Auch wegen Corona-NotstandRektoren fordern besseres BAföG und mehr Wohnraum
Studierende werden aktuell zu wenig beachtet. Die Hochschulrektorenkonferenz hat nun einige sinnvolle Forderungen an die Politik gerichtet.
Eine Rückkehr zur „Normalität“ an Deutschlands Hochschulen ist weiterhin nicht in Sichtweite. Wie der Senat der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) am Donnerstag im Rahmen einer digitalen Sitzung klarstellte, gebe es bis auf weiteres „keine Alternative“ zu einer „differenzierten Mischung aus digitalen und Präsenzlehrangeboten“. Damit bleibe man bei der „von Verantwortungsbewusstsein und wissenschaftlich begründeter Vorsicht bestimmten und bereits im Juni des letzten Jahres grundsätzlich formulierten Haltung“, erklärte HRK-Präsident Peter-André Alt in einer Stellungnahme.
Im Hinblick auf künftige Öffnungsschritte plant die HRK solche Veranstaltungen zu priorisieren, „die in digitaler Form nicht oder nur unter erheblichem Aufwand oder Einbußen realisiert werden können“. Dazu zählten vor allem Labor- und sonstige praktische Übungen sowie entsprechende Prüfungen. Insbesondere für viele künstlerische Studiengänge sowie für ein Medizin- oder ein Sportstudium sei der Verzicht auf Präsenzangebote „besonders einschneidend“, bemerkte Alt. Eine Entspannung der Lage erwarten die Hochschulen mit „vermehrten Testmöglichkeiten als potenzielle Elemente ihrer bewährten Hygienekonzepte“. Hier bestehe eine Chance, „Veranstaltungen mit klar abgegrenztem, kleinem Teilnehmerkreis in Präsenz nach und nach wieder durchzuführen“.
Studierende zum Vergessen
Das Zaudern wirft Fragen auf: Bekanntlich sind die Schulen inzwischen vielerorts, wenngleich bloß in Gestalt von Wechselunterricht, zum Face-to-Face-Modus zurückgekehrt. Warum soll das nicht auch an den Unis möglich sein? Über die Schwere der Situation von Kindern in der Pandemie, die gravierenden sozialen und mentalen Belastungen für Heranwachsende wird in der Öffentlichkeit seit langem viel und intensiv diskutiert. Wieso tauchen dagegen knapp drei Millionen Studierende, die ihre Kindheit zum Teil gerade erst hinter sich gebracht haben, auf dem Radar von Politik, Wissenschaft und Medien praktisch nicht auf?
Braucht es erst Aktionen zivilen Ungehorsams, wie dies in anderen Ländern geschieht, damit die politisch Verantwortlichen von ihrem Schicksal Notiz nehmen? In Frankreich zum Beispiel gingen Studierende bereits wiederholt auf die Straße, um gegen die seit über einem Jahr bestehenden Einschränkungen und für ein Zurück zur Präsenzlehre zu protestieren. Müssen die Betroffenen auch hierzulande erst Rabatz machen, um von den Regierenden beachtet zu werden?
Hochschulen brauchen Perspektive
Die Augsburger Zeitung ließ am Dienstag fünf Leidtragende zu Wort kommen. Lehramtsstudentin Anna beklagte: „Wir werden in der Krise im Stich gelassen und bei der Öffnungsdebatte kommen wir auch zu kurz.“ Julia, die gerade ihren Abschluss in Sozialwissenschaften macht, beschied: „Ich habe das Gefühl, dass in Deutschland Bildung mit dem Abitur endet. Denn ich weiß dank des neuen Stufenplans genau, bei welcher Inzidenz ein Blumenladen öffnet, aber nicht, wann die Uni wieder startet.“ Und Architekturstudentin Antonia macht es „wütend, wenn meine Generation pauschal verurteilt wird, nur weil eine Gruppe eine Hausparty schmeißt“.
Der Deutsche Hochschulverband (DHV), der die Interessen der an den Universitäten tätigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vertritt, drängt auf ein rasches Umdenken der Politik. Mit Blick auf den nächsten Corona-Gipfel am 22. März forderte gestern Verbandspräsident Bernhard Kempen per Medienmitteilung, bei Ausstiegsszenarien aus dem Lockdown auch die Hochschulen in den Blick zu nehmen. Diese seien bei den bisherigen Bund-Länder-Spitzentreffen „schlichtweg nicht vorgekommen“, monierte er. „Das muss sich ändern. Auch die Hochschulen brauchen dringend eine Perspektive.“
Kempen skizzierte eine Reihe an Problemen, die Studierenden zu schaffen machen. „Entmutigung, Frust und Depressionen nehmen zu. Digitale Prüfungen laufen holprig. Viele Mitglieder der Hochschulen beginnen sich, in dem Provisorium häuslich einzurichten.“ Als „Bausteine“ eines Öffnungskonzepts schlug er zum Beispiel mehr Eigenverantwortung bei der „Steuerung der Präsenzzulassung“ entsprechend lokaler Inzidenzwerte, kostenlose Schnelltests, die Reduzierung digitaler Lehre auf große Vorlesungen, die vorrangige Öffnung von Laboren und Bibliotheken und größere Spielräume für Präsenzprüfungen vor.
Rektoren verlangen Zukunftsprogramm
Auch der HRK-Senat rief die Entscheider in Bund und Ländern dazu auf, den Hochschulbereich bei den anstehenden Beratungen „nicht zu ignorieren“. Für einen substanziellen Fortschritt sei aber die Entwicklung der Impfkampagne „letztlich entscheidend“, heißt es in der Entschließung. Ein zweites am Donnerstag verabschiedetes Beschlusspapier befasst sich mit weitergehenden Forderungen, die über die unmittelbare Krisenbewältigung hinausgehen und „die Zukunftsfähigkeit von Studium und Lehre sichern“ sollen.
Zu den zehn genannten Punkten gehören unter anderem der Ausbau der digitalen Infrastruktur, wozu neben der technischen auch die personelle Ausstattung mit „qualifiziertem Fachpersonal“ und „kontinuierlicher Fort- und Weiterbildung“ gehöre. Auch müsste der Mehraufwand bei der Gestaltung und Durchführung digitaler Angebote durch eine „länderübergreifend konsistente Regelung der Anrechnung digitaler Lehre auf das Lehrdeputat“ honoriert werden. Eine einheitliche Rechtslage wünscht sich die Hochschulrektorenkonferenz ebenso „mit Blick auf Durchführbarkeit und Datenschutz“ digitaler Prüfungen.
Mehr BAföG, mehr Wohnraum
Beachtlich sind vor allem die Anregungen der Rektoren zur Weiterentwicklung der Bundesausbildungsförderung (BAföG). So wären die „existierende Fördersystematik, Reichweite und Mitteleinsatz des BAföG sind nicht (mehr) auf die Realität von Studierenden abgestimmt und müssen angepasst werden“. Gründe dafür seien „rasante Preisentwicklungen in den Bereichen Miete und Lebenshaltung in vielen großen Hochschulstädten sowie wachsende Notwendigkeiten bei Mobilität und technischer Ausstattung“. Eine „grundlegende Reform“ müsse beispielsweise „Optionen für ein Teilzeitstudium“ und „weiterbildende Studiengänge“, flexiblere Altersgrenzen, „schlankere Verfahren“ sowie „eine maßvolle Erweiterung des Bezugszeitraums über die Regelstudienzeit hinaus“ umfassen.
Erfreut über den Vorstoß zeigte sich am Donnerstag das Deutsche Studentenwerk (DSW). Neben den Rezepten für eine BAföG-Novelle lobte DSW-Präsident Rolf-Dieter Postlep, dass sich die Rektoren für Bund-Länder-Investitionen im Wohnheimbau stark machen. „In die Klage der HRK über den ‚unzureichenden Ausbaugrad der studentischen Infrastruktur‘ am Beispiel der mangelnden Versorgung der Studierenden mit bezahlbarem Wohnraum können wir als Deutsches Studentenwerk absolut einstimmen“, bekräftigte der DSW-Chef. Sein Verband appelliert seit Jahren weitgehend erfolglos an die Politik, mindestens 25.000 neue Wohnheimplätze bauen zu lassen, um so den Druck vom studentischen Wohnungsmarkt zu nehmen.
Notfallkomponente für Krisenzeiten
Daran knüpft die HRK an: „Wenn das Wohnraumangebot sich trotz marktlenkender Eingriffe nicht oder zu langsam verbessert, muss die inzwischen unter zehn Prozent gefallene Unterbringungsquote über entsprechende Investitionen in den Bestand an studentischen Wohnheimen wieder erhöht werden.“ Begrüßenswert nannte Postlep zudem den HRK-Anstoß, eine „Notfallkomponente“ ins BAföG-Regularium aufzunehmen, um „einschneidende individuelle oder gesellschaftliche Situationen“ wie aktuell in der Corona-Krise abzufedern – „auch und gerade für internationale Studierende“.
Studis Online hat mehrfach über die Unzulänglichkeiten der von Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) aufgelegten „Überbrückungshilfe“ für „akut notleidende Studierende“ berichtet. Diese soll auch im Sommersemester ausgezahlt werden, ob unter verbesserten Modalitäten, ist noch unklar. Derzeit laufen dazu Verhandlungen zwischen der Bundesregierung und dem DSW. Zuletzt wurde bekannt, dass die Ministerin 160 Millionen Euro im Jahr 2020 liegen gebliebener BAföG-Mittel ans Finanzministerium zurücküberwiesen hat. Damit sorgte sie für allerhand Empörung, weil mit dem Geld viele Studierende mehr hätten unterstützt werden können.
Priorität haben andere
Zustimmung für die HRK-Vorschläge kam auch von der hochschulpolitischen Sprecherin der Fraktion Die Linke im Bundestag, Nicole Gohlke. „Der Rückgang der Unterbringungsquote beim studentischen Wohnen ist angesichts explodierender Mieten ein sozialpolitisches Versagen sondergleichen“, beanstandete sie. Außerdem habe der Sanierungsstau an den Hochschulen ein Ausmaß von mindestens 35 Milliarden Euro angenommen, was kein Abwarten mehr erlaube. Dasselbe gelte für eine „soziale und digitale Offensive in der Hochschulfinanzierung“. Studierende und wissenschaftliche Beschäftigte hätten in der Pandemie alles gegeben und erwarteten zu Recht bessere Lern- und Arbeitsbedingungen.
Daraus wird wohl erst einmal nichts. Karliczek hat offenbar Wichtigeres zu tun: Am Montag stellte sie gemeinsam mit Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) eine Offensive für in der Krise weggebrochene Ausbildungsplätze vor. Kostenpunkt: 700 Millionen Euro. Davon können Studierende nur träumen. (rw)