Aus vier wird „eine für alle“Auftakt zu neuer Studierendenumfrage
Die neue Studierendenbefragung startet – und wer eingeladen ist, sollte unbedingt teilnehmen 😇
Studis Online: Am vergangenen Dienstag, den 4. Mai 2021, ging „efa“ an den Start, „Die Studierendenbefragung in Deutschland“, die größte ihr Art in der Historie der Bundesrepublik. Unter dem Motto „eine für alle“ sind rund eine Million zufällig von ihren Hochschulen ausgewählte Studierende eingeladen, an der Online-Studie teilzunehmen. Was macht die Erhebung so neu und so anders als alles bisher Dagewesene?
Achim Meyer auf der Heyde: „Zwei Dinge: ihr neuer methodischer Zuschnitt und ihre Größe. Die „Studierendenbefragung in Deutschland“ ist eine neu konzipierte, integrierte Studierendenbefragung, sie bündelt gleich mehrere Befragungen, die bisher gesondert durchgeführt worden sind, unter einem Dach: die Sozialerhebungen des Deutschen Studentenwerks zur wirtschaftlichen und sozialen Lage der Studierenden, den „Studierendensurvey“ der AG Hochschulforschung der Universität Konstanz zu den Werten, Haltungen und Zielen der Studierenden sowie die Befragung „beeinträchtigt studieren (best)“ des Deutschen Studentenwerks zur Lage der Studierenden mit Beeinträchtigung. Aus der neuen Befragung „eine für alle“ werden außerdem die Daten gewonnen für den europäischen „Eurostudent Report“.
Aus vier mach eins, also. Aber wozu das alles?
Der große Vorteil dabei ist: Indem man die bislang isolierten Studien zusammenführt, nimmt die Befragungsdichte an den Hochschulen ab. Wir erhoffen uns durch die Umstellung eine zuverlässige, repräsentative Datengrundlage für die Hochschul-, Bildungs- und Sozialpolitik in Deutschland, aber auch für die Bildungsberichterstattung und für die Forschung. Und natürlich wünschen wir uns auch eine stärkere Beteiligung und damit noch mehr aussagekräftige Daten. Wie Sie eingangs sagten: „Eine für alle“ ist die bislang größte, umfassendste Studierendenbefragung, die je in Deutschland durchgeführt wurde. Ein Drittel aller Studierenden wird per Zufallsfaktor von der eigenen Hochschule zur Teilnahme eingeladen.
Bis dato galt ja die Sozialerhebung zur wirtschaftlichen und sozialen Lage der Studierenden, beauftragt durch das Deutsche Studentenwerk (DSW), als das wichtigste und umfassendste Instrument zur Standortbestimmung der aktuell fast drei Millionen Hochschüler in Deutschland. Was konkret leistet die neue Studie, was die „alte“ nicht konnte?
Unser Interviewpartner Achim Meyer auf der Heyde ist Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks (DSW), in dem die 57 Studenten- und Studierendenwerke in Deutschland zusammengeschlossen sind. Das DSW ist Verbundpartner bei der neu angelaufenen, integrierten Studierendenbefragung „eine für alle“. Beteiligt sind außerdem das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) und die AG Hochschulforschung der Universität Konstanz. Finanziert wird die Befragung vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF).
Ich würde es so formulieren: Die Sozialerhebung bleibt, auch wenn nicht mehr mit diesem Titel, als Befragungsinstrument durchaus erhalten. Ihre Fragen fließen in die neue Befragung „eine für alle“ ein. Das heißt, wir werden auch mit der neuen Befragung jene Daten haben – und sie gegenüber der Politik kommunizieren! –, die wir bisher mit der Sozialerhebung hatten. Die große Stärke der neuen Befragung ist, dass wir nicht mehr dreimal ‚ins Feld‘ gehen, sondern alle vier Jahre eine große Befragung durchführen. Die Zahl der Studierendenbefragungen hat in jüngerer Vergangenheit stark zugenommen und es wurde immer schwerer, für die einzelnen Erhebungen ausreichend große Stichproben zu bekommen, also Studierende zu gewinnen. Ein weiterer Vorzug ist, dass wir uns valide Daten erhoffen auch für kleine Gruppen von Studierenden, zum Beispiel Studierende mit Kind oder Studierende mit gesundheitlicher Beeinträchtigung, Studierende in berufsbegleitenden Studiengängen, ohne schulische Hochschulzugangsberechtigung und internationale Studierende.
Wenn man in der Küche alles miteinander verwurstet, kommt ja nicht immer ein guter Eintopf dabei heraus. Warum also muss eine „große“ Studie unbedingt mehr Ertrag bringen als viele „kleine“?
Nun, um in Ihrem Bild zu bleiben: Es sind, wenn Sie sich die beteiligten Institutionen ansehen, gerade einmal drei Köche, und sie bereiten keinen Eintopf oder Brei zu, sondern ein sehr komplexes Mehr-Gänge-Menü. Das Entscheidende aber ist: Die Zutaten für das Menü kommen nicht von den Köchen, sondern die Gäste bringen sie mit. Die Studierenden opfern etwas Lebenszeit, wenn sie an der Befragung teilnehmen, und sie liefern die Daten, die die Köche dann auf- und zubereiten. Und je mehr Studierende eben teilnehmen, desto größer der wissenschaftliche Ertrag.
Nun ist eine bessere Datenlage zunächst einmal eine feine Sache. Entscheidender ist allerdings, was die hochschulpolitisch Verantwortlichen daraus machen ...
Das stimmt, aber dazu zwei Gegenfragen: Liegt es denn an der Befragung beziehungsweise den Daten, wenn die Politik zu wenig daraus macht? Und: Was wäre, wenn wir die Daten nicht hätten? Dann fehlte gar die Handlungsgrundlage für jede kluge, soziale Hochschul- und Sozialpolitik, gerade auch beim BAföG. Die Pandemie hat doch gezeigt, wie wichtig es ist, zu wissen, wie viele Studierende jobben müssen oder wie die Studienfinanzierung in Deutschland konkret aussieht. Wir als Deutsches Studentenwerk arbeiten bei unserer Politikberatung stets auf der Basis valider Daten zur sozialen und wirtschaftlichen Lage der Studierenden. Das zeigt, wie wichtig eben die neue, integrierte Befragung „eine für alle“ ist, weil sie diese Daten wieder liefern kann, auf einer hoffentlich sehr breiten Basis.
Nehmen wir zum Beispiel das Thema „Studieren mit Kind“. Dass das für die Betroffenen kein leichtes Unterfangen ist, ist seit langem bekannt. Trotzdem unternimmt die Bundesregierung bis heute keine Anstalten, die Altersgrenzen beim BAföG anzuheben. Gute Daten schärfen offenbar nicht automatisch den Realitätssinn. Wie sehen Sie das?
Das ist richtig, aber noch einmal: Ohne die Daten könnten Sie und wir das gar nicht feststellen und die Politik zum Handeln drängen. Und um endlich die Altersgrenzen beim BAföG abzuschaffen, wie wir das seit langem fordern, bräuchte man noch nicht einmal in die Sozialerhebungen des Deutschen Studentenwerks sehen. Es würde schon genügen, die eigene programmatische Rede vom „Lebenslangen Lernen“ ernst zu nehmen. Aber das nur nebenbei.
Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) äußerte sich am vergangenen Mittwoch zum „efa“-Start wie folgt: „Machen Sie mit! Wir wollen wissen, wie Sie ihr Studium meistern.“ Nach all Ihren, mitunter doch leidigen Erfahrungen mit Frau Karliczek: Nehmen Sie Ihr die Worte ab?
Man kann gewisse Entscheidungen des von Frau Karliczek geführten Bundesministeriums für Bildung und Forschung kritisieren, etwa die, trotz weiterhin rückläufiger Gefördertenzahlen das BAföG nicht noch in dieser Legislatur anzupassen – und ihr dennoch glauben, dass sie ein echtes persönliches Interesse hat an der Lage der Studierenden.
Ganz konkret: Was sollte die amtierende und die kommende Regierung möglichst umgehend anpacken, um den veränderten Lebensbedingungen von Studierenden gerecht zu werden?
Da sehe ich drei drängende Punkte: Die soziale Infrastruktur, die die Studenten- und Studierendenwerke für die Studierenden bereitstellen, muss mit der stark gestiegenen Zahl der Studierenden endlich mitwachsen können. Das betrifft vor allem bezahlbaren Wohnraum für Studierende. Die Zahl der staatlich geförderten Studienplätze ist seit 2007 um 49 Prozent gestiegen, die Zahl der staatlich geförderten Wohnheimplätze aber nur um 8 Prozent. Hier brauchen wir dringend ein gemeinsames Handeln von Bund und Ländern, einen Bund-Länder-Hochschulsozialpakt beziehungsweise eine feste Komponente für die soziale Infrastruktur bei der Bund-Länder-Programmfinanzierung. Darin unterstützt uns erfreulicherweise seit kurzem auch die Hochschulrektorenkonferenz (HRK). Die Hochschulen selbst wollen also auch, dass Bund und Länder gemeinsam die soziale Infrastruktur finanzieren!
Das zweite drängende Thema ist das BAföG. Es wird dieses Jahr 50 Jahre alt. Uns ist aber nur bedingt nach Feiern zumute. Das BAföG benötigt dringend eine grundlegende Reform. Dazu gehört zum Beispiel, dass eben die Altersgrenzen abgeschafft werden, aber auch, dass die BAföG-Förderungshöchstdauer um mindestens zwei Semester über die Regelstudienzeit hinaus verlängert wird, weil der Großteil der Studierenden das Studium eben nicht in der Regelstudienzeit schafft.
Der dritte Punkt ist, und auch da sind wir uns mit der HRK und den Hochschulen einig: Wir brauchen Bund-Länder-Mittel für die digitale Nachrüstung der Mensen und Wohnheime der Studierendenwerke. Der gesamte Campus muss tauglich sein für die digitale Lehre, auch wenn hoffentlich bald wieder ein hoher Anteil von Präsenzlehre möglich sein wird.
Sagen Sie bitte noch etwas zu den technischen Modalitäten: Wie läuft die Befragung ab? Wer macht mit? Wie lange geht der Prozess und wann ist mit der Auswertung zu rechnen?
Seit dem 4. Mai 2021 gehen nach und nach die teilnehmenden rund 250 Hochschulen ins Feld, das heißt, sie versenden per Zufallsgenerator jeweils an rund ein Drittel ihrer Studierenden per Hochschul-E-Mail die Einladung zur Teilnahme an der Online-Befragung. Das geht bis Ende August. Parallel dazu rühren wir gemeinsam mit den Hochschulen die Werbetrommel, um möglichst viele der Studierenden für die Teilnahme zu gewinnen. Ab September 2021 beginnt die Datenaufbereitung und -auswertung und im Jahr 2022 dürften erste Ergebnisse vorliegen.
An der 21. Sozialerhebung hatten rund 67.000 Studierende teilgenommen. Wie viel Rücklauf erwarten Sie diesmal?
Da will ich mich nicht festlegen, weil ich nicht will, dass dann die tatsächlich vorliegenden Rückläufe an dieser Zahl gemessen werden. Sagen wir es so: Mehrere hunderttausend ausgefüllte Fragebögen wären ein klasse Wert!
Die letzte Sozialerhebung wurde 2016 durchgeführt, die Ergebnisse lagen im Sommer 2017 vor. Turnusmäßig hätte 2020 die nächste Befragung erfolgen sollen, woraus allerdings wegen der Corona-Krise nichts wurde. Welche waren die konkreten Argumente für eine Verschiebung?
Zum Zeitpunkt im Frühjahr 2020, als „eine für alle“ hätte losgehen sollen, hat die Pandemie uns alle überrascht und es war überhaupt nicht abzusehen, wie lange sie die Hochschulen dazu zwingen würde, das Studium digital betreiben zu müssen. In dieser Situation war es letztlich sicher vernünftig, die Befragung um ein Jahr zu verschieben.
Das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung hat gleichwohl im Sommersemester 2020 mit immerhin 29 Hochschulen und rund 30.000 Studierenden eine Sonderbefragung zum Digitalstudium durchführen können. Das war wichtig, um ein „Schlaglicht“ zu haben und zu wissen, wie es den Studierenden ergeht im Digitalsemester.
Und nun kommt die große, umfassende Befragung, die einerseits die Lage der Studierenden in der Pandemie erfasst, andererseits wichtige Daten liefern soll zu den lange zurückreichenden Daten- und Zeitreihen der Sozialerhebung, etwa zur Studienfinanzierung oder zu den Wohnformen.
Apropos Corona: Ihr Verband ist ja der ausführende Part der „Überbrückungshilfe für Studierende in pandemiebedingten Notlagen“, die bei Studierendenverbänden wegen der geringen Zuschüsse und bürokratischen Fallstricke auf viel Kritik gestoßen ist. Das Programm wurde inzwischen auf das neue Sommersemester ausgeweitet. Auch Sie waren nicht rundum zufrieden mit dessen Ausstattung und Modalitäten. Warum haben Sie bei der Neuverhandlung mit dem Bundesbildungsministerium nicht mehr herausgeholt?
Der ausführende Part liegt bei den Studenten- und Studierendenwerken, die im Deutschen Studentenwerk organisiert sind. Sie setzen die Zuschuss-Überbrückungshilfe des BMBF frü Studierende in pandemiebedingter Notlage um. Fallstricke kann ich keine erkennen, auch wenn wir feststellen mussten, dass ein Teil der nicht förderfähigen Studierenden schon vor der Pandemie in einer finanziell prekären Lage war.
Die Überbrückungshilfe war und ist jedoch nicht gedacht als Ersatz für eine reguläre Studienfinanzierung, das sagt schon ihr Name. Und die Zahlen sprechen für sich: Inzwischen gab es knapp 350.000 positiv beschiedene Anträge und die Studierendenwerke haben mehr als 150 Millionen Euro Zuschuss an Studierende ausbezahlt. Daher haben wir nach dem Prinzip „never change a running system“ gehandelt. Aber wir sagen zugleich: Wir können uns nicht endlos von Überbrückungshilfe zu Überbrückungshilfe hangeln. Wir brauchen eine Reform der staatlichen Studienfinanzierung und einen Notfallmechanismus im BAföG.
Gibt es schon Anzeichen dafür, dass das Programm auch über den Sommer hinaus gestreckt werden könnte?
Das müssen Sie bitte das BMBF fragen. Es könnte sich allerdings mit dem Fortschritt der Impfkampagne zeigen, dass wir zu mehr Normalität zurückkehren können.
Zurück zum Ausgangspunkt: Die Sozialerhebung und das Deutsche Studentenwerk waren 70 Jahre lang untrennbar miteinander verbunden. Die Studie ist in der langen Zeit zu dem Aushängeschild der Hochschulforschung gereift. Fühlen Sie sich durch die Neuausrichtung irgendwie zurückgesetzt?
Ich denke, die Sozialerhebung wird im politischen und im öffentlichen Gedächtnis bleiben, und sie bildet den Markenkern der neuen Befragung ‚eine für alle‘. Sie ist die politisch bekannteste, größte und wichtigste Befragung, die in die neue, integrierte Befragung eingeflossen ist.
Zum Schluss noch ein paar Worte an die Studierenden im Land: Was macht es so wichtig, an der Befragung teilzunehmen?
Logo der neuen Befragung
Nehmen Sie sich die 30, 35 Minuten Zeit für die Fragen. Sie können etwas für sich selbst tun und für Ihre Mitstudierenden. Ihre Stimme wird gehört – Sie haben Einfluss darauf, die Studienbedingungen in Deutschland zu gestalten. Die Ergebnisse der Befragung sind wichtig für Hochschulen, Bildung und Sozialpolitik. Sie helfen auch mit, soziale Schieflagen an den Hochschulen sichtbar zu machen und dadurch mehr Chancengerechtigkeit zu verwirklichen. Durch Ihre Teilnahme helfen Sie mit, ein repräsentatives Bild der Situation aller Studierenden in Deutschland zu gewinnen. (rw)