnungen im Lehrbetrieb oder nur dahingehenden Perspektiven findet sich kein Wort.
An die Betroffenen selbst, also die Lehrenden und Lernenden, die sich in einem täglichen Kampf und oft mehr schlecht als recht mit den Umständen arrangieren müssen, denken die Zuständigen offensichtlich nicht. Das führt dann zu Absurditäten wie dieser, dass einerseits Fernstudium und E-Learning aus Gründen des Gesundheitsschutzes verlangt werden und dennoch vielerorts Präsenzprüfungen stattfinden, bei denen mithin Hunderte Teilnehmer eng auf eng zusammensitzen. Für die Hochschulgruppen der Jungsozialisten (SPD-Jusos) sind solche Zustände „untragbar“, wie sie Ende Januar in einer Stellungnahme beanstandeten.
Gleichgültigkeit bei Karliczek
So seien zuletzt im bayerischen Ansbach 100 Menschen in Quarantäne geschickt worden, nachdem ein Prüfling positiv getestet worden war. Die Leidtragenden müssten ausbaden, dass „unsere Hochschulen auch nach einem Jahr noch nicht in der Lage sind, alle Klausuren in digitaler Form durchzuführen – oder die Lehrenden sich dem schlichtweg verweigern“, monierte Verbandsvorstandmitglied Johanna Dangloff. Hier äußere sich erneut die „Gleichgültigkeit“, die gegenüber Studierenden vielfach herrsche, obwohl diese „zahlreiche soziale, studienspezifische oder auch mentale“ Herausforderungen zu bewältigen hätten.
Die erste Adressatin solcher Klagen müsste eigentlich Bildungsministerin Karliczek sein. Ihre Pressestelle gibt im Zweitagestakt Mitteilungen heraus. Von 30 in den Monaten Dezember und Januar befasste sich keine einzige mit der Situation von Studierenden und bei den wenigen, die sich um die Hochschulen drehten, ging es um Corona- und Impfstoffforschung. Ihre letzte vernehmbare Wortmeldung, die den Studierenden gewidmet war, stammte vom 20. November. Damals verkündete sie die Reaktivierung der „Überbrückungshilfen“ für Hochschüler in „akuter Notlage“, ein Zuschussprogramm, das viel zu spät aufgelegt wurde, ein Bürokratiemonster ist und den Notleidenden nur mit Abstrichen weiterhilft.
„Interessanter Punkt“
Über dessen Beschränktheit musste sich Mitte Dezember sogar die Bundeskanzlerin ins Bild setzen lassen, durch eine Studentin aus Trier. Als eine von 15 durfte sie Angela Merkel (CDU) per Videoschalte schildern, was so alles im Argen liegt an den verwaisten Lehr- und Lernanstalten. Dabei bekam sie zum Beispiel zu hören, dass Studis weiterhin per Semesterticket einen happigen Beitrag für Busse und Bahnen leisten müssen, ohne das Angebot überhaupt zu nutzen, weil sie keinen Fuß vor die Tür setzen (O-Ton Merkel: „Interessanter Punkt“). Oder dass man im Saarland und Sachsen-Anhalt nicht uneingeschränkt ein „Nullsemester“ beim Antrag von BAföG-Leistungen geltend machen kann. Oder dass man derzeit keine Praktika, Auslandssemester oder Laborbesuche absolvieren kann…
Merkel, auffallend plan- und ahnungslos, lieh den „Klägern“ mal mehr mal weniger geduldig ihr Ohr oder rettete sich mit fruchtlosen Einwürfen über die Zeit: „Welche Hochschule war das jetzt noch mal?“, „Wie viele Hochschulen hat denn das Saarland?“ oder „Grüße nach Passau. Sie sind ja auch ein ziemlicher Hotspot.“ Besagte Trierer Studentin ließ trotzdem nicht locker und bemängelte Antragsstress und -hürden bei den Ü-Hilfen, Härtefälle, die reihenweise „durchs Raster fallen“, oder auch die „Schein-Zinsfreiheit“ beim KfW-Studienkredit.
Tatsächlich ist noch völlig offen, wie und ob es nach März mit den Corona-Hilfen weitergeht. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), das Deutsche Studentenwerk (DSW) und die Linksfraktion im Bundestag haben längst eine Anschlusslösung angemahnt. Karliczek blieb aber bislang jede Reaktion darauf schuldig. Immerhin beschied die Kanzlerin: „Ich werde mit der Bundesministerin noch mal sprechen (...) und verspreche ihnen, dass wir uns darum kümmern werden.“
Durchblick beim Wissenschaftsrat
Auf den Ertrag solcher Bekenntnisse vor laufender Kamera darf man gespannt sei. Im Lichte der Erfahrungen dürfte bis zum (möglichen) Vollzug noch viel Wasser den Rhein runterfließen und allerhand Trübsal geblasen werden. Immerhin beim Wissenschaftsrat, dem wichtigsten Beratergremium der Bundesregierung in Hochschul- und Forschungsfragen, hat man die Zeichen der Zeit offenbar erkannt und begriffen, dass die Uhr eher fünf nach als fünf vor zwölf anzeigt.
In ihrem in der Vorwoche vorgelegten Positionspapier „Impulse aus der Covid-19-Krise“ wird gemahnt, dass Studierende in der Studienanfangs- und der Bachelorphase „‚verloren‘ zu gehen scheinen“. Lehrende befürchteten einen „Motivationsverlust“, hinzu kämen „mangelnde Vertrautheit mit der akademischen Welt (‚stiller Dropout‘)“ sowie „finanzielle Belastungen“. Die weiteren Entwicklungen gelte es, „empirisch zu überprüfen, etwa im Hinblick darauf, ob bestehende Ungleichheiten im Zuge des Umstiegs auf digitale Formate fortgesetzt, vermindert oder gar verstärkt werden“.
Man wünschte sich noch mehr Durchblick, vor allen von den Regierenden. Schließlich sind die ersten „Verluste“ nicht nur scheinbare. Ende Januar informierte das Statistische Bundesamt über die Zahl der Hochschüler im Sommersemester 2020. Ergebnis: Studienanfänger aus dem Ausland gab es 28 Prozent weniger als 2019.
Das dürfte erst der Anfang sein. Oder wie Merkel so treffend bemerkte: „Der Winter wird noch sehr hart.“ (rw)