Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDPBAföG rot-grün-gelb
Die kommende Koalition hat vieles vor.
Das Wort BAföG kommt im Koalitionsvertrag insgesamt zehnmal vor. Dabei wird neben dem „normalen“ BAföG auch das Aufstiegs-BAföG erwähnt und ein „Lebenschancen-BAföG“ eingeführt. Auf diese beiden Varianten gehen wir im Folgenden nicht weiter ein, sondern konzentrieren uns auf das „klassische“ BAföG für Schüler:innen und Studierende.
Nach einigen kurzen Erwähnungen zu Beginn des Kapitels „V. Chancen für Kinder, starke Familien und beste Bildung ein Leben lang“ wird es auf Seite 97 endlich konkreter:
Ausbildungsförderung
Das BAföG wollen wir reformieren und dabei elternunabhängiger machen. Der elternunabhängige Garantiebetrag im Rahmen der Kindergrundsicherung soll künftig direkt an volljährige Anspruchsberechtigte in Ausbildung und Studium ausgezahlt werden.
Wir richten das BAföG neu aus und legen dabei einen besonderen Fokus auf eine deutliche Erhöhung der Freibeträge. Außerdem werden wir u. a. Altersgrenzen stark anheben, Studienfachwechsel erleichtern, die Förderhöchstdauer verlängern, Bedarfssätze auch vor dem Hintergrund steigender Wohnkosten anheben, einen Notfallmechanismus ergänzen und Teilzeitförderungen prüfen. Freibeträge und Bedarfssätze werden wir künftig regelmäßiger anpassen. Wir streben eine Absenkung des Darlehensanteils und eine Öffnung des zinsfreien BAföG-Volldarlehens für alle Studierenden an. Studierende aus Bedarfsgemeinschaften werden wir mit einer neuen Studienstarthilfe unterstützen. Die Beantragung und Verwaltung des BAföG werden wir schlanker, schneller und digitaler gestalten und gezielter für das BAföG werben.
Grundsätzlich lesen sich die Pläne positiv. Doch sind sie sind leider weiterhin vage genug, dass sie auch dann als erfüllt gelten können, wenn am Ende alles nur ein bisschen besser wird. Schauen wir uns also genauer an, was die künftigen Koalitionäre formuliert haben.
Ach ja: Das Bundesbildungsministerium, das für das BAföG zuständig ist, soll offenbar von der FDP übernommen werden. Der elternunabhängige Teil ergibt sich allerdings aus der geplanten Kindergrundsicherung, die eine Arbeitsgruppe unter Federführung des Bundesministeriums für Frauen, Senioren, Familie und Jugend ausarbeiten soll. Dieses Ministerium soll von den Grünen besetzt werden.
Elternunabhängiger frühestens Ende 2023
Den ersten Satz kann man komplett ignorieren: „reformieren“ sagt ja nicht, was geändert werden soll. „Elternunabhängiger“ ist zwar schön, aber schon durch eine minimale Ausweitung erfüllt.
Konkreter wird dann der zweite Satz, auch wenn man für das Verständnis des ganzen einen weiteren Part des Koalitionsvertrages zitieren muss (S. 100):
Kindergrundsicherung
[…]
In einem Neustart der Familienförderung wollen wir bisherige finanzielle Unterstützungen – wie Kindergeld, Leistungen aus SGB II/XII für Kinder, Teile des Bildungs- und Teilhabepakets, sowie den Kinderzuschlag – in einer einfachen, automatisiert berechnet und ausgezahlten Förderleistung bündeln. Diese Leistung soll ohne bürokratische Hürden direkt bei den Kindern ankommen und ihr neu zu definierendes soziokulturelles Existenzminimum sichern.
Die Kindergrundsicherung soll aus zwei Komponenten bestehen: Einem einkommensunabhängigen Garantiebetrag, der für alle Kinder und Jugendlichen gleich hoch ist, und einem vom Elterneinkommen abhängigen, gestaffelten Zusatzbetrag. Volljährige Anspruchsberechtigte erhalten die Leistung direkt.
[…]
Gemeinsam mit den Ländern wollen wir dafür den Einkommensbegriff bis Mitte 2023 in allen Gesetzen harmonisieren. Bis zur tatsächlichen Einführung der Kindergrundsicherung werden wir von Armut betroffene Kinder, die Anspruch auf Leistungen gemäß SGB II, SGB XII oder Kinderzuschlag haben, mit einem Sofortzuschlag absichern. […]
Unklar ist also einerseits, wie hoch diese Grundsicherung am Ende sein wird. Und vor 2023 ist da ganz bestimmt nichts zu erwarten, d.h. für Schüler:innen und Studierende wird das BAföG hier zunächst unverändert bleiben, „elternunabhängiger“ wird es allerfrühestens mit dem Wintersemester 2023/2024.
Höher, länger, weiter, mehr … aber wie viel denn genau?
Im zweiten Absatz werden viele Dinge aufgezählt, die grundsätzlich zu begrüßen sind:
deutliche Erhöhung der Freibeträge
Altersgrenzen stark anheben
Studienfachwechsel erleichtern
Förderhöchstdauer verlängern
Bedarfssätze […] anheben
Notfallmechanismus ergänzen
Teilzeitförderungen prüfen
Doch welchen Umfang werden die Verbesserungen genau haben? Verstärkt werden die Aussagen durch „deutlich“ und „stark“ immerhin bei den Freibeträgen und den Altersgrenzen. Bei letzteren kann man also schon hoffen, dass mind. 5 oder sogar 10 Jahre dazu kommen (z.B. Altersgrenze 40 für Bachelor+Master?). Und die Freibeträge sollten schon um mind. 10 Prozent – besser sogar 15 oder 20 Prozent – steigen, sonst wäre die Aussage „deutlich“ peinlich.
Bei den Bedarfssätzen, Studienfachwechsel und der Förderhöchstdauer wird man sehen, wie großzügig das ganze ausfällt. Schon kleinste Verbesserungen würden ausreichen, um die Aussagen einzuhalten.
Der Notfallmechanismus spielt auf die Corona-Überbrückungshilfe für Studierende an, die statt am BAföG angelehnt oder integriert komplett extra lief. Das soll künftig nicht mehr passieren und ist sicher sinnvoll. Auch wenn wir eigentlich alle hoffen, dass eine solche Hilfe so schnell nicht wieder nötig wird.
Der letzte Punkt der Aufzählung „Teilzeitförderungen prüfen“ ist lediglich ein Prüfauftrag. Das sind oft Punkte, die am Ende nicht realisiert werden, denn versprochen ist nur eine „Prüfung“. Die eben auch negativ ausfallen kann und so kommt es leider oft.
Regelmäßigere Anpassungen
Das BAföG hat in den letzten zwei Jahrzehnten besonders darunter gelitten, dass es zweimal jeweils 6 Jahre überhaupt nicht erhöht wurde (zwischen 2002 und 2008 und zwischen 2010 und 2016) und jährliche Anpassungen eine seltene Ausnahme waren. Daher ist zu begrüßen, dass es hier „Freibeträge und Bedarfssätze werden wir künftig regelmäßiger anpassen“ heißt. Also kein „soll“, sondern das muss kommen. Allerdings wäre „regelmäßiger“ schon erfüllt, wenn dies nur alle zwei Jahre wäre und jeweils durch individuelles Gesetz geschähe.
Besser wäre, wenn die Anpassungen künftig automatisch (z.B. an einen sinnvollen Preisindex gebunden) und jährlich stattfinden. Das dürfte aber erstmal nicht kommen, vor allem da ja 2023 mit der Kindergrundsicherung eine große Änderung zu erwarten ist und vorher keine Automatismen für etwas eingeführt werden, dass sowieso so keinen Bestand haben wird.
BAföG-Darlehensanteil einerseits verringern, Volldarlehen für alle öffnen?
In Sachen Darlehen wird es unsicherer, denn das strebt die Koalition lediglich an – es ist also weniger fest. Ob der Darlehensanteil der Normalförderung gesenkt wird, bleibt somit ungewiss. Genau so wie der Teil, dass das zinsfreie BAföG-Volldarlehen möglicherweise für alle Studierende geöffnet wird.
Es steht zu befürchten, dass dies zwei Aspekte sind, die am ehesten nicht realisiert werden. Schon die anderen Vorhaben kosten einiges – ob da dann noch etwas für sowieso nicht so fest versprochene Dinge bleibt?
Andererseits könnte die Koalition auch versucht sein, das BAföG-Volldarlehen stärker zu öffnen, aber gleichzeitig die Normalförderung zu beschränken. Dass befürchtet beispielsweise der studentische Dachverband fzs, insbesondere da die FDP das Bildungsministerium übernehmen wird und Kreditmodellen in der Vergangenheit sehr offen gegenüber war. Die Sichtweise, dass Angst vor Schulden gerade unter Menschen aus finanziell nicht so gut dastehenden Familien verbreitet ist, könnte da zu kurz kommen.
Studienstarthilfe kommt
Das müsste eigentlich kommen, denn der Satz enthält keine Einschränkungen: „Studierende aus Bedarfsgemeinschaften werden wir mit einer neuen Studienstarthilfe unterstützen.“ Aber natürlich ist keinerlei Angabe zum Umfang gemacht und den sonstigen Konditionen (Zinsloses Darlehen? Teilweise/ganz Zuschuss?). Und die Hilfe gibt es dem Wortlaut nur, wenn die Studierenden aus einem ALG 2-Haushalt kommen.
Inzwischen haben wir dank ein wenig getweete mit Lasse Petersdotter (GRÜNE), der das mitverhandelt hat, die Aussage, dass es ein Zuschuss sein soll, der möglichst unbürokratisch und schnell wirklich vor Studienbeginn ausgezahlt werden soll, im Grunde gesondert vom „großen“ BAföG-Antrag.
Fazit: Das hat Potential!
Wenn die Verbesserung schnell und mit Nachdruck angegangen werden, haben die Pläne das Potential, dass BAföG endlich wieder richtig attraktiv zu machen.
DSW-Generalsekretär Matthias Anbuhl: äußert in einer ersten Stellungnahme: „Diese grundlegende BAföG-Reform ist absolut überfällig. Gut, dass sie nun kommt. Die künftigen Koalitionäre haben die richtigen Baustellen beim BAföG erkannt, und sie erfüllen Forderungen, die wir als Deutsches Studentenwerk mehrfach artikuliert haben. Wichtig ist, dass die Reform nun kräftig ausfinanziert wir und vor allem sehr rasch auf den Weg gebracht wird. Das BAföG als Herzstück der staatlichen Studienfinanzierung muss wieder gestärkt werden.“
Lone Grotheer vom freien zusammenschluss von student*innenschaften (fzs), dem Dachverband vieler Studierendenvertretungen, äußert sich zurückhaltender: „Die Ausführungen der Ampel-Koalitionen zu ihren BAföG-Reformplänen sind aus studentischer Sicht ein guter Startpunkt und zeigen, dass unsere Kampagne ihre Adressaten erreicht hat. Die Ziele der Reform sind jedoch noch zu unkonkret. Die Koalition muss jetzt in der Umsetzung beweisen, dass sie es mit einer wirklichen Reform des BAföG ernst meint.“
Wir von Studis Online hoffen, dass sich die Koalition zu einem großen Wurf durchringt, neue Regeln möglichst großzügig gestaltet und vor allem in Sachen Kindergrundsicherung wirklich durchkommt und auch hier nicht an falschen Stellen spart. Das ist nämlich ein wirklich dickes Brett, dass da zu bohren ist, weil es viele Gesetze betrifft (Einkommenssteuer, Sozialgesetzbücher und eben dann auch das BAföG).
Ergänzungen seit erster Onlinestellung: Ergänzung dazu, dass FDP Bildungsministerium übernimmt, Details zu BAföG-Volldarlehen (Befürchtungen fzs) und Studienstarthilfe (Tweets Petersdotter, letzte Ergänzung 25.11. 8:33 Uhr), einige Rechtschreibfehler korrigiert und Formulierungen verbessert.