SOS Semesterbeitrag!Aufstand gegen versteckte Studiengebühren nicht nur in NRW
SOS Semesterbeitrag: Weniger Zuschüsse für die Studentenwerke bedeuten immer höhere Semesterbeiträge.
Studis Online: Das Landes-ASten-Treffen Nordrhein-Westfalen schlägt Alarm. Weil die Beiträge, die Studierende vor jedem Semester als Voraussetzung zum Studieren pauschal an ihre Hochschule entrichten müssen, mithin unzumutbar hoch sind, hat Ihr Verband mit Unterstützung mehrerer Bündnispartner die Kampagne „SOS Semesterbeitrag“ gestartet. Was wollen Sie damit erreichen?
Amanda Steinmaus: Wir wollen die Aufmerksamkeit auf ein Thema lenken, das die Studierenden in ganz Deutschland umtreibt. Es geht hier um Kosten, die für viele und immer mehr Betroffene einfach nicht mehr tragbar sind. Bei uns in Nordrhein-Westfalen ist es inzwischen ganz normal, dass für den Semesterbeitrag deutlich über 300 Euro fällig werden. In Bochum zum Beispiel zahlt man 341 Euro – und das gleich zweimal im Jahr. Wie sollen sich Studierende aus weniger gut betuchtem Elternhaus das leisten, wenn zugleich noch alles andere – Wohnen, Heizung, Strom, Lebensmittel – immer teurer wird?
Antworten Sie selbst ...
Ganz klar: Das ist nicht mehr zu bewältigen und wird für immer mehr junge Menschen zu einem Faktor, der sie von der Aufnahme eines Studiums abschreckt. Mit den Zielen Bildungsteilhabe für alle und Bildungsgerechtigkeit ist das schlicht nicht mehr vereinbar. Die Politik ist deshalb dringend gefordert, Abhilfe zu schaffen. Bildungshürden gehören abgebaut und nicht weiter erhöht.
Was alles umfasst der Semesterbeitrag?
Er umfasst drei Teile: Da ist zunächst der Beitrag für die Studierendenschaft, der sich im Fall Bochum auf 17 Euro beläuft. Dazu kommt der Sozialbeitrag, der an das örtliche Studierendenwerk fließt und in Bochum bei 110 Euro liegt. Als größter Posten bleibt das Semesterticket für die Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs, mit dem man das kommunale und das gesamte NRW-Netz befahren kann. In Bochum kostet das Ticket 214 Euro. Wir finden, dass das Land sowohl an dieser Stelle als auch beim Sozialbeitrag durch größere Zuschüsse ansetzen muss, um die Studierenden finanziell zu entlasten.
Bilden besagte 341 Euro in Bochum das Ende der Fahnenstange?
Das teuerste Pflaster ist Niedersachsen. Dort zahlt man an manchen Hochschulen sogar über 400 Euro, an der Uni Hannover waren es 2021 fast 440 Euro. In NRW rangiert Bochum ganz oben, wobei hier vor allem der Sozialbeitrag zuletzt besonders stark erhöht wurde. Wir wissen allerdings, dass dies demnächst auch an vielen anderen NRW-Hochschulstandorten passieren wird, weil die Studierendenwerke mit dem Rücken zur Wand stehen.
Woran liegt das?
Unsere Interviewpartnerin Amanda Steinmaus studiert an der Universität Duisburg-Essen Englisch und Geschichte auf Lehramt und ist Koordinatorin des Landes-ASten-Treffens Nordrhein-Westfalen (LAT-NRW). In den Jahren 2019 und 2020 war sie Vorstandsmitglied beim„freien zusammenschluss von student*innenschaften“ (fzs), dem bundesweiten Dachverband von Studierendenvertretungen.
Die Studierendenwerke finanzieren sich im Wesentlichen aus drei Quellen: Landeszuschüsse, Eigeneinnahmen aus der Vermietung von Wohnheimplätzen und der Gastronomie sowie eben aus den Sozialbeiträgen der Studierenden. Die Förderung durch das Land ist jedoch seit 1994 quasi unverändert geblieben, während die Studierendenzahlen massiv gestiegen sind. Das Angebot der Studierendenwerke, zum Beispiel die Gastronomie oder die BAföG-Bearbeitung, die ja durch das Mehr an Studierenden deutlich ausgeweitet werden mussten, ist daher nicht mehr ausfinanziert. Dazu kommt noch ein riesiger Sanierungs- und Neubaubedarf, während die Wohnheime aber Mieten anbieten wollen und müssen, die auch für ärmere Studierende erschwinglich sind. Anspruch und Wirklichkeit klaffen hier immer weiter auseinander. Und wenn die Politik hier nicht entschieden gegensteuert, bleibt den Studierendenwerken gar nichts anderes übrig, als bei den Sozialbeiträgen draufzusatteln.
Passend dazu zählt zu den Unterstützern Ihrer Kampagne neben einem Dutzend Studierenden-, Jugend- und Wissenschaftsverbänden auch die Arbeitsgemeinschaft der Studierendenwerke NRW. Studierende und Studentenwerke sitzen quasi in einem Boot …
Ganz richtig. Gemeinsam betonen wir seit Jahren, dass das Land sich nicht länger aus der Verantwortung stehlen darf. Noch einmal: Seit bald 30 Jahren sind die Landeszuschüsse praktisch nicht angehoben worden. Das ist ein unhaltbarer Zustand.
Wie viel mehr Geld wäre nötig?
Wir wollen wenigstens dahin zurück, was 1994 galt. Damals betrug das Verhältnis zwischen den Landzuschüssen für die Studierendenwerke und den Zuwendungen durch die Studierenden 1 zu 0,6. Im Jahr 2020 lag die Relation bei 1 zu 2,7. Die Studierenden steuern mittlerweile also fast dreimal so viel bei wie das Land. Aus unserer Sicht sind das nichts anderes als versteckte Studiengebühren, die das Zeug haben, immer mehr junge Menschen von Hochschulbildung auszuschließen.
Gibt es denn Signale des Entgegenkommens seitens der Landesregierung?
Leider nicht. Deshalb müssen wir ihr mit unserer Kampagne Beine machen. Wenn das Land auch das nicht zum Umdenken bringt, dann soll sie sich wenigstens ehrlich machen und sagen: Wir wollen gar keinen sozialen Wohnraum für Studierende, wir wollen kein bezahlbares Mensaessen, wir wollen keine funktionierende BAföG-Verwaltung. Ob das allerdings die Wählerinnen und Wähler gutheißen, steht auf einem anderen Blatt.
Hat die Pandemie den Handlungsdruck noch einmal erhöht?
Auf alle Fälle. Viele Studierende konnten über Monate keinen Job ausüben, haben weniger Zuwendungen von zu Hause erhalten, sind bei den Überbrückungshilfen der Bundesregierung leer ausgegangen und mussten sich per Studienkredit verschulden. Andererseits hat die Pandemie selbst neue Kosten verursacht, etwa für ein digitales Endgerät, das zur Teilnahme an der Onlinelehre befähigt. All das hat in vielen Fällen nachhaltige Spuren hinterlassen.
Ist Ihre Kampagne allein auf NRW gemünzt?
Zunächst schon. Allerdings haben wir es eben mit einem überregionalen Problem zu tun, was sich auch am Kreis unserer Unterstützer zeigt, von denen manche bundesweit aufgestellt sind, etwa der studentische Dachverband „fzs“, der Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler oder der Bundesverband ausländischer Studierender.
Inwieweit sehen Sie bei dem Thema auch den Bund in der Bringschuld?
Wenn Studierende zu wenig Geld zur Verfügung haben, liegt das Übel natürlich auch bei der Studienfinanzierung, sprich der Bundesausbildungsförderung. Hier sehen wir einen erheblichen Handlungsbedarf, den die neue Bundesregierung bei der kommenden, lange überfällige BAföG-Reform nicht unterschätzen darf. Wir brauchen den ganz großen Wurf. Wir wünschen uns dabei unter anderem, dass die Semesterbeiträge bei der Kalkulation der BAföG-Leistungen berücksichtigt werden. Außerdem plädieren wir für eine Starthilfe auch für Studienanfängerinnen und Studienanfänger, die kein oder noch kein BAföG beziehen, damit der Semesterbeitrag nicht zu einem Hindernis wird, überhaupt ein Studium aufzunehmen. (rw)