Auf Kuschelkurs mit Studis?Heizkostenzuschuss für BAföG-Empfänger geplant
Aktuelle Entwicklungen zum Thema finden sich künftig immer im Artikel Heizkostenzuschuss 2022 für BAföG-Empfänger. Der folgende Artikel stellt die Situation Mitte Januar 2022 dar.
Ganz sicher ist es noch nicht, aber hoffentlich kommt er auch für BAföG-Empfänger:innen: Der geplante Heizkostenzuschus
Man könnte meinen, da hätte jemand etwas gutzumachen. Bald zwei Jahre lang hat die Politik die Studierenden in Deutschland mehr oder weniger sich selbst überlassen. Monatelang im Homeoffice versauert, soziale Kontakte Fehlanzeige, Hunderttausende Jobs weggebrochen, Geld Mangelware, was auch die kümmerlichen Corona-Überbrückungshilfen der Groko kaum besser machten, dazu der Ärger mit 3G oder 2G. Da kam einiges zusammen – und bleibt bis heute einiges hängen.
Und jetzt? Gerade sechs Wochen im Amt, zeigt sich die neue Bundesregierung gleich von ihrer großzügigen Seite. Weil Preise für Strom, Gas, Heizöl und Fernwärme seit geraumer Zeit förmlich durch die Decke gehen, sollen Empfänger von Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) einen sogenannten Heizkostenzuschuss erhalten. Eigentlich war diese Maßnahme zunächst nur für finanziell schlecht gestellte Haushalte vorgesehen, die auf zusätzliches Wohngeld angewiesen sind.
Stark-Watzinger mit Antrittsgeschenk
Wie die frischgebackene Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger jedoch am Freitag mitteilte, habe man diesen Punkt kurzerhand in das laufende Gesetzgebungsverfahren aufgenommen. „Das hat gute Chancen, weil es jetzt in die Ressortabstimmung eingebracht ist und auch in die Beschlussfassung im Bundestag einfließen wird“, sagte die FDP-Politikerin der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Studentinnen und Studenten hätten in der Krise besonders stark gelitten, beschied die Ministerin. „Viele konnten ihre Nebenjobs nicht wahrnehmen und viele sind auch jetzt von den hohen Energiekosten belastet.“
Laut Bild-Zeitung rechnet das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit 420.000 Anspruchsberechtigten. Inbegriffen sind dabei allein lebende Schülerinnen und Schüler mit BAföG-Anspruch sowie Geförderte nach dem Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz (AFBG), kurz: Aufstiegs-BAföG. Aus diesem Topf werden im Wesentlichen Weiterbildungen für junge Menschen mit Berufsabschluss finanziert.
Wie viel Geld die Begünstigten konkret erhalten werden, ist noch nicht ausgemacht. Nach den Plänen von Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) sollen Wohngeldempfänger, die alleine leben, 135 Euro bekommen, Haushalten mit zwei Personen winken 175 Euro. Wohlgemerkt wäre dies eine einmalige Zulage, die auch erst irgendwann im kommenden Sommer ausgezahlt werden soll. Ob BAföG-Berechtigte mit demselben Betrag kalkulieren dürfen, wird sich zeigen müssen.
Energiemärkte spielen verrückt
Tatsächlich ist der der Begriff Heizkostenzuschuss nicht bloß auf den Bereich Heizen gemünzt, sondern auf die Wohnnebenkosten in ihrer Gesamtheit. Allerdings sind Haushalte, die mit Heizöl wärmen, in besonderer Weise von der aktuellen Preisrally an den Energie- und Rohstoffbörsen gebeutelt. Im November 2021 zahlte man für einen Liter mehr als doppelt so viel wie im Vorjahresmonat.
Aber auch die Kosten für Strom- und Gas erreichen fast im Wochentakt neue Rekordstände. Nach neuesten Angaben des Vergleichsportals Check24 haben 1.836 Grundversorger Preisaufschläge vorgenommen, darunter 742 Stromanbieter. Im Schnitt betragen die Mehrausgaben 65,1 Prozent beim Strom und 75,2 Prozent beim Gas. Betroffen seien 4,4 Millionen beziehungsweise 3,6 Millionen Haushalte, die im Mittel 1.068 Euro beziehungsweise 1.135 Euro mehr im Jahr aufwenden müssten.
Angesichts dessen könnte ein Obulus von 135 Euro wie ein Tropfen auf dem heißen Stein verdampfen. Und selbst BAföG-Beziehern, die in der Regel in kleineren, weniger energieintensiven Behausungen leben, dürfte die Zugabe kaum Erleichterung bringen. Aber immerhin wäre auch ein kleiner Bonus besser als gar nichts. Nur was ist mit den Hunderttausenden anderen Studierenden, die ohne staatliche Unterstützung über die Runden kommen müssen und deren Strom- und Gaspreise nicht minder aus dem Ruder laufen? Wer denkt an die?
Gute Vorsätze der Ampel-Parteien
Nun gut. Die Ampel steht ja erst am Anfang ihrer vierjährigen Schaffensphase. Da kann ja noch manches an Reformen kommen, vielleicht ausnahmsweise auch solche, die den Menschen weiterhelfen. Einen großen Wurf wünscht man sich insbesondere in puncto BAföG und eine gewisse Zuversicht erscheint mit Blick auf die Ankündigungen im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen-Partei und FDP angebracht. Das Instrument solle „elternunabhängiger“ werden, heißt es darin, die Freibeträge sollten deutlich erhöht, die Altersgrenzen heraufgesetzt, die Förderhöchstdauer verlängert und Studienfachwechsel erleichtert werden.
Außerdem wolle man die Förderung „künftig regelmäßiger anpassen“ und – das passt zum Thema – „die Bedarfssätze auch vor dem Hintergrund steigender Wohnkosten anheben“ sowie „einen Notfallmechanismus ergänzen“. Letzteres hatten Studierendenverbände, Gewerkschaften und die Opposition im Bundestag auch aufgrund der schlechten Erfahrungen mit dem von Ex-BMBF-Chefin Anja Karliczek (CDU) aufgelegten Corona-Notfonds gefordert.
Das Hilfspaket kam viel zu spät, war zu knapp bemessen und die Bewilligung an Restriktionen geknüpft, die viele eigentlich akut Bedürftige per se ausschloss. Dagegen hatten Kritiker wie etwa das Deutsche Studentenwerk (DSW) stets dafür geworben, im BAföG-Regularium selbst einen entsprechenden Notfallmechanismus zu implementieren, der im Ernstfall sofort und unbürokratisch greift.
Doch kein Notfallmechanismus?
Allerdings hat es die neue Regierung offenbar nicht allzu eilig mit der Umsetzung. Nicole Gohlke von der Bundestagsfraktion Die Linke wollte im Rahmen einer parlamentarischen Anfrage in Erfahrung bringen, welche „kurzfristigen Unterstützungsmaßnahmen“ man beim BMBF in Betracht ziehe, falls es angesichts der rasant steigenden Infektionszahlen einen weiteren Lockdown geben sollte. Schließlich hält sich Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) diese Option weiterhin offen.
Im Bildungsministerium herrscht dagegen die große Gelassenheit. Eine nationale Krisensituation, in der das öffentliche Leben heruntergefahren wird und Jobs für Studierende wegfallen, sieht man gegenwärtig nicht aufziehen. Zwar werde man „während der weiteren Entwicklung der Pandemie die Situation der Studierenden aufmerksam beobachten“, ließ Staatssekretär Jens Brandenburg (FDP) in seiner Antwort wissen. Derzeit sei aber „das Angebot an studentischen Jobs branchenübergreifend und bundesweit weiterhin unverändert sehr hoch“, zitierte ihn Ende der Vorwoche der Berliner Tagesspiegel.
Eine Notwendigkeit, wenigstens die Vorbereitungen für den im Koalitionsvertrag versprochenen Notfallmechanismus im BAföG zu treffen, erkennt man im Hause Stark-Watzinger also nicht. Aber sollte man angesichts der Unwägbarkeiten einer immer noch laufenden Pandemie nicht schleunigst damit loslegen, um nicht – wie schon einmal – kalt erwischt zu werden? Und was, wenn plötzlich ganz andere Notlagen auftreten, wie etwa eine Energiekrise, in der die Preise für Strom, Gas und Wasser ins Unzumutbare steigen? Geht es nicht genau darum bei dem vermeintlichen Vorhaben: Für den Tag X gewappnet zu sein?
Versteckspiel mit BAföG-Bericht
Aber ganz nackt steht man BMBF dann doch nicht da, wenn demnächst die Welt untergeht. Man habe ja immer noch den KfW-Studienkredit, den Studierende in Anspruch nehmen können, „die während der Pandemie zusätzliche Finanzierungsquellen benötigen“, erklärte Brandenburg. Um „Planungssicherheit zu schaffen“, habe die Bundesregierung mit der zuständigen Kreditanstalt für Wiederaufbau vereinbart, „die Zinsfreiheit (...) in der Auszahlungsphase bis zum 30. September 2022“ zu verlängern.
Hier zeigt sich die Kontinuität bei den Prioritäten, wie sie sowohl von den drei vorangegangen CDU-Ressortleiterinnen als auch der neuen Hausherrin mit FDP-Parteibuch gesetzt wurden und werden. Gerade auch durch den forcierten Ausbau von Angeboten der privaten Studienfinanzierung (Studiendarlehen, Stipendien) geriet das BAföG in den zurückliegenden fast zwei Jahrzehnten immer stärker in Bedrängnis und rauschten die Gefördertenzahlen immer tiefer in den Keller. Nach dem kurz vor Weihnachten vom Bundeskabinett beschlossenen BAföG-Bericht erhielten 2020 nur noch 11,2 Prozent aller Studierenden entsprechende Zuwendungen. (Mehr Zahlen siehe in unserem Artikel zum 22. BAföG-Bericht.)
Vielsagend ist auch der Umgang mit diesem Report. Nicht nur verschob die alte Regierung den Bericht um zwei Jahre. Auch jetzt spielte ihre Nachfolgerin damit zunächst Verstecken. Trotz Verabschiedung durch das Bundeskabinett bereits vor Weihnachten war der Bericht erst seit wenigen Tagen und nur versteckt in den Tiefen der BMBF-Webseite abrufbar. Erst heute wurde er als Drucksache des Bundestages wirklich öffentlich zugänglich gemacht. Man unternimmt augenscheinlich alles dafür, dem Thema keine allzu große Aufmerksamkeit zuteil werden zu lassen.
Kein Stress beim BMBF
Dabei hatte Stark-Watzinger doch Ende 2021 selbst noch versichert, die BAföG-Reform im neuen Jahr umgehend angehen zu wollen. Bei ihrer Antrittsrede im Bundestag am zurückliegenden Donnerstag verkündete sie, die Sozialleistung „flexibler, attraktiver und vor allem elternunabhängiger“ zu machen. Allerdings erwähnte sie weder den besagten Notfallmechanismus noch wurde sie konkret, was den zeitlichen Ablauf der anstehenden Reformschritte angeht.
Den Verdacht, dass die nächste und längst fällige BAföG-Novelle – die letzte stammt vom 1. August 2019 – wie schon so oft davor auf die lange Bank geschoben wird, erhärtet auch die BMBF-Replik auf die Anfrage der Linkspartei. Welche Änderungen, „die ab Beginn des Wintersemesters 2022/23 gelten“, die Bundesregierung plane und wann die „vollumfängliche Reform“ greifen solle, wollte Gohlke wissen. Darauf erwiderte Staatssekretär Brandenburg lediglich, dass „konkrete (Zeit-)Pläne zur Umsetzung dieser Ziele derzeit erarbeitet und abgestimmt“ würden. Das klingt nicht so, als bestünde in der Angelegenheit höchste Eisenbahn.
Das könnte sich durch eine weitere Hängepartie erklären. Eine wichtige Messlatte bei der Ermittlung der BAföG-Bedarfssätze und -Freibeträge ist die sonst alle drei Jahre durchgeführte Sozialerhebung des DSW zur wirtschaftlichen und sozialen Lage der Studierenden. Diese wurde inzwischen durch die umfassendere „Studierendenbefragung in Deutschland“abgelöst, in deren Rahmen ab Mai 2021 rund eine Million Hochschüler zur Teilnahme aufgerufen waren.
„Trendumkehr“ zum Sankt Nimmerleinstag?
Ursprünglich sollten die ersten Ergebnisse im Laufe dieses Jahres vorgelegt werden. Nun aber heißt es seitens der Regierung, es werde Anfang 2023 so weit sein. Will die Bundesregierung eventuell die Veröffentlichung dieser Daten abwarten, um erst dann in die handfeste Reformarbeit einzusteigen? Wenn dem so ist, wäre wohl erst zur Jahresmitte 2023 mit einem beschlussfertigen Gesetz zu rechnen und könnte die dann 27. BAföG-Novelle frühestens zum Wintersemester 2023/24 in Kraft treten – satte vier Jahr nach der letzten, ziemlich vermasselten Reform.
Das wäre reichlich spät und würde den Kreis der Geförderten mithin um Zehntausende mehr dezimieren. Und ein Zuschuss zum Heizen von 135 Euro dürfte den Schwund kaum verhindern. Vielleicht ist der ja auch nur Manöver, das davon abzulenken soll, wie die von Stark-Watzinger proklamierte „Trendumkehr beim BAföG“ einmal mehr in ferne Zukunft vertagt wird. Eine „Trendumkehr“ hatte vor ihr schon Anja Karliczek versprochen. Das war wohl nix. (rw)
Änderungen nach erster Onlinestellung: Rechtschreibkorrekturen, schönere Formulierungen und eine Ergänzung im Absatz „Versteckspiel mit BAföG-Bericht“, da der Bericht seit heute endlich öffentlich zugänglich ist.