Der Schampus bleibt zuNix zu feiern beim BAföG-Jubiläum
Am 1. September 1971, also vor 50 Jahren, trat das Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) in Kraft.
Feiern geht anders. Am 1. September wurde das Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) 50 Jahre alt. Für gewöhnlich knallen bei einem runden Jubiläum ja die Korken. Und wie beging man am Mittwoch im zuständigen Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) den Ehrentag? Per Festakt, mit einem Feuerwerk für die politischen Wegbereiter, einem Empfang für noch lebende Zeitzeugen? Nix da!
Als wäre gar nichts gewesen, pfiff das Haus von Ressortchefin Anja Karliczek (CDU) noch auf die mindesten Anforderungen der Etikette: Kein Sonderbeitrag auf der Ministeriumswebseite, nicht einmal eine Pressemitteilung zum Thema wurde lanciert. Einzig unter Bundesregierung.de ging eine staubtrockene Bekanntmachung auf Sendung – mit Neuigkeiten wie diesen: „Was ist Bafög?“ und „Wer kann BAföG bekommen?“
Sprücheklopferei
Immerhin findet sich eingangs sogar ein Statement von Frau Karliczek: „Wenn wir das BAföG nicht hätten, müssten wir es erfinden.“ Genau das hatte sie wortgleich schon zu diversen Anlässen zum Besten gegeben. Wie Bekenntnisse aus der Retorte wirkten auch die Verlautbarungen, mit denen sie sich am Dienstag zitieren ließ: „50 Jahre Bafög sind ein beispielloser nationaler Kraftakt für Chancengerechtigkeit in Deutschland.“ Auf die vielen persönlichen Erfolgsgeschichten, die dadurch ermöglicht worden seien, könne man als Gesellschaft stolz sein.
Das klingt stark nach: Es war einmal ... Gar nicht märchenhaft erscheint dagegen das, was heute vom BAföG übrig ist. Tatsächlich ist die am 1. September 1971 in sozial-liberaler Regentschaft unter Willy Brandt eingeführte Sozialleistung bloß noch ein Rudiment ihrer besten Zeiten. Während in der Frühphase mehr als 44 Prozent aller Hochschüler in Deutschland staatliche Unterstützung erhielten, sind es heute weniger als elf Prozent – bei fallender Tendenz. Ein echter „Kraftakt“ für Bildungsgerechtigkeit war das Instrument eigentlich nur in den ersten zwölf Jahren. Dann stürzte sich ab 1982 die Regierung unter Helmut Kohl (CDU) in die Abrissarbeiten und drückte die Zahl der Geförderten mit einem Mal um über 80 Prozent nach unten.
Abwärts ohne Ende
Ganz so rabiat ging es später nicht weiter, jedoch folgten auf Phasen der Erholung immer wieder Einbrüche. Seit Beginn der 2000er-Jahre kennt der Trend aber nur mehr eine Richtung: abwärts und zwar steil. Wie ihre Amtsvorgängerinnen Annette Schavan und Johanna Wanka (beide CDU) hat auch Karliczek einen gewichtigen Beitrag dazu geleistet, wofür zum Jubiläum das Statistische Bundesamt die passenden Kennziffern lieferte: Im Vorjahr gab es demnach 27 Prozent weniger Geförderte als 1991. Während sich der Schwund bei den Studierenden auf 23 Prozent beläuft, beträgt das Minus bei Schülerinnen und Schülern sogar 35 Prozent.
Auch in absoluten Zahlen schrumpft der Kreis der Leistungsempfänger seit Jahren ohne Ende. Heute bevölkern Deutschlands Hochschulen knapp 2,9 Millionen Menschen, vor 30 Jahren waren es 1,7 Millionen. Trotzdem wurden zuletzt 340.000 Personen weniger gefördert als 2012, dem Jahr mit dem historischen Höchststand an Profiteuren. „Bergauf“ ging es lediglich mit den Gesamtausgaben – plus 44 Prozent seit 1991 – sowie der Höhe der Zuwendungen pro Kopf. Noch stärker legten freilich die Löhne und Preise zu, womit heutige Leistungsbezieher weniger zum Leben haben als jene vor 30 Jahren.
Versetzung gefährdet
Ihr ganz persönliches Armuts- bzw. Abschlusszeugnis erhielt Karliczek schon vor vier Wochen. Da vermeldeten die Datensammler aus Wiesbaden für 2020 einen Rückgang der Förderungen um satte sechs Prozent verglichen mit 2019. Im Jahresvergleich 2019/2018 fiel der Rückgang mit 6,4 Prozent sogar noch größer aus. Damit summieren sich die „Verluste“ allein seit Inkrafttreten ihrer 2019 aufgelegten BAföG-Novelle auf 88.000 Personen. Betrachtet man die gesamte Legislaturperiode, dann sind seit Jahresbeginn 2018 über 140.000 Abgänge aus dem BAföG-Bezug zu beklagen.
Einen Makel in ihrer Leistungsbilanz oder gar ein Versetzungshindernis sieht Karliczek darin offenbar nicht. Zuletzt ließ sie hinsichtlich ihrer Ambitionen auf eine zweite Amtszeit wissen: „Ich würde gerne weitermachen.“ Manch einem mag das wie eine Drohung vorkommen. Hatte die Ministerin im Nachgang ihrer Reform vor zwei Jahren nicht stets beteuert, dass sich deren Wirkung aufgrund der stufenweisen Erhöhungen erst mit der Zeit entfalten werde? Jetzt steht fest: Ihr Gesetzeswerk ging voll nach hinten los – was ihre Kritiker schon vor zwei Jahren haben kommen sehen.
Vollflop mit Ansage
Entsprechend gebremst ist auch heute ihre Feierlaune. „Was 1971 stark begonnen hat, wurde nicht zuletzt von der jetzigen Bundesregierung zum Feigenblatt der Bildungspolitik degradiert“, beklagte etwa die hochschulpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Die Linke, Nicole Gohlke. Mit ihrer „halbgaren Reform“ habe sie das System „herabgewirtschaftet“. Bei vielen würden „die Ausbildungszeiten länger oder der Schuldenberg größer“.
Über einen „Vollflop“ klagte ihr Amtskollege in Reihen der Grünen-Fraktion Kai Gehring. „Das BAföG hat dramatisch an Bedeutung verloren, während die Zahl der Studierenden mit Nebenjobs Rekordhöhen erreicht hat.“ Statt der versprochenen Trendumkehr gehe die Talfahrt bei den Gefördertenzahlen weiter. „Das notwendige Geschenk zum 50. Geburtstag ist darum ein Neustart des BAföG mit einer Grundsicherung für Studierende und Auszubildende.“
„(K)ein Grund zu feiern“ hat auch ein breites Bündnis aus Studierendenvertretern, Jugendverbänden der SPD, Links- und Grünen-Partei sowie der Gewerkschaften Verdi, IG Metall und GEW. Die Beteiligten machen sich für eine „umfassende BAföG-Reform“ nach der Bundestagswahl stark und meldeten sich am Dienstag in einer Pressemitteilung zu Wort.
Unfall nach Plan?
Für Jonathan Dreusch, Vorstandsmitglied beim studentischen Dachverband fzs, hat das Regierungsversagen Kalkül. Keine einzige Novelle der vergangenen 16 Jahre habe den Negativtrend umkehren können, „nicht unabsichtlich, wie es scheint“. Die Unions-Parteien gelten nicht gerade als glühende Fans der staatlichen Studienfinanzierung und nicht ganz zufällig haben die privaten Finanzierungsmodelle (Stipendien, Studienkredite) in 16 Jahren CDU-Zuständigkeit deutlich an Boden gewonnen.
„Anstatt Jahr für Jahr immer weniger junge Menschen zu unterstützen, brauchen wir eine Förderung, die die realen Bedarfe von Studierenden abbildet und nicht nur Menschen an der Armutsgrenze zur Verfügung steht“, äußerte sich Jan Leiße von der Bundesarbeitsgruppe Studierende der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di. Christina Markfort, Bundessprecherin von Campusgrün, verwies auf die zu knapp bemessene Wohnpauschale. 325 Euro mögen in „einigen wenigen Städten für ein WG-Zimmer reichen, in den immer mehr Fällen aber nicht“.
Kaum jemand mache einen Bachelor oder Master in der vorgegebenen Zeit, bemerkte Carla Büttner, Bundessprecherin der Linksjugend [’solid]. „Für selbstbestimmte Bildung brauchen wir die Abschaffung von Leistungsnachweisen und die Unabhängigkeit von der Regelstudienzeit.“ Noch immer sei der Anteil von Studierenden aus akademischem Elternhaus weitaus höher als von Kindern aus Arbeiterfamilien, gab Nathalie Schäfer, Bundessprecherin der Studierenden der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) zu bedenken: „Deshalb fordern wir die Wiedereinführung des de facto abgeschafften Schüler*innen-BAföGs für allgemeinbildende Schulen.“
Großreform statt Tippelschritte
Ob sich die künftigen Regierenden die Anstöße zu Herzen nehmen, bleibt abzuwarten. (Studis Online hat inzwischen einen Beitrag zu den bildungs- und hochschulpolitischen Positionen der wichtigsten Parteien – passend zur Bundestagswahl am 26. September 2021.) Karliczek selbst hatte schon vor einem Monat Einsehen signalisiert und unter anderem eine Abkehr von den starren Altersgrenzen ins Spiel gebracht. Vorstellen kann sie sich auch über die Regelstudienzeit hinausgehende Förderzeiträume. Das Bafög müsse besser als bisher die neuen Bildungsbiografien abbilden, die nicht mehr so einheitlich ablaufen wie früher, erklärte sie.
In Wahlkampfzeiten gehen solche Versprechen bekanntlich leicht über die Lippen. Für Karliczek laufen ihre Ideen ohnedies nur unter „Weiterentwicklung des BAföG“, wohingegen die Linkspartei „nichts weniger als eine BAföG-Revolution für Bildungsgerechtigkeit“ anmahnt. Skeptisch zeigte sich auch GEW-Vize Andreas Keller. Der Kurswechsel komme leider zu spät und „nur in Tippelschritten“. Die Koalition habe eine überfällige Reform des BAföG die ganze Wahlperiode blockiert. Selbst als die Coronakrise überdeutlich gemacht habe, dass die Förderung nur einen Bruchteil der Studierenden erreiche, habe das BMBF mit einer „halbherzigen“ Überbrückungshilfe und verzinsten Bankkrediten reagiert.
Zurück zum Vollzuschuss
An die künftige Bundesregierung appelliert die Bildungsgewerkschaft, die nächste BAföG-Novellierung in ihr 100-Tage-Programm aufzunehmen. Fördersätze und Freibeträge müssten um „mindestens 15 Prozent angehoben und künftig regelmäßig an die Steigerung der Lebenshaltungskosten angepasst werden“. Das betreffe auch die Mietpreisentwicklung. Außerdem sollten die Leistungen wieder als Vollzuschuss bewilligt werden und wie andere Sozialleistungen nicht zurückgezahlt werden müssen. Die Aussicht, nach dem Studium mit einem Schuldenberg ins Erwerbsleben zu starten, schrecke insbesondere Kinder aus nichtakademischen Familien ab.
Weitgehend deckungsgleiche Rezepte schweben dem Deutschen Studentenwerk (DSW) vor. Konkret regt die Dachorganisation der 57 Studenten- und Studierendenwerke eine Ausweitung der Förderungshöchstdauer um zwei Semester, eine Abschaffung von Leistungsnachweisen nach vier Semestern und einen „Förderbescheid gleich fürs gesamte Bachelor- oder Masterstudium“ an. Außerdem plädiert das DSW für eine „bundesweit einheitliche Digitalisierung der gesamten Prozesskette, einschließlich e-Bescheid und e-Akte“. Angesichts der Erfahrungen mit der Corona-Krise seien ferner eine „neue Härtefallregelung für Studierende in besonders schwierigen Lagen“ und ein „Notfallmechanismus für nationale Krisen- oder Katastrophenlagen“ erforderlich.
Sparen macht Freude
Anja Karliczek denkt derweil lieber ans Sparen. Am Wochenende hatte sie verkündet, die Überbrückungshilfen für Studierende in pandemiebedingten Notlagen „wie geplant Ende September 2021 auslaufen zu lassen“. Das war schon einmal vor einem Jahr so „geplant“, wegen der nahenden zweiten Welle liefen die Hilfen aber weiter. Jetzt herrscht am studentischen Arbeitsmarkt angeblich wieder eitel Sonnenschein und kann Normalstudent sein Studium wieder ganz normal neben der Erwerbsarbeit wuppen. Kommt es so und bleibt es so, muss die nächste BAföG-Reform dann auch nicht zu üppig geraten. Für diesen Fall, Frau Karliczek: Stellen Sie schon mal den Champagner kalt. (rw)